Was ist das für ein Mann?

Predigt über Matthäus 8,23-27 zum 4. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Lasst uns mal hinten anfangen, am Ende der Geschichte. Da heißt es: „Die Menschen verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Welche Menschen? Die Jünger, die mit ihm im Boot gewesen waren? Oder die Leute in den anderen Booten neben Jesu Boot? Oder diejenigen, die später vom Wunder der Sturm­stillung hörten? Der Evangelist Matthäus lässt das offen, er sagt einfach nur „die Menschen“. Wir selbst können uns da mit einbeziehen und uns auch diese Frage zu eigen machen: „Was ist das für ein Mann?“ Ja, wer ist das eigentlich, dieser Jesus, der da vor 2000 Jahren sichtbar herumlief und den wir noch heute unsern Herrn nennen? Mit dieser Frage gehen wir nun an den Anfang der Geschichte.

Was ist das für ein Mann, der da so leichtsinnig bei einem aufziehenden Sturm in ein Boot steigt und auf den See Genezareth hinausfährt? Kennt er denn nicht den Wetter­bericht? Hat er denn keine Sturmwarnung erhalten? Auch wenn es damals noch keinen Wetterdienst gab – er ist doch schließlich Gottes Sohn! Was ist das für ein Mann, der sich so gleichgültig in Gefahr begibt, und seine Jünger mit dazu? Denn sie folgen ihm ja nach, wie sie es immer tun. Wir lesen: „Er stieg in das Boot, und seine Jünger folgten ihm.“ Was ist das für ein Mann, der auch heute noch seine Jünger in Gefahr geraten lässt? Der uns nicht rechtzeitig mahnt und warnt, der uns nicht rechtzeitig zurückhält, wenn’s gefährlich wird? Stattdessen geht er sogar noch voran, und seine Jünger folgen ihm. Was ist das für ein Mann, der vielen Christen gerade in der Nachfolge und beim Zeugendienst Leid und Verfolgung zumutet?

Er ist unser Herr und Gott, der keine Fehler macht. Er ist unser Heiland, der uns liebt hat und der uns helfen will. Auch wenn wir’s nur schwer fassen können: Er lässt leidvolle Erfahrungen bewusst zu – nicht um uns zu ärgern und zu schaden, sondern um uns damit letztlich reifer und reicher zu machen. Er erspart uns nicht so manchen Lebenssturm, denn er weiß, dass wir da als andere Menschen heraus­kommen, als wir hinein­gegangen sind: Bewährter in der Hoffnung, getroster im Glauben, gewisser der Nähe des Herrn. Erfahrungen von Angst und Not binden den Jünger letztlich nur noch fester an seinen Herrn.

Was ist das für ein Mann, der seelenruhig schläft, während um ihn herum ein Sturm tobt? Der Evangelist Matthäus beschreibt diesen Sturm als Seebeben mit gewaltigen Wellen. Diese Wellen lassen das Boot wie eine Nussschale tanzen; ja mehr noch: Sie schlagen über die Bordwand und füllen das Boot; es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass es kentert und untergeht. Wer ist der, der dabei schlafen kann? Und der scheinbar auch heute oft schläft, in den Stürmen unserer Gegenwart? Was ist das für ein Mann, der angesichts von Kriegen und Natur­katastrophen schweigt, obwohl ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist? Was ist das für ein Mann, der nicht eingreift, wenn die Mächtigen der Welt ratlos sind oder wenn sie ihre Macht miss­brauchen? Was ist das für ein Mann, der auch im Boot der Kirche zu schlafen scheint? Was hilft es, wenn er bei seinen Jüngern ist bis an der Welt Ende, dabei aber untätig bleibt? Was ist das für ein Mann, dem die Zer­splitterung der Christenheit in viele Konfessionen nichts auszumachen scheint? Der gottlosen Lehren von eigen­mächtigen Predigern und Theologen nicht wehrt? Der offenbar die Augen geschlossen hält, wenn Priester und Pfarrer mit groben moralischen Verfehlungen den Ruf der Kirche verderben?

Er ist unser Meister, der uns Gelassenheit lehrt. Er kann seelenruhig schlafen, weil er gewiss ist, dass sein Vater im Himmel alles im Griff hat. Er besitzt vollkommenes Vertrauen, er ist vollkommen geborgen in Gott und kann deshalb mitten im Sturm schlafen. Auch Geduld hat er. Jesus verfällt nicht in hektischen Aktivismus, wenn die erste Böe kommt. Er wartet seine Zeit ab; dann erst greift er ein und sorgt dafür, dass der Sturm nicht überhand nimmt. Nicht nur beim Sturm auf dem Galiläischen Meer, sondern immer wieder zeigt Gott solches Abwarten, solche Geduld, und er erwartet sie auch von uns. Wie lange mussten Abraham und Sara auf ein Kind warten! Wie lange mussten die Kinder Israel in Ägypten auf Befreiung warten! Wie lange musste das Volk Israel auf seinen Messias warten! Aber schließlich hat Gott eingegriffen und seine Hilfe gesandt – zu seiner Zeit, zur rechten Zeit.

Was ist das für ein Mann, der seinen besten Freunden mangelndes Vertrauen vorwirft? Der sie wegen ihrer Feigheit ausschimpft, als sie ihn in höchster Not wecken? Matthäus berichtet: „Sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um! Da sagt er zu ihnen: Ihr Klein­gläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Wer ist der, der offenbar nicht versteht, dass man in so einer Lage Todesangst hat? Wer ist der, der mahnende Worte sagt, wenn Worte des Trostes viel angebrachter erscheinen? Und was ist das für ein Mann, der auch uns heute durch die Bibel mit vielen harten, mahnenden und warnenden Worten erschreckt? Sollte es nicht eine frohe Botschaft sein, ein Evangelium, das uns da erreicht? Müssten da nicht alle drohenden Worte verstummen? Warum hören wir denn immer noch von Gottes Zorn und Strafe? Warum klagt Gottes Wort auch gutwillige Menschen immer wieder an und verlangt Buße von ihnen? Was ist das für einer?

Er ist die Wahrheit in Person, der nicht verschweigt, was die Wurzel allen Übels ist. Die Wurzel allen Übels ist unser mangelndes Vertrauen; das ist der Urgrund aller Sünde. Wir sind klein­gläubig; in Krisenzeiten ist unsere Angst größer als unser Gott­vertrauen. Das war bei den ersten Jüngern nicht anders. Machen wir uns klar: Jesus tadelte sie nicht deswegen, weil sie ihn geweckt hatten. Er sagte nicht ungehalten: Was stört ihr mich in meiner Ruhe? Seht zu, wie ihr selbst mit eurer Seenot klarkommt; ihr seid doch Fischer, ihr seid doch Boots-Experten! Nein, dass sie ihn wecken und um Hilfe bitten, ist nicht das Problem, im Gegenteil: Das ist gut so, das ist das einzig Richtige, was sie in dieser Situation tun können. Jesus tadelt sie allein deswegen, weil sie so viel Angst und so wenig Glauben haben. Dieser Glaubens­mangel zeigte sich nicht in der Tatsache, dass sie ihn weckten, sondern er zeigte sich in den Worten, mit denen sie ihn weckten: „Herr, hilf, wir kommen um!“ Denn niemand sollte meinen, er komme um, wenn er Jesus bei sich hat. Es kann sein, dass wir in sehr brenzlige Situationen geraten, aber umkommen werden wir darin nicht. Es kann sein, dass wir schlimme Schmerzen erleiden, aber umkommen werden wir darin nicht. Es kann sein, dass unser Leib zu leben aufhört (und das wird eines Tages auch ganz bestimmt so sein), aber umkommen werden wir auch im Sterben nicht. Denn Jesus nachfolgen heißt ja, ihm auch durchs Sterben in die Auferstehung zum neuen Leben nachfolgen. Jesus sagte seinen Jüngern bei anderer Gelegenheit: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“ (Matth. 10,28). Der Apostel Paulus formulierte es so: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn“ (Römer 14,8). Wer Jesus an seiner Seite hat, kann nicht umkommen und verderben, in Ewigkeit nicht.

Und schließlich: „Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Wer ist das, dem die Natur­gewalten gehorchen? Was ist das für ein Mann, der bei einem Orkan im schwankenden Boot einfach aufsteht, während die anderen sich ängstlich niederkauern und an der Reling fest­klammern? Was ist das für einer, der sich traut, dem Wind und den Wellen Befehle zu erteilen? Und tatsächlich: Sie gehorchen ihm, gehorchen ihm im Nu! Was ist das für ein Mann, der auch uns schon manches Mal aus großer Not und Gefahr heraus­gerettet hat? Der seinen Schutzengel geschickt hat, um in letzter Sekunde einen Unfall abzuwenden? Der uns gesund gemacht hat, als wir schwer krank waren? Wer ist der, der uns von der gefähr­lichsten aller Krebsarten geheilt hat: vom Sünden-Krebs, der einen Menschen nach und nach ganz zerfressen kann mit Leib und Seele, sodass er wirklich umkommt? Was ist das für ein Mann, der gegen den Sturm von Gottes berechtigtem Zorn auftrat, der sich ihm mit seiner ganzen Existenz entgegen­warf, damit wir nicht verderben?

Es ist der Mann am Kreuz, „der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben“. Er ist der Heiland, der Gottes Frieden auf Erden gebracht hat, die wunderbare Ruhe der Versöhnung nach dem Kampf des Sünders gegen seinen Schöpfer, die wunderbare Stille der Gnade nach dem Strafurteil des Herrn über seinen abtrünnigen Knecht – wie Matthäus schreibt: „Da wurde es ganz stille.“

Und dann folgt der Schlussatz: „Die Menschen verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Welche Menschen? Alle Menschen, die ihre Augen und Ohren nicht verschließen vor Gottes Wundern und vor Gottes Wort, also auch du und auch ich. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2017.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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