Ändern sollen wir uns

Predigt über Matthäus 4,17 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ein langer Weg liegt hinter uns, jetzt sind wir am Ziel: Heute vor 500 Jahren hat mit Luthers Thesen­anschlag die Reformation begonnen. Die evangelische Kirche hatte im Hinblick auf dieses Jubiläum bereits 2008 eine Lutherdekade ausgerufen, und unsere Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche richtet ebenfalls seit zehn Jahren ihr Augenmerk auf den „Blickpunkt 2017“. Auch in unserer Gemeinde gab es schon eine Reihe von Ver­antstaltun­gen und Aktivitäten zu diesem großen Jubiläum, unter anderem diverse Bibelabende, eine historische Buch­ausstellung und ein Musical. Manchem geht der Luther-Rummel, der die Öffentlich­keit und nicht zuletzt auch bestimmte Wirtschafts­zweige erfasst hat, inzwischen auf die Nerven. Immerhin können wir uns freuen, wenn die Aufmerksam­keit des Jubiläums bewirkt, dass viele Leute sich mit dem Anliegen der Reformation be­schäftigen. Heute sind wir nun also am Ziel, und da fragen wir: Wie können wir diesen Festtag selbst angemessen begehen? Sollten wir uns immer noch steigern, sollten wir jetzt ein Feuerwerk atem­beraubender Attraktionen ver­anstalten?

Ich schlage vor, dass wir stattdessen zur Ruhe kommen und uns auf das Wesentliche besinnen – auf das, was am Anfang der Reformation stand. Ich meine die 95 Thesen und besonders die erste These. Lasst sie uns jetzt einfach bedenken, und mit ihr den Kern der Reformation und damit zugleich auch den Kern unsers Christseins. Auf Luthers Plakat an der Tür der Wittenberger Schloss­kirche stand ganz oben der Satz: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“

Wenn wir diesen Satz ernst nehmen, zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Reformations­jubiläum und anderen, sonst üblichen Jubiläen. Während man sich bei anderen Jubiläen auf die Schulter klopft und sagt: Weiter so!, oder: Bleib, wie du bist!, gilt zum Reformations­jubiläum gemäß Luthers Anfangsthese das Motto: „Tut Buße!“, also: Ändert euch! Lasst uns diesem Motto jetzt mit drei W-Fragen nachgehen: Wer soll sich ändern? Warum sollen wir uns ändern? Und wie sollen wir uns ändern?

Erstens: Wer soll sich ändern? Luther hat gesagt, dass „das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll“. Es geht also um die Gläubigen, genauer: um die Christus-Gläubigen, und zwar um alle Christus-Gläubigen, egal, welcher Konfession sie angehören. Luther wollte ja keine neue Kirche gründen mit einem besonderen evan­gelischen oder evangelisch-lutherischen Profil; im Gegenteil: Das Wort „Lutheraner“ hat ihn wütend gemacht. Luther wollte, dass alle Christen sich darauf besinnen, was denn das christliche Leben im Kern ausmacht. Ihnen allen gilt ja auch nach der Taufe weiterhin die Aufforderung des Herrn: „Tut Buße!“ Wenn wir also fragen: Wer soll sich ändern?, dann können wir schlicht antworten: Wir Christen sollen uns ändern, und zwar immer wieder, unser ganzes Leben lang.

Das hat zunächst eine Bedeutung für jeden Einzelnen von uns. Es zeigt nämlich, dass wir noch nicht so sind, wie Gott uns haben will. Wir sind zwar auf dem Weg dahin, aber wir haben das Ziel noch nicht erreicht. Wir sind noch Übende, Lernende, Schüler, Jünger. Nach Gottes Plan sollen wir vollkommen sein – vollkommen in der Wahrheit und vollkommen in der Liebe; aber weil wir noch nicht vollkommen sind und die Sünde sich immer wieder meldet, muss jeder Einzelne von uns immer wieder neu zur Änderung bereit werden.

Das Wir in der Antwort hat zugleich auch eine Bedeutung für die christliche Gemein­schaft, also für Kirche und Gemeinde insgesamt. Die Reformation zielt auch nicht in erster Linie auf die persönliche Frömmigkeit ab, sondern sie ist ein kirchliches Ereignis. Luther wollte Missstände abschaffen, die sich in die kirchliche Lehre und in die Kirche als Institution ein­geschlichen hatten. Auch heute reicht es nicht, wenn jeder Christ für sich persönlich zur Änderung bereit ist. Wir sind aufgerufen, auf kirchliche Missstände hinzuweisen und mitzuhelfen, dass sie überwunden werden. Denn zu allen Zeiten erheben sich Meinungen und Mächte, die die Kirche Jesu Christi gefährden, und zwar sowohl von außen als auch von innen. Wenn wir uns im Sinne der Reformation ändern wollen, schließt das ein, dass wir uns von allem distanzieren müssen, was innerhalb und außerhalb der Kirche die Herrschaft von Jesus Christus verdunkelt oder gefährdet.

Zweitens: Warum sollen wir uns ändern? Gleich am Anfang von Luthers erster These finden wir da eine klare Antwort: Weil „unser Herr und Meister“ uns dazu auffordert! Es geht bei der Buße nämlich nicht um Selbstkritik oder Selbst­optimierung, sondern es geht darum, dass wir Jesus als Herrn und Meister anerkennen und darum auch willig seinem Auftrag folgen. Es ist völlig egal, ob du selbst mit dir zufrieden bist oder nicht, es kommt allein darauf an, ob dein Herr und Meister mit dir zufrieden ist. Wenn du nach seinem Willen fragst, dann erkennst du auch, in welche Richtung du dich verändern sollst und nach welchem Maßstab.

Nehmen wir an, Jesus ist ein Tischler­meister, und du bist sein Lehrling. Nun zeigt dir der Meister einen Plan von einem kunstvollen Schrank und gibt dir Anweisungen, wie du ihn bauen sollst. Du machst dich ans Werk, aber du merkst: Du brauchst immer wieder neu die Hilfe und Korrektur des Meisters. Du musst auch immer wieder auf seinen Plan schauen und darauf achten, dass du die Einzelteile genau in der richtigen Größe anfertigst. Du wärst ein schlechter Lehrling, wenn du sagen würdest: Es spielt keine Rolle, ob ich die Leiste fünf Millimeter länger oder kürzer absäge. Du wärst ebenfalls ein schlechter Lehrling, wenn du sagen würdest: Der Plan des Meisters gefällt mir nicht; ich baue den Schrank lieber nach meinem eigenen Geschmack. Den Plan des Meisters findest du in der Heiligen Schrift, und seine grundlegende Arbeits­anweisung im Doppelgebot der Liebe. Wenn du das ernst nimmst, dann wirst du einsehen, dass das ganze Leben Buße sein muss, also Veränderung, Ver­besserung. Da merken wir, warum es Luther so wichtig war, dass die Christen Gottes Wort in ihrer Mutter­sprache hören und lesen können.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum wir uns ändern sollen. Der steckt in dem Bibelwort drin, das Martin Luther in seiner These zitiert hat: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“ Auch darum sollen wir Buße tun: Weil das Himmelreich nahe ist. Martin Luther lebte ganz stark in dem Bewusstsein, dass der Jüngste Tag nicht mehr lange auf sich warten lässt. Das sollte eigentlich für alle Christen gelten. Auf jeden Fall sollten wir ständig bereit sein für die Wiederkehr unsers Herrn. Niemand sollte denken: Bessern kann ich mich später ja immer noch; jetzt lasse ich erst mal die Sau raus! Dann könnte es geschehen, dass Jesus plötzlich wiederkommt, und du bist nicht bereit für ihn. Stell dir vor, er kommt wieder, und du bist gerade betrunken oder im Ehebruch begriffen oder mit be­trügerischen Geschäften befasst. Nein, wir sollten stets daran arbeiten, dass wir unserm Herrn jederzeit in einem möglichst erfreulichen Zustand begegnen können.

Drittens: Wie sollen wir uns ändern? Da greife ich noch einmal denselben Nebensatz auf: „…denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“ Das Wörtchen „nahe“ können wir nicht nur zeitlich verstehen und auf den Jüngsten Tag beziehen, sondern wir können es auch räumlich und geistlich auffassen. Jesus sagte diesen Satz zu Beginn seines Wirkens in Galiläa und Judäa, und er meinte damit, dass Gottes Reich in seiner Person nun greifbar nahe ist. Wo Jesus predigte und heilte, da war das Himmelreich gegenwärtig. Und so ist es noch heute: Wo Menschen Christi Worte hören und in seinem Namen zusammen­kommen, da ist auch heute ein Stück vom Himmelreich gegenwärtig. In besonderer Weise gilt das für das Heilige Abendmahl. Nun zurück zur Frage: Wie sollen wir uns ändern? Ganz einfach: Indem wir diese Nähe von Gottes Reich zulassen; indem wir Christus und sein Evangelium an uns heranlassen. Wenn Christus von Buße spricht, meint er also nicht irgendwelche Strafen oder Wieder­gutmachungs-Aktionen, mit denen wir Menschen unser Fehl­verhalten abbüßen sollen, wenn er von Buße spricht, dann meint er vielmehr Folgendes: Wir sollen uns angesichts unserer Sünde immer wieder neu darauf besinnen, dass er sie uns vergibt und auf diese Weise einen Neu-Anfang möglich macht. Das Wort, das da für Buße steht, kann auch mit „umdenken“ übersetzt werden, beziehungs­weise mit „die innere Einstellung erneuern“. In der Tat: Wenn uns das Himmelreich nahe kommt mit Gottes Liebe und Gottes vergebender Gnade, dann werden wir von innen her erneuert und umgestaltet nach dem Bild unsers Herrn Jesus Christus. Nichts anderes geschieht in der Beichte, denn die Hauptsache bei der Beichte ist nicht das Bekenntnis unserer Schuld, sondern die Hauptsache ist Gottes Zuspruch der Vergebung. Nur so können wir uns im Sinne unsers Herrn und Meisters ändern: nur durch die Kraft des Evangeliums, nicht durch eigene gute Vorsätze und Bemühungen. Streng genommen bedeutet Buße also nicht „sich ändern“, sondern „sich verändern lassen“ – nämlich durch Christus und sein Evangelium.

Dieses Evangelium hat Gott durch Martin Luther und die Reformation wieder neu ans Licht gebracht, und das ist die Hauptsache. Reformation ist kein Reform­programm für die Kirche und auch keine geistige Revolution, sondern einfach eine Rück­besinnung auf die Kern­botschaft der Heiligen Schrift mit allem, was daraus folgt. Nur wenn Christus mit seinem Evangelium unser Herz bestimmt, ändern wie uns so, wie es gut und gottgefällig ist.

„Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll“, so lautet Luthers Anfangs­these. Das gilt nach wie vor für das Leben jedes einzelnen Christen, und das gilt auch für die gesamte Christenheit insgesamt auf ihrem Weg durch Jahrhunderte und Jahrtausende hin zum herrlichen Ziel der ewigen Seligkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum