Gottes Zuwendung

Predigt über Matthäus 14,34-36 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Im Mittelalter dachten viele Menschen, dass die Taufe Zauberei ist. Im Taufwasser, so dachten sie, stecke eine magische Kraft, die den Täufling beschützt. Auch das Heilige Abendmahl hielten viele für Zauberei. Wenn der Priester auf Latein die Einsetzungs­worte sprach: „Hoc est corpus meus“ – „Das ist mein Leib“, dann meinten sie einen Zauberspruch zu hören, der Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt. Die meisten konnten übrigens kein Latein, und darum hörten sich die gemurmelten Einsetzungs­worte für sie so ähnlich an wie „Hokus­pokus“; das ist tatsächlich der Ursprung dieses merkwürdigen Wortes. Und wenn die Menschen im Mittelalter die Geschichte aus unserem Predigt­textes hörten, dann dachten sie ebenfalls an Zauberei: Jesus Christus, so stellten sie sich vor, trägt so viel Heilungs­kraft in sich, dass sogar seine Kleidung davon magisch durchdrungen ist, und darum wurden gesund, die den Saum seines Gewandes berührten.

Der moderne Mensch glaubt nicht mehr an Zauberei. Darum sehen viele in der Taufe einfach ein Zeichen, also eine Symbol­handlung beziehungs­weise ein traditions­reiches Ritual, mit dem der Getaufte bezeugt: Seht her, jetzt bin ich ein Christ! Oder wenn ein kleines Kind getauft wird, dann bezeugen die Eltern damit, dass auch ihr Kind ein Christ sein soll. Das Heilige Abendmahl sieht der moderne Mensch ebenfalls nicht als Zauberei an, sondern als Zeichen, Symbol und tradtions­reiches Ritual. Mit unserm Predigttext freilich tut sich der moderne Mensch schwer: Wie soll man das verstehen – alle Kranken, die den Saum von Jesu Gewand berührten, wurden gesund?

Schauen wir uns die Sache genauer an!

Jesus und seine Jünger sind in Galiläa unterwegs. An vielen Orten predigt Jesus und macht Kranke gesund. Nach einer Weile zieht er dann weiter – mal zu Fuß auf staubigen Landstraßen, mal zu Schiff auf dem See. Gerade haben Jesus und seine Jünger am Strand der Stadt Genezareth angelegt. Sie steigen aus, die Jünger ziehen das Boot auf den Sand, Jesus blickt sich um. Einige Leute erkennen ihn: Das ist er – das muss er sein, der große Prophet und Wundermann Jesus von Nazareth! Und sie denken an die vielen Kranken unter ihren Nachbarn und Verwandten: Vielleicht wird Jesus ihnen helfen. Sie wollen die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, darum machen sie sich gleich auf den Weg und fordern auch andere auf: Los, holt die Kranken und bringt sie hierher! Jesus ist da, der kann helfen!

Ja, vor allem um Jesus geht es in dieser Geschichte. Er steht so sehr im Mittelpunkt, dass der Evangelist nicht einmal seinen Namen zu nennen braucht; Matthäus schreibt einfach „er“. Da können wir schon einmal das Wichtigste aus dieser Geschichte mitnehmen, und nicht nur aus dieser Geschichte, sondern aus der ganzen Bibel: Er bestimmt unser Leben, er macht gesund, er schenkt ewiges Leben, ihm vertrauen wir. Und wenn es uns damit ernst ist, dann machen wir es wie die Leute von Genezareth: Wir weisen auch andere Menschen auf ihn hin, damit sie zu ihm kommen und seine Hilfe erfahren können.

Nach kurzer Zeit wimmelt der Strand von Menschen. An Krücken kommen sie herbei­gehumpelt, auf Matten werden sie getragen. Blinde werden an der Hand geführt, und Gehörlosen macht man mit Gesten klar, dass dort der Mann steht, der ihnen helfen kann. Aber die Kranken sind scheu. Zu lange wurde ihnen eingeredet, dass Gott sie mit ihrer Krankheit bestraft hat. Sie wagen sich kaum heran an diesen heiligen Mann. Endlich fassen sich einige ein Herz und äußern schüchtern die Bitte, ob sie wenigstens sein Gewand anrühren dürfen. Sie hoffen, dass sie auf diesem Weg sein Segensstrom erreicht. Es ist dieselbe Hoffnung, die eine kranke Frau bei anderer Gelegenheit hatte: Sie hat im Gedränge Jesu Gewand von hinten angefasst und dabei gehofft, dass ihre krankhaften Blutungen endlich zum Stillstand kommen – nicht vergeblich, wie wir wissen.

Solches Bitten und Hoffen nennt man Glaube. Nehmen wir uns ein Beispiel daran für unser Glaubens­leben! Glauben heißt ja nicht wissen oder vermuten, dass es da es irgendein höheres Wesen gibt, das wir Gott nennen. Glaube ist auch kein Patentrezept für ein sorgenfreies Leben. Glaube fordert auch nicht: Jesus, nun segne mich mal gefälligt und erfülle meine Wünsche! Nein, richtig glauben heißt, sich scheu und demütig an Jesus herantasten – im Bewusstsein, dass wir seine Zuwendung und Hilfe in keiner Weise verdient haben. Der wahre Glaube bittet Jesus um Hilfe und ist dabei zu­versicht­lich, dass diese Bitte nicht abgeschlagen wird. Glaube orientiert sich am Beispiel der Kranken von Genezareth, von denen es heißt: „Sie baten ihn, dass sie nur den Saum seines Gewandes berühren dürften.“

Jesus lässt es zu. Er lässt alle Kranken am Strand von Genezareth seine Kleidung anfassen. Alle dürfen ihn berühren, und alle werden daraufhin gesund. Die Fußkranken werfen ihre Krücken weg, die Gelähmten springen von ihren Liegen, die Blinden staunen über den blauen See und die weißen Wolken, die Gehörlosen vernehmen das Rauschen der Wellen und die Jubelrufe der anderen Geheilten.

Jesus hätte sie auch anders heilen können. Er hätte ihnen die Hände auflegen können. Er hätte ihnen zurufen können: Werdet alle gesund! Er hätte den Blinden einen Brei aus Sand und Speichel auf die Augen streichen können. Er hätte für alle laut beten können. Er hätte sie auch einfach still­schweigend gesund machen können, nur mit seinen Gedanken. Aber er hat sie auf die Weise gesund gemacht, die sie sich erbeten haben: durch Berühren seines Gewandes. Damit hat er ihnen gezeigt: Ich erhöre euer Bitten und helfe euch.

Es war eine besondere Zeit, als Jesus sichtbar auf der Erde lebte. In dieser Zeit hat er auf besondere Weise sichtbar gemacht, dass er uns Menschen helfen und heilen will. Aber auch wenn diese besondere Zeit nun vorüber ist und die Menschen nicht mehr scharenweise ihre Krücken wegwerfen oder von ihren Betten aufspringen: Gesund macht Jesus trotzdem alle, die an ihn glauben und ihn um Hilfe bitten. Er öffnet uns die Augen für Gottes Liebe, er öffnet uns die Ohren für Gottes Wort. Er macht unsere Hände und Füße fähig, Gutes zu tun. Er nimmt alle Last von unserem Gewissen. Er vertreibt durch das Licht seines Geistes alle Finsternis aus unseren Herzen. Und schließlich: Er lässt uns nicht an den Gebrechen unserer sterblichen Leiber zugrunde gehen, sondern er wird uns zum ewigen Leben auferwecken.

Ich komme zu unserer Ausgangs­frage zurück: Was war das denn nun eigentlich, als die Kranken den Saum von Jesu Gewand berührten und gesund wurden? Zauberei war es nicht, denn Jesus trug kein Zauber­gewand, sondern ganz gewöhnlich Kleidung wie alle anderen Menschen. Ein symbolisches Zeichen aber war es auch nicht, denn dann wären die Menschen nicht wirklich gesund geworden. Es war etwas Drittes: Es war göttliche Zuwendung. In Jesus hat sich Gott selbst den Menschen zugewandt, um ihnen zu helfen. Jesus war dabei nicht auf Zauber­sprüche und magische Riten angewiesen; er hat sich jedoch auf die Menschen eingestellt und ihnen auf mancherlei Weise deutlich gemacht, dass die Hilfe von ihm herkommt. Dazu gehört auch dies, dass die Menschen, die ihn nur schüchtern am äußersten Saum seines Gewandes anrühren wollten, den ganzen Segen seiner Heilung erfuhren.

Für die späteren Christen hat Jesus dann andere Mittel eingesetzt, um sich ihnen zuzuwenden und zu helfen. Da ist das Sakrament des Altars: keine Zauberei, auch kein bloßes symbolisches Zeichen, sondern göttliche Zuwendung und Geheimnis des Glaubens. Hier begegnen uns unter ganz normalem Brot und Wein Christi Leib und Blut durch die Kraft Christi und seines Wortes. Sie machen uns deutlich, dass wir durch nichts anderes als durch sie an Leib und Seele gesund werden. Und da ist auch das Sakrament der heiligen Taufe: keine Zauberei, auch kein bloßes Zeichen der Bekehrung, sondern göttliche Zuwendung. Das Wasser der Taufe ist schlichtes Wasser, wie Luther im Kleinen Katechismus lehrt, aber durch die Kraft Christi und seines Wortes ist es ein Bad der Wiedergeburt zum ewigen Leben. Danke, Herr, für deine Zuwendung in Wort und Sakrament! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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