Reparationen

Predigt über Matthäus 18,21-35 zum 22. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer etwas kaputt macht, muss für den Schaden aufkommen. Er muss das Kaputte ersetzen oder für seine Reparatur sorgen. Das gilt im Kleinen wie im Großen – auch im ganz Großen. Im Ersten Weltkrieg hatten deutsche Soldaten in fremden Ländern ganz viel kaputt gemacht. Als der Krieg vorbei war, ver­pflichteten die Siegermächte Deutschland dazu, für die Reparaturen aufzukommen. Der berühmte Vertrag von Versailles nannte diese Reparationen eine „Wieder­gutmachung“. Der finanzielle Umfang wurde dann von einer Kommission auf 20 Milliarden Goldmark beziffert. Wenn man das über den Goldpreis in heutiges Geld umrechnet, kommt man auf fast 300 Milliarden Euro – eine un­vorstellbar große Summe! Später wurden diese durchaus umstrittenen Schulden etwas reduziert, aber sie sind nie erlassen worden. Erst im Jahr 2010 hat die Bundes­republik Deutschland den letzten Pfennig davon bezahlt. Wenn die Siegermächte damals auf diese Reparations­zahlungen verzichtet hätten, dann wäre die Geschichte des 20. Jahrhunderts vielleicht ganz anders weiter­gegangen, vielleicht viel friedlicher, ohne Hitler und den Zweiten Weltkrieg. Was für ein Segen wäre das gewesen! Aber die Geschiche verläuft nun einmal ohne Wenn und Hätte.

Nicht knapp dreihundert Milliarden, aber immerhin rund dreihundert Millionen Euro schuldete ein antiker König einem anderen, mächtigeren Herrscher – vielleicht auch Reparations­zahlungen nach einem verlorenen Krieg. So beginnt die Gleichnis­geschichte, die Jesus erzählt hat. „Zehntausend Zentner Silber“ sind nämlich umgerechnet rund dreihundert Millionen Euro. Dieser arme König, den Jesus einen Knecht nennt, war mit der Zahlung der hohen Summe ebenso überfordert wie Deutschland mit seiner Wieder­gutmachung nach dem Ersten Weltkrieg. Da wollte der mächtige Herrscher den armen König samt seiner Familie und seinem ganzen Volk in die Sklaverei verkaufen. Der arme König flehte ihn an, ihm einen Aufschub zu gewähren. An dieser Stelle heißt es in dem Gleichnis: „Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei und die Schuld erließ er ihm auch.“ Ein hundert­prozentiger Schulden­erlass – was für eine Er­leichterung, was für ein Segen! Der arme König war nun frei und konnte aufatmen.

Nicht dreihundert Millionen Euro, nicht dreihundert Milliarden Euro, sondern noch viel, viel mehr schuldet die Menschheit dem mächtigsten Herrscher. Die Menschen haben ihrem Schöpfer den Krieg erklärt; sie wollen ihn vom Thron stoßen und machen dabei die gute Ordnung seiner Schöpfung kaputt. Du und ich, wir gehören zu dieser Menschheit; wir tragen dieses schwere Erbe mit, und jeder trägt seinen persönlichen Anteil an Schuld. Gott hat das Recht auf seiner Seite, wenn er Wieder­gutmachung verlangt und als Reparations­zahlung von uns den höchsten Preis einfordert: unser Leben. Aber nun handelt Gott ebenso wie der mächtige Herrscher in Jesu Gleichnis: „Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch.“ Der Sohn dieses mächtigen Herrschers ist nicht nur der, der mit seinem Gleichnis den Schulden­erlass des himmlischen Vaters verkündigt, sondern auch der, der für unsere Schuld eingestanden ist mit dem Opfer seines eigenen Lebens am Kreuz. So hat der Schöpfer Frieden geschlossen mit seinen Geschöpfen, so hat er sie von ihrer allergrößten Last befreit. Was für ein unfassbar großer Segen! Das ist die Hauptsache in dem Gleichnis, das ist die Hauptsache in der ganzen Bibel, das ist die Hauptsache überhaupt.

Diese Gnade will nun ergriffen sein, sie will geglaubt werden. Zum Frieden gehören immer zwei, und so kann es auch nur dann Frieden zwischen Gott und Mensch geben, wenn der Mensch Gottes wunderbares Friedens­angebot nicht ausschlägt. Ob ein Mensch es annimmt oder ausschlägt, das zeigt sich an seinem Verhalten. Davon handelt der zweite Teil des Gleich­nisses. Er zeigt es am Beispiel des Ausschlagens – allen Menschen zur Mahnung und Warnung. Der von allen Forderungen befreite Knecht beziehungs­weise König wendet sich wieder den Regierungs­geschäften in seinem Volk zu. Da findet er jemanden, der ihm hundert Denare beziehungs­weise Silber­groschen schuldet – umgerechnet ein paar tausend Euro. Der Schuldner hat das Geld nicht und fleht den König ebenso um Aufschub an, wie dieser selbst eben noch den mächtigen Herrscher anflehte. Hätte nun der König den riesigen Schulden­erlass innerlich angenommen und zu würdigen gewusst, dann würde er jetzt selbst großzügig sein. Er müsste doch eigentlich erkannt haben: Schulden erlassen bringt Frieden und Segen. Bei so einem lächerlichen Peanuts-Betrag würde ihm der Verzicht auf Rückzahlung auch gar nicht weh tun; auf ein paar tausend Euro mehr oder weniger im Geldbeutel kommt es für ihn nicht an. Aber er hat nichts verstanden von der Barmherzig­keit des mächtigen Herrschers und vom Frieden und vom Segen, der auf dem Erlass un­erfüllbarer Rück­forderungen liegt. Die Konsequenzen sind hart: Der mächtige Herrscher besteht nun doch wieder auf Rückzahlung der vollen Schuldsumme.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, diesen zweiten Teil des Gleichnisses hat Jesus, wie gesagt, uns zur Mahnung und Warnung erzählt. Wenn wir Gottes Vergebung im Glauben annehmen, dann haben wir diese Mahnung und Warnung eigentlich nicht nötig. Denn dann wissen wir ja, wie wohl es tut, Schulden erlassen zu bekommen. Dann beten wir und meinen es auch so: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schul­digern.“ Und dann bestehen wir nicht kleinlich darauf, dass andere Menschen uns all das erstatten, was sie bei uns kaputt gemacht haben oder was sie uns schuldig sind. Das gilt auch und besonders für den seelischen Bereich: Ein verletzendes Wort, eine unterlassene Hilfe, ein versäumtes Versprechen – all das werden wir unseren Mitmenschen nicht nachtragen, sondern gern verzeihen. Wir wissen ja, dass das dem Frieden dient und dass großer Segen darauf liegt. Wenn wir so handeln, werden wir in guter Gemeinschaft mit unseren Mitmenschen leben – so wie wir unsererseits durch Jesus und die Vergebung der Sünden gute Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater gefunden haben. Ja, selbst wenn ein Mitmensch wiederholt an uns schuldig werden sollte, werden wir ihm geduldig immer wieder vergeben.

„Wie oft?“, fragte Simon Petrus den Herrn. „Wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es siebenmal?“ Nein, antwortete Jesus, das genügt nicht. Grenzenlos soll deine Geduld und deine Liebe sein, so grenzenlos, wie du deinerseits sie von deinem Gott erfahren hast. Und dann erzählte Jesus sein Gleichnis. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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