Judas und die verpasste Chance

Predigt über Matthäus 26,14‑16; 27,3‑5 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Friedrich Engels, der berühmte Kommunist und Weggefährte von Karl Marx, war in seinen ersten Lebens­jahrzehnten ein tief gläubiger und aktiver Christ, ein richtiger Jünger Jesu. Erst nach seinem 40. Geburtstag wandte er sich von Jesus ab und verfiel der Philosophie des Materialis­mus, die den lebendigen Gott verleugnet. Wir sehen: Auch ein ernsthafter Jünger Jesu kann sich von seinem Herrn lossagen und Gottes Gnade verlieren.

Ebenso sehen wir es am Jünger Judas Iskariot. Jesus hatte ihn in den Zwölfer­kreis berufen, in den Kreis seiner Vertrauten. Innerhalb dieses Kreises hatte er noch eine besondere Vertrauens­stellung inne, er verwaltete nämlich die gemeinsame Kasse. Judas hatte viele Predigten von Jesus gehört und viele Wunder miterlebt. Trotzdem ließ er sich zu jener ent­setzlichen Tat hinreißen, die ihm einen traurigen Weltruhm eingebracht hat: Er wurde zum Verräter Jesu. Der Teufel hatte ihm die Idee dazu eingegeben, und Judas hatte dieser Versuchung nicht wider­standen. Im Nachhinein gab es immer wieder Menschen, die das Verhalten des Judas doch noch irgendwie erklären oder recht­fertigen wollten oder die wenigstens nach edlen Motiven für seine Tat suchten. Aber das ist sinnlos, denn die Bibel bezeugt klar: Judas war geldgierig; schon zuvor hatte er Geld aus der gemeinsamen Kasse in die eigene Tasche gesteckt (Joh. 12,6). Aus niederen Motiven, nämlich aus Habgier, war er bereit, Jesus seinen Feinden aus­zuliefern. Es war nichts anderes als ein Geschäft für ihn; er verkaufte dem hohe­priester­lichen Gremium einfach eine Information zum Preis von ein bis zwei Monats­löhnen, dreißig Silber­linge. Hört nur, was er sagte, als er den führenden Juden sein schmutziges Angebot machte: „Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten.“

Wirklich, ein schlimmer Sünder, dieser Judas. Aber Vorsicht! Sind wir nicht auch Sünder? Natürlich nicht so schlimm wie Judas, äußerlich betrachtet jedenfalls nicht. Wir sind ja Jesus bisher treu geblieben, haben gegen manchen Widerstand zu ihm gehalten, haben manches Opfer für ihn gebracht, haben mancher Versuchung stand­gehalten. Und doch gab es da auch Stunden in unserem Leben, wo der Teufel bei uns einen Fuß in der Tür hatte: Da war uns plötzlich anderes wichtiger als Jesus; da traten Geld und andere Güter dieser Welt plötzlich in den Vorder­grund; da waren wir drauf und dran, Jesus die Treue zu brechen. Wer von uns wollte es da wagen, mit dem Finger auf Judas zu zeigen? Wer wollte behaupten, dass er selbst im Gegensatz zu Judas Gottes Gnade wirklich verdient hätte?

Judas führte seinen hinter­hältigen Plan aus und lieferte Jesus seinen Henkern ans Messer. War er nun zufrieden? Freute er sich über den schönen Batzen Geld, den er so leicht verdient hatte? Mitnichten. Als Judas erfuhr, dass Pontius Pilatus das Todesurteil über Jesus verhängt hatte, da stürzte er in ein tiefes Loch, da stürzte er in tiefe Ver­zweiflung. Bei Matthäus heißt es: „Als Judas sah, dass Jesus zum Tode verurteilt war, reute es ihn.“ Diese Reue kam nicht mehr vom Teufel, sondern die kam von Gott. Diese Reue im Gewissen des Judas war Gottes letztes lautes Anklopfen in der Seele des Judas, die letzte Chance zur Umkehr. Hätte Judas jetzt geschrien: „Jesus, erbarme dich über mich!“, es wäre noch alles gut geworden für ihn. So wie bei Petrus, der Jesus in derselben Nacht dreimal verleugnete und dann bitterlich weinte.

Liebe Brüder und Schwestern, das ist ganz wichtig, dass wir der Reue Raum geben, wenn bei uns etwas schief gelaufen ist! Dass wir auf die Stimme unseres Gewissens hören! Dass wir Gottes Anklopfen nicht überhören! Reue ist zwar schmerz­haft, hat aber eine große Chance: die Chance, dass sich etwas zum Guten wendet bei uns.

Judas verpasste diese Chance leider. Zwar ging er zum hohen­priester­lichen Gremium und brachte das Geld zurück, als sich die Reue einstellte, und sagte: „Ich habe Unrecht getan, dass ich un­schuldiges Blut verraten habe.“ Aber er hatte sich an die falsche Adresse gewandt. Von diesen Personen war keine seel­sorgerliche Hilfe zu erwarten. Sie hatten ihr politisches Ziel erreicht; das persönliche Schicksal des Judas inter­essierte sie nicht. Sie sagten ihm bloß: „Was geht uns das an. Da sieh du selber zu!“ Da ging Judas in den Tempel und warf das Blutgeld weg. Es war der hilflose Versuch, die Missetat ungeschehen zu machen. Es war der nutzlose Sühne­versuch eines geld­gierigen Menschen: Gott, ich zahle dir zurück, was ich für meinen Verrat bekommen habe; sind wir nun wieder quitt? Aber so geht es nicht. Das schlechte Gewissen blieb, die Ver­zweiflung blieb, das Zerwürfnis mit Jesus blieb. Und so warf Judas sich dann gleich selbst hinterher, warf sich in den Tod, warf sein Leben weg, das Gott selbst ihm doch als kostbare Gabe und Aufgabe anvertraut hatte. Judas ging fort und erhängte sich; er hat die Chance der Reue nicht genutzt. Nun hat er keinen Fürsprecher im Gericht und keine Vergebung der Sünden; es wartet die ewige Verdammnis auf ihn.

Hätte er sich doch an die richtige Adresse gewandt! Hätte er doch, als die Reue über ihn kam, zu Gott gefleht! Hätte er ihm doch seine Schuld gebeichtet und um Vergebung gebeten! So wie David nach seinem Ehebruch und Mord. So wie Petrus nach seiner Ver­leugnung. Bestimmt hätte Gott ihn nicht fallen lassen. Gott hat es ja vesprochen, dass er das geknickte Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen will. Jesus hat es ja ver­sprochen, dass alle Mühseligen und Beladenen, die zu ihm kommen, erquickt werden und neu leben können. „Suchet mich, so werden ihr leben!“, verspricht Gott (Amos 5,4). „Seht, da ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“, heißt es von Jesus (Joh. 1,29). Hätte sich Judas doch nur daran erinnert, dann wäre alles gut geworden, und er wäre selig geworden.

Lernen wir daraus, liebe Brüder und Schwestern. Wenn dich das Gewissen plagt und du Reue spürst, dann unterdrücke sie nicht. Lass dich aber auch nicht in die Ver­zweiflung ziehen, denke nicht: „Jetzt ist alles verloren!“ Meine auch nicht, du könntest deine Fehler ungeschehen machen oder dich bei Gott mit einer Bußzahlung loskaufen von deiner Schuld. All das nützt nichts, das lernen wir von Judas, der die Chance der Reue verpasste. Nur ein Weg ist offen, freilich ein wunder­barer, köstlicher Ausweg aus aller Schuld und Sünde: Lass dich von der Reue zur Buße führen! Rede mit Gott, bekenne ihm deine Schuld, bitte ihn um Vergebung! Geh bei Jesus in die Beichte! Rufe: „Herr erbarme dich!“ Suche Hilfe bei denen, die Jesus kennen und dich mit dem Evangelium trösten können! Und komm mit leeren Händen, tritt als Bettler vor Gott! Denke nicht, du könntest selbst zurück­zahlen, was du bei Gott verschuldet hast! Den Menschen können wir unsere Schulden zurück­zahlen, und das sollen wir auch tun; aber bei Gott können wir uns unsere Schulden nur vergeben lassen. Nutze die Chance der Reue, immer wieder, jeden Tag – und bleibe Jesu Jünger, jetzt und in Ewigkeit! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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