Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Die Welt hat vier Himmelsrichtungen, ein Tisch steht auf vier Beinen, das Evangelium beruht auf dem Zeugnis von vier Evangelisten und das Christenleben ist auf vier Säulen gegründet: die Apostellehre, die Gemeinschaft, das Brotbrechen und das Gebet. So bezeugt es uns die Apostelgeschichte des Lukas am Beispiel der Urgemeinde. Die Menschen, die am ersten Pfingstfest zum Glauben gekommen waren und sich hatten taufen lassen, lebten zusammen in dieser ersten und vorbildlichen Gemeinde in Jerusalem, von der es hieß: „Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Auch wenn das nun schon zweitausend Jahre her ist, gelten diese vier Säulen des Christenlebens bis zum heutigen Tage. Auch wir kommen ja von der Taufe her, wie wir es besonders am letzten Sonntag bedacht haben, und auch wir haben Gottes Wort im Glauben angenommen. Lasst uns darum jetzt mehr von diesen vier Säulen hören, damit der feste Grund unseres Christenlebens desto gewisser werde!
Da ist erstens die Lehre der Apostel. Zugegeben, das Wort „Lehre“ klingt uns heute ziemlich trocken, es klingt nach Dogmatik und Konfirmandenunterricht. Wir können es aber, ohne den biblischen Sinn zu verfälschen, ersetzen durch die Begriffe „Predigt“, „Zeugnis“ oder „Bekenntnis“. Was die berufenen Augenzeugen Jesu Christi verkündigten, was sie lehrten, predigten, bezeugten und bekannten, das ist die Wurzel unseres Glaubens. Durch das Wort des Evangeliums schafft der Heilige Geist den Glauben. Die Lehre der Apostel, das ist inhaltlich alles, was uns im Neuen Testament überliefert ist. Und weil die Apostel das Alte Testament für ihr Zeugnis aufgegriffen haben als Gottes untrügliches Wort, können im weiteren Sinne die Lehre der ganzen Bibel als Apostellehre bezeichnen. Die Bibel ist die erste und wichtigste Säule unseres Christenlebens. Sie ist nicht nur ein interessantes und wichtiges Buch, sondern Gott der Herr selbst redet hier zu uns, von der ersten bis zur letzten Zeile! Die Bibel ist Gottes Wort, es ist alle Ehrfurcht, allen Glauben und allen Gehorsam wert.
Die Apostellehre der Bibel hat eine gute und zutreffende Auslegung in den lutherischen Bekenntnisschriften, zum Beispiel im Kleinen Katechismus. Von daher heißt an der Apostellehre festhalten auch am lutherischen Bekenntnis festhalten. Das wollen wir nicht übersehen in einer Zeit, wo viele meinen, auf die konfessionellen Unterschiede komme es doch gar nicht so sehr an. Es geht auch eigentlich nicht um Unterschiede und Abgrenzung, sondern es geht darum, dass wir wie die Urgemeinde an der Apostellehre festhalten. Und wenn da nun mal Leute sind, die anders lehren als die Apostel (und das bedeutet: anders als die Bibel und anders als das lutherische Bekenntnis), dann wollen wir nicht so tun, als sei alles in Butter. Noch einmal: Es geht hier um die erste und wichtigste Säule des Christenlebens!
Ich muss allerdings gleich hinzufügen, dass wir nicht nur eine Bekenntniskirche, sondern auch eine Bekennerkirche sein wollen. Wir wollen nicht wie Gralshüter über Formulierungen des l6. Jahrhunderts wachen, sondern das Evangelium so in unsere Zeit hinein bekennen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Wir wollen fröhlich Zeugnis geben von Gottes großen Taten und von Jesus Christus, ein jeder an dem Platz, wo Gott ihn hingestellt hat. Wir wollen in der Apostellehre bleiben – das heißt nicht nur, dass Bibel und Bekenntnis einen Ehrenplatz unter unseren Büchern haben, sondern auch, dass wir selber anderen Zeugnis geben in den Dingen, die wir von den Aposteln und damit vom Herrn selbst empfangen haben. Und wenn es Gott gefällt, dann wird er auch heute noch Menschen zur Gemeinde hinzutun, wie er es damals in Jerusalem getan hat..
Und nun zur zweiten Säule des Christenlebens, das ist die Gemeinschaft. Genauer übersetzt heißt das griechische Wort „gemeinsames Anteilhaben“. Es geht also nicht nur darum, dass man zusammenhockt, sondern es geht auch darum, dass man gemeinsam etwas erlebt, dass man gemeinsam an etwas teilhat. Damit wird deutlich, was Kirche und Gemeinde eigentlich ist: Gemeinschaft der Heiligen! Gemeinschaft derer also, die durch Jesu Blut geheiligt sind, die glauben und getauft sind. Gemeinschaft derer, die alle Anteil haben an dem Herrn Jesus Christus. An dieser Gemeinschaft real dranzubleiben, das ist die zweite Säule des Christenlebens. Wer nach apostolischem Vorbild Christ sein will, der kann das nicht ohne Gemeinschaft. Der kann das nur dann, wenn er mit anderen Christen zusammenkommt in die Gemeinschaft und unter das Wort des Herrn. Das geschieht in erster Linie im Gottesdienst, wo wir gemeinsam dem Herrn begegnen und gemeinsam von ihm beschenkt werden.
Wenn wir uns das Vorbild der Urgemeinde genauer betrachten, dann müssen wir erkennen, dass es unsere heutige Praxis bei weitem übertrifft, ja geradezu beschämt. „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“, heißt es da. Wir finden uns ja schon toll, wenn wir alle Sonntagsgottesdienste mitmachen! Und sie waren einmütig – sie wussten, sie waren ein Leib unter dem einen Haupt Jesus Christus. Weil sie das wussten, haben verschiedene menschliche Ansichten und Gepflogenheiten nur eine untergeordnete Rolle bei ihnen gespielt. Liebe Gemeinde, das ist eine gute Hilfe, wenn es unter Gemeindegliedern mal zu Auseinandersetzungen kommen sollte, wenn man sich etwa auf einer Gemeindeversammlung mal nicht einigen kann: Denkt dann daran, dass Gemeinschaft gemeinsames Anteilhaben heißt und dass wir an keinem Geringeren gemeinsam Anteil haben als an dem mächtigen König Jesus Christus! Wenn ein so Großer uns eint, was sollten wir uns da über weltlichen Kleinkram entzweien? Wenn wir das kapiert haben, dann können wir auch einmütig sein wie die Urchristen.
Ihre Gemeinschaft erschöpfte sich nun aber nicht im Gottesdienst. Sie kümmerten sich auch umeinander, sie übten Bruderliebe, sie kannten nicht nur bereits die Mission, sondern auch die Diakonie. Es war sogar eine sehr extreme Form von Diakonie, die sich heute in dieser Art gar nicht mehr verwirklichen ließe: Sie lebten einen sogenannten Liebeskommunismus. Und sie lebten von der Substanz. Wir müssen annehmen, dass viele arme Leute und sogar Sklaven unter ihnen waren, auch Arbeitslose, deren Heimat weit entfernt war und die nach Pfingsten einfach in Jerusalem bei der Gemeinde geblieben waren. Daraufhin versilberten die Reichen unter den Christen ihren Immobilienbesitz und taten das Geld in die gemeinsame Kasse, aus der alle lebten. Das Faszinierende und Vorbildliche daran ist, dass sie sich als eine große Familie fühlten, wo keiner den andern hängen lässt, auch wirtschaftlich nicht. Finanziell sieht‘s bei uns heute ja ganz anders aus, aber wie wäre es, wenn wir mit unserer Zeit ein bisschen mehr auf Liebeskommunismus machen würden? Wenn der eine für den anderen Zeit hätte, falls er gebraucht wird? Für manchen ist heute Zeit kostbarer als Geld! Wenn wir Zeit opfern für die Gemeinschaft der Christen, dann können wir damit unsere Liebe und unsern Dank an Jesus gut ausdrücken.
Die dritte Säule des Christenlebens ist das Brotbrechen, das Heilige Abendmahl. Hierin gipfelt die Gemeinschaft, hierin gipfelt das gemeinsame Anteilhaben an Jesus Christus. Ja, das Abendmahl gehört zu den Höhepunkten im Christenleben und im Gemeindeleben! Nirgends kommt Jesus seiner Gemeinde mit seiner Liebe so nahe wie durch seinen Leib und sein Blut im Altarsakrament. Dass das Abendmahl ein Höhepunkt ist, muss aber nicht bedeuten, dass es nur selten gefeiert werden sollte, damit es etwas Besonders bleibt. Auch hier lehrt uns das Vorbild der Urchristen etwas anderes: Nach dem täglichen Tempelgottesdienst brachen sie das Brot „hier und dort in den Häusern“, lesen wir. Auch aus anderen Stellen der Apostelgeschichte geht hervor, dass das Brotbrechen ganz selbstverständlich zum Gottesdienst dazugehörte, ja, dass viele Christen es sogar täglich miteinander feierten. In der Kirchengeschichte war es bis zum Mittelalter selbstverständlich, dass wenigstens jeden Sonntag ein Hauptgottesdienst mit Abendmahl gefeiert wurde, eine „Messe“. Martin Luther und die lutherischen Bekenntnisschriften haben dies ausdrücklich befürwortet und bestätigt. Nun ist es ja erfreulicherweise in unserer Kirche so, dass das Abendmahl einen hohen Rang einnimmt und häufig gefeiert wird. Auch ist zu beobachten, dass die Abendmahlsfreudigkeit zunimmt. Wenn wir uns aber das Brotbrechen der Urgemeinde zum Vorbild nehmen, dann werden wir erkennen, dass wir durchaus noch zulegen können. Bleiben wir also am Brotbrechen, und tun wir‘s noch reger!
Die vierte Säule des Christenlebens schließlich ist das Gebet. Da brauche ich gar nicht mehr viel zu sagen, das weiß jeder Christ, wie wichtig das Gebetsleben ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass auch hier der Eifer der Urchristen für uns vorbildlich ist. Sie hatten die drei festen täglichen Gebetszeiten vom Judentum übernommen und trafen sich zusätzlich noch in Krisenzeiten, um gemeinsam Fürbitte zu tun – manchmal nächtelang! Auch das Tischgebet war selbstverständlich. Sie „hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott“, heißt es in der Apostelgeschichte. Sicher wäre es verkehrt, aus dem Gebet ein Gesetz und eine Pflichtübung zu machen. Aber wir wollen uns von den ersten Christen dazu ermuntern lassen, dass wir ruhig feste Gebetszeiten einhalten oder uns das wieder neu angewöhnen, als da sind Tischgebete und tägliche Andachten.
Liebe Gemeinde, ich brauche bei Lutheranern nicht zu betonen, dass man sich mit diesen vier Säulen nicht die Seligkeit verdienen kann. Das braucht auch keiner, denn die hat Jesus ja schon für uns verdient mit seinem teuren Blut. Diese vier Säulen beschreiben eher, wie wir Gottes Wohlwollen empfangen und damit leben können, keineswegs aber, wie man es sich verdienen kann. Es ist jedoch gut und wichtig, an diesen vier Säulen festzuhalten, damit wir am Glauben bleiben, darin leben und darin auch wachsen. Lasst uns darum wie die Urchristen treu und beständig festhalten an der Apostellehre, an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und am Gebet. Amen.
PREDIGTKASTEN |