Barabbas und der erstaunliche Tausch

Predigt über Matthäus 27,17 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn wir in Deutschland den Namen Jesus hören, dann denken wir nur an Jesus Christus. In anderen Regionen der Erde ist das anders. In Südamerika zum Beispiel tragen viele Personen den Vornamen Jesus. Auch vor 2000 Jahren war der Name Jesus in Israel sehr gebräuch­lich; er wurde auch „Jeschua“ oder „Josua“ aus­gesprochen. So braucht es uns nicht zu wundern, dass Jesus in seinen Erdentagen eine ganze Reihe von Namens­vettern gehabt hatte.

Einer dieser Namens­vetter war Jesus Barabbas. Oft wird er nur „Barabbas“ genannt. Vielleicht liegt das daran, dass er einem Vergleich mit Jesus von Nazareth in keiner Weise standhält. (Barrabas darf man übrigens nicht mit Barnabas ver­wechseln, dem treuen Gefährten des Apostels Paulus.) Was war Jesus Barabbas für ein Mensch gewesen? Er war ein radikaler Freiheits­kämpfer, ein Terrorist. Von solchen Leuten gab es damals viele in Israel. „Sikarier“ wurden sie genannt, „Messer-Leute“. Sie glaubten an den Gott Israels, aber sie meinten, Gottes Reich mit Gewalt erkämpfen zu müssen. Wir können uns das ähnlich vorstellen wie bei den fanatischen gewalt­bereiten Muslimen unserer Zeit. Jesus Barrabas hatte also mit Gewalt für ein un­abhängiges Israel gekämpft, das von allen heidnischen Einflüssen gereinigt sein sollte, besonders aber von der römischen Besatzungs­macht. Bei diesem Befreiungs­kampf hatte er sogar gemordet. Wie gesagt, er war ein gefähr­licher Terrorist. Es war den Römern gelungen, diesen Verbrecher fest­zunehmen. Nun hatte er sein Urteil zu erwarten, und er konnte ziemlich sicher sein: Er würde zum Tode verurteilt werden.

Doch da kreuzten sich seine Wege mit denen seines Namens­vetters. Gerade als Jesus Barrabas im Palast­gefängnis des römischen Statt­halters Pontius Pilatus auf seinen Urteils­spruch wartete, verhandelte der Römer mit den führenden Juden über das Schicksal des Jesus von Nazareth. Pilatus war sich völlig sicher: Dieser Jesus von Nazareth ist harmlos, er ist das ganze Gegenteil des Jesus Barrabas, sanftmütig, fried­fertig, geduldig und schwach. Jesus von Nazareth, das merkte Pilatus deutlich, würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Das Problem war nur: Die führenden Juden wollten unbedingt seinen Tod. Sie hatten sogar die Menschen­menge auf ihre Seite bringen können, sodass die Leute in Sprech­chören riefen: „Kreuzige ihn!“ Wenn Pilatus Jesus von Nazareth jetzt ohne weiteres frei­sprechen würde, dann könnte es einen so großen Tumult geben, dass Pilatus darüber sein Amt verlieren würde. Darum erdachte sich Pilatus eine List, mit der er hoffte, Jesus von Nazareth auf elegante Weise frei zu bekommen.

Das alles geschah beim Auftakt des jährlichen Passa­festes, des Hauptfestes im jüdischen Kalender. Zu diesem Fest hatten sich die Römer eine großzügige Geste dem jüdischen Volk gegenüber zur Gewohnheit werden lassen: Sie ließen einen politischen Gefangenen frei, den die Juden sich selbst aussuchen durften. Diese Passa-Amnestie, so hoffte Pontius Pilatus nun, würde ihm helfen, Jesus von Nazareth los­zuwerden. Listig stellte er seine zwei politischen Gefangenen den Juden zur Auswahl vor, die beiden Jesusse, die so verschieden waren wie Tag und Nacht: den Jesus von Nazareth, den fried­liebenden schwachen König der Juden, dessen Reich nicht weltlich war, und den Jesus Barrabas, den gewalt­bereiten und fanatischen Terro­risten, der über Leichen ging. Pilatus fragte die Juden: „Welchen von den beiden soll ich freilassen bei meiner dies­jährigen Passa-Amnestie, den Jesus Barrabas oder den Jesus, den man für den Messias hält?“ Pilatus rechnete natürlich fest damit, dass die Wahl auf Letzteren fallen würde. Denn das müssten doch auch die Juden einsehen: Ein Mörder hat die gerechte Strafe verdient, aber seinen Messias liefert man nicht den Feinden ans Messer! Doch Pilatus irrte sich. Die Juden hatten zu dem Zeitpunkt einen so großen Hass auf Jesus von Nazareth entwickelt, dass ihnen jedes Mittel recht war, um ihn aus der Welt zu schaffen. Darum forderten sie energisch die Freilassung des Jesus Barabbas und das Todesurteil für Jesus von Nazareth. Das hatte Pilatus nicht gedacht; seine Rechnung war nicht auf­gegangen. Aber er konnte nun nicht mehr zurück: Wohl oder übel musste er den Jesus Barrabas freilassen und den Jesus aus Nazareth zur Hinrichtung am Kreuz ver­urteilen.

„Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, / der Böse lebt, der wider Gott miss­handelt“, so singen wir in der Passions­zeit. Diese Liedstrophe scheint direkt von den beiden Jesussen zu handeln: Der fromme Jesus von Nazareth, der nie eine Sünde getan hat, muss am Kreuz sterben; der böse Jesus Barabbas, der sich mit seinem blinden Eifer gegen Gottes Gebote erhoben und sogar gemordet hat, darf am Leben bleiben. Was für ein er­staunlicher Tausch! Jeder der beiden erntet nicht das, was er selbst gesät hat, sondern was der andere gesät hat: der Nazarener den Tod für das Morden des Barabbas, der Barabbas den Freispruch für die Unschuld des Nazareners. Wirklich, ein er­staunlicher Tausch!

„Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, / der Böse lebt, der wider Gott miss­handelt“ – meint dieses Passions­lied nicht eigentlich etwas anderes? Meint es nicht dies, dass ich, der Sünder, ewiges Leben erhalte, weil der fromme Gottessohn meine Sünden­strafe am Kreuz abgebüßt hat? Ja, so ist das Lied gemeint. Und trotzdem passt es auch zu der Geschichte von den beiden Jesussen vor Pilatus. Da merken wir: Der andere Jesus, der Jesus Barabbas, der steht in dieser Geschichte ja stell­vertretend für alle Sünder da, für alle Menschen! Dieser Jesus Barabbas, das bin ja ich! Natürlich habe ich keinen Mord begangen. Und ich bin in meinem Glauben auch nicht so fanatisch zu meinen, dass ich Gottes Reich mit terro­ristischer Gewalt ausbreiten müsste. Aber derselbe Keim der Bosheit, derselbe Keim des Hasses, derselbe Keim der Auflehnung, der im Leben des Jesus Barabbas aufgegangen war, der schlummert auch irgendwo in meinem Herzen. Er bringt zwar nicht so offen­sichtlich böse Früchte in meinem Leben, aber Gott sieht ihn doch sehr deutlich; Gott weiß, dass ich ein Sünder bin. In Gottes Augen habe ich das Todesurteil verdient, denn „der Sünde Sold ist der Tod“ (Römer 6,23).

Aber nun kommt Gottes große Amnestie, Gottes er­staunlicher Tausch. Gott selbst sagt: Mein Sohn soll ans Kreuz, der Sünder aber soll frei gelassen werden und leben! Seht, darum hat der Gottessohn die Strafe abgebüßt, die ich verdient habe. Gott hat es nicht aus Gleich­gültigkeit oder aus politischen Gründen heraus getan wie Pilatus, sondern aus lauter Liebe und Barmherzig­keit. Und damit ich es noch besser verstehe, was da am Kreuz geschehen ist, hat er den anderen Jesus auf die Bühne der Welt­geschichte geschickt, den Jesus Barabbas. An ihm kann ich deutlich erkennen, was Gott mit mir gemacht hat; an ihm kann ich lernen: „Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, / der Böse lebt, der wider Gott miss­handelt; / der Mensch verwirkt den Tod und ist entgangen, / Gott wird gefangen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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