Vorbildlicher Glaube

Predigt über Matthäus 17,14-23 zum Sonntag Estomihi

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wie stehts mit eurem Glauben? Ist er Senfkorn-groß, oder kleiner, oder größer? Ähnelt er vielleicht dem Glauben des ver­zweifelten Mannes aus unserer biblischen Geschichte? Der Evangelist Markus hat uns überliefert, dass dieser Mann stark zweifelte und seinen Glauben sogar „Unglauben“ nannte; dennoch half Jesus ihm (Markus 9,24). Oder ähnelt unser Glaube dem Glauben der Jünger? Von den Jüngern ist überliefert, dass sie sich genug Glaubens­kraft zutrauten, um den Sohn des Mannes zu heilen; dennoch schimpfte Jesus sie aus wegen ihres „Klein­glaubens“ beziehungs­weise Unglaubens. Wir sehen: Man kann sich leicht täuschen über seinen Glauben, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Den Leuten, die wir für Glaubens-Profis halten, bescheinigte Jesus ihren Unglauben; der Mann aber, der sich selbst für ungläubig hielt, wird uns in dieser Geschichte zu einem Vorbild des Glaubens.

Lasst uns deshalb am Vorbild dieses Mannes unseren eigenen Glauben prüfen!

Jesus war mit drei Jüngern mal eben weg gewesen. Ausgerechnet da kam der verzweifelte Mann zu den übrigen neun Jüngern und bat um Hilfe. Sein Problem: Er hatte einen behinderten Sohn. Wir erfahren, dass er „mond­süchtig“ war. Damit ist ein Gebrechen gemeint, das wir heute als Epilepsie bezeichnen. Weil die Anfälle periodenhaft auftraten wie die Phasen des Mondes, nannte man Epileptiker „mond­süchtig“. Nicht nur die Anfälle selbst waren schrecklich, sondern auch ihre Folgen: Sie führten immer wieder zu Verletzungen und brachten den jungen Mann in Lebens­gefahr, zum Beispiel wenn er in ein Kochfeuer fiel oder in ein tiefes Gewässer. Die Jünger versuchten, den Epileptiker zu heilen, aber sie hatten keinen Erfolg. Nun hätte der Mann sich enttäuscht abwenden und sagen können: Die Jesus-Leute können auch nicht helfen. So machen es ja viele Menschen heute noch: Wenn sie irgendein Problem haben und die Kirchenleute ihnen nicht helfen können, wenden sie sich enttäuscht von der Kirche ab. Schnell haben sie sich ihr Urteil gebildet, dass wohl alles nur leeres Gerede sei. Nicht so der Mann in unserer Geschichte. Er blieb beharrlich. Er blieb da – so lange, bis Jesus selbst erschien. Wir lernen als erstes von ihm: Vorbild­licher Glaube lässt sich nicht entmutigen, sondern hat Geduld.

Nach einer Weile kam Jesus zurück. Da erkannte der Vater des kranken Jungen: Jetzt ist die Gelegenheit da, Jesus persönlich um Hilfe zu bitten; ich will sie nutzen. Beherzt trat er auf ihn zu und „fiel ihm zu Füßen“, so heißt es. Jawohl, er machte sich ganz klein, er wurde ganz demütig, so wie man sich damals vor einem großen König klein zu machen und demütig zu sein pflegte. Der Mann begegnete Jesus mit dem gebührenden Respekt. Er sagte nicht einfach: Hey, Jesus, kannst du mal meinen Sohn gesund machen?, sondern er kniete vor ihm nieder. Und auch seine Worte wählte er so, wie man sie damals vor einem mächtigen König wählte: „Herr, erbarme dich über meinen Sohn!“ So machen wir es ja auch heute mit Jesus; das prägt unsere Art, Gottesdienst zu feiern. Was Luther in der Bibel mit „Herr, erbarme dich“ übersetzt hat, heißt im griechischen Urtext „Kyrie eleison“. So singen oder sprechen wir es auch jeden Sonntag in der Liturgie: „Kyrie eleison! Herr, erbarme dich! Christe eleison! Christe, erbarme dich! Kyrie eleison! Herr, erbarm dich über uns!“ Obwohl wir dabei stehen, machen wir uns doch wenigestens innerlich ganz klein und demütig vor ihm. Wir wissen: Jesus ist ein großer Herr und mächtiger König, wir aber sind arme Sünder. Wir wissen: Wir haben es nicht verdient, dass er uns anhört und hilft. In der Beichte und beim Heiligen Abendmahl beugen wir dann wirklich unsere Knie vor ihm, und falls jemand körperlich nicht dazu in der Lage ist, tut er es wenigstens im Geist. Wir sagen nicht: Hey, Jesus, kannst du mir mal meine Sünden vergeben? oder: Hey, Jesus, komm doch eben mal mit deinem Leib und Blut zu mir, damit ich selig werde! Demütig wie der Mann in der Geschichte kommen wir mit unseren Anliegen zu Jesus; wenigstens sollten wir das tun. Wir sollten also zweitens vom Vater im Bibelwort lernen: Vorbild­licher Glaube ist demütig und bittet Jesus so respektvoll, wie man einen großen König bittet.

Jesus erwartete noch etwas mehr Geduld von dem Mann. Zunächst schimpfte er mit seinen Jüngern und sagte: „O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein?“ Er war enttäuscht, dass seine Jünger noch so wenig Vertrauen hatten, obwohl sie schon lange mit ihm zusammen waren. Das gibt es auch heute noch: Da sind Menschen von frühester Kindheit an Christen, da haben sie sich immer zur Kirche gehalten und unzählige Predigten gehört, und doch scheint es, als hätten sie das Wichtigste vom Glauben immer noch nicht begriffen. Damit will ich natürlich nicht behaupten, dass Gottes­dienst­besuch und Predigthören für den Glauben schädlich ist; im Gegenteil: Der Heilige Geist will ja gerade durch Gottes Wort und Sakrament zu uns kommen und in uns Glauben schaffen; anders geht es nicht. Aber es kommt eben leider vor, dass diese Gnadenmittel an manchen Leuten abperlen, wie Wasser an der Ente abperlt. Sie lassen die frohe Botschaft und Gottes Liebe einfach nicht an sich heran. Die Augsburger Konfession, die bedeutendste lutherische Bekenntnis­schrift, spricht darüber ganz offen. Im vierten bis siebten Artikel zeigt sie, dass der Glaube aus dem Gotteswort und aus den Sakramenten kommt, wie sie in der Kirche im Gebrauch sind. Trotzdem, so heißt es dann im achten Artikel, befinden sich unter den Gottes­dienst­besuchern auch „Böse und Heuchler“, also solche, die keinen rechten Glauben und darum auch keine Vergebung haben. So lernen wir drittens aus dieser Geschichte: Vorbild­licher Glaube sucht nicht nur die Nähe Jesu, sondern ist dabei auch offen für seine Worte.

Nach Jesu Standpauke an die Jünger empfing der Vater des Epileptikers endlich, was er erhofft und erfleht hatte: Jesus heilte seinen Sohn. Und dann knöpfte sich Jesus seine Jünger noch einmal vor und hielt ihnen eine sehr ernste Predigt über den Glauben. Was er ihnen da sagte, ist eine ziemliche Zumutung – auch heute noch für uns. Seine Predigt gipfelte in der Behauptung: „Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben, und euch wird nichts unmöglich sein.“ Wie ist das zu verstehen? Und wer könnte dann von sich behaupten, dass sein Glaube auch nur Senfkorn-groß ist? Wer die Bibel kennt, der weiß: Das Senfkorn steht für Winzigkeit schlechthin. Mit dem Senfkorn-großen Glauben meinte Jesus also nicht einen Glauben mit bestimmter Mindest­größe, sondern einen winzig kleinen Glauben. Es ist eben der Glaube, den wir am Vorbild des ver­zweifelten Vaters erkennen können: Ein Glaube, der in Zweifeln zu ersticken droht und trotzdem Jesus um Hilfe bittet. Und genau darauf kommt es an: Nicht auf die Größe des Glaubens, sondern darum, dass er Jesus um Hilfe bittet. Jesus ist der Sohn des allmächtigen Gottes; wer ihn um Hilfe bittet, der findet Hilfe beim allmächtigen Gott. Für den Allmächtigen ist es eine Kleinigkeit, mal eben einen Berg zu versetzen, und er würde das auch wirklich tun, wenn er uns damit helfen könnte. Aber Berge-Versetzen hilft uns nicht, das wissen wir. Etwas anderes hilft uns, ein viel größeres Wunder mit ungeheuren Auswirkungen für die ganze Menschheit: das Leiden und Sterben des Gottessohnes für unsere Schuld und seine Auferstehung von den Toten. Darauf hat Jesus im Anschluss hingewiesen mit seiner Leidensankündigung, und er hat es wiederholt getan. Wenn wir unsere Schuld nicht leugnen und wenn wir darauf vertrauen, dass Jesus für uns gestorben und auferstanden ist, dann finden wir zum rechten christlichen Glauben. Dann verstehen wir: Wahrer Glaube muss erst an sich selbst und an allen menschlichen Möglich­keiten verzweifeln, muss sich als Senfkorn-groß (besser: Senfkorn-klein) erkennen, und dann muss er Hilfe bei dem suchen, der für uns gestorben und auferstanden ist. Das ist das vierte und Ent­scheidende, das wir aus dieser Geschichte über vorbild­lichen Glauben lernen können.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich sage es noch einmal: Lasst uns anhand dieses Gotteswortes unsern Glauben prüfen und so glauben lernen, wie der Herr selbst uns am Beispiel des Mannes lehrt. Erstens: Vorbild­licher Glaube lässt sich nicht entmutigen, sondern hat Geduld. Zweitens: Vorbild­licher Glaube ist demütig und bittet Jesus respektvoll, so wie man einen großen König bittet. Drittens: Vorbild­licher Glaube sucht nicht nur die Nähe Jesu, sondern ist dabei auch offen für seine Worte. Und viertens: Wahrer Glaube muss erst an sich selbst und an allen menschlichen Möglich­keiten verzweifeln, muss sich als Senfkorn-klein erkennen, und dann muss er Hilfe bei dem suchen, der für uns gestorben und auferstanden ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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