Wie klein war Bethlehem?

Predigt über Matthäus 2,4-6 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Eines der bekanntesten englischen Weihnachtslieder beginnt so: „Oh little town of Bethlehem“ – „O Bethlehem, du kleiner Ort“. Und da drängt sich die Frage auf: Ist Bethlehem wirklich nur ein kleiner Ort? Und war das schon immer so, auch zu der Zeit, als Jesus geboren wurde? Einige Leute schätzen die heutige Bevölkerung von Bethlehem und Umgebung immerhin auf 184.000 Einwohner. Realistischer ist wohl eine Zahl um 30.000 Einwohner im Stadtgebiet, aber auch das ist ja gar nicht so klein, es entspricht etwa der Größe von Fürstenwalde. Allerdings ist Bethlehem erst in den letzten Jahrzehnten so gewachsen. Ein Reiseführer von 1934 nennt eine Bevölkerungszahl von lediglich 7.000 – nur ein großes Dorf! Für frühere Jahrhunderte gibt es keine verlässlichen Zahlen. Wenn Bethlehem zur Zeit von Christi Geburt auch überfüllt gewesen war wegen der vielen Daivdsnachkommen, die sich dort eingestellt hatten, wird die eigentliche Einwohnerzahl doch wohl eher niedrig gewesen sein. Im Johannesevangelium wird Bethlehem eine „komä“ genannt, ein Flecken, ein Kaff (Joh. 7,42). Gehen wir noch weitere 700 Jahre zurück, dann finden wir ein verlässliches biblisches Zeugnis für die Kleinheit Bethlehems in der Verkündigung des Propheten Micha. In seiner berühmten Weissagung heißt es: „Du Bethlehem Efrata, die du klein bist unter Städten in Juda“; eigentlich: „die du zu klein bist, um zu den Tausendschaften Judas zu gehören“ (Micha 5,1). Wahrscheinlich hatte Bethlehem damals unter 1000 Einwohner und war ein unbedeutend kleines Dorf. Das Lied hat also recht: „O Bethlehem, du kleiner Ort“.

Irritierend ist dann allerdings, wie Michas berühmte Weissagung im Ephiphanias-Evangelium aus Matthäus zitiert wird: „Du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda.“ Oder, wie viele von uns noch den unrevidierten Luthertext im Ohr haben: „Du bist mitnichten die kleinste.“ Das ist ja eigentlich das Gegenteil von der Aussage des Propheten Micha! Da hilft auch alle Textkritik nichts: Bei Matthäus steht eindeutig bezeugt, dass Bethlehem keineswegs klein und unbedeutend ist, bei Micha aber steht eindeutig bezeugt: so klein, dass es kaum der Rede wert ist. Auch die Beobachtung, dass sich das Neue Testament beim Zitieren gern nach der Septuaginta richtet und nicht nach dem masoretischen Text, hilft hier nicht weiter, denn auch in der Septuaginta heißt es eindeutig bezeugt: „zu gering, um zu den Tausendschaften Judas zu gehören.“ Was sollen wir davon halten? Wie groß und bedeutend war Bethlehem nun wirklich?

An dieser Stelle müssen wir auf den Zusammenhang achten. Es lohnt sich bei Gottes Wort ja immer, sorgfältig und genau hinzuhören. Matthäus hat nämlich nicht geschrieben, dass Micha gesagt hat, Bethlehem ist mitnichten klein. Matthäus hat vielmehr geschrieben, dass die Schriftgelehrten am Hof des Herodes Micha so zitiert haben. Wir haben es hier im Epiphanias-Evangelium also mit einem verfälschten Micha-Zitat zu tun, verfälscht von den Beratern des Herodes! Es war ihnen wohl peinlich, ihrem gestrengen König und seinen hochkarätigen ausländischen Gästen die Original-Fassung aus dem Buch Micha vorzulegen; damit hätten sie ja zugeben müssen, dass der große Erlöser Israels aus einem unbedeutenden Kaff kommen soll. So haben sie das Zitat flugs etwas geschönt, verändert, verfälscht, ins Gegenteil verkehrt: Nein, Bethlehem ist mitnichten klein und gering!

Ich kann sie verstehen, diese Schriftgelehrten. Ich bin ja auch ein Theologe. Ich kann sie verstehen: Mir ist es auch fast peinlich, dass meine Gemeinde nur knapp 130 Glieder zählt. Ich rede nicht gern davon, dass im Fürstenwalder Sonntagsgottesdienst oft weniger als 30 Personen sitzen und dass die meisten anderen Gemeindeveranstaltungen ebenfalls schlecht besucht sind. Ich gebe nicht gern zu, dass meine Gemeinde kaum der Rede wert ist unter den Gemeinden der SELK und dass sie im Blick auf die Umlagezahlungen auf den hintersten Tabellenplätzen rangiert. Wie die Schriftgelehrten am Hof des Herodes bin ich versucht, die Situation schönzureden: Meine Gemeinde sei gar nicht so klein und unbedeutend, mitnichten, keineswegs… Ich bin versucht, ihre Größe und Bedeutung herauszustellen: Wir sind wer, wir haben eine tolle Kirche, wir sind bekannt und geachtet in der Stadt, wir haben Jugendarbeit und Erwachsenentaufen. Es ist die Versuchung der modernen Werbung: die Versuchung, Dinge am Rande der Wahrheit so positiv darzustellen, dass am Ende ein viel zu strahlendes Bild entsteht: Wir sind mitnichten klein!

Aber Gott ist ein Gott der Wahrheit, er möchte keine geschönten Zahlen, er hasst Hochmut und Aufschneiderei. Bethlehem war nun mal ein kleiner und unbedeutender Ort, und gerade den hat er sich als Geburtsort für seinen Sohn erwählt. Gott ist ein Gott der Wahrheit, das hat in diesem Zusammenhang eine ganz tiefe Bedeutung: Gottes Sohn Jesus Christus ist die Fleisch gewordene Wahrheit. Der allmächtige, ewige Gott wird ein kleines Kind, Sohn unbedeutender Eltern, geboren in einem kleinen, unbedeutenden Kaff in Judäa. Ja, das ist Gottes volle Wahrheit, und diese Wahrheit ist Programm: Gott erniedrigte sich, Gott neigte sich zu uns Menschen herab, Gott machte sich klein in Jesus. Es ist die Wahrheit, die am Kreuz ihr Ziel fand: Der Gottessohn erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz (Phil. 2,8). In der Niederlage, im scheinbaren Untergang hat Jesus sein großes Erlösungswerk vollbracht. So ist das kleine, unbedeutende Dorf Bethlehem Symbol und Programm für Gottes Erlösung, für seine Kreuzestheologie. Nur wenn wir das im Glauben annehmen, wird uns die Kleinheit und Armseligkeit unserer Kirche und unseres Christenlebens nicht mehr peinlich sein. Wir werden dann dazu stehen, dass wir den Schatz nur in irdenen Gefäßen haben.

Ja, Bethlehem war ein kleiner und geringer Ort. Gott hat sich da klein und gering gemacht, er ist ein Kind armer Eltern geworden. Und in Armut und Niedrigkeit ist der Gottessohn dann auch seinen Lebensweg gegangen bis hin zum Tod am Kreuz. Groß und gewaltig war bei dem allen nur seine Liebe: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab…“ (Joh. 3,16). Allein um dieser göttlichen Liebe willen kann dann auch die Geburt Jesu groß und gewaltig genannt werden, ein unvergleichliches Geschehen in der Weltgeschichte. Und um dieser göttlichen Liebe willen ist das kleine, unbedeutende Bethlehem aufgestiegen zu Weltruhm. Bethlehem, du bist nun keineswegs mehr klein und unbedeutend, mitnichten, denn in dir stand die Wiege Gottes, der aus Liebe Mensch geworden ist. Ja, so können wir das verfälschte Micha-Zitat bei Matthäus richtig verstehen. Es ist nicht das einzige Mal geschehen, dass ahnungslose Schriftgelehrte unwissend zu Propheten wurden – die Schriftgelehrten, die das Micha-Wort veränderten: „Bethlehem, du bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“

Gott machte sich klein im kleinen Bethlehem, um die ganze Welt mit seiner großen Liebe zu überströmen. Wir wollen uns nicht schämen, wenn Gott noch heute die Botschaft seiner großen Liebe in kleinen und schwachen Gemeinden verkündigen lässt, unter unbedeutenden oder gar armseligen Umständen. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, unser kirchliches Leben durch moderne Werbung größer und bedeutender erscheinen zu lassen, als es ist. Wenn wir werben wollen, dann so, wie von alters her geworben wurde: ein Liebeswerben sollte es sein. Denn bei aller Kleinheit und Armseligkeit verkündigt das Evangelium doch nach wie vor Gottes große Liebe und die Herrlichkeit seines Sohnes. Und falls wir uns danach sehnen, dass unsere Gemeinden größer und bedeutender werden, dann lasst uns nicht so sehr auf statistische Zahlen und Finanzkraft achten, sondern darauf, dass die Liebe groß wird, denn die Liebe der Christen untereinander ist ja ein Abbild und Zeugnis von Gottes unermesslich großer Liebe durch Jesus Christus bei uns. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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