Mit Furcht und mit großer Freude

Predigt über Matthäus 28,8‑10 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Im heutigen Gottes­dienst singen wir etwa hundertmal „hallelu­ja“. Heute ist ja auch Ostern, und Ostern ist das fröhlichste Fest der Christen­heit. Der Herr ist auf­erstanden, halleluja! Ja, wir haben Grund zum Jubeln! Es könnte aber sein, dass dem einen oder anderen das Halleluja nur schwer von den Lippen geht. Es könnte sein, dass irgendein Kummer die Osterfreude über­schattet. Da denkt einer vielleicht: Ich weiß ja, ich müsste Ostern fröhlich sein, ich hätte allen Grund dazu; und doch will sich die Freude nicht einstellen. Alle, die heute so empfinden, dürfen wissen: Auch ihr seid hier recht am Platz, wo so viel „halleluja“ gesungen und Ostern gefeiert wird. Denn auch die ersten Ostern Feiernden der Welt waren keineswegs nur von aus­gelassener Freude erfüllt. Da hatten auch Angst und Schrecken ihren Platz. Erinnert ihr euch, wie das Oster­evangelium endete? „Sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“ (Markus 16,8)

Die Oster­berichte der vier Evan­gelisten geben das nüchtern und un­geschminkt wieder, viel nüchterner übrigens als unsere Oster­choräle. Die ersten Osterzeugen waren von ihren Gefühlen hin- und her­gerissen: auch ihr Glaube schwankte ständig auf und ab. Das ging so weit, dass sie sogar den Auftrag der Engel igno­rierten. Aber wunderbar ist nun, wie Jesus diese verwirrte Schar seiner Brüder und Schwestern sozusagen bei der Hand nahm und Stück für Stück zum Glauben führte, und damit auch zur Oster­freude. Wir wollen uns jetzt mal anschauen, wie er das gemacht hat.

Wir wissen, es begann mit den Frauen, die früh am Sonntag­morgen zum Grab Jesu gingen. Es war eine kleine Gruppe, von der uns vier Frauen namentlich bekannt sind: Maria Magdalena; Maria, die Mutter des Jakobus; Salome und Johanna. Als sie merkten, dass der Stein vom Grab abgewälzt war, machte Maria Magdalena auf der Stelle kehrt und warf die beiden Oberjünger Petrus und Johannes aus ihren Betten. Diese beiden lieferten sich dann ihren berühmten Wettlauf zum leeren Grab, von dem Johannes in seinem Evangelium geschrieben hat.

Unterdessen hatten die übrigen Frauen Folgendes erlebt: Ein Engel war ihnen erschienen und hatte ihnen mitgeteilt, dass Jesus auf­erstanden ist. Der Engel zeigte ihnen auch genau die Stelle, wo sein Leichnam gelegen hatte. Und dann bekamen diese Frauen den Auftrag, von dem die ganze Kirche Jesu Christi bis zum heutigen Tag lebt: „Weiter­sagen!“ – „Geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auf­erstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.“

Von diesem himmlischen Auftrag führten die Frauen allerdings zunächst nur die Hälfte aus: Sie gingen „eilends“ weg. Sie rannten fort, was die Beine hergaben – aber nicht, um den Jüngern möglichst schnell Bescheid zu sagen, sondern weil sie von einer ungeheuren Furcht ergriffen waren. Was sie hier erlebten, das passte nicht in ihr Weltbild, und es war zuviel für ihre ohnehin schon an­gespannten Nerven. Überlegt mal: Was hatten diese Frauen in den letzten Tagen alles durchmachen müssen – und nun das noch! Vielleicht meinten sie auch, nun hätten sie alle den Verstand verloren. Also nichts von Osterfreude und Feierlich­keit! Hätten wir die Situation wohl besser gemeistert? Ich glaube nicht. Trotzdem gab Jesus diese Frauen nicht auf, und auch uns gibt er nicht auf. Nichts von Oster­freude? Schauen wir genau hin, was Matthäus geschrieben hat!

„Sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht – und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu ver­kündigen.“ Wie denn: Furcht und Freude? Und sie haben es doch weiter­gesagt? Bei Markus stand es doch ganz anders! Was stimmt denn nun?

Um diesen Satz richtig zu verstehen, müssen wir wissen, wie man damals Berichte geschrieben hat. Man hat sich nicht immer genau an die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse gehalten, sondern man hat sie in der Reihenfolge aufgeschrieben, wie sie für die Bedeutung des Geschehens wichtig ist. Man kannte auch noch keine Über­schriften, sondern man hat mitten im Text immer mal wieder zusammen­fassende Sätze eingefügt. Genau das hat der Evangelist Matthäus hier getan: „Sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht – und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu ver­kündigen.“ Furcht und Freude, kann man das gleich­zeitig empfinden? Ich denke nicht. Matthäus hat mit diesem Satz vielmehr zusammen­gefasst, was die Frauen nach­einander empfanden: erst Furcht, dann Freude! Erst rannten sie weg vom Grab vor Frucht und wollten niemandem etwas sagen, wie auch Markus berichtet hat. Dann aber war da plötzlich Freude, und sie liefen, um den Jüngern Bescheid zu sagen.

Was hatte denn den plötzlichen Stimmungs­wechsel der Frauen ausgelöst? Nun, das hat Matthäus ausführlich in den Sätzen be­schrieben, die dem zusammen­fassendem Satz folgen. Der Evangelist macht es hier richtig spannend; er schreibt erst nur von Furcht und Freude, und danach davon, wie aus Furcht Freude wurde. Und wie kam das? Hören wir noch einmal Matthäus im Original: „Sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu ver­kündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort werden sie mich sehen.“

Jesus selbst ist es, der Auf­erstandene, der die Furcht der Frauen in Freude ver­wandelte! Als er merkte, dass eine Engel­erscheinung nicht ausreichte, trat er den ver­ängstigten Frauen selbst in den Weg und begrüßte sie: „Seid gegrüßt!“ Es war ein ganz normaler Gruß in dieser Zeit, und doch war es zugleich ein ganz besonderer Gruß. Denn wörtlich übersetzt bedeutet dieser Gruß: „Freut euch!“ Bedenken wir, wer das sagte: Der lebendige Gottessohn! Folglich ist dieser Gruß „Freut euch!“ ein Gotteswort. Gottes Wort aber hat Kraft und Macht – es schafft, was es sagt. So schaffte Jesus durch sein Wort das, was weder das leere Grab noch der Engel schafften, nämlich die Furcht der Frauen in Freude zu verwandeln. „Seid gegrüßt!“ – „Freut euch!“

Falls du mit Kummer oder Furcht in diesen Oster­gottesdienst gekommen bist, so ist das keine Schande. Höre aber genau hin, was der auf­erstandene Jesus dir hier sagen will. Denn derselbe Jesus, der den Frauen damals als Auf­erstandener begegnete, der lebt noch heute, der ist jetzt mitten unter uns. Und in den vielen Worten dieses Gottes­dienstes verkündigt er dir das eine: „Sei gegrüßt! Schön, dass du da bist! Freue dich!“ Ja, du kannst dich wirklich freuen. Denn der da lebt und zu dir redet, der hat dich un­ermesslich lieb. Der ist für dich in den Tod gegangen. Der hat deinen Kummer auf sich genommen, deine Angst, deine Krank­heiten, deine Leiden. Alledem und dazu noch demTod hat er die Macht genommen, als er die Strafe für die Sünden der Welt abbüßte. So brauchst du dich nicht mehr zu fürchten vor dem, was allein zu fürchten wäre: Gottes Zorn im Jüngsten Gericht. So darfst du erleichtert aufatmen: „Ich werde nicht sterben, sondern leben“ (Psalm 118,17). Das hat Jesus auch für dich mit seiner Auf­erstehung besiegelt. Halleluja!

Was taten die Frauen damals, als Jesus ihnen ihre Furcht in Freude ver­wandelte? Sie fielen vor Jesus nieder. Sie beteten ihn an. Sie dankten ihm. Vielleicht haben sie vor Freude geweint. Aber das Wichtigste: Sie haben nun geglaubt! Nicht nur, dass Jesus wieder lebt; das sahen sie ja, sondern vor allem, dass er der Herr ist, der große König des Himmels und der Erde. Darum gingen sie vor ihm auf die Knie. Darum beteten sie ihn an. Sie glaubten, sie wussten: Es ist der lebendige Gott selbst, der uns hier begegnet.

Und sie taten noch etwas: Sie umfassten seine Füße. Warum wohl? Wollten sie sich überzeugen, dass er kein Gespenst ist, das sich bei Berührung ver­flüchtigt? Wollten sie die Nägelmale seiner Kreuzigungs­wunden anrühren wie der ungläubige Thomas? Nun, sie werden erlebt haben, dass es kein Gespenst war, sondern leibhaftig ihr Jesus, der tot gewesen war und nun wieder lebte. Aber etwas anderes war ihnen vermutlich noch wichtiger: Sie wollten ihn festhalten, sie wollten ihn für sich haben, ihren geliebten Herrn und Heiland! Die Arme der Frauen, die sich da um Jesu Füße schlingen, sagen besser als tausend Worte, was Glaube ist, rechter Glaube, selig machender Glaube: sich an Jesus festhalten, sich seiner Wunden trösten, mit ihm leben, ewig leben!

Wir haben heute nicht mehr Jesu Füße bei uns; wir können sie nicht mit unseren Armen um­schlingen. Dennoch ist Jesus auch heute leiblich unter uns: Wir haben seinen Leib und sein Blut, verborgen unter Brot und Wein im Abendmahl. Und wenn wir ihn mit unserem Mund in uns aufnehmen nach seinem Gebot, dann geschieht nicht weniger, als wenn wir seine Füße leibhaftig umfassten. Wir sollten es auch nicht weniger glaubend tun als die Frauen damals. Ja, da hast du deinen Herrn, im Abendmahl, da kannst du dich an ihm festhalten, da schenkt er dir Freude und Glaubens­kraft!

Das haben wir immer wieder nötig, dass Jesus uns so begegnet mit seinem Wort und mit seinem heiligen Mahl. Auch für die Frauen damals und für die anderen Augenzeugen der Oster­botschaft war noch längst nicht alles geklärt. Ach, was für Umwege hat es da noch gegeben, Rückfälle und Zweifel! Die Jünger sind keinewegs nach Galiläa gegangen, wie Jesus ihnen durch die Frauen auftragen ließ; sie blieben vielmehr verängstigt in Jerusalem hocken, schlossen sich sogar ein. Jesus nahm auch dies mit Liebe und Geduld hin, ging ihnen also nicht voraus nach Galiläa, sonder erschien ihnen dort, wo sie waren.

Und diese Liebe und diese Geduld mit seinen Jüngern muss Jesus bis zum heutigen Tag aufbringen, auch bei uns. Wie schnell mischen sich unter unseren Glauben Zweifel und Lauheit! Wie oft überhören wir, was unser Herr uns aufträgt! Wie träge sind wir oft, wenn wir eilends für ihn wo hingehen sollten, und wie eilends sind wir, wenn wir von seinem Wort und seiner Gemeinde in unser Vergnügen fliehen. Aber Jesus hat immer noch Geduld mit uns, liebt und vergibt. Ach ja, Herr Jesus, es soll besser werden. Hilf du mir, nimm mich bei der Hand, sprich zu mir, schenke mir Freude und Oster­glauben! Dann wird alles gut. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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