Wie man Gott lieben soll

Predigt über Matthäus 5,23‑24 zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vater kehrt von der Arbeit heim. Sein Ältester kommt ihm schein­heilig lächelnd entgegen und begrüßt ihn artig: „Guten Abend, Vati! Na, wie war denn heute die Arbeit? Sieh mal, ich habe hier die Zeitung für dich; ich habe aufgepasst, dass niemand die Seiten durch­einander­bringt. Und übrigens: Im Diktat habe ich heute eine Eins ge­schrieben.“ Ach, was für eine liebevolle Fürsorge und Herzlich­keit! Der Vater merkt sofort, dass da was nicht stimmt. Er sagt: „Guten Abend, mein Sohn. Könnte es sein, dass du dich schon wieder mit deinem Bruder gestritten hast?“ Der Älteste wird rot und sieht beschämt zu Boden. Woher Vati das nur weiß? Der Vater fährt fort: „Du weißt, ich freue mich darüber, wenn du mich abends freundlich begrüßt und wenn du mir die Zeitung bringst und wenn du gute Schulnoten bekommst. Aber viel mehr würde ich mich freuen, wenn du mit deinem Bruder besser zurecht­kämst.“

Diese kleine Geschichte kann uns etwas über unsere Beziehung zu Gott lehren. Wir wollen das jetzt Punkt für Punkt betrachten.

Erster Punkt: Der Vater kommt nach Hause, und der Sohn ist auffallend nett zu ihm. Auch wir sind ziemlich nett zu unserem himmlischen Vater. Wir haben uns die Mühe gemacht, heute früh auf­zustehen, uns fein anzuziehen und zur Kirche zu kommen. Hier sitzen wir nun, loben Gott, singen für ihn, hören ihm zu und tun zum Schluss sogar Geld in die Kollekte. Das ist gut so; Gott freut sich darüber. Schon immer wollten Gottes Kinder ihren himmlischen Vater mit Gottes­dienst erfreuen. Zu alt­testament­lichen Zeiten brachten die Israeliten ihre Opfergaben in den Tempel; das entsprach Gottes ausdrück­lichem Willen. Solchen Gottes­dienst meint Jesus, wenn er sagt: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst…“ Er redet dabei nicht von den alt­testament­lichen Pflicht­opfern, zum Beispiel vom Sündopfer oder vom Schuld­opfer, er redet von den frei­willigen Dankopfern. Jesus spricht bewusst von einer „Gabe“; wir können auch „Geschenk“ sagen. Eine Besonder­heit bei solchem Dankopfer-Geschenk ist Folgendes: Gott ist bereits der Besitzer dieser Gabe. Im 50. Psalm sagt er: „Wenn mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdkreis ist mein und alles, was darauf ist“ (Ps. 50,12). Beim Dankopfer geschieht nichts anderes, als wenn der Sohn dem Vater die Zeitung bringt. Der Vater selbst hat die Zeitung bezahlt, und er könnte sich noch viele andere Zeitungen kaufen. Wenn wir im Gottes­dienst mit unseren Zungen und Lippen Gott Lobopfer bringen, dann gehören diese Zungen und Lippen schon immer dem himmlischen Vater, denn er selbst hat sie geschaffen. Überdies ist es sein Heiliger Geist, der uns zum Loben und Danken bringt; aus eigener Kraft würden wir keinen richtigen Gottes­dienst zustande bringen. Und was die Kollekte anbetrifft: All unser Geld und all unser irdischer Besitz ist letztlich schon immer Gottes Eigentum und daher eigentlich seine Gabe an uns. Eine weitere Besonder­heit bei der Dankopfer-Gabe ist dies: Wir bringen sie zu unserem eigenen Vorteil dar. Wenn der Älteste dem heim­kehrenden Vater stolz von der Eins im Diktat berichtet, freut sich der Vater natürlich, aber der eigentliche Nutznießer ist der Sohn selbst; ihm soll ja später nützen, was er in der Schule lernt. So ist das auch mit unserem christ­lichen Gottes­dienst: In erster Linie haben wir selbst etwas davon – nämlich Glaubensstärkung. Jeder Sonntags­gottesdienst ist eine göttliche Einladung, das Geschenk des himmlischen Vaters in Empfang zu nehmen: seinen Sohn Jesus Christus, und mit ihm Vergebung der Sünden und ewiges Leben. Dass wir Gott dabei mit Lob und Dank ehren, ist nur die Frucht und Folge davon. Niemand sollte also meinen, er könne hier mit Gott ein Geschäft machen und durch sein Lobopfer sowie durch seine Kollekten­gabe irgendetwas bei Gott erwerben. Selbst die Kollekte kommt uns selbst zugute, denn sie gibt uns Gelegen­heit, aus dem Glauben heraus tätig zu werden, und nützt uns darüber hinaus sehr oft auch dadurch, dass sie die kirchliche Arbeit finanziert, von der wir alle etwas haben. Wenn wir diese beiden Dinge bedenken – Gott gehört unsere Opfergabe bereits, und das Opfer nützt in erster Linie uns selbst – , dann erkennen wir: Gott hat kein Wohl­gefallen am Gottes­dienst als solchem, sondern er hat Wohl­gefallen daran, dass es uns gut geht; er liebt uns ja wie ein Vater seinen Sohn. Im Gottes­dienst geht es uns besonders gut, denn hier empfangen wir die Vergebung der Sünden und zeigen ihm mit unserem Lobpreis, dass wir sie dankbar annehmen. Allerdings hat Gott nur dann wirklich Wohl­gefallen daran, wenn wir ihn von ganzem Herzen loben, nicht nur mit Zungen und Lippen. Außerdem hat er nur dann Wohl­gefallen daran, wenn wir auch über den Sonntags­gottes­dienst hinaus wie Menschen leben, denen die Sünden vergeben sind und in denen Gottes Geist wohnt – in täglichen Andachten zum Beispiel und auch sonst im Alltags­leben.

Damit kommen wir zum zweiten Punkt unserer Beispiel­geschichte. Da geht es darum, dass der Älteste mit schlechtem Gewissen nett ist zu seinem Vater. Er weiß ganz genau, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ebenso ist es bei manchem Kirch­gänger: Er hat ein schlechtes Gefühl, weil er weiß, dass er sich mit jemandem erzürnt hat. Das entspricht den Worten Jesu: „… und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat.“ Es mag Leute geben, die mit allen anderen immer gut zurecht­kommen, aber das ist nicht die Regel. Die meisten von uns kennen die Situation, dass man sich mal mit dem Bruder oder der Schwester streitet – oder auch mit dem Ehepartner, mit Nachbarn, Freunden und sogar Glaubens­geschwis­tern. Was kann das nicht alles sein, was die Schwester oder der Bruder „gegen uns hat“! Oft sind es Kleinig­keiten. Da streiten sich Geschwister um das Fernseh­programm, das ein­geschaltet werden soll. Da fühlt sich einer ausgenutzt, weil er im Haushalt mehr arbeitet als ein anderer. Da ist der Gatte genervt, weil die Gattin das Badezimmer gefühlt stundenland mit Beschlag belegt. Manchem gelingt es in kürzester Zeit, aus so einer Lappalie eine geräusch­volle Auseinander­setzung zu machen, die damit endet, dass Türen knallen und man eine ganze Weile lang nicht mehr miteinander spricht. Zugegeben: In Kirchen­gemeinden kommt es meistens nicht so weit – und doch können sich auch Glaubens­geschwister unter Umständen ganz schön in die Haare geraten. Dabei geht es nicht selten um Geld. Wenn zum Beispiel entschieden werden muss, wofür eine Gemeinde Geld beziehungs­weise kein Geld ausgibt, dann passiert es immer wieder, dass einer etwas gegen den anderen hat. Die menschliche Schwachheit führt immer wieder dazu, dass ein Zerwürfnis die Beziehung schwer belastet.

Diese Diagnose führt uns zum dritten Punkt, den unsere Beispiel­geschichte zeigt. Es ist der Wunsch des Vaters, dass sein Ältester sich besser mit seinem kleinen Bruder verträgt. Das entspricht den Worten Jesu: „Geh hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“ Er sagt einfach: „Versöhne dich!“ und erklärt nicht, wie das geschehen soll. Bevor wir uns über das Wie Gedanken machen, lasst mich Folgendes voraus­schicken: Es mag Leute geben, mit denen wir einfach nicht in Frieden leben können, auch wenn wir uns noch so sehr darum bemühen. Wenn uns jemand zutiefst hasst und sein Herz verhärtet ist, dann werden wir es nicht erweichen können. An solche Fälle dachte der Apostel Paulus, als er riet: „Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden“ (Römer 12,18). Bei einigen ist es eben nicht möglich. Aber bei den anderen – wie könnte die Versöhnung da aussehen? Es ist eigentlich ganz einfach. Wenn ich der Schuldige bin, dann sage ich, dass es mir leid tut, und bitte um Verzeihung. Wenn die Schuld beim anderen liegt, dann handele ich mit ihm so, wie Gott mit uns handelt: Ich vergebe ihm – absolut und bedingungs­los. Auch Gott vergibt uns durch Jesus bedingungs­los, denn Jesus ist für unsere Sünden gestorben lange bevor wir sagen konnten, dass es uns leid tut. Warten wir also nicht, bis der, mit dem wir uns gestritten haben, erst einmal seinen guten Willen zeigt, sondern zeigen wir unserer­seits guten Willen und hoffen wir dabei, dass das den anderen zurecht­bringen wird. Vergeben bedeutet natürlich nicht, dass man das Unrecht, das andere tun, gutheißen soll. Man kann ihm durchaus liebevoll zu verstehen geben, dass er etwas falsch gemacht hat. Vergeben bedeutet aber, dass das Fehl­verhalten nicht die Beziehung trüben soll. Wenn wir solche Vergebung üben, dann ist das ein viel be­eindrucken­deres Zeugnis, als wenn wir drei Stunden lang Halleluja singen. Seht, darum geht es Jesus. Gottes­dienst ist zwar wichtig, weil wir damit unsern Glauben zum Ausdruck bringen und Gott erfreuen können. Aber unser Glaube kommt noch wesentlich besser zum Ausdruck, wenn er unser gesamtes Leben bestimmt, vor allen Dingen unsere Beziehung zu den Mit­menschen. Da wird der christliche Glaube nämlich erst richtig heraus­gefordert. „Darum: Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1979.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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