Doppelt wertvoll

Predigt über Matthäus 13,45‑46 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die wertvollste Münze der Welt ist der sogenannte „Double Eagle“ von 1933, eine ameri­kanische Zwanzig-Dollar-Goldmünze. Auf der ganzen Welt gibt es nur noch ein einziges Exemplar davon, und das wurde 2002 zum Preis von mehr als sieben­einhalb Millionen Dollar ver­steigert. Sieben­einhalb Millionen Dollar für eine einzige Münze! Das muss ein reicher Mann sein, der sie ersteigert hat, und er muss sie unbedingt gewollt haben.

Darin gleicht dieser Mann dem Kaufmann aus Jesu Gleichnis. Wir dürfen uns nicht einen Kaufmann vorstellen, der einen Tante-Emma-Laden an der Ecke betreibt. Vielmehr sprach Jesus von einem Groß­händler, einem Unter­nehmer, einem Wirtschafts­kapitän. Heute würde er für seine Geschäfte mit einem Privatjet zwischen den Metropolen der Welt unterwegs sein und stets makellos gekleidet auftreten. Dieser reiche Händler hat nun auch ein teures Hobby, oder sagen wir lieber: eine Leiden­schaft. Er sammelt wertvolle Dinge - bei Jesus waren es Perlen, in der heutigen Zeit wären es vielleicht Goldmünzen. Sein unter­nehme­rischer Ehrgeiz ist bei seiner Sammel­leiden­schaft besonders ausgeprägt: Er möchte immer noch schönere und wertvollere Stücke besitzen. Da bietet sich eines Tages die einmalige Gelegen­heit, die kostbarste Perle beziehungs­weise die wertvollste Münze der Welt zu ersteigern. Es gibt nur dieses eine Exemplar, und das ist Millionen wert. Der Kaufmann will das Geldstück um jeden Preis haben. Er verkauft seinen Privatjet, er macht sein angelegtes Vermögen flüssig, er trennt sich sogar von seiner gesamten Münz­sammlung; er setzt alles daran, um dieses eine Stück zu kriegen. Und es gelingt ihm: Er bekommt den Zuschlag und besitzt nun die wertvollste Münze, die es gibt.

Dieses Gleichnis ist uns in Zusammen­hang mit anderen Gleich­nissen über­liefert, von denen Jesus einige erklärt hat, andere dagegen nicht. Das Gleichnis vom Kaufmann und der Perle hat er nicht erklärt; wir sollen uns also selbst überlegen, was es zu bedeuten hat. Viele Christen haben es im Lauf der Kirchen­geschichte ausgelegt, und wenn man von diesen Auslegungen liest, findet man erstaun­licher­weise zwei ganz ver­schiedene Deutungen.

Die erste Deutung geht so: Der Kaufmann ist der Mensch. Wie der Kaufmann nach wertvollen Perlen Ausschau hält, so ist der Mensch auf der Suche nach Leben, Lebenssinn und Gott. Hier haben wir übrigens einen charakte­ristischen Unterschied zum unmittelbar voran­gehenden Gleichnis, dem Gleichnis vom Schatz im Acker: Auch da findet jemand etwas überaus Wertvolles und gibt seinen ganzen Besitz dran, um es zu erwerben; aber während der Schatz im Acker unvermutet gefunden wird, also ohne dass der Arbeiter danach gesucht hätte, so wird die Perle vom Kaufmann nach ziel­strebigem Suchen gefunden. Die Perle ist das Himmel­reich, Gottes gütige Herrschaft und ewige Welt. Zu biblischen Zeiten galten Perlen als überaus wertvoll; sie waren noch wertvoller als heute. Schon im Alten Testament wird der Wert der Weisheit, nämlich der rechten Gottes­erkenntnis, mit dem Wert von Perlen verglichen. So heißt es zum Beispiel in den Sprüchen Salomos: „Weisheit ist besser als Perlen, und alles, was man wünschen mag, kann ihr nicht gleichen“ (Spr. 8,11). Wer klug ist, sucht den Sinn des Lebens bei Gott, und mit Jesus findet er ihn auch, denn Jesus hat ja verheißen: „Suchet, so werdet ihr finden.“ In dem einen Herrn Jesus Christus finden wir den einen Gott, sein Reich und das ewige Leben. Die eine überaus wertvolle Perle entspricht dem Einen, das man findet, wenn man auf Jesus und sein Evangelium hört. So hat es die Maria von Bethanien einst gemacht, und Jesus hat dann gesagt: „Eins ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ (Lukas 10,42) Martin Luther hat in seiner Auslegung des Gleich­nisses darauf hin­gewiesen, dass die Suche nach dieser einen Perle des Gottes­reichs nicht mit einem einmaligen Bekehrungs­erlebnis ab­geschlossen ist, sondern dass sie unser ganzes Erdenleben lang weitergeht. Hier sieht Luther den ent­scheidenden Unterschied zwischen dem Gleichnis mit dem Schatz im Acker und dem Gleichnis mit der Perle: Ein ungläubiger Mensch trifft unvermutet auf das Reich Gottes in Jesus Christus, so wie der Arbeiter unvermutet eine Schatzkiste im Ackerboden findet. Ein gläubiger Mensch dagegen sucht und forscht zielstrebig weiter in Gottes Wort, um in der Erkenntnis zuzunehmen und im Glauben zu reifen; darin gleicht er dem Kaufmann, der auf der Suche nach kostbaren Perlen ist und dabei die eine überaus wertvolle findet. Das steht im Einklang mit Jesu Aussagen über die Nachfolge, mit denen er deutlich machte, dass seine Jünger alles andere für das Reich Gottes drangeben. Er lehrte: „Jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,33).

Die andere Deutung des Gleich­nisses geht so: Der reiche und mächtige Kaufmann ist Gott. Immerhin fängt das Gleichnis ja an mit den Worten: „Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann, der gute Perlen suchte.“ Was sind das für Perlen? Was sucht Gott? Was oder wer ist wertvoll in seinen Augen? Das sind wir Menschen. Nicht, dass wir uns bei Gott besonders beliebt gemacht hätten, eher im Gegenteil. Trotzdem hat Gott alle Menschen lieb und sucht sie. Er sucht das Verlorene, das von ihm weggelaufen ist. Und dann findet Gott die eine besonders kostbare Perle, den einen Menschen, den er ganz besonders liebt. Wer ist das? Das bist du selbst, das kannst du ganz persönlich auf dich beziehen! Gerade dich sucht Gott, und gerade du bist für ihn über die Maßen wertvoll. So wertvoll, dass Gott alles dransetzt, um dich zu erwerben, um dich frei­zukaufen aus der Gewalt des Sklaven­händlers Satan. Das hat Gott ja auch wirklich getan - durch das teure Blut seines Sohnes Jesus Christus, vergossen am Kreuz. Ja, da hat Gott dich teuer erkauft, damit du sein Perlen­schatz wirst. Wenn wir das Gleichnis so deuten, dann ist es das reine und herrliche Evangelium, die frohe Botschaft von Christi Erlösungs­tat.

Ob Jesus wohl die erste Deutung gemeint hat, als er das Gleichnis von der Perle erzählte - die mit dem Menschen, der Gottes Reich sucht und findet? Vieles spricht dafür. Oder ob er die zweite Deutung gemeint hat - die mit Gott, der den Menschen sucht und ihn durch Jesus teuer erkauft hat? Oder ob er beide Deutungen gemeint hat? Ich weiß es nicht. Aber ich bin gewiss: Beide Deutungen entsprechen dem einen Evangelium, wie es uns in der ganzen Bibel bezeugt ist. Darum: Wenn wir uns beide Deutungen zu Herzen nehmen und uns damit unsern Glauben stärken lassen, dann ist dieses Gleichnis nicht nur einfach wertvoll für uns, sondern dann es ist doppelt wertvoll. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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