Die Ehebrecherin

Predigt über Johannes 8,3‑11 zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jesus lehrte im Jerusalemer Tempel. Viele Leute strömten zusammen, um ihn zu hören. Das machte die führenden Juden eifer­süchtig. Sie heckten einen Plan aus, um Jesus in eine Falle zu locken. Da kam ihnen gerade recht, dass man ihnen eine Frau brachte, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie nahmen die Frau, gingen mit ihr zu Jesus und sagten zu ihm: „Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“

Tatsächlich steht im Gesetz des Mose ge­schrieben: „Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehe­brecherin“ (3. Mose 20,10). Gott selbst hatte seinem Volk Israel einst dieses Gebot gegeben. Noch heute zeigt uns dieses Gebot: Ehebruch ist eine schwere Sünde. Auch wenn Ehebruch in modernen Staaten nicht mehr straf­rechtlich verfolgt wird: Vor Gott sind Ehebrecher schuldig und haben ihr Recht auf Leben verwirkt. „Der Sünde Sold ist der Tod“, schrieb Paulus den Römern (Römer 6,23). Und ebenfalls heißt es bei ihm: „Weder Unzüchtige noch Ehebrecher werden das Reich Gottes ererben“ (1. Kor. 6,10). Wenn jemand Ehebruch begeht, darf er nicht in Gottes Reich leben.

Aber nun zurück zur Geschichte. Die führenden Juden brachten die Ehe­brecherin zu Jesus, weil sie ihm eine Falle stellen wollten. Sie hofften, dass er ihnen einen Grund liefern würde, um ihm etwas anzuhängen. Sie dachten so: Wenn Jesus erwidert: Steinigt diese Frau, wie es das Gesetz fordert!, dann bricht er damit das Recht der römischen Besatzer, denn es verbietet den besetzten Völkern eigene Hin­richtungen. Wenn Jesus jedoch erwidert: Steinigt sie nicht!, dann bricht Jesus das Gesetz des Mose. Was auch immer Jesus erwidern würde, sie würden etwas gegen ihn in der Hand haben.

Nun wollen wir mal sehen, was Jesus wirklich antwortete. Eigentlich gab Jesus zwei Antworten. Die erste Antwort war eine stumme Antwort; wir lesen: „Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“ Was schrieb Jesus da? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es; die Bibel sagt es uns nicht. Von der zweiten Antwort erfahren wir: „Jesus richtete sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“

Jesus antwortete auf unerwartete Weise. Er ehrte das Gesetz des Mose, Gottes Gesetz im Alten Testament, denn er stimmte mit den Schrift­gelehrten seiner Zeit grund­sätzlich darin überein, dass Ehebrecher des Todes schuldig sind. Darüber hinaus aber machte er den Anklägern deutlich, dass auch sie Sünder sind. Denn das ergibt sich ja aus seinen Worten: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Er wusste, dass sie allesamt auch jeweils ihre Schuld haben; er kannte ihre Herzen genau. Was er wohl vorher in den Sand geschrieben hat? Ich könnte mir vorstellen, dass er da die Sünden der Ankläger aufschrieb. Vielleicht hat er ge­schrieben: Serubabel gibt seinen alten Eltern nicht genug Geld für ihren Unterhalt. Oder: Zebedäus beutet die Knechte auf seinem Landgut aus. Oder: Jonas möchte seinem Nachbarn am liebsten die Frau ausspannen. Es könnte also sein, dass die führenden Juden ihre eigenen Sünden da im Sand auf­geschrieben fanden. Und dann hörten sie die Worte: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Daraufhin gingen sie weg, einer nach dem anderen. Jesus blieb mit der Frau allein zurück. Da vergab er ihr ihre Sünde und sagte: „Ich verdamme dich nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“

Was können wir daraus lernen?

Wir können uns mit dieser Ehe­brecherin ver­gleichen. Auch die meisten von uns sind nämlich Ehebrecher, mindestens in gewisser Hinsicht. Jesus lehrte in der Berg­predigt: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Matth. 5,28). Welcher Mann hat wohl noch nie eine Frau begehrlich angesehen, die nicht seine Frau ist oder es werden kann? Und welche Frau hat noch nie davon geträumt, in den Armen eines Mannes zu liegen, der nicht ihr Mann ist oder es werden kann? Aber selbst wenn das auf einige zutreffen sollte, dann sündigen sie in anderer Hinsicht nicht minder schwer. Erinnere dich an die Zehn Gebote! Betrachte dein Leben in ihnen wie in einem Spiegel! Stell dir vor, dass Jesus deine Sünden in den Sand geschrieben hätte! Du wirst merken, dass du der Ehe­brecherin gleichst und ebenso schuldig bist wie sie – des Todes schuldig.

Weiterhin können wir lernen, dass Jesus uns nicht verurteilen will, sondern dass er uns gern vergibt, so wie er der Frau damals vergab. Dafür ist er ja am Kreuz gestorben und hat alle Sünden­schuld getilgt. Wenn wir unsere Sünden bekennen, dann spricht Jesus auch heute noch durch den Mund des Pastors: Ich verdamme dich nicht, sondern ich vergebe dir alle deine Sünden; geh hin und sündige hinfort nicht mehr. Lasst uns das dann auch wirklich tun: in Frieden hinziehen und die Sünde künftig meiden – sowohl die Sünde im Herzen als auch die Sünde mit der Tat.

Schließlich können wir noch lernen, dass es nicht in Ordnung ist, andere zu ver­urteilen, so wie es die führenden Juden damals taten. Weil wir selbst Sünder sind, steht es uns nicht an, andere wegen ihrer Sünden zu verdammen. Nur Gott steht es letztlich zu, die Menschen zu richten. Verurteilen wir also niemanden und verachten wir auch niemanden wegen irgend­welcher Verfeh­lungen. Jesus sagte in der Berg­predigt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Matth. 7,1). Wir sollten andere Sünder lieber zu Jesus einladen, damit auch ihnen vergeben wird. Wir können durchaus Jesu Worte nach­sprechen: „Ich verdamme dich nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ So können wir anderen helfen, den Heiland zu finden und das ewige Leben zu erben; auch wir haben es ja durch die Mithilfe anderer Menschen empfangen. Gott helfe uns, dass wir uns so verhalten. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1995.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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