Blut und Wasser

Predigt über Johannes 19,31‑35 und 1. Jo­hannes 5,5‑8 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn wir vom Leiden und Sterben Jesu hören, dann hören wir von Tatsachen. Die Männer, die uns das überliefert haben, sind zu­verlässige Augenzeugen und haben sich für ihr Zeugnis verbürgt – sogar mit ihrem eigenen Leben. Zugleich haben diese Männer Zeungis gegeben von den Tatsachen hinter den Tatsachen: Sie haben bezeugt, was Gott uns mit den Fakten des Leidens und Sterbens Jesu sagen will, was diese Fakten für unser Leben bedeuten und was sie bis zum heutigen Tag wirken. Um dieses doppelte Zeugnis geht es in den beiden Texten des Apostels Johannes, die wir eben gehört haben.

Sehen wir zunächst auf die Fakten, die Johannes vom Tod Jesu auf­gezeichnet hat. Die letzten Worte des Herrn waren: „Es ist voll­bracht“; dann sank sein Kopf auf die Brust, und er war tot. Das war un­gewöhnlich, dass ein Ge­kreuzig­ter innerhalb eines halben Tages starb. Normaler­weise war das Sterben am Kreuz eine Qual, die sich über mehrere Tage hinziehen konnte. Aber geschwächt durch die voran­gegangene Folter, war Jesus noch am selben Tag gestorben. Ja, wirklich gestorben. Immer wieder geistert die Vorstellung herum, dass Jesus nur scheintot gewesen war. Aber er war wirklich tot; der Evangelist Johannes hat es als Augenzeuge selbst miterlebt. Er schreibt von sich selbst: „Der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr, und er weiß, dass er die Wahrheit sagt.“

Was war es, das Johannes gehört und gesehen hatte? Zunächst hatte er miterlebt, dass Jesus am Kreuz in sich zusammengesunken war. Da könnte allerdings immer noch jemand denken, Johannes habe sich geirrt, Jesus sei nur in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Dann aber hatte Johannes gesehen, wie römische Soldaten den Tod Jesu fest­stellten – sozusagen amtlich. Und das geschah so: Die Hinrichtung wurde an einem Freitag durch­geführt, am Vorabend des jüdischen Sabbats also, des heiligen siebenten Tages. Der Sabbat, der auf den Karfreitag folgte, war sogar besonders heilig, denn es war zugleich der erste Tag des Festes der un­gesäuerten Brote, eines der Hauptfeste des Kirchen­jahres in Israel. Die obersten Juden hatten daher ein Interesse daran, dass die Ge­kreuzigten nicht über den Feiertag vor den Toren Jerusalems hängen blieben, sonst würde das Fest ver­unreinigt werden. Die führenden Juden wussten aber auch: Wenn sie nichts unter­nähmen, würden die Römer die Leiber so lange am Kreuz lassen, bis sie von Aasvögeln gefressen oder verwest waren; das gehörte zur Schmach des Kreuzes­todes dazu. Also baten die Juden Pilatus, das Sterben der Ge­kreuzigten zu be­schleunigen und die Toten dann ausnahms­weise abzunehmen. Pilatus willigte ein und schickte ein Sonder­kommando nach Golgatha, das bei den Ge­kreuzigten ein schnel­leres, aber nicht minder qualvolles Sterben herbei­führen sollte: Mit eisernen Keulen sollten ihre Beine zer­schmettert werden. Das Folter­kommando führte diesen Auftrag bei den beiden Mit­gekreuzigten auch durch. Bei Jesus aber stellten sie fest, dass er bereits tot war, und machten sich deshalb nicht mehr diese Mühe bei ihm. Wir können sicher sei, dass diese Soldaten ihr grausames Tötungs­handwerk verstanden und richtig beurteilen konnten, ob jemand schon wirklich tot war oder noch nicht. Der Evangelist Johannes bezieht ihr Zeugnis vom Tod Jesu in sein Zeugnis ein. Um auch den letzten Zweifel aus­zuräumen, dass Jesus wirklich tot war, gingen die Folter­knechte auf Nummer sicher und stießen mit einer Lanze von unten in seine Seite, genau in das Herz. Wenn Tötungs­profis wie die römischen Soldaten solches taten, wäre Jesus ganz sicher daran gestorben, wenn er nicht sowieso schon vorher tot gewesen wäre.

Nun berichtet der Augenzeuge Johannes, dass Wasser und Blut aus Jesu Seite flossen. Christliche Mediziner aller Jahrhunderte haben sich über diese Aussage Gedanken gemacht. Kamen Blut und Wasser gleich­zeitig oder nach­einander heraus? Handelte es sich bei dem Wasser um Lymph­flüssigkeit? War das ein natürlicher Vorgang oder ein Wunder? Es hat ver­schiedene Ansichten gegeben, wie dieses Ereignis medizinisch zu deuten ist. Einige meinten, die Lanze habe das Pericardium mit seiner wässerigen Lymphe und zugleich die Herzkammer durch­stoßen. Andere meinen, das Blut habe sich im Leichnam Jesu bereits zersetzt, Serum und Placenta des Bluts hatten sich schon getrennt. Wieder andere stellen sich vor, die Lanze habe außer dem Herzen die beiden Brustfell­säcke durch­stoßen, in denen sich bei Leichen Wasser ansammelt. Wie dem auch sei: In jedem Fall wird hier mit äußerster Sicherheit und Genauigkeit bezeugt, dass Jesus wirklich tot war. Keiner, der diesen Bericht des Evange­listen Johannes ernst nimmt, kann mehr daran zweifeln, dass Jesus wirklich starb.

So weit das Zeugnis der Fakten. Es ist wichtig, es ist aber noch nicht genug für unseren Glauben. Denn dass vor zweitausend Jahren einer mit Namen Jesus von Nazareth am Kreuz gestorben ist, das allein hat noch keine große Bedeutung für uns; es ist, rein ge­schicht­lich gesehen, noch kein heraus­ragendes Ereignis. Aber der Anspruch des Zeugen Johannes geht weit darüber hinaus. Er hat die Wahrheit bezeugt, „damit“, wie er selbst schreibt, „auch ihr glaubt.“ Damit ihr glaubt – ihr, die ihr dieses Zeugnis hört oder lest, also auch ihr hier, die ihr es heute hört, liebe Brüder und Schwestern. Damit ihr glaubt – nicht nur, dass Jesus starb, und nicht nur, dass es genauso vonstatten gegangen war, wie Johannes berichtete, sondern dass damit eure Schuld vor Gott getilgt ist, dass damit euer Tod getötet wurde und dass ihr dadurch ewiges Leben habt. Es geht hier nicht nur einen ge­schicht­lichen Glauben, der einfach bekennt: So ist es gewesen, sondern es geht um den einen und einzigen selig­machenden Glauben, der die getroste Gewissheit hat: Das hat Jesus für mich getan, um mich zu erlösen.

Um solchen Glauben zu bekommen und um darin zu bleiben, brauchen wir noch das andere Zeugnis – das Zeugnis über die Bedeutung des Todes Jesu. Es ist ein Zeugnis, das den mensch­lichen Sinnen verborgen bleibt und das nur der Heilige Geist offenbaren kann. Um dieses andere Zeugnis geht es in dem Abschnitt aus dem 1. Jo­hannes­brief. Da hat Johannes sozusagen einen Kommentar geschrieben zu dem, was er unmittelbar nach dem Tod Jesu unter dem Kreuz erlebte. Da hat er in der Kraft des Heiligen Geistes gedeutet, was Gott uns Menschen mit dem Tod Jesu geschenkt hat und was er uns mit dem Wasser und dem Blut zeigen will, das aus Jesu Seite floss. Johannes schreibt: „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist?“ Ja, das offenbart der Heilige Geist, und da wird aus dem Tod Jesu die große Erlösungs­tat. Wir sehen in Jesus Gottes Sohn und erkennen dabei: Der Mann am Kreuz ist der eine wahre un­sterbliche Gott; jedoch erniedrigt er sich freiwillig und nimmt den Tod auf sich. Sein Blut fließt, damit wir leben können. Der Gottessohn, der in des Vaters ewiger Herrlich­keit hätte bleiben können, schmeckt an unserer Statt den Tod und die Hölle. An diesem Zeugnis hält sich der selig­machende Glaube fest. Johannes fährt dann fort: „Dieser ist's, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht im Wasser allein, sondern im Wasser und im Blut; und der Geist ist's, der das bezeugt, denn der Geist ist die Wahrheit. Denn drei sind, die das bezeugen: der Geist und das Wasser und das Blut; die drei stimmen überein.“

Johannes erinnert sich und uns hier an das, was er selbst miterlebte als Augenzeuge. Er hatte ja miterlebt, wie Wasser und Blut aus dem Herzen des toten Jesus flossen. Wasser und Blut ihrerseits aber bezeugen mehr als nur die Tatsache, dass Jesus wirklich tot war; Wasser und Blut bezeugen mit dem Heiligen Geist: Wer den Tod Jesu im Glauben annimmt, der überwindet die Welt, ist gerettet und hat das ewige Leben. Das Wasser ist ein Zeichen Gottes, das bezeugt: Deine Sünden werden ab­gewaschen; du wirst rein um des Sterbens Jesu willen. Das Blut aber ist ein Zeichen Gottes, das bezeugt: Hier ist das wahre Opfer ge­schlachtet worden, das Lamm Gottes, durch dessen Blut die Sünden der Welt gesühnt sind. Wasser und Blut, diese göttlichen Zeichen, sind schon vom Alten Testament her bekannt; jetzt aber wird ihre eigentliche Bedeutung offenbar. Wasser und Blut bezeugen mit dem Heiligen Geist: Dir sind deine Sünden vergeben. Das gilt für alle, die es im Glauben annehmen.

Wasser und Blut waren nicht nur damals Gottes Zeichen und Zeugnisse, als sie aus Jesu Seite flossen; wir haben diese Zeichen vielmehr bis zum heutigen Tag. Sie stehen für die Sakramente Taufe und Abendmahl. In der Taufe bezeugt das Wasser, verbunden mit Gottes Wort: Deine Sünden sind jetzt ab­gewaschen. Im Heiligen Abendmahl bezeugt das Blut Jesu im Wein, verbunden mit Gottes Wort: Dieses Blut des neuen Bundes ist für dich vergossen, zur Vergebung deiner Sünden. Verbunden mit Gottes Wort – durch das Wort aber wirkt der Geist. Der Geist und das Blut und das Wasser sind die drei, deren Zeugnis überein­stimmt und die gemeinsam das eine Ent­scheidende bezeugen, das für den selig­machenden Glauben not ist.

Seht, wie wunderbar der himmlische Vater es gefügt hat! Er hat seinen Sohn sterben lassen, bevor die beiden Mitgekreuzigten starben. Er hat die obersten Juden sowie Pilatus zu seinen Werkzeugen gemacht und bewirkt, dass die römischen Folter­knechte noch einmal unter das Kreuz kamen. Er hat auf diese Weise auch den Lanzenstoß bewirkt. Er hat gemacht, dass Wasser und Blut aus Jesu Seite flossen. Er hat mit Wasser und Blut den Sinn des Todes Jesu gedeutet und zugleich die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl bestätigt. Dass aber Wasser und Blut aus Jesu Herzen flossen, was heißt das anderes, als dass die Sakramente direkt aus Gottes Herz kommen? Aus seinem großen, barm­herzigen, liebenden Herzen? Und was heißt das anderes, als dass wir bei einer Taufe und bei jeder Feier des Heiligen Abendmahls ganz dicht an Gottes Herzen sind? Ja, jedesmal wenn wir Christi Blut aus dem Kelch trinken, bezeugt uns der Heilige Geist Christi Liebe, die uns rettet. Zugleich aber werden wir dadurch mit dem Evange­listen in die Reihe der Zeugen eingereiht, die der Heilige Geist sich als seine Werkzeuge erwählt. Denn es steht ge­schrieben: „Sooft ihr von diesem Brot esst und von diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr des Herrn Tod (und zwar in seiner heilvollen Bedeutung für alle Menschen) bis dass er kommt“ (1. Kor. 11,26). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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