Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Letzte Woche erzählte mir jemand eine Kirchensteuer-Geschichte aus DDR-Zeiten. Die evangelische Kirche durfte damals ihre Steuern nicht über das staatliche Finanzamt erheben, wie sie es heute tut. Darum schickten die einzelnen Kirchengemeinden Kassierer herum, die bei den Gemeindegliedern die Kirchensteuer gegen Quittung in Empfang nahmen. Und nun die Geschichte: Ein Kirchensteuer-Kassierer kommt zu einem Mann, der schon länger nichts mehr gezahlt hat. Der Kirchensteuer-Kassierer fordert eine hohe Summe, nämlich eine Nachzahlung für zehn Jahre. Das Kirchglied weigert sich und ist über dieses Ansinnen so erbost, dass es beschließt, künftig kein Kirchglied mehr zu sein: Der Mann tritt aus der evangelischen Kirche aus.
Diese Geschichte ähnelt der Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium, die wir eben gehört haben. Das heißt: Der Anfang der Geschichte ist so ähnlich, das Ende jedoch ist ganz anders. Auch zu Jesu Zeiten waren staatliche und kirchliche Steuern zwei verschiedene und voneinander getrennte Dinge, genauso wie in der DDR. Die römische Besatzungsmacht trieb Steuern für den Kaiser ein, und Kassierer der örtlichen Synagogen-Gemeinden baten die Ortsbewohner zur Kasse für die Kirchensteuer, den sogenannten Tempelgroschen. Jeder jüdische Mann über 20 sollte jährlich zwei Drachmen an den Jerusalemer Tempel abführen. Jesus und Petrus hatten ihren Wohnsitz in Kapernaum, waren aber meistens irgendwo anders unterwegs. Als sie mal wieder in ihren Heimatort kamen, wendeten sich die Tempelgroschen-Kassierer an Petrus und fragten ihn, besonders im Blick auf seinen Meister, nach der fälligen Abgabe. Offenbar hatten beide für das laufende Jahr noch nichts gezahlt. Nun geht die Geschichte allerdings anders weiter als die eingangs erzählte: Petrus wurde nicht wütend und trat auch nicht aus der jüdischen Gemeinde aus, sondern erklärte, dass sie ihre Kirchensteuern normalerweise zahlen würden. Das Problem war nur: Jesus und seine Jünger waren pleite. Das kam offenbar öfters vor; jedenfalls reichten ihre Geldmittel zuweilen nicht einmal für das Nötigste zum Leben. Zu Hause besprach Petrus die Tempelgroschen-Angelegenheit mit Jesus. Zuerst stellte Jesus klar, dass er grundsätzlich nicht kirchensteuerpflichtig ist, ebensowenig wie seine Jünger. Er sagte: „Die Kinder sind frei.“ Es war zu damaliger Zeit selbstverständlich, dass Landesherren von ihren eigenen Familienangehörigen keine Steuern erhoben. Nun war der Tempel in Jerusalem ja das Haus Gottes, des wahren Vaters von Jesus, und wer zu Jesus kam, der wurde auch ein Kind Gottes. Gotteskinder, sagte Jesus, sind nicht verpflichtet, ihrem himmlischen Vater Tempelsteuern zu zahlen. Und nun? Verweigerten Jesus und Petrus nun unter lautem Protest die fälligen Kirchensteuern? Traten sie nun wütend aus der Synagogen-Gemeinde aus? Keineswegs! Jesus wollte freiwillig trotzdem den geforderten Betrag zahlen, zwei Drachmen für sich selbst und zwei für Petrus, also insgesamt vier Drachmen. Er begründete: „Damit wir ihnen keinen Anstoß geben…“ Aber sie waren ja pleite. Kann denn Jesus überhaupt pleite sein, der Mensch gewordene Gottessohn? Ihm gehört doch die ganze Welt! Ja und nein. Freiwillig hatte der Herr sich erniedrigt und war ein armer Wanderprediger geworden; als solcher war er tatsächlich pleite. Aber doch zeigte er auch immer wieder etwas von seiner göttlichen Herrlichkeit. So auch in diesem Fall: Er zeigte, dass er Herr über alle Länder und Meere ist. Er zeigte, dass er jeden Fisch im See Genezareth kennt und alles, was sich im Maul eines Fisches befindet. So ließ er den Fischer Simon Petrus wieder einmal am heimischen Gewässer angeln und fügte es so, dass der Jünger einen Fisch mit einem Vier-Drachmen-Stück im Maul fängt. Damit konnten die fälligen Kirchensteuern für beide bezahlt werden.
Liebe Brüder und Schwestern, in unserer Gemeindeordnung steht der Satz: „Die Glieder der Gemeinde sind nach Gottes Wort verpflichtet, zur Erfüllung der kirchlichen und gemeindlichen Aufgaben mit Beiträgen, Spenden und Kollekten freiwillig und in angemessener Höhe beizutragen.“ Wie denn: verpflichtet? und freiwillig? Die Tempelsteuer-Geschichte hilft uns, den Satz richtig zu verstehen. Im Wort „freiwillig“ steckt die Freiheit der Gotteskinder, der Brüder und Schwestern von Jesus Christus: Wir brauchen Gott keine Steuern und Abgaben zu zahlen, denn wir gehören ja zu seiner Familie. Das Evangelium sagt ausdrücklich, dass wir Gottes Heilsgüter gratis, das heißt aus Gnade und ohne Gegenleistung, in Empfang nehmen dürfen. Weder Taufe noch Abendmahl, weder den Zuspruch der Sündenvergebung noch den erteilten Segen brauchen wir zu bezahlen. Gottes Gaben sind für uns, seine Kinder, grundsätzlich frei, umsonst, gratis. Damit dies ganz deutlich wird, verzichtet unsere Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche darauf, Kirchensteuern über die Finanzämter einzuziehen. Wir schicken auch keine Kassierer herum, die Nachzahlungen einfordern, weder für zehn Jahre noch für ein Jahr. Wir erinnern jedoch daran, dass das Werk der Evangeliumsverkündigung stark eingeschränkt würde, wenn dafür keine finanziellen Mittel mehr zu Verfügung stünden. Zwar könnten sich die Gemeinden dann in Privathäusern oder im Freien zum Gottesdienst versammeln, aber wir hätten dann keine gut ausgebildeten Pastoren mehr, die sich vollzeitlich für den Verkündigungsdienst einsetzen können. Und auch unsere schönen Kirchgebäude müssten wir dann aufgeben. Jedes Gotteskind sollte daher freiwillig die Hand öffnen und sagen: Ich will nach Kräften meinen Beitrag dafür leisten, dass meine Gemeinde und die Kirche des Herrn Jesus Christus ihre Aufgaben ungehindert weiter erfüllen kann. Wer den Herrn und seine Kirche auch nur ein bisschen lieb hat, der wird so denken und entsprechend handeln. Das geht natürlich nur, wenn er etwas besitzt; wenn er pleite ist und auch keinen Fisch mit Geld im Maul fängt, kann er nichts geben, und er braucht es ja auch nicht. Wenn aber einer, der etwas hat, davon einen Kirchenbeitrag leistet, ist und bleibt seine Gabe grundsätzlich freiwillig; die Liebe jedoch verpflichtet ihn innerlich dazu, sie zu geben. Freiwilligkeit und Verpflichtung sind dabei kein Gegensatz. Die verpflichtende Liebe erweist sich nicht zuletzt auch als Liebe zu den Mitchristen, die teilweise große finanzielle Opfer für die Kirche bringen. Unsere kleine Gemeinde ist darauf angewiesen, dass Christen in anderen Gemeinden über die Allgemeine Kirchenkasse mithelfen, die hiesige Pfarrstelle zu finanzieren. Wer wollte sie verärgern und sagen: Zahlt ihr nur schön für uns; wir machen von unserer christlichen Freiheit Gebrauch und geben nichts, oder nur ganz wenig. Nein, auch hier verpflichtet uns die Liebe, ihnen keinen Anstoß zu geben, sondern nach Kräften selbst einen angemessenen Gemeindebeitrag zu entrichten. Es ist so wie damals bei Jesus, der freiwillig seine Tempelsteuer bezahlte, „damit“, wie er sagte, „wir ihnen keinen Anstoß geben.“ Wenn wir solche Dankopfer bringen, sowohl freiwillig als auch durch die Liebe innerlich verpflichtet, dann werden wir merken, dass Gott solch fröhliches Geben segnet. Amen.
PREDIGTKASTEN |