Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Es hat fast etwas Zufälliges, dass gerade der 31. Oktober zum Gedenktag der Reformation geworden ist, der Tag von Luthers Thesenanschlag in Wittenberg. Ebensogut könnte man das Reformationsfest am 25. Juni feiern, nämlich an dem Tag, an dem das Augsburger Bekenntnis dem Reichtstag in Augsburg vorgetragen wurde. Oder auch am 18. April, als Martin Luther vor dem Reichstag in Worms standhaft seinen Glauben bekannte und mit den Worten schloss: „Gott helfe mir! Amen.“ Das geschah 1521. Wenn wir das Wort Jesu, das wir eben als Predigttext gehört haben, mit der Reformation in Verbindung bringen, dann passt es am besten zu Luthers mutigem Bekenntnis in Worms. Jesus sagte: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Darum möchte ich heute nicht vom Thesenanschlag sprechen, sondern von Luthers Reise nach Worms. Ich möchte dazu einiges aus einem Buch des früheren hannoverschen Landesbischofs Hans Lilje vorlesen. Dieses Buch heißt schlicht „Luther“. Im Kapitel „Worms“ steht:
„Wer am 16. April 1521 in Worms war, konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, daß etwas Bedeutsames in der Luft lag. Die Stadt, damas noch ein mittleres Städtchen von rund 7000 Einwohnern, war mit Besuchern überfüllt… Die öffentliche Aufmerksamkeit galt Martin Luther. Soweit es die damalige Nachrichtentechnik zuließ, hatte man den glorreichen Zug des Wittenberger Mönches durch die deutschen Lande verfolgt. Viele wußten, daß es ein langes diplomatisches Spiel um die Frage gegeben hatte, ob Luther überhaupt kommen sollte, um unmittelbar vor Kaiser und Reich zu erscheinen; wenige ahnten, mit welcher Zähigkeit Luthers kluger Kurfürst das persönliche Erscheinen Luthers verfochten und schließlich durchgesetzt hatte. Bis zur letzten Minute hatten die Päpstlichen alles getan, um das persönliche Auftreten des Wittenberger Augustiners in Worms zu hintertreiben, es hatte weder an unmißverständlichen Drohungen gefehlt, noch hatte das Volk das Schicksal des unglücklichen Jan Hus vergessen, der auf dem Konstanzer Konzil trotz eines kaiserlichen Geleitbriefs verbrannt worden war. Und als nun Martin Luther mit einer grandiosen Sicherheit sich allen diesen Erwägungen zum Trotz doch auf den Weg gemacht hatte, schlug ihm wegen dieses Glaubensmutes die helle Begeisterung des Volkes entgegen… Man wußte, dass er eine im letzten Augenblick an ihn ergangene Warnung von dem Hofprediger des eigenen Kurfürsten abgelehnt hatte: ‚Wenn noch so viele Teufel zu Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, ich wollte doch hinein… Ich weiß wohl, dass man's nicht gerne hört. Dennoch will ich die Wahrheit sagen und muß es tun, sollte es mir zwanzig Hälse kosten, auf daß mir der Spruch nicht gesprochen werde.‘“
„Luther ist zweimal vor den Reichstag getreten. In der niedrigen Hofstube der bischöflichen Residenz erschien er am späten Nachmittag des 17. April. Der Reichsmarschall Ulrich von Pappenheim und der Reichsherold Kaspar Sturm hatten ihn gegen 4 Uhr abgeholt und wegen des unvorstellbaren Gedränges in den Straßen auf verborgenen Wegen nach dem Bischofssitz geleitet, wo der Reichtstag tagte. Aber erst gegen 6 Uhr kam seine Angelegenheit zur Verhandlung und damit der Augenblick, da er wirklich und wörtlich vor ‚Kaiser und Reich‘ trat. Es ging aber sehr kurz und formalistisch bei dieser ersten Begegnung zu, und die Stunde selbst trug kaum ein historisch bedeutsames Gepräge… Die Vertreter der fremden Mächte, die wie viele der deutschen Fürsten den weltberühmten Wittenberger Augustinermönch hier zum ersten Male sahen und eine Sensation erwarteten, wurden enttäuscht. Der Offizial des Erzbischofs von Trier, Dr. Johann von der Ecken, war beauftragt, Luther die beiden Fragen vorzulegen, ob er sich als den Verfasser der vor ihm liegenden Bücher bekenne und ob er bereit sei, sie ganz oder teilweise zu widerrufen. Nach der Feststellung der Titel bejahte Luther die erste der beiden Fragen, im zweiten Falle bat er sich Bedenkzeit aus, die ihm nicht gut abgschlagen werden konnte. Nachdem ihm eröffnet war, daß er bereits am andern Tag zu antworten haben werde, und zwar frei, ohne Manuskript, wurde er auch schon wieder abgeführt. Da er – vermutlich auf den Rat des Kurfürsten von Sachsen und seiner Räte – sehr leise gesprochen hatte, um nicht unziemlich zu erscheinen, war es nicht verwunderlich, daß die ihm weniger Wohlgesonnenen ihn für eingeschüchtert hielten, und daß überhaupt die Feindseite, die durch sein unerschrockenes Kommen zuerst ‚wie vom Donner gerührt‘ gewesen war, rasch den Eindruck gewann, daß diese Sache leicht und mühelos erledigt werden würde.“
„Am andern Tage war, da das Gedränge immer mehr wuchs, der große Saal der bischöflichen Pfalz für die Verhandlungen gewählt worden, der aber so überfüllt war, daß selbst die Fürsten stehen mußten. Es war wieder gegen 6 Uhr, als man begann, und da es inzwischen schon dunkel geworden war, wurden die Fackeln angezündet. Wieder eröffnete Dr. Ecken das Verhör, und diesmal antwortete Luther ausführlich auf die zweite Frage des Vortages, ob er bereit sei, aus seinen Büchern zu widerrufen. Seine Rede war kurz, klar und mit kräftiger Stimme in deutscher Sprache vorgetragen; sie hat wohl kaum mehr als zehn Minuten ausgemacht. Auf Aufforderung wiederholte er die Rede sofort in lateinischer Sprache. Er bekannte sich zu seinen Büchern, die er in drei Gruppen einteilte: erbauliche Schriften, Bücher gegen das Papsttum, Streitschriften gegen einzelne. An dem Widerruf der ersten Gruppe könne niemandem gelegen sein. Aber auch seine Schriften gegen die Tyrannei des Papsttums, unter der gerade die ‚hochberühmte deutsche Nation‘ so schwer leide, könne er nicht zurücknehmen, und auch die dritte Gruppe nicht. Aber er bitte jedermann bei der Barmherzigkeit Gottes, ihn aus der Heiligen Schrift eines Besseren zu belehren, wo er sich im Irrtum befinde. Nur so könne auch der Zwietracht ernstlich gewehrt werden, die ihm hier vorgehalten sei. Denn man könne sie ja nicht so aus der Welt schaffen, daß man damit anfange, das Wort Gottes zu verdammen. Das würde ein schlechter Anfang für die Herrschaft des jungen Kaisers sein, auf den alle so große Hoffnungen setzten.“
„Da diese Rede nicht nur eine schroffe Ablehnung, sondern auch die Bereitwilligkeit, sich mit sachlichen, biblischen Gründen belehren zu lassen, enthielt, fanden sich die Fürsten, die sofort danach zu einer Sonderberatung zusammentraten, in einer schwierigen Lage. Sie konnten ein solches Anerbieten nicht einfach übergehen, aber noch weniger konnten sie sich auf eine Glaubensdisputation über solche Fragen einlassen, die nach der offiziellen Kirchenmeinung bereits widerlegt waren, und gerade der Kaiser war dazu nicht bereit. So ergab sich der Kompromißbeschluß, Luther noch einmal zu befragen, ob er zu einem Widerruf willig sei. Als Ecken diese Frage erneut im Plenum Luther vorlegte, gab er jene Antwort, die ihn und den Reichstag so berühmt gemacht hat; er sagte auf lateinisch: ‚Da Eure Majestät und Eure Herrlichkeiten eine schlichte Antwort von mir heischen, so will ich eine solche ohne alle Hörner und Zähne geben: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde – denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es am Tage ist, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben – , so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist.‘ Und dann fügte er mit der gleichen klaren und festen Stimme auf deutsch jenes Stoßgebet der Landsknechte hinzu, mit dem er oft seine Predigten zu schließen pflegte – wohl weil er sich der Tragweite seiner Ablehnung völlig bewusst war: ‚Gott helf mir! Amen.‘“
Soweit der Bericht von Hans Lilje über den 18. April 1521. Es ist auch überliefert, dass Luther in Zusammenhang mit den abschließenden Gebetsworten gesagt hat: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Aber die Worte „Gott helfe mir! Amen“ wiegen natürlich schwerer. Christus sagte: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Danach hat Luther gehandelt. Das meinte er auch mit dem Satz, den er zuvor geäußert hatte: „Ich will die Wahrheit sagen und muss es tun, sollte es mir zwanzig Hälse kosten, auf dass mir der Spruch nicht gesprochen werde“ – Gottes Urteilsspruch nämlich im Jüngsten Gericht. Luther ließ sich nicht von Menschenfurcht leiten, sondern von Gottesfurcht. Luther beherzigte Jesu ernste Mahnung: „Fürchtet euch nich vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.“ Luther wusste, dass ihn sein standhaftes Bekenntnis in Worms sehr leicht das Leben kosten konnte. Aber Gott hat ihm das Leben bewahrt – nicht nur sein leibliches Leben nach dem Reichstag, sondern vor allem das ewige Leben. Er hat die wunderbare und tröstliche Verheißung wahr gemacht, die Jesus mit seiner ernsten Mahnung verknüpfte: „Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.“
Und wie steht es mit uns, liebe Brüder und Schwestern in Christus? Das Christusbekenntnis ist für uns nicht gefährlich, schon gar nicht lebensgefährlich, es ist uns höchstens manchmal peinlich. Wieviel leichter sollte es uns da fallen, alle Menschen wissen zu lassen: Jesus Christus ist unser Erlöser und der Erlöser der ganzen Welt! Es gibt nur einen Weg zur Seligkeit, und der heißt Jesus! Die Bibel gibt verlässlich Zeugnis von Christus, sie ist Gottes untrügliches Wort! Nicht Menschenfurcht, sondern Gottesfurcht soll uns bei solchem Bekennen leiten. Ja, wir wollen uns zu Christus bekennen – so offen und unerschrocken, wie Martin Luther es einst in Worms tat. Vor jedermann wollen wir es tun – vor denen, mit denen wir diesen Glauben teilen; vor denen, die sich wie das damalige Papsttum in unbiblische Lehren verstrickt haben, und auch vor denen, die Christus überhaupt nicht kennen. Dieses Wort unsers Herrn sollte uns nicht loslassen, dieses Wort sollte uns keine Ruhe lassen: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |