Der Gott der Gegensätze

Predigt über Matthäus 16,20 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es ist erstaunlich, dass Jesus seinen Jüngern dieses Gebot gegeben hat: „Ihr sollt niemandem sagen, dass ich der Christus bin!“ Nur ein paar Monate später hat er seinen Jüngern das Gegenteil davon geboten: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!“ (Markus 16,15) Dieser Gegensatz, dieser scheinbare Widerspruch irritiert viele Christen. Wir fragen: Was hat das zu bedeuten?

Ich möchte diese Frage nicht sofort beantworten, sondern ich komme später darauf zurück. Ich stelle zunächst einfach fest: Die Bibel mutet uns solche Gegensätze zu – nicht nur in diesem einen Fall, sondern in vielen Fällen. Wenn man genauer hinschaut, dann kommt man zu der Einsicht: Gott ist überhaupt ein Gott der Gegensätze.

Auch die Namen „Jesus“ und „Christus“ bezeichnen eigentlich Gegensätze. Jesus von Nazareth war ein ar­mer Mann, ein Kind einfacher Leute. Als er als Wander­prediger mit seinen Jüngern im Land umherzog, lebte er zeitweise wie ein Obdachloser. Der Titel „Christus“ steht Im Gegensatz zu diesem niedrigen Lebens­standard, denn er ist eigentlich ein Königstitel. Der Christus, den die Propheten des Alten Testaments ankündigten, überragt zudem alle anderen Könige und Herrscher. Die Jünger bekannten nun von dem armen Jesus aus Nazareth, dass er der Christus ist, eben dieser König aller Könige, der in Ewigkeit herrscht. Simon Petrus sagte einmal: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ (Matth. 16,16), und daraufhin gebot Jesus den Jüngern, das niemandem zu sagen. Der arme Wander­prediger ein reicher König, Jesus von Nazareth der Christus – er selbst wollte damals, dass dieser Gegensatz ein Geheimnis bleibt. Man nennt es das Messias-Geheimnis.

Denselben Gegensatz bezeichnen Krippe und Stern. Die Krippe war das Notbett des Jesuskindes in der Not­unterkunft von Bethlehem, denn Maria und und Josef „hatten sonst keinen Raum in der Herberge“. Die Krippe ist ein Zeichen der Niedrigkeit, in die sich Gottes Sohn hinein­begeben hat. Weihnachten ist das Fest seiner Er­niedrigung: Er kam herab von seinem Himmelssaal und wurde in jeder Beziehung ein Mensch. Aber hoch über Bethlehem leuchtete der Weihnachts­stern und führte die Weisen zu diesem Kind. Hoch am Himmel erschien dieser Stern als göttliches Zeichen. Wahr­scheinlich war es ein optisches Zusammen­treffen der beiden Planeten Jupiter und Saturn, die nach babyloni­scher Deutung die Königswürde und das Volk der Juden symboli­sierten. Die Weisen hoben ihre Blicke auf in den Himmel, entdeckten diesen Stern, deuteten ihn richtig und machten sich auf, um den neugeborenen König der Juden zu finden. Auch diesen Weisen mutete Gott einen Gegensatz zu: Um den König dann auch wirklich zu finden, mussten sie den Blick vom Himmel wenden und hinab auf das Lager des Jesuskindes senken; sie mussten sich klein machen und niederknien. „Epiphanias“ nennen wir das heutige Fest, auf Deutsch „Er­scheinung“: Der Weihnachts­stern erschien am Himmel und zeigte an, dass mit Jesus Gottes Herrlichkeit auf die Erde gekommen ist. Wer Gott im Himmel bei den Sternen sucht, dessen Blick wird seit Weihnachten nach unten auf die Erde gelenkt. Und wer hinunter­schaut in die Krippe hinein, dem erscheint Gottes Herrlich­keit. So offenbaren uns Krippe und Stern, Weihnachten und Epiphanis unsern Herrn als Gott der Gegensätze.

Wie Jesu Erdenleben mit Gegensätzen begann, so endete es auch. Es ist der Gegensatz des Gekreuzigten und des Auf­erstandenen. Am Kreuz erreichte Jesus die tiefste Stufe seiner Er­niedrigung: Er wurde verurteilt, verspottet, gefoltert und getötet. Alle menschlichen Hoffnungen auf einen starken König der Juden mussten da begraben werden. Aber gerade so wurde es Ostern – nicht nur für den Gottessohn selbst, sondern auch für alle, die zu ihm gehören. Christus wurde wieder erhöht: Er erstand siegreich aus dem Grab und trat seine himmlische Herrschaft an, die er noch heute innehat und ewig innehaben wird. Der hilflos Gekreuzigte ist zum Helfer der Menschheit geworden und der weggeworfene Baustein zum Eckstein. Der Gestorbene dringt zum neuen Leben durch und bringt auch uns das ewige Leben. Der Gegensatz von Erniedrigtem und Erhöhtem, Gekreuzigtem und Auf­erstadenen zeigt das wahre Gesicht unseres Gottes, seine wahre Liebe zu uns und sein wunderbares Evangelium. Wir können Gottes Liebe nur verstehen, wenn wir Gott in diesen Gegensätzen annehmen.

Diese Gegen­sätzlichkeit finden wir auch in der Christen­heit. Es ist der Gegensatz zwischen der äußeren Schwachheit der christlichen Gemeinde einerseits und der Stärke von Gottes Wort und Geist anderer­seits. Über die äußere Armselig­keit der Kirche brauche ich nicht viel zu sagen, sie ist mit Händen greifbar, auch der von früher erhaltene Glanz prächtiger Kirchbauten kann darüber nicht hinweg­täuschen. Aber das Evangelium von Jesus Christus hat immer noch Kraft, der Heilige Geist ist immer noch am Werk. Es mögen nicht viele sein, die durch dieses Wort zum Glauben finden und mit diesem Glauben selig werden, aber das Wunder geschieht immer noch Tag für Tag auf der ganzen Welt.

Auch die Art und Weise, wie Gottes Wort wirkt, ist vom Gegensatz geprägt. Nehmen wir zum Beispiel das Sakrament des Altars: Da zeigt sich der Gegensatz von Brot und Wein einerseits und Leib und Blut Christi anderer­seits. Äußerlich betrachtet nehmen wir beim Abendmahl nur eine kleine Brothostie zu uns und trinken einen Schluck Wein, so wie die Weisen damals äußerlich nur Jesus als Säugling in ärmlichen Verhält­nissen vorfanden. In Wahrheit aber macht Gottes Wort aus diesen bescheidenen Elementen das Kostbarste, was wir auf Erden bekommen können: den Leib und das Blut unseres Herrn, durch die wir Vergebung der Sünden und ewiges Leben empfangen – so wie die Weisen damals in Wahrheit den Christus vorfanden, den König nicht nur der Juden, sondern den König aller Könige, den verheißenen Erlöser, dem auch die Sterne als Botschafter zu Diensten stehen.

Ja, Gott ist ein Gott der Gegensätze, das zeigt sich an seinem eingeborenen Sohn. Und gerade diese Gegensätze sind es, die aus uns neue Menschen machen: Sie machen aus Sündern Heilige, aus Kranken Geheilte, aus Sterblichen Ewig Lebende. Wunderbar hat Martin Luther diese Gegensätze in seinem Weihnachts­lied „Gelobet seist du, Jesus Christ“ zum Ausdruck gebracht: den Gegensatz von göttlich und menschlich („Des ewgen Vaters einig Kind / jetzt man in der Krippe findt“), den Gegensatz von groß und klein („Den aller Welt Kreis nie beschloss, / der liegt in Marien Schoß“), den Gegensatz von Licht und Finsternis („Das ewig Licht, es leucht wohl mitten in der Nacht“), den Gegensatz von Erde und Himmel („Er führt uns aus dem Jammertal, / er macht uns Erben in seinem Saal“), den Gegensatz von arm und reich („Er ist auf Erden kommen arm, / dass er unser sich erbarm / und in dem Himmel mache reich / und seinen lieben Engeln gleich“).

Zum Schluss will ich auf den eingangs benannten Gegensatz der beiden Gebote Jesu zurück­kommen. Von dem einen Gebot heißt es: „Da gebot er seinen Jüngern, niemandem zu sagen, dass er der Christus sei.“ Das Wörtchen „da“ verdient in diesem Zusammenhang besondere Beachtung. „Da“ heißt soviel wie „damals“, „zu dieser Zeit“, nämlich als der Tod und die Auferstehung Jesu noch bevor­standen. Aus dieser Zeit sind uns ähnliche Gebote des Herrn mehrfach überliefert, und einmal hat er eine Befristung angefügt: „…bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“ (Matth. 17,9). Das andere Gebot aber („Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur!“) hat Jesus den Jüngern erst nach seiner Auferstehung gegeben. Wenn wir das bedenken, löst sich der merkwürdige Widerspruch auf, und der Gegensatz der beiden Gebote fügt sich wunderbar in das Bild unsers Gottes, dem es gefallen hat, sich uns in Gegensätzen zu offenbaren: Erst der Gekreuzigte und Auf­erstandene wollte als der Christus bezeugt werden, als der König aller Könige, als der ewige Gott. Denn nicht als Weisheits­lehrer hat er uns seine ganze Herrlichkeit gezeigt und auch nicht als Wunder­heiler, sondern als Gekreuzigter und Auf­erstandener. Nur in dieser Gegen­sätzlich­keit von Niedrigkeit und Hoheit, von Armut und Reichtum, von Schwachheit und Stärke, von Tod und Leben ist er unser Heiland geworden. Nicht anders sollen wir ihn vor der Welt bezeugen, und so wollen wir ihn auch ewig loben und anbeten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2016.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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