Der Wegbereiter

Predigt über Lukas 3,1‑14 zum 3. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Es war einmal“, so fangen Märchen an. Die Berichte in der Bibel fangen nicht so an, schon gar nicht die Berichte des Evan­gelisten Lukas. Er schreibt nicht: „Es war einmal“, sondern: „Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohe­priester waren …“ So fängt kein Märchen an, sondern ein Tatsachen­bericht, ein geschicht­liches Dokument, das auf gründlichen Nach­forschungen basiert. Gottes Handeln, in der Bibel doku­mentiert, spielt sich nicht in einer Traumwelt ab und nicht in den Elfenbein­türmen weltfremder Philo­sophen, sondern mitten in unserer bunten Welt, mitten in der Realität mit ihren politischen und sonstigen Gegeben­heiten.

So auch diese Begeben­heit, von der Lukas berichtet: „Es geschah das Wort Gottes zu Johannes, dem Sohn des Zacharias, in der Wüste.“ Gottes Wort kommt in die Welt durch Boten, die er sich dazu ausersieht. Hier ist es der Prophet Johannes, genannt „der Täufer“. Gottes Wort geht aus vom ewigen, heiligen Thron des All­mächtigen und wird zum geschicht­lichen Ereignis. Es wird nicht nur gesagt, es ist nicht Schall und Rauch, sondern es „ge­schieht“. Wenn Gottes Wort kommt, dann geschieht es immer, dann setzt es immer etwas in Bewegung. Gottes Wort hat göttliche Kraft und kann machen, was es will – anders als Menschen­worte. Und dieselbe Kraft hat das Wort noch heute: Weil es hier verkündigt wird, geschieht es hier und bewirkt dabei mehr, als wir äußerlich wahrnehmen.

Wir lesen weiter: „Und er (Johannes der Täufer) kam in die Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.“ Das Umland des Jordan ist das Stück Wüste, in dem Johannes zum Propheten wurde. Schon dieser Aufenthalts­ort ist Bestandteil seiner Ver­kündigung. Die Einsamkeit der Wüste half ihm, zunächst auf Gottes Wort zu hören: Gott redet in der Stille! Die Wüste ist der Ort, wo Gott sich herrlich erweist; da zeigt sich, dass Gott in lebloser Umgebung Leben schafft. So tat er es bereits während der vierzig Wüstenjahre des Volkes Israel: Ein Millionen­volk speiste und tränkte er in der Wüste, führte es gut und schloss dort seinen Bund ihm. Auch dem Propheten Elia war er in der Wüste begegnet; Johannes der Täufer aber trat auf „im Geist und in der Kraft des Propheten Elia“. In der Wüste hörte Johannes Gottes Wort, und in der Wüste begann er zu predigen. Als Herold des Herrn trat er auf, als einer, der mit Vollmacht die Botschaft eines Höheren überbringt.

Diese Botschaft hieß „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“. Johannes rief zur Umkehr auf, zur Buße. Wer seine Sünden bereute und sich bessern wollte, der sollte sich zum Zeichen dafür im Jordan taufen lassen, dann schenkte Gott ihm Vergebung der Sünden. Diese Taufe war noch nicht die christ­liche Taufe, denn sie geschah ja vor Christi Tod und Auf­erstehung, aber auch diese Johannes-Taufe war bereits Gnaden­zeichen des lebendigen Gottes. Johannes verkündigte die „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“, und noch heute ist dies das Ziel jeder christ­lichen Predigt: dass Menschen ihre Sünden bereuen, umkehren und Gottes Vergebung erlangen, die durch Wort und Sakrament zu ihnen kommt. So gesehen ist die Predigt des Täufers nicht nur eine zu­verlässige geschicht­liche Tatsache, sondern Gottes Botschaft auch an uns.

An dieser Stelle erinnert der Evangelist an eine Weissagung Jesajas aus dem Alten Testament: „Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.“ Zwei Dinge hat Jesaja hier vorausgesagt, die mit Johannes in Erfüllung gingen: erstens den Prediger in der Wüste, zweitens seine Botschaft. Die Botschaft aber, den Aufruf zur Buße, hat der Prophet in ein wunderbares Bild gefasst: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ Buße tun heißt: Gott einen Weg bereiten, dass er mit seiner Gnade zu uns kommen kann, in unser Herz. Buße tun heißt: Alles beseitigen, was sein Kommen behindert. Die Berge des Hochmuts und Hügel der Selbst­zufrieden­heit: Mir braucht keiner zu helfen! Die Täler der Traurigkeit und Re­signation: Mir kann keiner helfen! Die verbogenen, ver­winkelten Wege eines sündhaften Herzens, das nicht offen und gerade­heraus ist – das alles muss überwunden werden, damit der Erlöser Einzug halten kann. Ja, das gilt auch für uns! Wie bei der Eisenbahn­trasse des ICE Berge durchbohrt und Täler überbrückt wurden, so soll der Weg des Herrn eben und gerade gemacht werden. Aber ebesowenig wie die Menschen zur Zeit des Johannes eine ICE-Trasse bauen konnten, ebensowenig schaffen wir es aus eigener Kraft, Buße zu tun und in unserem Leben auf­zuräumen. Wo es geschieht, da ist bereits Gottes Kraft mächtig.

Johannes wurde als Prediger und Täufer bald bekannt. Menschen­massen pilgerten zu ihm in die Wüste. Trotzdem nahm er kein Blatt vor den Mund, sondern rief die Leute schonungs­los zur Umkehr auf: „Ihr Schlangen­brut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt recht­schaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zu Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ Trotz der harten Worte ist die Botschaft klar und hilfreich. „Schlangen­brut“, ja, das sind wir von Natur aus, vom Teufel geritten, von der Sünde beherrscht. „Dem Teufel ich gefangen lag, in Sünd war ich verdorben“, so dichtete Martin Luther im Blick auf sein äußerlich so frommes Mönchs­leben. Wir müssen Johannes recht geben: Wir sind in der Tat erlösungs­bedürftig. Wir wollen da auch keine Augen­wischerei betreiben: Gottes Zorn über den Sünder ist echt und gerecht. Die Juden können sich nicht auf ihre Abstammung von Abraham berufen, auf ihre Zu­gehörig­keit zum aus­erwählten Volk; die Buße hatten sie ebenso nötig wie die ihnen verhassten Heiden. Gott ist nicht auf sein aus­erwähltes Volk angewiesen, er könnte sich sogar aus Steinen Kinder erwecken. So müssen auch wir zur Kenntnis nehmen, dass weder unsere kirchliche Zugehörig­keit noch sonst irgend­welche äußeren Voraus­setzungen uns vor Gottes Zorn bewahren können. Vielmehr: „Die Axt liegt dem Baum schon an der Wurzel wie bei einem Holzfäller, der sich seine Axt zum ersten Hieb bereits zurecht­gelegt hat. Und wenn da nicht der Gärtner Jesus wäre, der den Herrn bittet: „Warte noch ein Jahr, bevor du den Feigenbaum umhauen lässt“, dann hätte uns Gottes Zorn schon längst vernichtet (Lukas 13,8-9). Denn „ein jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“

Aber noch ist Gnadenzeit, wie sie damals bei Johannes war. Noch geht der Ruf aus: „Tut recht­schaffene Früchte der Buße!“ Das heißt: Sagt euch von euren Sünden los, lasst euch die Schuld von Gott abwaschen und beginnt ein neues Leben in Heiligkeit und Gerechtig­keit! Tut Buße und bringt dann die ent­sprechenden Früchte hervor, die Früchte eines guten Baumes! Tut ernsthaft Buße, nicht bloß ober­flächlich, sondern solche Buße, die dann auch gute Früchte hervor­bringt, gute Werke!

Darum sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern den Ernst der Lage erkennen und dem Aufruf zur Buße folgen. Und wenn wir merken, dass wir dazu eigentlich keine Kraft haben, sollten wir Gott um Kraft bitten: Herr, erbarme dich! Wir wollen die Gnadenhand ergreifen, die uns der entgegen­streckt, dem Johannes den Weg bereitet hat. Wir sind ja getauft zur Vergebung der Sünden, und wir wollen in die Taufgnade zurück­kriechen, an ihr festhalten und durch sie die Rettung empfangen. Wenn wir das tun, dann werden wir fragen wie die vielen Zuhörer des Johannes, die zur Buße und zum Glauben gelangt sind: „Was sollen wir tun?“ Und wir werden aufmerksam Gottes Antwort hören, die er durch Johannes gegeben hat: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“

Diese Antwort ist klar und einfach; jedes Kind kann das verstehen. Es ist im Grunde nichts anderes als Gottes alte Antwort: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Trotzdem wollen wir diese Antwort neu und sehr aufmerksam hören. Wir wollen sie nicht vorschnell abtun: Das ist nicht so gemeint! Oder: Das kann ich nicht! Wir haben im Vergleich zu anderen Völkern einen sehr hohen Lebens­standard, aber viele andere haben nicht einmal das Nötigste. Ich muss gestehen, dass mir das zu schaffen macht. Aber auch wenn ich es nicht fertig­bringe, nun einen echten materiellen Ausgleich zu schaffen nach dem Motto des Johannes, so will ich doch wenigstens in dieser Richtung an mir arbeiten. Ich möchte lernen abzugeben und mit weniger zufrieden zu sein. Wenn ihr das auch wollt, liebe Brüder und Schwestern, wenn ihr das wirklich wollt, findet ihr sicher mancherlei Gelegenheit dazu. „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keins hat, und wer zu essen hat, der tue ebenso.“

Ja, und dann stehen da bei Johannes noch ein paar Außenseiter der Gesell­schaft, Zöllner und Soldaten, Leute, mit denen anständige Menschen damals nichts zu tun haben wollten. „Was sollen denn wir tun?“, fragen sie nach­einander den Propheten, nachdem sie Buße getan und in der Taufe die Vergebung der Sünden empfangen haben. Johannes sagt ihnen nicht: Gebt euren Beruf auf, der ist nicht anständig! Den Zöllnern sagt er einfach: „Fordert nicht mehr, als euch vor­geschrieben ist“, und den Soldaten: „Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!“ Sie sollen einfach tun was gerecht ist – ein jeder in dem Beruf, in dem er steht. Sie sollen sich davor hüten, den besonderen Ver­suchungen ihrer Postionen zu erliegen.

Auch dies gilt ebenso für uns heute. Um Gott zu gefallen, brauchst du nicht deinen Beruf zu wechseln, ins Kloster zu gehen oder Pastor zu werden. Aber tue niemandem Unrecht in deinem Beruf, erliege nicht seinen Ver­suchungen, sondern übe deinen Beruf als einen Gottes­dienst aus: Tu ihn so, wie es dem Herrn gefällt. Wenn du ein Geschäfts­mann bist, haue deine Kunden nicht übers Ohr. Wenn du ein Handwerker bist, pfusche nicht. Wenn du Landwirt bist, treibe nicht Raubbau mit der Natur. Wenn du Kinder erziehen sollst, erziehe sie zu Gottes­furcht und Menschen­liebe. Wenn du ein Schüler bist, ärgere deine Lehrer nicht. Wenn du alt bist, versuche nicht jünger zu sein, sondern bejahe deinen Stand und akzeptiere die abnehmenden Kräfte.

Ja, liebe Germeinde, Gottes Wort geschah durch Johannes nicht nur damals, in fünfzehnten Jahr des römischen Kaisers Tiberius. Gottes Wort geschieht durch Johannes auch jetzt, in diesem Jahr. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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