Der gute Same

Predigt über Matthäus 13,1-9.18-23 zum Sonntag Sexagesimä

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich habe schon mal eine Zeitreise unternommen, jedenfalls so etwas Ähnliches wie eine Zeitreise. Ich befand mich an einem Acker im südlichen Afrika. Es war kein moderner Acker mit monoton dunkel­brauner Erde und mit Furchen, die wie mit dem Lineal gezogen aussehen. Der Acker sah vielmehr so aus, wie Äcker vor zweitausend Jahren aussahen: ein gerodetes Stück Brachland mit allerhand kleinen Wildpflanzen darauf. Ich befand mich, wie gesagt, auf einer Art Zeitreise, denn die Kleinbauern im südlichen Afrika und in vielen anderen Ländern der Welt bestellen ihr Land nicht anders als die Bauern zur Zeit Jesu. Auf dem Acker bewegte sich gemächlich eine Gruppe von Land­arbeitern. Voran ging der Sämann und warf den Getreide­samen großzügig auf das Brachland. Dann folgte ein Gespann mit ein paar Rindern, die wurden von einem Hirten angetrieben. Die Rinder zogen einen Pflug, den ein Pflüger kräftig ins Erdreich drückte. So wurde das Brachland aufgebrochen und zusammen mit den Samenkörnern und den Wildpflanzen umgepflügt. Der Zug bewegte sich in Kreisen über den Acker, nicht auf geraden Linien. Ja, so bestellen noch heute Kleinbauern in vielen Ländern ihre Felder: ohne Maschinen, ohne Unkraut­vernichtung, ohne künstliche Dünger.

Nun ist den meisten von uns der Ackerbau ja sowieso nicht gerade vertraut, und wenn doch, dann eher im Rahmen einer industriel­len Landwirt­schaft. Das war zu Jesu Zeiten anders: Da wusste praktisch jeder, wie ein Bauer sein Feld bestellt und was ein Sämann ist. So konnte Jesus davon ausgehen, dass alle Zuhörer wussten, wovon er redete, als er sein Gleichnis erzählte.

Ein Bauer hat einen Sack voll Getreide­samen. Die besten Körner sind dafür aufgespart worden, auch wenn dem Bauern im Winter deswegen manchmal der Magen knurrte. Jeder Gärtner und jeder Landwirt weiß, wie wichtig gutes Saatgut ist für eine gute Ernte. Nun schüttet der Bauer Samenkörner in ein Tuch, das er sich vor den Bauch gebunden hat, geht über seinen Acker und streut sie in weitem Bogen aus. Es sieht fast so aus, als würde er den guten Samen verschwende­risch wegwerfen, aber wir wissen es natürlich besser. Einige Körner fallen auf einen Trampelpfad, der über den Acker führt, und ehe der Bauer den Boden dort umpflügen kann, haben Vögel sie auf­gefressen. Andere Körner fallen an Stellen, wo unter einer dünnen Erdschicht Felsen verborgen liegen; da können sie keine richtigen Wurzeln austreiben, und die Pflänzchen finden keinen Halt. Andere Körner fallen dahin, wo schnell wachsendes Dorngestrüpp mit umgepflügt wird; dagegen hat das Getreide keine Chance. Und wieder andere Körner fallen dahin, wo sie gute Wachstums­bedingungen finden. Nach dem Säen pflügt der Bauer das Feld, wartet auf Regen, hofft auf Wachstum und kann schließlich an den guten Stellen eine reiche Ernte einbringen.

Jesus hat dieses Gleichnis dann auch selbst ausgelegt. Das hat er nur bei wenigen Gleichnissen getan. Der Sinn des Sämann-Gleichnisses ist folgender: Der Same ist Gottes Wort, die frohe Botschaft vom Himmelreich. Was für ein köstlicher Same! Was steckt da alles drin in diesen Körnern! Wieviel von Gottes Herrlichkeit steckt da drin, und wieviel von seiner Liebe! Und was für eine überragende Weisheit enthält das Wort – eine Weisheit, die alle Menschen­weisheit übersteigt! Auch steckt große Kraft in diesem Wort-Samen – eine Kraft, die stärker ist als der Tod! Dieses Wort fällt nun auf den Ackerboden der Welt beziehungs­weise in die Herzen der Menschen. Die Wirkung ist so unter­schiedlich, wie der antike Kleinbauer es auf seinem Feld erlebt. Manche Leute hören Gottes Wort, aber sie können nichts damit anfangen, sie verstehen es nicht. So nimmt der Teufel es ihnen weg, bevor es bei ihnen Frucht bringen kann, und sie vergessen es oder halten es für unwichtig. Manche Leute haben Herzen wie aus Stein, da kann Gottes Wort nicht Wurzel fassen. Es mag sein, dass sie die Bibel für ganz interessant halten und sich gern damit be­schäftigen. Aber sobald sie merken, dass das Christsein auch mit Problemen und Leiden verbunden ist, erlischt ihr Interesse daran, und sie fallen vom Glauben ab. Bei anderen wächst das Samenkorn des Wortes zwar zu lebendigem Glauben heran, aber andere Einflüsse sind stärker: Die Sorge um die Gesundheit oder um dem Lebens­unterhalt erstickt wie Unkraut alles Gott­vertrauen. Nur bei einem Teil der Menschen fällt das Evangelium auf fruchtbaren Boden: Sie hören es, verstehen es, bewahren es und befolgen es. Dann bringt Gottes Herrlich­keit, die in dem Samen steckte, Frucht in der Ver­herrlichung von Gottes Namen, und Gottes Liebe bringt Frucht in einem Leben voller Liebe zu Gott und den Mitmenschen.

Das Geniale an diesem Gleichnis ist: Es beantwortet leicht und anschaulich eine knifflige Frage, mit der sich viele Christen herum­schlagen, nicht zuletzt auch Pastoren. Die Frage lautet: Wie kommt es, dass einige Menschen Christen werden und andere nicht? Sie lesen dieselbe Bibel, sie erleben dieselben Gottes­dienste, sie hören dieselben Predigten, aber die Folgen sind ganz unter­schiedlich. Und macher, der lange Jahre zur Kirche ging und gern Gottes Wort hörte, bleibt plötzlich weg. Warum? Die Antwort: Es liegt nicht an Gott und seinem Wort, denn der Same ist bei allen derselbe und über die Maßen gut; er kann hundertfach Frucht bringen. Es liegt vielmehr an den Menschen und ihren Herzen. Es liegt daran, dass sie das Wort entweder gar nicht oder nur halbherzig oder aber aus vollem Herzen annehmen. Das heißt jedoch nicht, dass ein Mensch aus eigener Kraft glauben und christlich leben kann. Das ist ebenso unmöglich, wie wenn ein Acker ohne Saatgut aus sich selbst heraus Getreide wachsen ließe. Die moderne industrielle Land­wirtschaft ist ebenso wie der antike Kleinbauer auf guten Samen angewiesen, und den kann man nicht in einer Fabrik produzieren, denn kann nach wie vor nur Gott wachsen lassen. Das Gleichnis erklärt ebenfalls, woran der gute Same des göttlichen Wortes mitunter scheitert: Es ist der Teufel und es sind widrige Lebens­umstände, die das Wachstum des Evangeliums im Keim ersticken. Das Gleichnis erklärt allerdings nicht, warum der Same bei einigen trotzdem gute Frucht bringt – das ist ein Wunder, das bleibt Gottes Geheimnis.

Es bleiben auch noch ein paar andere Fragen offen – trotz der schönen Deutung, die Jesus selbst uns für sein Gleichnis gegeben hat. Zum Beispiel: Warum geht der Sämann so ver­schwende­risch mit dem Samen um? Vielleicht zeigt sich darin Gottes ver­schwende­risch große Liebe, denn er will ja doch eigentlich, dass alle Menschen durch seine frohe Botschaft selig werden. Oder: Warum sind die Ackerböden beziehungs­weise die Menschen so verschieden, dass das Wort nur bei einigen Frucht bringt? Darauf haben wir keine Antwort, da nützt alles Grübeln nicht. Oder: Was fangen wir, die wir an Jesus glauben, mit diesem Gleichnis überhaupt an; was hat es uns zu sagen? Das Gleichnis beschreibt ja einfach nur, wie es ist; es enthält keine „Moral von der Geschichte“, keine Aufforderung und keine Warnung. Jesus sagt nicht: Hütet euch vor den Dornen! Oder: Seht zu, dass ihr gutes Land werdet! Eine Art Ackerboden kann sich ja auch gar nicht aus eigenem Willen in eine andere verwandeln, und ebensowenig können das Menschen. Worauf will Jesus denn eigentlich hinaus?

Es gibt nun doch eine Aufforderung bei diesem Gleichnis. Sie lautet: „Hört dies Gleichnis!“ Und: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Ganz einfach: Alle mal herhören! Nicht nur die Jünger, nicht nur die Juden, nicht nur die Frommen oder religiös Interes­sierten, nicht nur die Menschen damals, sondern wirklich alle – alle, die Ohren haben! „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Und was sollen wir hören? Das Gleichnis, und dann auch die anderen Gleichnisse Jesus, und dann auch alle seine Worte, und dann überhaupt das ganze Wort Gottes. Das Wort Gottes aber ist der Same in dem Gleichnis, der herrliche, wirkkräftige Same, ohne den es keine gute Frucht geben kann auf dem Acker. Wenn also jemand sinnvoll leben und etwas Gutes erreichen will, dann geht das nicht ohne Gottes Wort. Wenn wir das verstanden haben, dann haben wir schon das Wichtigste verstanden, und dann hören wir. Wir hören zu, wir hören genau hin, wir stimmen auch zu, wir denken über das Gehörte nach, wir prägen es uns ein, wir halten es fest, wir freuen uns darüber, wir trösten uns damit, wir lassen unser Verhalten davon prägen und unser ganzes Leben – und schließlich auch unser Sterben. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Oder wie der Apostel Paulus es für die christliche Gemeinde formuliert hat: „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen!“ (Kol. 3,16)

Niemand kann sich selbst zum guten Land machen, aber jeder, der Ohren hat, kann Gottes Wort hören. Das lasst uns auch tun! Lasst uns immer wieder zusammen die biblischen Lesungen hören, wenn wir hier sonntags zusammen­kommen! Lasst uns ebenfalls auf die Predigten hören – egal ob vom Pastor vorgetragen oder von einem Lektor! Lasst uns auch zu Hause Gottes Wort hören, bei der Familien­andacht oder in der persönlichen Stillen Zeit: aus Andachts­büchern, aus Losungs­heften oder einfach nur aus der Bibel! Lasst es freudig tun, nicht mit Murren wie eine lästige Pflicht! Und lasst es uns regelmäßig und oft tun! Das hatte auch Martin Luther im Sinn, als er das 3. Gebot so auslegte: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören und lernen.“ Den Glauben und die Glaubens­frucht der Liebe kann nur Gott geben durch seinen Heiligen Geist, aber hören können wir selbst. Und wenn wirs tun und dranbleiben, dann wird uns derselbe Heilige Geist zum guten Land machen. Noch einmal: Kein Mensch kann das von sich aus tun, aber wir können es uns von Gott erbitten. Und das wollen wir auch – immer, wenn wir sein Wort hören. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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