Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Viele Christen leben in der Diaspora. Damit ist die Situation gemeint, dass Gemeinden klein und weit verstreut sind. Diaspora heißt übersetzt „Zerstreuung“. In den Sonntagsgottesdiensten der Diaspora sitzt oft nur eine Handvoll Leute, und Diaspora-Pastoren müssen für den Dienst an ihrer verstreuten Herde weite Wege zurücklegen.
Eine Diaspora-Situation braucht uns nicht traurig zu machen. Wir kennen ja die tröstliche Verheißung unsers Herrn: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matth. 18,20). Wir wissen, dass der Segen von Gottes Wort und Sakrament nicht von der Zahl derer abhängt, die ihn gemeinsam empfangen. Wir fühlen uns geistlich verbunden mit den Millionen Christen, die an anderen Orten ihre Gottesdienste feiern. Wir glauben, dass unser manchmal recht schwacher Gesang sich mit dem herrlichen Chor unzähliger Engel mischt. Und wir freuen uns, wenn wir zu besonderen Gelegenheiten auch mal Gottesdienste zusammen mit vielen anderen Brüdern und Schwestern feiern können.
Besonders tröstlich ist aber die Verheißung, dass unser Herr bei seinem Wiederkommen jegliche Diaspora-Situation überwinden wird. Wir haben es ja gerade am Ende unseres Predigttextes gehört: „Er wird seine Engel senden mit hellen Posaunen, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum andern.“ Die Christenheit, die jetzt in alle Himmelsrichtungen zerstreut lebt, wird dann als eine einzige große Gemeinde vor Gottes Thron zusammenkommen.
Nun redet Jesus in unserem Predigttext aber auch davon, was vor dieser großen Sammlungsaktion geschehen wird bei seinem Wiederkommen. Am vergangenen Sonntag habe ich darüber gepredigt, dass sein Wiederkommen so klar und eindeutig sein wird wie ein Blitz am Nachthimmel. Das ist der Inhalt der beiden Verse, die dem heutigen Predigttext vorausgehen. Im heutigen Predigttext geht es nun um das Wie von Jesu Wiederkommen. Wir könnten natürlich sagen: „Das ist uns egal; da lassen wir uns mal überraschen.“ Aber Jesus wird sich etwas dabei gedacht haben, dass er seinen Jüngern Einzelheiten verraten hat; auch hat er dafür gesorgt, dass diese Worte in der Bibel für kommende Generationen festgehalten werden. Diese Einzelheiten sind keineswegs unwichtig oder bloße Ausschmückung. Wir wissen durch die Weissagungen der alttestamentlichen Propheten, wie wichtig Einzelheiten sein können: Micha hat zum Beispiel vorausgesagt, dass der Erlöser in Bethlehem geboren wird, und Sacharja hat vorausgesagt, dass er auf einem Esel nach Jerusalem reitet. Diese Einzelheiten geben uns Gewissheit, dass Gott seine Heilsgeschichte ganz nach Plan durchzieht. Und damit stärken diese Einzelheiten unser Vertrauen, dass Gott seinen Heilsplan auch ganz so vollenden wird, wie er es angekündigt hat – bis hin zu den Einzelheiten, wie Jesus am Jüngsten Tag wiederkommen wird.
Unser Predigttext lässt drei Phasen des Jüngsten Tages erkennen. Erste Phase: Am Himmel tut sich Ungewöhnliches. Zweite Phase: Jesus erscheint. Dritte Phase: Die Engel sammeln Gottes Auserwählte. Schauen wir uns diese Phasen im Einzelnen an!
Erste Phase: Am Himmel tut sich Ungewöhnliches. Jesus sagte: „Sogleich nach der Bedrängnis jener Zeit wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein verlieren, und die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.“ „Nach der Bedrängnis jener Zeit“, heißt es. Mit dieser Bedrängnis ist all das gemeint, was uns Christen seit den Erdentagen Jesu bekümmert. Es handelt sich um äußere Bedrängnis, um Christenverfolgungen, Kriege, Naturkatastrophen, Hungersnöte, Seuchen und Ähnliches. Es handelt sich um dieses unsägliche Wirrwarr von Schuld und Leid, unter dem wir Menschen bis heute leiden. Und es handelt sich auch um innere Bedrängnis. Es handelt sich darum, dass wir angesichts der äußeren Bedrängnisse an unserem Glauben zweifeln oder gar verzweifeln. Es handelt sich darum, dass der Teufel mit mancherlei List und Tücke uns unser Christenleben ausreden will, oder zumindest weismachen, dass wir es doch nicht so ernst nehmen sollen. All diese bekannten Bedrängnisse werden mit einem Schlag vergessen sein, wenn sich am Himmel Ungewöhnliches tun wird. Was das genau sein wird, weiß kein Mensch zu sagen. Auf alle Fälle werden Sonne und Mond ihre Leuchtkraft verlieren, und der gewohnte Sternhimmel wird sein Aussehen derart verändern, dass es den Astronomen die Sprache verschlagen wird. Wenn das geschieht, sollen wir wissen: Jetzt kommt der Jüngste Tag, jetzt kommt Jesus wieder.
Zweite Phase: Jesus erscheint. Er selbst hat es so vorausgesagt: „Dann wird erscheinen das Zeichen des Menschensohns am Himmel. Und dann werden wehklagen alle Geschlechter auf Erden und werden sehen den Menschensohn kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Oft hat Jesus von sich selbst in der dritten Person geredet und sich dabei „Menschensohn“ genannt. Er erinnerte seine Hörer damit an eine Vision, die der Prophet Daniel gehabt und aufgeschrieben hat. Im siebenten Kapitel des Buches Daniel steht: „Siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende.“ (Daniel 7,13-14) Daniel hat es vorausgesagt, und Jesus hat es bestätigt: Jesus wird bei seinem sichtbaren Wiederkommen am Himmel erscheinen. Eine Wolkendecke wird aufreißen, und alle werden ihn sehen. Es wird so sein wie Himmelfahrt rückwärts; wir erinnern uns daran, was Engel nach Jesu Himmelfahrt sagten: „Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostelgesch. 1,11). Dann wird unsere Erde schon nicht mehr die gewohnte Gestalt haben, die wir jetzt kennen, sondern dann wird unsere materielle Welt bereits völlig verändert sein, wie wir es uns überhaupt nicht vorstellen können. Anders ist es nicht möglich, dass alle Menschen an allen Stellen der Erdkugel Jesus gleichzeitig am Himmel erblicken. Insofern dürfen wir auch die Worte „Himmel“ und „Wolken“ und was dann noch folgt nicht physikalisch verstehen. Wir müssen uns vielmehr bewusst machen, dass Christus hier mit Worten und Bildern der uns vertrauten Welt etwas aussagt, was eigentlich keinerlei Ähnlichkeit mit vertrauten Dingen hat. Darum lässt Jesus auch offen, wie er denn genau aussehen wird bei seinem Wiederkommen. Er deutet nur an, dass er eindeutig erkennbar sein und mit wunderbarer Herrlichkeit wiederkommen wird. Er redet nämlich vom „Zeichen des Menschensohns am Himmel“ – damit ist kein Symbol gemeint wie etwa das Kreuzzeichen, sondern damit ist gemeint, dass er sich dann als der zeigen will, dem alle Macht im Himmel und Erden gegeben ist. Man könnte statt „Zeichen des Menschensohns“ auch „wunderbare Erscheinung des Menschensohns“ sagen.
Dritte Phase: Die Engel sammeln Gottes Auserwählte. Jesus sagte: „Und er wird seine Engel senden mit hellen Posaunen, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier Widen, von einem Ende des Himmesl bis zum andern.“ Wird also am Jüngsten Tag ein himmlischer Posaunenchor Musik machen? Nein, das ist hier nicht gemeint – so sehr uns diese Vorstellung auch behagen könnte, dass wir dann etwa festliche Bläserklänge aus Bachs Weihnachtsoratorium zu hören bekommen. Die Posaune war ursprünglich kein Musikinstrument, sondern vielmehr ein Signalinstrument, so wie heutzutage eine Sirene. Im Alten Israel wurde das Volk mit Posaunentönen zusammengerufen – etwa, um das Land bei feindliche Angriffen zu verteidigen oder um sich bei Festen zu versammeln. Genauso müssen wir die Posaunentöne der Engel am Jüngsten Tag verstehen: Gott sendet seine himmlischen Boten mit Signalinstrumenten aus, damit alle, die zu seinem Volk gehören, zum letzten und größten Fest zusammenkommen: dem himmlischen Hochzeitsfest, dem Fest der ewigen Seligkeit. Das wird dann das absolute Gegenteil von Diaspora sein. Da sind es dann nicht mehr zwei oder drei oder ein Dutzend, die sich in Jesu Namen versammeln, sondern da wird das Wirklichkeit werden, was Johannes vorausgeschaut und im Buch der Offenbarung vorausgesagt hat: „Ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die …. riefen mit großer Stimme: Das Heil ist ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm!“ (Offb. 7,9‑10). Eia, wärn wir da! Amen.
PREDIGTKASTEN |