Der erstaunliche Dienst

Predigt über Matthäus 12,15-21 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele Berufe sterben aus. Ich denke dabei nicht nur an alte Handwerke wie Böttcher, Hufschmied oder Radmacher, sondern ich denke vor allem an den früher weit verbreiteten Beruf des Knechts. Treu und still dienten Knechte ihren Herren (meistens Bauern) und hatten dabei ihr bescheidenes Auskommen. Heute gibt es kaum noch Knechte, und es gibt wahr­scheinlich auch kaum noch Menschen, die gern Knechte sein würden. Gehorchen und Dienen sind Tugenden, die einen negativen Beigeschmack bekommen haben, und das hat auf das Wort „Knecht“ abgefärbt. Heute will jeder sein eigener Herr sein und selbst­bestimmt leben.

Umso mehr erstaunt es uns, dass der Gottessohn Jesus Christus aller Menschen Knecht geworden ist. Er gehorchte seinem himmlischen Vater und war bereit zu dienen. Nicht gezwungener­maßen hat er das getan, sondern freiwillig, aus Liebe zu seinem himmlischen Vater und aus Liebe zu uns Menschen. Er ist nicht in die Welt gekommen, um sich dienen zu lassen (wiewohl er alles Recht dazu hat), sondern er ist gekommen, um selbst zu dienen und sich schließlich als Lösegeld hinzugeben. So hat er uns aus der Knechtschaft des Teufels freigekauft – das bezeugt auch der heutige Wochen­spruch. Dieser erstaunliche Dienst ist die Mitte des Evangeliums und die Mitte der Heiligen Schrift. Wenn wir den Dienst des Gottes­knechts Jesus Christus betrachten, denn sehen wir mitten in Gottes Herz hinein. Deshalb finden wir mitten im Matthäus-Evangelium die Fest­stellung, dass Jesus folgende Weissagung des Propheten Jesaja erfüllt hat: „Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, und mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat…“ Matthäus hat sein Evangelium für Juden­christen geschrieben, die von klein auf mit den heiligen Schriften des Alten Testaments vertraut waren. Ein Dutzend Mal bezeugt das Matthäus-Evangelium aus­drücklich, dass Jesus bestimmte Verheißungen des Alten Testaments erfüllt hat. Die Verheißung vom Gottesknecht steht mittendrin.

Was bedeutet das eigentlich, wenn eine Verheißung erfüllt wird? Es geht nicht um Wahrsagerei, dass einfach ein zukünftiges Ereignis vorausgesagt wird und dann eintritt. Echte, biblische Prophetie ist etwas anderes. Da hat Gott viele Propheten hunderte von Jahren vor Jesus Dinge wissen lassen, die teils ihre eigene Zeit betrafen, teils darüber hinaus auf Gottes neuen Bund wiesen und auf die Zeit des kommenden Erlösers. Aber die Gläubigen des alten Bundes mussten sich gedulden; sie mussten abwarten, bis die Zahl der Jahre voll war, die Gott festgesetzt hatte. Endlich war es so weit: Die Zeit war erfüllt. Alle Zeitgenossen Jesu konnten da erleben, wie nun genau das geschah, was die Propheten vom kommenden Erlöser angekündigt (oder manchmal auch nur angedeutet) hatten. Jetzt, mit Jesus, entfalteten diese Propheten­worte erst ihren vollen Sinn, jetzt erst konnte man sie in ihrer ganzen Tiefe erfassen. Das meint der Evangelist Matthäus mit „erfüllen“. Nicht nur für die Juden­christen seiner Zeit, sondern für alle Christen aller Zeiten hat er das vielfach aufgezeigt – nicht zuletzt auch für uns, und nicht zuletzt dadurch, dass er Jesus mit Jesajas Gottesknecht-Verheißung in Verbindung brachte: „…damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja.“

Verheißung und Erfüllung zeigen deutlich, dass hier wirklich Gott am Werk ist und nicht Menschen. Denn die Menschen stellen sich einen Erlöser stets wie einen Helden vor, einen Herrn, einen Chef, ein Alpha-Tier. Sie sehnen sich geradezu nach einem starken Mann, der sich gegen alle Konkurrenten durchsetzt und dann seine Feinde in die Knie zwingt. Gott aber sagt: Der euch erlösen wird, den habe ich zu meinem Knecht gemacht. Nicht, dass Gott seinen Sohn damit unterdrücken oder ärgern wollte, im Gegenteil: Er bezeugt aus­drücklich, wie lieb er ihn hat. Aber der Beruf des Knechts hat bei Gott keinen negativen Beigeschmack wie bei uns Menschen, sondern es ist geradezu ein Ehrentitel. Got rüstete seinen Knecht mit allen Gaben des Heiligen Geistes aus und sandte ihn als Botschafter zu allen Völkern. Nicht mit Gewalt und Geschrei sollte er da wirken, sondern still und sanftmütig – letztlich wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt (so hat Jesaja es ebenfalls geweissagt). Er besprach sich nicht mit den Mächtigen der Welt, er ging nicht bei Königen und Generälen ein und aus, sondern er kümmerte sich vor allem um die Menschen am Rand der Gesell­schaft: die Zer­schlagenen, die Hoffnungs­losen, die in Sünde Vertrickten, die Kranken, die Elenden, die Besessenen, die Verzagten – wie Jesaja geweissagt hat: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht hinausführt zum Sieg.“ Gerade auf diese Weise, durch Dienen und Leiden auch für die Geringsten, brachte er ihnen Gottes Gerechtig­keit, Gottes Heil. Ja, das ist Gottes Art zu erlösen: indem sich der Herr zum Knecht macht.

Matthäus hat das Zitat des Propheten Jesaja in Zusammenhang mit Jesu Heilungs­dienst gestellt. Jesus war gerade bekannt geworden in Galiläa, und die Pharisäer überlegten sich bereits, wie sie ihn beiseite schaffen konnten. Noch wich Jesus ihren Nach­stellungen aus, denn die Zeit war noch nicht reif. Stattdessen predigte und heilte er. Wir lesen: „Eine große Menge folgte ihm, und er heilte sie alle.“ Daran merkten sie: Das ist er – das muss der Messias sein! Aber Jesus verbot ihnen, mit anderen darüber zu reden. Warum? Das liegt an Gottes Art, wie er uns erlösen wollte: Nicht als machtvoller Wunder­heiler, sondern als scheinbar ohnmächtiger Hin­gerichteter – nämlich als der Gottes­knecht, der sein Leben zum Lösegeld für viele dahingibt. Erst mit Karfreitag und Ostern kann man richtig verstehen, wie Jesus uns gedient hat. Darum ist es goldrichtig, dass Matthäus an dieser Stelle die Weissagung vom Gottesknecht eingefügt hat.

Ja, es ist erstaunlich, dass Jesus unser Knecht geworden ist. Es ist erstaunlich, dass Jesus nicht unsern Dienst für sich einfordert, sondern dass er selbst dienen will. Und es ist über die Maßen erstaunlich, wie er uns gedient hat. So will er uns auch heute dienen, und er tut es auch. Er schenkt uns seine Liebe und sein Lösegeld vom Kreuz immer wieder neu. Er hat es uns mit der Taufe geschenkt, er schenkt es uns in der Vergebung der Sünden, er schenkt es uns mit dem Heiligen Abendmahl: „Christi Leib, für euch gegeben… Christi Blut, für euch ver­gossen…“ Und wie er damals alle geheilt hat, so will er auch heute alle heilen – alle, die zu ihm kommen. Er fängt damit in unserem bösen Herzen an, und er wird die Heilung vollenden, wenn wir einst einen herrlichen Auf­erstehungs­leib bekommen werden. Wenn du angefochten bist, wenn du an Leib und Seele gequält wirst und nicht weiter weißt, dann bedenke, dass Jesus dir besonders nahe ist. Er ist ja der Knecht Gottes, von dem es heißt: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht hinausführt zum Sieg.“

Niemand will heute gern Knecht sein; es ist ein aus­sterbender Beruf. Aber Jesus wollte gern unser Knecht sein; die Liebe hat ihn dazu getrieben. Und diese Liebe befreit uns nicht nur aus der Knechtschaft des Teufels, sondern sie erneuert uns auch. Diese Liebe verändert uns dahin, dass wir selbst auch gern Knechte wie Jesus werden wollen – nicht gezwungener­maßen, sondern freiwillig. Gott schenkt uns den Heiligen Geist, damit wir Gottes Gerechtig­keit und Barmherzig­keit weitergeben in Wort und Tat. Gott lehrt uns, dass Dienen Freude macht, weil wir es unter einem guten Herrn tun können – dem besten, den es gibt. Und darum gibt es trotz allem auch in der heutigen Zeit noch ganz viele Knechte und Mägde, die diesen heiligen Beruf gern ausüben: alle Kinder Gottes, die durch den einen Knecht Gottes erlöst sind. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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