Der Baum des Lebens

Predigt über 1. Mose 3,22‑24 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt Wissen­schaftler, die sich mit dem Phänomen be­schäfti­gen, dass Menschen altern; man nennt sie Geronto­logen. Sie haben heraus­gefunden, dass in den Zellen des mensch­lichen Körpers eine Art biologische Uhr tickt: Je älter ein Mensch wird, um so schlechter können sich die Zellen re­gene­rieren. Das führt dazu, dass der Mensch irgendwann einmal stirbt. Selbst wenn jemand kerngesund ist, wird sein Körper eines Tages einfach aufhören zu leben. Gegen dieses Altern der Zellen gibt es keine Medizin und keine Kuren; jeder ist ihm hilflos aus­geliefert. Man könnte sagen: Gegen dieses Altern ist kein Kraut gewachsen.

Aber das stimmt nicht ganz. Es gab einmal eine Heil­pflanze, die das Altern ver­hinderte. Dieser Baum existiert schon lange nicht mehr. Wir wissen nicht einmal genau, wie dieser Baum und seine heilsamen Früchte ausgesehen haben. Aber wir kennen ungefähr die Gegend, wo er beheimatet war. Auf dem Gebiet des heutigen Irak gab es eine fruchtbare Garten­landschaft, die man „Wonne“ nannte, auf Hebräisch „Eden“. Das war das Paradies, wo Gott die ersten Menschen wohnen ließ. Mitten in Eden standen zwei Bäume, mit denen es eine besondere Bewandtnis hatte. Der eine Baum war der „Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“. Gott hatte dem ersten Menschen­paar verboten, von den Früchten dieses Baumes zu essen. Der andere Baum hieß „Baum des Lebens“. Von diesem Baum durften Adam und Eva essen, und die Früchte dieses Baumes ver­hinderten, dass ihre Körper alterten. Adam und Eva wussten: Solange sie vom Baum des Lebens aßen, waren sie un­sterblich.

Wir wissen, wie die Geschichte weiterging. Der Teufel verführte Eva, Eva verführte Adam, und sie aßen vom verbotenen Baum. Sie wurden Gott ungehorsam und vertrauten seinem Wort nicht mehr, sondern meinten, für sich selbst besser entscheiden zu können. Als sie gegessen hatten, waren sie um eine Erfahrung reicher: Nun wussten sie aus eigener Erfahrung, was böse ist; vorher kannten sie nur das Gute. Der Teufel hatte also nicht einmal ganz unrecht gehabt, als er behauptete, sie würden durch diese Frucht wie Gott werden: Auch Gott weiß ja, was gut und böse ist, auch wenn er selbst nur gut ist. Aber welchen hohen Preis mussten die ersten beiden Menschen für diese Erfahrung bezahlen! Gott vertrieb sie aus dem Paradies. Somit war auch der Baum des Lebens fortan für sie un­zugänglich. Da begannen sie zu altern: Sie wurden sterblich. Davon redet unser Bibeltext. Da heißt es: „Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“ Beachtet, dass Gott hier von sich in der Mehrzahl sprach; er sagte: „wie unser­einer“. Da gibt er sich schon gleich am Anfang der Bibel als der Dreieinige zu erkennen, als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Dann folgt das Straf­urteil: „Nun aber, dass der Mensch nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch vom Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.“ Gott voll­streckte damit das Urteil, das er dem Adam zuvor angekündigt hatte: Anstatt herrlich und in Freuden von den Früchten des Paradieses zu leben, musste er nun im Schweiße seines Angesichts Ackerbau betreiben. Im Garten Eden hatten er und seine Frau künftig Hausverbot. Um dies un­missverständ­lich deutlich zu machen, ließ Gott den östlichen Zugang des Paradieses durch eine Kompanie Engel bewachen sowie durch ein „zuckendes Flammen­schwert“, wie es wörtlich heißt; vielleicht sind damit Blitze gemeint. Es steht ge­schrieben: „Er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“

Was ist aus dem Garten Eden geworden? Wir wissen es nicht. Die Bibel berichtet nur, dass Adams und Evas Erstgeborener Kain sich östlich des Paradieses ansiedelte, also muss es dieses Gartenland zunächst noch gegeben haben mitsamt dem Baum des Lebens darin. Heute sieht man in dieser Gegend keine Spur mehr vom Garten Eden und vom Lebensbaum, auch die Engel und das Flammen­schwert sind ver­schwunden. Martin Luther meinte, Eden müsse bei der Sintflut unter­gegangen sein. Andere Bibel­ausleger vermuten, das Paradies sei irgendwann in den Himmel entrückt worden. Ich stelle mir vor, dass die Pflanzen des Paradieses zusammen mit Mensch und Tier auch sterblich geworden sind, dass sie damit ihre Paradies­haftigkeit verloren haben und dass der Baum des Lebens irgendwann ganz einfach vertrocknet ist. Seitdem braucht Gott den Zugang dorthin nicht mehr bewachen zu lassen. Das ehemalige Paradies, denke ich, ist heute ein ganz normales Stück Erde.

Aber es ist eigentlich gar nicht wichtig zu wissen, was aus Eden geworden ist. Ent­scheidend ist allein die Tatsache: Der Baum des Lebens ist nicht mehr zu finden auf Erden. Aber wir haben Gottes wunderbare An­kündigung: Auf der neuen Erde, die er schaffen will, und unter dem neuen Himmel wird es einen neuen Baum des Lebens geben. Vom himmlischen Jerusalem wissen wir durch die Offenbarung des Johannes sogar, dass dort viele Bäume des Lebens stehen werden. Wer dorthin kommt, wird wieder unsterblich sein, wird durch die Blätter dieses Baumes von aller Krankheit heil werden und durch seine Früchte dem Alter trotzen (Offen­barung 22,2).

Was hat uns das nun heute zu sagen – die Sache mit dem verlorenen Paradies und mit dem un­zugäng­lichen Baum des Lebens einerseits, die Sache mit dem himmlischen Paradies und den neuen Lebens­bäumen anderer­seits?

Erstens sehen wir, wie gefährlich es ist, Gott ungehorsam zu sein. Unser Ungehorsam hat da seine Wurzel, wo wir die absolute Selbst­bestimmung wollen, wo wir uns von niemandem mehr in unser Leben hineinreden lassen wollen, auch von Gott nicht. Wer meint, er weiß am besten selbst, was für ihn gut und richtig ist, der denke an die Geschichte von Adam und Eva. Gott lässt sich nicht spotten: Wer ihm nicht vertraut und seinem Gebot nicht gehorcht, der hat den Tod verdient.

Zweitens sehen wir, dass Gott keinen Gefallen am Tod des Sünders hat, sondern ihm in seiner großen Liebe und Barmherzigkeit noch eine Chance gibt, zum Baum des Lebens zurück­zufinden. Dazu hat er nicht nur den Baum des Lebens im himmlischen Paradies verheißen, sondern dazu schenkt er uns schon jetzt eine Art Lebensbaum, von dessen Früchten wir essen und zum ewigen Leben genesen können. Dieser Lebensbaum heißt Jesus Christus. Die Frucht aber ist sein Leiden und Sterben; dadurch heilt er unsere tödliche Sünden­krankheit. Im Heiligen Abendmahl bekommen wir diese Frucht zu essen und ihren Saft zu trinken, den Leib und das Blut Jesu zur Vergebung unserer Sünden. Mit den Worten des Evangeliums strömen die Heilkräfte dieses Lebens­baumes in uns. Ja, wer zu Christus gehört, der wird von seiner Sterblich­keit geheilt. Und darum singt die Christen­heit mit Recht vom Kommen Jesu: „Heut schließt er wieder auf die Tür / zum schönen Paradeis. / Der Cherub steht nicht mehr dafür; / Gott sei Lob Ehr und Preis.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1993.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum