Vom Fasten

Predigt über Matthäus 4,1‑11 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Über das heutige Evangelium könnte man eine ganze Predigt­reihe halten, so viel hat es uns zu sagen. Da steht im Mittelpunkt der Gottessohn, versucht in allen Dingen wie wir, doch ohne Sünde – wie es auch die heutige Epistel bezeugt. Zu Jesu Menschsein und Er­niedri­gung gehört es dazu, dass er sich vom Teufel versuchen lässt. Und zu seinem Erlösungs­werk gehört es ebenfalls dazu, dass er dem Teufel widersteht und an unserer Statt alle Gerechtig­keit erfüllt. Da erfahren wir auch viel über die Strategie des Teufels: Er lockt mit den Be­dürfnissen des Leibes wie Essen und Trinken. Er führt schein­heilig Bibelworte im Mund wie zum Beispiel das Wort von den be­schützenden Engeln, aber er verdreht ihren Sinn. Er bietet Macht und Reichtum an und lügt dabei, denn letztlich gehört doch alles Gott; er verschweigt auch den Preis, was es kostet, wenn jemand ihm dient: Es kostet das Heil der Seele in Ewigkeit. Auch über das Fasten kann uns dieses Evangelium Aufschluss geben am Beispiel unseres Herrn Jesus Christus.

Weil wir jetzt am Beginn der Passions­zeit stehen, die auch Fastenzeit genannt wird, wollen wir uns einmal mit dem Fasten näher be­schäftigen. Was bedeutet denn überhaupt fasten? Äußerlich betrachtet, wissen wir das alle: auf Essen und Trinken verzichten, jedenfalls zum Teil, oder auf besondere Speisen wie Fleisch. Aber warum wird gefastet, welchen Sinn hat das? Da kann es sehr ver­schiedene Gründe geben. Wir wollen sie jetzt am Fasten unseres Herrn Jesus Christus messen.

Erstens: Im Mittel­alter, vor der Re­formation, wurde gefastet, weil es Kirchen­gesetz war. Wer in der vierzig­tägigen Fastenzeit vor Ostern Fleisch oder Butter zu sich nahm, dem wurde das als Sünde angelastet. Martin Luther und die Re­formatoren haben das als un­gerecht­fertigte Gewissens­beschwerung verurteilt. Letztlich ist es eine Verdunklung des Evan­geliums, wenn man den Leuten selbst­gemachte Gebote auflegt und die Seligkeit von ihrer Erfüllung abhängig macht. Aus solchem Missstand ist auch die Fastnacht oder der Karneval hervor­gegangen: Die Menschen wollten vor der auf­gezwungenen Fastenzeit noch einmal ordentlich über die Stränge schlagen, sich vollfressen und vollsaufen. Mit solch auf­gezwungenem Fasten hat das Fasten unseres Herrn Jesus Christus nichts zu tun.

Zweitens: Viele haben im Mittelalter auch freiwillig gefastet, weil sie meinten, Gott damit einen Gefallen zu tun; dieses Verständnis taucht noch heute hier und da auf. Ja, mehr noch: Man meinte, Gott einen Gefallen zu tun, wenn man sich auch sonst quälte, sich einen Schaden zufügte oder sich in Gefahr begab. Da gab es um das Jahr 1000 sogenannte Geißler­wallfahr­ten; da schlugen sich Menschen mit Peitschen blutig, weil sie meinten, das würde Gott gefallen. In Wahrheit ist es jedoch zutiefst heidnisch, wenn jemand durch Fasten und Selbst­quälerei Gott dienen will; Jesus selbst hat dies als teuflische Versuchung zurück­gewiesen. Als der Satan ihn versuchte und sagte, er solle sich von der Tempelzinne stürzen, da antwortete Jesus mit dem Schrift­wort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Warum sollte er auch so leicht­sinnig sein? Es gab doch eine bequeme Treppe, die vom Tempelberg herab­führte! So sollen auch wir unseren Körper nicht unnötig in Gefahr bringen oder unnötig durch Fasten schwächen, sondern vielmehr sollen wir unsere Leiber so als lebendige Opfer hingeben, dass wir mit ihnen Gottes Willen tun – das, was Gott wirklich geboten hat! Wir sollen es freilich nicht deshalb tun, um Gottes Wohl­gefallen zu verdienen, sondern aus Dank dafür, dass er uns durch Jesus sein Wohl­gefallen bereits ohne Verdienst geschenkt hat.

Drittens: Nun gibt es auch so ein Fasten, mit dem den Hungernden gedient wird. Ich habe mal von einigen Familien gehört, die einmal wöchentlich einen Fastentag einlegen und ein Siebtel des Haushalts­geldes den Hungernden zukommen lassen. Liebe Brüder und Schwestern, das ist ganz wichtig, dass wir in unserem Überfluss die Hungernden nicht vergessen! Allerdings bin ich zu­versicht­lich: Wenn wir allgemein maßvoll leben, können wir auch ohne Fasttag den Armen der Welt reichlich abgeben; Gott schenkt uns genug.

Viertens: Man kann auch fasten, um sich selbst damit zu dienen. Das ist heute sogar ungeheuer beliebt. Die Schlankheitskur ist solch ein Fasten, oder wenn ich auf bestimmte Genussgifte verzichte oder ihren Gebrauch ein­schränke: Alkohol, Nikotin, Koffein. Solches Fasten ist freilich eine äußerliche, eine weltliche Sache; es hat nichts mit dem Glauben zu tun. Ich würde hier auch die kirchliche Aktion „Sieben Wochen ohne“ einordnen, wo den Christen empfohlen wird, in der Passions­zeit freiwillig auf eine Sache zu verzichten, die ihnen zur Gewohnheit geworden ist: Naschen, Alkohol, Zigaretten, Fernsehen und so weiter. In der Werbung für diese Aktion kommt immer wieder zum Ausdruck, dass man sich damit selbst etwas Gutes tut. Das ist ja auch schön, und wir Christen wissen, dass unser Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist und wir pfleglich damit umgehen sollen. Allerdings wünschte ich mir in unserer schlank­heits- und gesundheits­bewussten Zeit, dass die Menschen auch wenigstens halb so viel für ihre Seele sorgen würden wie für ihren Leib. Ich wünschte mir, dass sie auf Gottes Wort und Sakrament wenigstens ebenso erpicht sein würden wie auf Schlankheits­rezepte und Gesundheits­mittel; dann würde es vielen besser gehen.

Fünftens wird auch gefastet, um andere Menschen unter Druck zu setzen und den eigenen Willen durch­zuboxen; das ist dann ein Hunger­streik. Den halte ich für völlig verfehlt.

Sechstens kann Fasten zur Kon­zentration auf Gottes Wort und auf das Gebet dienen. Das ist in der Tat etwas, was wir auch in der Bibel finden: Wenn eine Zeit lang die Ablenkung der Leibsorge entfällt, kann das geistliche Leben an Tiefe gewinnen. In diesem Zusammen­hang wäre das Fasten als Vor­bereitung auf den Sakraments­gang zu nennen, das Martin Luther im Kleinen Katechismus eine „feine äußerliche Zucht“ genannt hat. Auch die Übung, die Passions­zeit als stille Zeit zu halten und auf aus­gelassene Ver­gnügungen zu verzichten, gehört hierhin. Dieses Fasten hat schon eher etwas mit dem Fasten unseres Herrn Jesus Christus zu tun: Wir können uns vorstellen, dass er sich in den vierzig Tagen nach seiner Taufe im Gespräch mit seinem himmlischen Vater auf den kommenden Dienst vor­bereitete. Ebenso hat Mose während der vierzig Tage auf dem Berg Sinai gefastet.

Und doch hat das Fasten Jesu noch eine andere Dimension. Es ist nämlich siebentens ein von Gott auferlegtes Fasten. Jesus hat nicht von sich aus Nahrung und menschliche Gemein­schaft verlassen, sondern der Heilige Geist hat ihn in die Wüste geführt, so heißt es im Evangelium. Ja, das ist eigentlich das rechte und köstlichste Fasten: das von Gott auferlegte Fasten. Denn da lernen wir, ganz dem himmlischen Vater zu vertrauen. Der Teufel versuchte Jesus, er solle aus Steinen Brot machen, weil es nichts Essbares gab in der Wüste. Jesus widerstand ihm und antwortete: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ Jesus wusste: Auf das Wort und den Willen seines himmlischen Vaters kommt es letztlich an, der weiß wohl, wann die rechte Zeit zum Fasten und Mangel leiden ist, und der wirds auch zur rechten Zeit enden, da brauche ich mich nicht zu bekümmern. Und der Vater hat ja seinen Sohn auch aufs Beste versorgt – mit seinem Wort, aber auch mit Brot. Am Ende der vierzig Tage kamen Engel und dienten Jesus, und wir können wohl mit Martin Luther annehmen, dass sie ihm Speise und Trank brachten. Auf ähnliche Weise versorgte Gott seinen Boten Elia in der Wüste, und so hatte er auch in der Wüste sein ganzes Volk Israel mit Manna vom Himmel und mit Wasser aus dem Felsen versorgt. Freilich hat der Vater seinem Sohn danach das Kreuz zugemutet, hat ihn dann aber wieder von den Toten herauf­geführt und ihm dann wirklich das übergeben, was der Teufel ihm geben zu wollen vor­gaukelte: die Königs­herrschaft über die ganze Welt. Ja, das ist das beste Fasten: das von Gott auferlegte Fasten – um dann zu erkennen, wie wunderbar Gott alles ausrichtet und führt.

Solches Fasten wollen auch wir begehren und uns darin üben – nicht nur in der Fastenzeit, sondern immer. Gott legt jedem von uns ein Fasten auf: Da sind unsere Krankheiten und Gebrechen. Da sind unsere ungelösten Probleme. Da ist manches, was wir gern hätten und wonach wir uns sehnen, was wir aber nicht bekommen können. Da sind zum Teil auch materielle Nöte. Hadern wir deswegen nicht mit Gott und zweifeln wir nicht an seiner Liebe, sondern fasten wir – verzichten wir darauf, solange er es uns versagt. Vertrauen wir lieber darauf, dass er alles zum guten Ende führen wird zur rechten Zeit. Lassen wir uns an seinem Wort und an seiner Gnade genügen, denn davon leben wir ja letztlich, davon leben wir ewig: vom Evangelium Jesu Christi. Und wenn der Teufel kommt, wenn er Sorgen und Un­zufrieden­heit in unser Herz säen will, wenn wir Gott am liebsten versuchen würden oder wenn uns der Reichtum dieser Welt allzu begehrlich erscheint, dann lasst uns wie Jesus sagen: „Weg mit dir, Satan. Ich will gar nichts, ich will nur meinem lieben himmlischen Vater vertrauen und ihn walten lassen.“ Es wäre dabei nicht das Schlech­teste, wenn wir dieses „Weg mit dir, Satan“ so formu­lierten, wie wir es bei unserer Kon­firmation bekannt haben und wie es Eltern und Paten bei der Taufe stell­vertretend für uns sprachen: „Ich entsage dem Teufel und all seinem Werk und Wesen und ergebe mich dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und Gehorsam dir treu zu sein bis an mein Ende. Amen.“

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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