Gott richtet und rettet ohne Ansehen der Person

Predigt über Römer 2,1‑11 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ich mein Girokonto überziehe, dann muss ich die Schulden irgendwann zurück­zahlen. Das gilt für meine Person ebenso wie für alle anderen Konto­inhaber. Niemand kann sagen: „Weil ich so ein netter Mensch bin, wird mir die Bank meine Schulden sicher erlassen.“ Und niemand hat aufgrund seiner Stellung das Vorrecht, nichts zurück­zahlen zu müssen. Sogar der Bank­direktor persönlich ist ver­pflichtet, sein privates Girokonto wieder auf­zufüllen, wenn es ins Minus gekommen ist.

Mit unserem Verhältnis zu Gott ist es ähnlich. Er verwaltet für jeden Menschen ein Konto der guten Taten. Sündigen wir, so kommt dieses Konto ins Minus. Das gilt für alle Menschen in gleicher Weise: „Es ist kein Ansehen der Person vor Gott“, bezeugt uns der Apostel Paulus im Römerbrief. Nur: Das wollen wir Menschen nicht so leicht einsehen. Damals bildeten sich viele Juden ein, sie hätten einen Sonderbonus bei Gott, weil sie zu seinem aus­erwählten Volk gehören. Paulus klärt den Irrtum auf: Der Maßstab von Gottes Gesetz gilt ohne Unterschied für die Juden ebenso wie für die Heiden. Niemand hat einen Grund, sich selbst­gerecht über den anderen zu erheben oder ihn zu ver­urteilen. „Darum, o Mensch, kannst du dich nicht ent­schuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben dasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst?“ Mir fällt dabei Jesu Wort vom Splitter und vom Balken ein: „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr?“ (Matth. 7,3) Nein, wer sündigt, häuft sich ohne Unterschied Schulden bei Gott an, oder, wie Paulus schreibt: „Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken.“ Ja, am Jüngsten Tag wird eines jeden Kontostand offenbar werden, und wehe dem, der dann im Minus ist!

Liebe Gemeinde, diese Erkenntnis war nicht nur damals für die Juden in ihrer Beziehung zu den Heiden aktuell, sondern sie ist bis heute aktuell geblieben. „Worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben­dasselbe tust, was du richtest.“ Wir entrüsten uns zum Beispiel über die rechts­radikalen Chaoten, die Ausländern Gewalt antun. Nach den Maßstäben mensch­licher Gerechtig­keit ist das viel schlimmer, als wenn jemand nur ausländer­feindliche Gedanken im Herzen hat; die könnte auch kein Rechtsstaat verfolgen. Nach den Maßstäben göttlicher Gerechtig­keit dagegen ist das 5. Gebot bereits mit einer feindlichen Gesinnung übertreten. Ich will hier nicht grund­sätzliche politische Fragen erörtern, sondern ich rede jetzt von den Ausländern, die nun mal hier sind in unserem Land und mit denen wir zwangs­läufig zu tun haben: Wenn wir ihnen gegenüber negative Gedanken und Gefühle in unsern Herzen haben, wenn wir sie nicht freundlich und herzlich aufnehmen, dann stehen wir in Gottes Augen nicht besser da als die rechts­radikalen Chaoten. „Worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du eben­dasselbe tust, was du richtest.“

Oder ein anderes Beispiel: Genauso­wenig wie die Juden wegen ihrer Abstammung Bonuspunkte bei Gott erhielten, erhalten wir als Glieder der Selb­ständigen Evangelisch-Luthe­rischen Kirche mehr Bonuspunkte gegenüber Menschen anderer Kirchen. Leider ist dieses fatale Miss­verständnis nicht aus­zurotten, trotzdem bleibt es ein Irrtum: Nein, die frei­kirchlichen Lutheraner werden in Gottes Gericht nicht milder beurteilt als irgendein anderer Mensch der Erde. Im Gegenteil: In der luthe­rischen Kirche wird uns Gottes Wort klar und rein verkündigt, wir haben die Zehn Gebote gründlich gelernt, und darum kann Gott von uns größeren Gehorsam erwarten als von denen, die als Konfirmanden­unterricht nur einen geistlichen Crashkurs bekommen haben.

Oder blicken wir auf die Situation innerhalb von Kirche und Gemeinde: Wieviel wird da gerichtet und wie wenig die eigene Schuld gesehen! Viele, die man selten im Gottes­dienst sieht, sagen: „Die Kirchgänger sind auch nicht besser als andere“, und haben dann auch gleich Beispiele parat, wie lieblos die so fromm Tuenden mitunter sein können. Die so richten, verdammen sich selbst: Ob sie selbst wirklich liebevoller leben als die Kirch­gänger? Auf alle Fälle aber missachten sie fortwährend das 3. Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen!“, und verweigern Gott den wichtigen Dienst, dass sie in der Gemeinde seinen Namen anrufen und preisen. Umgekehrt sehen die Kirchgänger oft scheel auf die Fern­stehenden, fühlen sich moralisch überlegen und merken gar nicht, dass sie mit solch über­heblichem Pharisäer­tum mindestens ebenso große Schuld auf ihr himmlisches Konto häufen.

Wenn ich diese Beispiele so bedenke, stehe ich selbst als Pastor auch nicht besser da. Wie oft bin ich unzufrieden mit meiner Geneinde! Und wie oft bin ich unzufrieden mit meiner Kirche! Und dann muss ich lesen: „Worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst.“ Ja, es ist wahr: Wieviel Grund hat denn die Gemeinde, mit mir als Pastor unzufrieden zu sein! Und wieviel Grund haben meine Amtsbrüder in der Kirche, mit mir unzufrieden zu sein! Wenn ich das bedenke, kann ich nur verstummen. Nein, auch Pastoren kriegen keinen Sonderbonus bei Gott, sondern im Gericht werden sie wie alle anderen Menschen vor dem Herrn stehen, der ohne Ansehen der Person richtet.

Im Angesicht von Gottes Gericht bleibt nur jedem von uns, sich zu fragen: Lebe ich so, dass ich in aller Geduld mit guten Werken nach Herrlich­keit, Ehre und un­vergäng­lichem Leben trachte? Wenn ja, dann gewinne ich das ewige Leben, Herrlich­keit, Ehre und Frieden; wenn aber nicht, dann ernte ich Ungnade, Zorn, Trübsal und Angst in der Hölle. Seien wir ehrlich: Wir können die Frage nicht bejahen.

Und da tritt nun Gottes Güte auf den Plan: Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Buße ist das Rettungswort, das uns die Bibel nennt, Umkehr. Nicht dies rettet uns, dass wir andere schlecht machen, um selbst gut dazustehen; nicht dies rettet uns, dass wir uns einbilden, irgend­welche Sonder-Bonuspunkte bei Gott zu haben – das ist alles leerer Trug. Nein, nur Buße rettet uns, nur Umkehr. Wir müssen ein­gestehen, dass wir Gottes Schuldner sind und die Schulden nicht aus eigener Kraft begleichen können. Und wir müssen auf den vertrauen, der für unsere Schulden bezahlt hat: Jesus Christus. Er hat sein Blut vergossen und sein Leben dahin­gegeben, er hat den teuren Preis bezahlt, der nötig ist, um die Sünden­konten aller Menschen beim himmlischen Vater aus­zugleichen. Nur durch ihn kommt unser himmlischer Kontostand aus dem Minus. Nur durch seine Tat dürfen wir darauf hoffen, im Gericht dazustehen wie solche, die nie gesündigt haben. Wie gut, dass wir zu einer Kirche gehören, in der diese frohe Botschaft Mittelpunkt und Hauptsache ist, denn nichts anderes kann uns retten!

Wenn wir nun diese Liebe Gottes in Jesus Christus erfahren und in Glauben annehmen, wenn wir Buße tun und um Christi Willen auf Freispruch im Gericht hoffen, dann schenkt uns Gott Freude und Liebe ins Herz. Und dann wird es uns auch richtig Spaß machen, nach seinen Willen zu leben. Wir wissen ja, was Gott Freude macht, und auch, was er nicht so gern hat; das Gesetz sagt es uns. Darum gehen wir fröhlich ans Werk und versuchen nach Kräften, in aller Geduld gute Werke zu tun. Dazu gehört, dass wir unseren Mitmenschen zurecht­helfen „mit sanft­mütigem Geist“, wie die Bibel es ausdrückt (Gal. 6,1). So falsch es ist, den Nächsten zu verurteilen und zu verachten, so falsch wäre es auch, dessen Sünde gleich­gültig hinzunehmen und ihn ins Verderben rennen zu lassen. Wir wollen doch, dass er gerettet wird – der Ausländer-Hasser zum Beispiel, oder der Restant. Helfen wir ihnen zurecht mit sanft­mütigem Geist! Reden wir davon, wie Gottes Güte uns auf den Weg der Buße geführt hat, und laden wir sie ein, denselben Weg ein­zuschlagen! Denn wie Gottes Gericht ohne Ansehen der Person ist, so gilt auch seine Gnade in Jesus Christus allen Menschen – auch denen, über die sich unser alter Adam am meisten entrüstet. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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