Wahres Brot und wahres Leben

Predigt über Johannes 6,53‑58 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wollt ihr leben? Alle wollen leben. Und alle wollen etwas erleben. Auch der Lebensmüde will letztlich leben, nur unter besseren Umständen. Auch der Lebenssatte will letztlich leben, nur ohne die Leiden und Gebrechen des Alters.

Alle wollen leben. Und alle sind daher eifrig bemüht, sich die nötigen Voraus­setzungen für das Leben zu schaffen beziehungs­weise zu erhalten. In unserer Gesell­schaft ist das nicht so offen­sichtlich, weil wir alles Lebens­notwendige fast selbst­verständlich zur Verfügung haben; wir konzen­trieren uns mehr darauf, wie wir leben, dass wir gut leben, dass wir etwas Schönes erleben. In anderen Ländern sieht das anders aus: Da müssen sich viele auch um die grundlegend lebens­notwendigen Dinge wirklich mühen. Zu den grundlegend lebens­wichtigen Dingen gehören Essen und Trinken; zu recht nennt man sie „Lebens­mittel“. Wenn man überleben will, dann braucht man ständig Lebens­mittel. Es geht nicht ohne Nahrung, höchstens eine gewissen Zeit lang.

Nun ist bemerkens­wert, dass die Lebens­mittel selbst ein Stück Leben sind. Es handelt sich ja durchweg um pflanzliche oder tierische Produkte. Nehmen wir das Brot: Am Anfang ist es ein Samenkorn, ein Weizen- oder Roggenkorn. Es wird in die Erde gesät und erschöpft seine ganze Kraft darin, einen Getreide­halm hervor­zubringen. Am Halm reift die Frucht. Dann wird die Pflanze ab­geschnitten, abgetötet; ihre Frucht wird gedroschen, gemahlen, mit anderen Zutaten vermischt und schließlich gebacken. Aus dem lebendigen Getreide­halm wird das Lebens­mittel Brot, das wir zum Leben brauchen. Ebenso ist es mit allen anderen Esswaren: Sie kommen von Planzen und Tieren her, und oft müssen die Pflanzen und Tiere sterben, damit wir durch ihre Produkte leben können.

Den Menschen zu Jesu Zeit waren diese Zusammen­hänge aus ihrem Alltags­leben vertraut. Auch sie wollten leben. Und weil die meisten von ihnen arm waren, mussten sie sich um das tägliche Brot wirklich mühen. Sie mussten den Lebens­mitteln ebenso mühsam nachjagen wie viele Menschen in armen Ländern heute. Aus ihrer Geschichte war den Zeit­genossen Jesu dabei sehr wohl bewusst, dass Gott der Ursprung aller lebens­notwendigen Dinge ist und dass es letztlich von ihm abhängt, ob man genug hat oder ob man Mangel leidet. Das tägliche Brot, so wusste man, ist eine Gabe Gottes. Staunend hörte man auch immer wieder die alte Geschichte, wie der Herr das große Volk Israel vierzig Jahre lang in der Wüste ernährt hatte: mit Manna, mit Brot vom Himmel.

Ein paar tausend Zeit­genossen Jesu durften nun ein ähnliches Wunder selbst erleben. Sie waren Jesus in die Wüste gefolgt, um ihm zuzuhören. Viele hofften vielleicht auch einfach nur, ein Wunder mit­zuerleben. Lange Stunden hatte Jesus gepredigt, und die Menschen waren hungrig geworden. Aber es gab keine Lebens­mittel an diesem einsamen Ort, schon gar nicht für so viele. Da tat Jesus das berühmte Wunder, das ihn als Sohn des himmlischen Vaters auswies. Wie sein Vater einst mit Manna die Kinder Israel wunderbar gespeist hatte, so hatte Jesus mit wenigen Broten und Fischen die Menge gespeist. Die Menschen waren davon so beeindruckt gewesen, dass sie ihn zu ihrem König ernennen wollten, aber Jesus war plötzlich ver­schwunden. Sie machten sich auf die Suche und fanden ihn an einer anderen Stelle wieder. Und hier hielt er ihnen die Predigt, aus der wir einen Teil als Predigttext gehört haben.

In dieser Predigt knüpfte Jesus an das allgemeine menschliche Bedürfnis an, dass alle leben wollen und dass alle Brot dazu nötig haben. Diese grund­legende Erfahrung nahm er als Gleichnis für etwas ganz Wichtiges, das er ihnen zu sagen hatte. Dass es besonders wichtig ist, machte er schon durch die Einleitung deutlich: „Amen, amen, ich sage euch“, begann er diese bedeutungs­vollen Sätze; Luther übersetzte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch.“ Und dann folgten Worte, die vielen Menschen damals anstößig waren. (Noch heute sind sie vielen Menschen anstößig.) Jesus sagte: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschen­sohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.“ Wollt ihr leben? Dann müsst ihr also das Fleisch Jesu essen und sein Blut trinken! Darüber hinaus verglich Jesus sich mit dem Manna, dem Brot vom Himmel in der Wüste. Aber er machte zugleich einen ent­scheidenden Unterschied deutlich: „Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“

Es geht hier offen­sichtlich nicht um das biologische Überleben, also um die Lebens­verlängerung bis zu einem normal hohen Alter. Dazu dient das tägliche Brot, dazu dienen die Lebens­mittel, dazu diente auch einstmals das Manna. Es geht hier vielmehr um das ewige Leben, das eigentliche Leben: Es geht um das Leben in Gemein­schaft mit dem himmlischen Vater! Denn nur in Gemein­schaft mit dem Schöpfer finden wir unseren Lebenssinn und erleben unser Leben in seiner ganzen Fülle, wie der Schöpfer es für uns vorgesehen hat. Nur in Gemein­schaft mit dem Schöpfer verliert unser Leben seine zeitliche Begrenzt­heit; der Tod kann es dann nicht mehr kaputt machen.

Wollt ihr also richtig leben, mit Gott leben, ewig leben? Das geht nur, wenn ihr die richtigen Lebens­mittel dafür habt! Es ist das Brot vom Himmel; das ist die wahre Speise und der wahre Trank, von denen Jesus redete. Er sagte: „Mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank.“ Nur wer Jesu Fleisch isst und sein Blut trinkt, der hat wahres Leben, ewiges Leben. Nur er wird am Jüngsten Tag zu seligem Leben auf­erstehen, die anderen aber zur Verdammnis. Jesus sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tag auf­erwecken.“

Jesu Fleisch essen, Jesu Blut trinken – wenn man sich das mal genau überlegt, klingt es schockie­rend, nicht wahr? Es klingt nach Menschen­fresserei! Viele, die Jesus damals zuhörten, nahmen so sehr Anstoß an diesen Worten, dass sie sich enttäuscht von ihm abwandten. Sein Fleisch essen, sein Blut trinken – warum denn so etwas?

Jesus erklärte, warum es so sein muss. Er sagte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinet­willen.“ Der himmlische Vater ist die Quelle allen Lebens; ohne ihn oder getrennt von ihm kann es kein Leben geben. Der eingeborene Sohn ist eines Wesens mit dem Vater und kommt vom Vater, darum trägt auch er die Fülle des Lebens in sich. Wer nun mit dem Sohn verbunden ist, der hat Anteil an diesem wahren Leben, am Leben des Sohnes und damit auch des Vaters. Wer mit dem Sohn verbunden ist – das heißt doch: wer in Jesus lebt. Oder umgekehrt: der, in dem Jesus lebt. Dies aber geschieht dadurch, dass er Jesus in sich aufnimmt, gewisser­maßen „isst“ und „trinkt“. Hören wir noch einmal Jesu Wort: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm.“

Hier können wir nun einen weiteren Vergleichs­punkt mit unseren Lebens­mitteln entdecken: Biologisch leben wir durch Nahrung, die ihrerseits von bio­logischem Leben herkommt. Geistlich leben wir durch Nahrung, die aus der Fülle des wahren Lebens kommt, nämlich vom Himmel herab, vom Vater, in der Gestalt seines Sohnes, in der Form seines Fleisches und Blutes. Und wie das Getreide erst ab­geschnitten und abgetötet werden muss, um Brot zu werden, und wie das Vieh erst ge­schlachtet werden muss, um ein Braten zu werden, so muss der Menschen­sohn erst sterben, damit sein Fleisch und Blut zur wahren Speise werden kann, die uns ewig leben lässt. Das ist am Kreuz geschehen, wo das Gotteslamm für uns ge­schlachtet wurde. Dieses Opfer ist von Jesus selbst mit vielen Worten und Bildern voraus­gesagt worden, unter anderem auch mit dem Wort des heutigen Wochen­spruchs: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh. 12,24).

Wie aber kann das geschehen, dass wir Christi Fleisch essen und sein Blut trinken? Da fällt uns gleich das Heilige Abendmahl ein. Aber was Jesus hier sagte, geht weit über das Abendmahl hinaus. Er sagte ja: „Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschen­sohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch.“ Wenn das nur vom Abendmahl gesagt wäre, dann müssten wir annehmen, dass getaufte kleine Kinder kein geistliches Leben in sich haben, denn sie nehmen ja noch nicht am Abendmahl teil. Diese Annahme aber wider­spricht allem, was die Bibel über die Taufe sagt. Wir müssen die Worte Jesu daher umfassender verstehen: Sein Fleisch essen und sein Blut trinken, das heißt hier: an ihn glauben! Sein Fleisch und sein Blut kommen zu uns durch die Gnaden­mittel ganz allgemein, durch das verkündigte Gotteswort und die Sakramente. Jetzt, in diesem Moment, wo euch das Wort Christi verkündigt wird, esst ihr sein Fleisch und trinkt ihr sein Blut, wenn ihr es im Glauben annehmt. Auch bei der Sünden­vergebung in der Beichte essen wir Christi Fleisch und trinken Christi Blut. Auch wenn ein Mensch getauft wird, isst und trinkt er durch die Taufe Christi Fleisch und Christi Blut. Im Heiligen Abendmahl freilich wird es besonders deutlich, weil durch das Wunder dieses Sakraments Christi Leib und Blut wirklich gegenwärtig sind unter Brot und Wein. Aber auch wenn alle Abendmahls­gäste wirklich den Leib und das Blut des Herrn in diesem Sakrament empfangen, so „essen“ sein Fleisch und „trinken“ sein Blut im Sinne unseres Bibelwortes nur diejenigen, die es im Glauben annehmen. Es geht dabei ja um ein geistliches Essen zur Seligkeit, zum ewigen Leben, das vom Essen mit dem Mund zu unter­scheiden ist.

Wollt ihr also leben? Dann esst euer tägliches Brot, stärkt euch mit Lebens­mitteln! Wollt ihr auch ewig leben? Dann esst das Lebensbrot Jesus Christus: Glaubt an ihn und stärkt euch mit seinen Gnaden­mitteln! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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