Gesundes Augenlicht

Predigt über Matthäus 6,22‑23 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jesus sagte: „Das Auge ist das Licht des Leibes.“ Klar doch, sagen wir auf den ersten Blick. An den Augen kann man erkennen, was ein Mensch fühlt und wie es ihm geht. Mit den Augen kann einer fröhlich strahlen, zornig funkeln oder trübselig aus der Wäsche gucken. Das war schon von Anfang an so. Als zum Beispiel Kain merkte, dass Gott sein Opfer ablehnte, heißt es von ihm: „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.“ Gott aber stellte ihn zur Rede mit den Worten: „Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben“ (1. Mose 4,5.7). Die Augen zeigen an, wie es im Menschen aussieht, und sie können dabei kaum lügen. Manche Heil­praktiker beherrschen die Kunst der Augen­diagnose: Sie schauen dem Patienten tief in die Augen und können dann sagen, worunter er leidet. Ja, „das Auge ist das Licht des Leibes.“

So weit, so gut. Beim zweiten Blick auf unser Bibelwort wird die Sache allerdings schwie­riger. Das, was Jesus als nächstes sagte, passt nicht mehr zur Erkenntnis des ersten Blicks. Jesus sagte nämlich: „Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein.“ Da merken wir: Jesus redet hier gar nicht von dem, was das Auge nach außen hin ausstrahlt, sondern er redet von dem, was das Auge nach innen in den Menschen hinein­strahlt. Das Auge, sagt Jesus eigentlich, ist ein Licht für den Leib. Das Auge ist eine Lampe, oder besser, ein Fenster für den Menschen. Wenn dieses Fenster „lauter“ ist, also gut geputzt und klar, dann kann Licht von außen hinein­kommen und den Menschen erleuchten. Wenn das Augen­fenster aber schmutzig ist, trübe, mit Staub bedeckt und mit Spinnweben verhangen, dann dringt nicht viel Licht hindurch. Wer eine Star-Operation hinter sich hat, der kennt den Unter­schied: Wieviel heller und klarer sieht die Welt danach aus! Und wie erfreut es den ganzen Menschen, wenn man wieder gut sehen kann! Jesus hat so manchen Blinden geheilt und miterlebt, wie das den ganzen Menschen verändert: Aus einem hilflosen und betrübten Blinden wurde ein über­glücklicher Sehender.

Nun sind wir damit freilich immer noch nicht bei dem angelangt, was Jesus eigentlich sagen wollte. Es ging ihm nicht um Augen­diagnose und auch nicht um Augen­heilkunde, sondern es ging – und geht – ihm um die menschliche Seele. Auf den dritten Blick erkennen wir, dass Jesus letztlich nicht die wirklichen Augen und den Leib meinte, sondern die geistlichen Augen der Seele. Jesus hat hier also wieder mal ein Gleichnis erzählt. Worum es dabei geht, das war seinen Hörern damals freilich etwas klarer als uns heute. Die Rabbiner lehrten nämlich, dass die Seele des Menschen ein inneres Licht ist, eine Lampe, die den ganzen Menschen erleuchtet. Jesus knüpfte an diese Lehren an, als er am Ende des Gleich­nisses ausrief: „Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!“ Und der Apostel Paulus knüpfte daran an, als er im Epheser­brief den Segens­wunsch äußerte: „Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens!“ (Eph. 1,18). Und der fran­zösische Schrift­steller Antoine de Saint-Exupéry prägte in seinem berühmten Roman „Der kleine Prinz“ den zum Sprichwort gewordenen Satz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Mit diesem dritten Blick können wir daran gehen, die Bedeutung der Jesusworte für uns zu er­schließen. Wir fragen: Wie wird unser Leben hell und schön? Der Herr antwortet: Wenn Gottes Licht es hell macht! Von Natur aus sieht es in uns finster aus, und wenn kein Licht von außen hinein­kommt, dann wird es auch finster bleiben. Wenn aber unser Seelen­fenster klar und gut geputzt ist, dann fällt Gottes Licht in uns hinein und macht alles hell. Dabei will Jesus selbst unser Seelen-Fenster­putzer sein: Er vergibt uns unsere Schuld, er macht uns rein und heilig und damit empfänglich für Gottes Licht.

Wir können auch sagen: Jesus heilt unsere Seelen-Seh­behinde­rung. Wenn wir mit einem vierten Blick darauf achten, was Jesus vor und nach diesem Gleichnis gesagt hat, dann merken wir: Diese Seelen-Seh­behinde­rung ist oftmals eine Seelen-Kurz­sichtigkeit. Wer kurzsichtig ist, der sieht dicht vor seinen Augen alles klar und scharf, aber was weiter entfernt liegt, das sieht er nur ver­schwommen, wie im Nebel. Im Umfeld des Gleich­nisses macht Jesus deutlich, was das für die Seele heißt: Viele Menschen kümmern und sorgen sich nur um das, was unmittelbar vor ihnen liegt, um ihre un­mittelbare Zukunft also. Sie versuchen, mit Ver­mögens­werten und Ver­sicherungen ihr Leben ab­zusichern. Gerade in der heutigen Zeit merken wir wieder, wie un­zuverlässig das ist. Jesus sagte unmittelbar vor dem Augen-Gleichnis: „Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen.“ Und kurz danach sagte er: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.“ Essen, trinken, sich kleiden, wohnen und auch sparen hat natürlich seinen guten Sinn, aber wenn wir uns darauf kon­zentrieren als haupt­sächlichen Lebens­inhalt, dann handeln wir geistlich kurz­sichtig. Das, was weiter entfernt liegt, sollten wir besser ebenso scharf sehen: dass wir einmal sterben müssen, dass wir am Jüngsten Tag auferstehen werden, dass Jesus wieder­kommen wird zum Gericht und dass wir dann nur durch ihn zum ewigen Leben hindurch­dringen können. Geheilte Seelenaugen können so weit blicken und nehmen darum die Dinge der Ewigkeit wichtiger als die Dinge der Lebenszeit auf Erden. Jesus sagte ebenfalls vor dem Augen-Gleichnis: „Sammelt euch Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.“ Die Lesungen des heutigen Sonntags, der Wochen­spruch und Teile der Liturgie machen uns auch darauf aufmerksam: Durch Christus sind wir zum ewigen Leben im Himmel berufen, denn er hat dem Tod die Macht genommen. Wer mit klaren Herzens­augen auf Jesus blickt, den erleuchtet das helle Licht dieser frohen Botschaft, und er sieht scharf nicht nur bis morgen oder nächstes Jahr, sondern bis unendlich.

„Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein.“ Jesus fordert mit diesem Gleichnis nichts, er beschreibt einfach – das zeigt ein fünfter Blick auf diese Worte. Ja, das ist überhaupt meistens Jesu Art, wenn er in Gleich­nissen spricht: Er sagt einfach, wie es ist. Bei geistlicher Blindheit und seelischer Kurz­sichtigkeit wären Forderungen auch genauso fehl am Platz, wie wenn man einen Seh­behinderten ermahnt, doch besser hin­zuschauen. Hinter der Be­schreibung dieses Gleich­nisses steckt Gottes große Augen­therapie, und Jesus ist der Arzt, der sie anwendet. Jesus heilt nicht nur körperlich Blinde, sondern vor allem seelisch Blinde. Auch uns hat er geheilt, sodass unsere Glaubens­augen klar sehen können. Wenn du aber meinst, sie sind noch etwas schwach oder etwas kurz­sichtig, dann darfst du Jesus ruhig bitten, sein Heilungs­werk fort­zusetzen und schließlich zu vollenden. Wir dürfen Jesus bitten: Herr, tu unsere Augen auf, dass wir dein Heil und Gottes Herrlich­keit richtig erkennen! Herr, reinige unsere Seelen­fenster, dass dein helles Licht ungehindert in unsere dunklen Herzen scheinen kann! Wenn wir so bitten, wird er uns erhören. Und wenn er uns erhört, dann geschieht an uns, was wir schon auf den ersten Blick gesehen haben: Dann werden unsere Augen vor Freude strahlen! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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