Die Lebensmanager

Predigt über Matthäus 25,14-30 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es mag uns nicht gefallen und es mag uns als zu hart erscheinen, aber wir müssen es zur Kenntnis nehmen: Ein Menschen­leben kann mit „Heulen und Zähne­klappern“ enden, mit ewiger Verdammnis. Jesus hat es klar gesagt – nicht nur in dem Gleichnis von den anvertrauten Zentnern, sondern auch in den anderen Gleichnissen über Gottes Endgericht, die wir davor und danach im Matthäus­evangelium finden. Da wird ein untreuer Verwalter am Ende mit „Heulen und Zähne­klappern“ bestraft, da wird fünf törichten Jungfrauen die Tür zum Festsaal vor der Nase zu­geschlagen, und da heißt es am Endes des Gleichnisses von den Böcken und Schafen: „Sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben“ (Matth. 25,46). Es wäre unredlich und ver­antwortungs­los, bei der Verkündigung von Gottes Wort die Möglichkeit der Verdammnis zu ver­schweigen. Und es wäre ein Selbstbetrug zu meinen, dass der menschliche Lebensweg mit dem Tod einfach aufhört und nicht zu einem bestimmten Ziel führt – entweder zum herrlichen Ziel oder zum schreck­lichen Ziel. Entsprechend ernst sollten wir Gottes Wort nehmen, und überhaupt den christlichen Glauben.

Lasst uns aber nun das ganze Gleichnis aus der heutigen Evangeliums­lesung betrachten. Ein unermesslich reicher Mann stellt drei Manager ein, die für eine Weile sein Vermögen verwalten und gewinn­bringend anlegen sollen. Es ist klar, dass Jesus mit dem unermesslich reichen Mann den Vater im Himmel meint und mit den Managern uns Menschen. Aber wofür stehen die Vermögens­werte? Die Manager bekommen fünf, zwei und einen Zentner Silber, das sind umgerechnet etwa 175 Kilogramm, 70 Kilogramm und 35 Kilogramm. Allein können sie es kaum weg­schleppen, so viel Silber ist das. Für „Zentner“ steht im Urtext die griechische Gewichts­einheit „Talent“. Das bringt uns auf die Spur, was damit gemeint ist. Wenn wir heute sagen, dass jemand Talent hat, dann kommt das direkt von diesem Gleichnis her: Es ist eine Begabung – eine anvertraute Gabe, die der Schöpfer einem Menschen auf den Lebensweg mitgegeben hat. Wir können den Begriff „Gabe“ bei der Deutung des Gleichnisses sehr weit fassen, weiter jedenfalls als den deutschen Begriff „Talent“. Die fünf Zentner des ersten Managers könnten stehen für Musikalität, Mitgefühl, eine robuste Gesundheit, eine theologische Ausbildung und ein Auto. Die zwei Zentner des zweiten Managers könnten stehen für Kontakt­freude und ein gutes Einkommen. Der eine Zentner des dritten Managers könnte stehen für Überzeugungs­kraft. Ich könnte mich selbst in dieses Gleichnis als vierten Manager einbringen und mir überlegen, was Gott mir so alles als Gaben mit auf den Lebensweg gegeben hat, und ihr könntet das auch tun als fünfter, sechster und siebter Manager. Der Schöpfer hat uns alle zu Lebens­managern gemacht und dafür mit verschieden großen und viefältigen Gaben aus­gestattet. Dafür können wir dankbar sein, denn das ist ja ein großer Vertrauens­beweis. Es sind wirklich im wahrsten Sinne des Wortes anvertraute Zentner.

Danach hören wir, dass der unermesslich reiche Mann mal weg ist, und zwar für ziemlich lange Zeit. Das irritiert uns. Soll das heißen, dass der Schöpfer seine Schöpfung sich selbst überlässt? An vielen Stellen lehrt die Bibel es anders: Zwar mag uns Gott manchmal fern scheinen, aber in Wahrheit ist er uns immer nahe. In seinem eingeborenen Sohn ist er uns sogar besonders nahe gekommen und hat uns versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matth. 28,20). Bedenken wir aber: Wir haben es hier mit einem Gleichnis zu tun, und das will gedeutet werden! Dass der unermesslich reiche Mann im Gleichnis lange wegbleibt, bedeutet doch offen­sichtlich, dass er seinen Managern freie Hand lässt im Umgang mit dem Vermögen. Er greift nicht sogleich strafend ein, wenn einer was falsch macht, sondern wartet ab bis zum Tag der Abrechnung. Mit anderen Worten: Wir Lebens­manager können über unsere Gaben frei verfügen, können sie für gute und schlechte Zwecke, weise oder unweise einsetzen – oder auch ungenutzt lassen. Zwar sind wir Gott dafür ver­antwortlich, aber erst zum Schluss wird er ausdrücklich Rede und Antwort von uns fordern darüber, was wir mit den anvertrauten Talenten gemacht haben. Die einen mag diese großzügige Freiheit erfreuen, die andern mag sie erschrecken, aber wir alle müssen mit ihr leben.

Wie gehen wir mit dieser Freiheit um, und was kommt dabei heraus? Die ersten beiden Manager sind erfolgreich. Der erste Manager war der mit den fünf Gaben Musikalität, Mitgefühl, robuste Gesundheit, theologische Ausbildung und Auto. Er wird vielleicht ein christlicher Liedermacher und reist im Land umher, um Gott zu loben und viele Menschen zu erbauen. Der zweite Manager nutzt sein Geld und seine Kontakt­freude vielleicht für verschiedene diakonische Projekte. Aber der dritte Manager „vergräbt“ seinen Zentner Überzeugungs­kraft; er sieht nicht ein, warum er irgendwen von irgendwas überzeugen sollte. Soll doch jeder nach seiner Fasson selig werden! Wer kann schon mit Sicherheit sagen, wie Gott geehrt sein will? Mit dem vierten Manager ist das so eine Sache. Er würde ja gern seine Zentner so investieren, dass sie für den Herrn und sein Reich Gewinn bringen. Aber er tut es nur halbherzig und muss dabei feststellen, dass sich das Vermögen keineswegs vermehrt, sondern im Gegenteil dahin­schwindet. Jedenfalls kommt es ihm so vor. Wie es beim fünften, sechsten und siebten Manager läuft, das wisst ihr besser als ich.

Und dann kommt der Tag der Abrechnung, der Tag der Rechen­schaft, der Tag des Jüngsten Gerichts. Nun wird offenbar, wie die Manager mit ihren anvertrauten Gaben ge­wirtschaftet haben und welche Gewinne sie damit erzielten. Dabei zeigt sich, dass der unermesslich reiche Mann nur zwei Urteile kennt; entweder: „Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht! … Geh hinein zu deines Herrn Freude!“; oder: „Du böser und fauler Knecht! … Werft ihn in die Finsternis hinaus!“ Den einen gibt er Anteil an seinem un­ermesslichen Reichtum, den andern nimmt er alles weg und entlässt sie fristlos. Ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis – dazwischen gibt es nichts.

Der Herr ist nicht ungerecht. Er verlangt von seinen Managern nichts, wofür er sie nicht ausgestattet hat. Er fordert keine Ernte, wo er nicht gesät hat. Er beurteilt jeden für sich nach dem Maßstab, der seiner Tüchtigkeit entspricht sowie auch seinem jeweiligen Start­kapital. Vom Un­musikali­schen verlangt er keine Loblieder, und er erwartet nicht, dass ein Blinder für ihn Auto fährt. Er freut sich über die zwei Zentner Gewinn des zweiten Managers ebenso wie über die fünf Zentner Gewinn des ersten Managers. Er hätte sich auch über einen Zentner Gewinn beim dritten Manager gefreut, ja sogar über weniger: Wenn dieser das Geld auch nur auf ein normales Sparkonto eingezahlt und lächerlich niedrige Zinsen dafür bekommen hätte, wäre es dem Herrn recht gewesen. Hätte der dritte Manager seine Gabe der Überzeugungs­kraft doch wenigstens immer dann eingesetzt, als man ihn nach dem Sinn des Lebens und nach seinem Glauben ausdrücklich fragte! Oder wenn seine Gabe Musikalität gewesen wäre, hätte er doch wenigstens beim sonn­täglichen Ge­meindegesang mitmachen können! Oder wenn seine Gabe ein eigenes Einkommen gewesen wäre, hätte er doch wenigstens einen angemessenen Kirchen­beitrag zahlen können! Aber der dritte Manager vergrub das Silber. Er wollte nichts damit zu tun haben. Am Tag der Abrechnung bringt er seinem Herrn als Ent­schuldigung vor: „Ich wusste, dass du ein harter Mann bist, und hatte Angst vor dir! Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast.“ Offenbar wollte der dritte Manager um jeden Preis vermeiden, dass er unglücklich wirtschaftet und am Ende mit leeren Händen dasteht.

Aber was wird aus dem vierten Manager? Bei dem ist es ja so: Weil seine In­vestitions­versuche wenig erfolgreich waren, wird er am Ende mit ziemlich leeren Händen vor seinen Herrn treten müssen. Zumindest befürchtet er das. Vom vierten Manager hat Jesus in seinem Gleichnis nichts berichtet; dieser Fall ist offenbar nicht vorgesehen. Oder doch?

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir ein biblisches Gleichnis richtig deuten wollen, dann geht das nur im Zusammenhang mit dem ganzen Wort Gottes. Und wenn wir Jesu Predigten vor Ostern völlig verstehen wollen, dann geht das nur aus dem Blickwinkel nach Ostern. In der Mitte aber steht das Kreuz des Herrn, steht sein Opfer für unser Versagen. Da hat Jesus die Frage des vierten Managers ohne Worte beantwortet, und diese Antwort gilt letztlich für alle Lebens­manager. Sie lautet: Gott ist kein harter Mann, vor dem du dich so sehr fürchten müsstest, dass du dein Lebens­kapital vergräbst. Er fordert keine Ernte, wo er nicht gesät hat, ganz im Gegenteil: Er lässt dich ernten, wo du nicht gesät hat. Er lässt dich nämlich die Frucht des ewigen Lebens einsammeln, die Christus mit seiner Gerechtig­keit für dich bereitet hast. Auch wenn dein Leben aus viel vergeblicher Mühe besteht, auch wenn du nachlässig warst in deinem Investieren und wenn du den Gewinn aus Gottes Kapital schuldhaft verhindert hast: Jesus will dir die leeren Hände füllen mit dem, was er selbst für dich erworben hat. Nein, Gott ist kein harter Mann, sondern voller Güte und Barmherzig­keit. Das Einzige, was einem Menschen am Tag der Abrechnung zum Verhängnis werden kann, ist sein Unglaube: dass er diese göttliche Güte und Barmherzig­keit nicht gelten lässt, sondern den himmlischen Vater als einen grausam harten Mann ablehnt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2018.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum