Die Rettung des Sünders

Predigt über 1. Timotheus 1,15 zum 3. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jedes Wort in der Bibel ist Gottes Wort, und deshalb gebietet jedes Wort in der Bibel Ehrfurcht und Glaube. Trotzdem gibt es einige Bibel­worte, die besonders wichtig sind, die gewisser­maßen in der Heiligen Schrift aufragen wie Berg­gipfel. Diese so­genannten Kern­stellen sind in vielen Bibel­ausgaben fett gedruckt. Wollte man aus diesen Kern­stellen nun noch einige wenige ganz besonders wichtige hervor­heben, dann könnte man sie rot unter­streichen oder mit einem Textmarker markieren. Solche Mar­kierungen ent­sprechen durchaus dem Geist der Bibel. Schon der Apostel Paulus hat in seinen eigenen Briefen bestimmte Sätze besonders hervor­gehoben. Er hat es aber nicht mit einem Textmarker getan (den gab es damals ja noch nicht), sondern zum Beispiel mit dem ein­leitenden Satz unseres Predigt­textes: „Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert.“ Es ist so, als wollte er sagen: Achtung, auf­gepasst: Jetzt kommt ein ganz besonderes Wort! Hier begegnet uns eine geballte Ladung Gottes­treue, eine Zusage des Herrn, die gewisslich wahr ist! Hier empfangen wir Evangelium pur! Ja, und dann kommt das, was wir nicht genug hervor­heben können aus den vielen Worten der Bibel – ein besonderer Berg­gipfel, ein Acht­tausender gewisser­maßen: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“

Liebe Gemeinde, wir haben heutzutage solche Worte besonders nötig, denn es ist eine große Ver­unsiche­rung in der Christen­heit aus­gebrochen. Viele Kirch­glieder können in der Bibel und in der christ­lichen Lehre nicht mehr Neben­sachen von der einen Hauptsache unter­scheiden. Was heißt denn eigentlich Christ­sein? Mancher wird da ganz schön herum­stottern. Dabei ist es doch ganz einfach, wenn wir uns nur an dieses Wort halten, das gewisslich wahr ist: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Christsein heißt nichts anderes, als dieses Wort im Glauben annehmen, wie Paulus schrieb: „Es ist ein Wort, des Glaubens wert.“ Wörtlich steht da: „ein Wort, ganzer Annahme wert“; „ein Wort, ganzer Zustimmung wert“; „ein Wort, das man herzlich willkommen heißen sollte“: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Was dieses großartige Wort bedeutet, möchte ich mit einem Bild ver­deutlichen.

Die Sünde ist wie ein Stuben­brand. Nehmen wir an, da hat jemand im Bett geraucht und dadurch leicht­fertig das Feuer ver­ursacht; nun kann er es nicht mehr löschen. Das ist die Situation des Sünders, das ist die Situation aller Menschen vor Gott. Sündigen heißt ja nicht nur, dass man ein paar Gesetze Gottes übertreten hat, die man mit ein bisschen gutem Willen auch halten könnte; das sind eigentlich nur Symptome von Sünde. Sünde heißt eigent­lich, dass in unserem Herzen und in unserem Leben Chaos herrscht – ein Feuer, mit dem wir nicht fertig­werden. Wir haben dieses Feuer selbst ver­ursacht, aber löschen können wir es nicht. Was tun? In dieser Gefahr nützt es wenig, über Ursachen zu disku­tieren. Wenn jemand in der brennenden Stube steht, hilft es ihm nichts zu beteuern, dass er an dem Feuer unschuldig sei; was er braucht, ist Hilfe. Wir tun gut daran, Gottes Urteil über unsere Schuld anzu­nehmen, denn derselbe Gott will uns ja auch helfen. Es würde nichts nützen, das Feuer der Sünde zu ver­harmlosen: So ein paar Flämmchen, was macht das schon! So ein bisschen Sünde, das kann doch nicht so schlimm sein! Ist es aber doch. Sünde ist absolut tödlich, sagt die Bibel, egal ob wir sie nun für gefährlich halten oder nicht.

Hier wird uns Paulus selbst zum Vorbild. Er hat ja ge­schrieben: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.“ Paulus hält sich also selbst für den aller­größten Sünder. Objektiv gesehen ließe sich darüber streiten. War Paulus wirklich ein größerer Sünder als der Verräter Judas oder als der grausame Kaiser Nero? Aber subjektiv gesehen ist die Sache klar: Paulus ist der größte Sünder, den er kennt. Er kennt sich selbst ja besser, als er andere kennt, und darum kennt er auch seine Sünde besser. Er weiß, wie schlimm es um sein Herz steht und wie dringend er Erlösung braucht. Wer im brennenden Zimmer steht und seine Lage richtig ein­schätzt, der weiß: Ich bin in der aller­größten Gefahr, ich muss unbedingt hier raus. Es kommt ihm überhaupt nicht der Gedanke, dass im selben Augenblick jemand anders in noch größerer Gefahr sein könnte. Was war denn aber nun die Sünde des Paulus? Er hat vorher davon ge­schrieben, dass er die Christen verfolgt hat. Er hat es in dem guten Glauben getan, damit Gott einen Gefallen zu tun. Er war von Kindheit an ein frommer Mensch gewesen. Sein Fehler war nur, dass er die Christen für eine schlimme Sekte hielt und sie darum mit Gewalt verfolgte. Er hätte sich besser infor­mieren sollen, der bibel­kundige Mann, dann hätte er fest­gestellt, dass Christus der Messias ist, der von Gott gesandte Erlöser, den die Propheten verheißen hatten. Sein Fehler war also, dass er die Christen damals nicht aus der Bibel be­urteilte, sondern aus dem Bauch heraus, aus seinem Hassgefühl heraus. Solche Sünde mag uns heute auf den ersten Blick fern­liegen. Aber wir müssen am Beispiel von Paulus grund­sätzlich zur Kenntnis nehmen, dass es auch „fromme“ Sünden geben kann: Sünden, die unter dem Anschein der Frömmig­keit heraus begangen werden. So mögen wir heute dazu neigen, dass wir aus einem Gefühl der Liebe heraus un­christ­liche Mit­menschen nicht mehr auf ihre Sündhaftig­keit hinweisen. Wir scheuen uns ihnen zu sagen, dass sie verloren gehen, wenn sie nicht umkehren und an Jesus glauben. Man hält das heute auch in christ­lichen Kreisen zuweilen für taktlos und peinlich, aber im Grunde geschieht hier dasselbe wie bei Paulus: Die Ent­scheidung wurde aus dem Bauch heraus gefällt, nicht aus der Bibel, die an diesem Punkt eine ganz klare Sprach spricht. Und wie Paulus in seiner über­eifrigen Frömmig­keit damals mit­schuldig wurde am Tod von Christen, so könnte es sein, dass wir mit unserer ver­meintlich liebe­vollen Zurück­haltung mit­schuldig werden an der Verdammnis mancher Zeit­genossen, denen wir nichts von Christus und dem Evangelium gesagt haben.

Soweit unser Beispiel für Sünde – nur ein Beispiel! Wichtig ist jeden­falls, dass wir uns als Sünder erkennen und damit die Gefahr bemerken, in der wir uns befinden: Hilfe, ich stehe in einem brennenden Zimmer! Retten kann uns nur, dass wir da schleu­nigst raus­kommen. Das bedeutet: Wir müssen die Sünde hinter uns lassen. Weh uns, wenn wir uns von ihr nicht trennen können! Weh uns, wenn wir so sehr an der Zimmer-Ein­richtung oder an lieb gewordenen Gegen­ständen hängen, dass wir nicht raus wollen! Weh uns, wenn wir zu lieb gewordenen sündhaften An­gewohn­heiten nicht nein sagen möchten! Wer aber die Gefahr erkennt, der wird um jeden Preis raus wollen. Aber wie? Durch die Tür geht es nicht, da brennt schon alles. Bleibt noch das Fenster. Das Problem ist nur: Die Wohnung liegt im dritten Stockwerk. Ohne fremde Hilfe kommt man da nicht heil runter. Ja, so ist das mit uns: Ohne fremde Hilfe kommen wir nicht los von der lebens­bedrohen­den Sünde. Aber diese Hilfe gibt es: Unten steht schon die Feuerwehr. Eine lange Leiter haben sie zwar nicht dabei, dafür aber ein Sprung­tuch. Die Feuerwehr­leute haben es schon aus­gebreitet und rufen: Los, spring! Diese Feuerwehr ist Jesus. „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Wörtlich steht da: „… die Sünder zu retten.“ Ja, Christus ist zur Rettung in die Welt gekommen, er ist zur Hilfe angerückt wie die Feuerwehr. Seine Schuld­opfer, am Stamm des Kreuzes teuer bezahlt, ist das Sprung­tuch, in das sich der Sünder fallen lassen kann. Jesu Opfer rettet den Sünder aus den Flammen der Sünde. Jesu Opfer schafft Vergebung.

Durch sein Evangelium ruft Jesus uns zu: Los, spring! Tu Buße, kehre um, lass die Sünde hinter dir! Lass dich in mein Opfer-Sprungtuch fallen, dann wirst du gerettet, dann wirst du selig, dann kannst du ewig leben! Und du stehst am offenen Fenster. Hinter dir die Flammen, unter dir das Sprung­tuch. Meinst du, dass das Sprungtuch dich halten wird? Du hältst es für möglich, aber dieses Für-möglich-Halten hilft dir noch nicht, du musst schon springen. Das braucht Mut. Das braucht Ent­schlossen­heit. Das braucht vor allen Dingen Vertrauen. Aber genau dieses Vertrauen schenkt dir Jesus durch sein Wort, diesen Glauben, wenn er dir zuruft: Los, spring, ich fange dich auf! Lass dich nur ruhig fallen, du kannst dich auf mich verlassen! „Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, (des vollen Vertrauens nämlich,) dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.“ Es ist nicht angenehm, in ein Sprungtuch zu springen, da wird dir ganz flau im Magen, aber es ist die einzige Möglich­keit, um gerettet zu werden. Deshalb tun wir gut daran zu springen, Vertrauen zu wagen, wirklich zu glauben. Jesus hat uns nicht das Blaue vom Himmel herunter ver­sprochen; er hat nicht gesagt, dass ein Leben im Glauben an ihn wer weiß wie leicht und angenehm sein wird. Das müssen wir wissen, sonst werden wir bald enttäuscht sein und abfallen. Vielleicht ist dies einer der Gründe für die Krise des Christen­tums, dass viele sich vom Glauben ein sorgen­freies Leben erwarten. Noch einmal: Das hat Jesus nicht ver­sprochen; er hat vielmehr vom Kampf des Glaubens geredet und vom Kreuz der Nachfolge.

Christen haben es im Leben nicht leichter als andere Menschen. Aber das haben sie: Sie werden gerettet zum ewigen Leben. Sie dürfen einmal zu ihrem Herrn ins Paradies einziehen. Sie werden weich auf­gefangen und sind geborgen wie in Abrahams Schoß. Ja, das hat Christus ver­sprochen, und Paulus, sein Apostel, verkündet es uns mit den Worten: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen.“ Und wenn wir uns in diese Zusage hinein fallen lassen, dann können wir froh und gelassen sein, dann können wir uns ganz sicher fühlen in Gottes Armen. Und dann tun wir uns auch leichter mit den Problemen dieser Welt, und es gelingt uns vielleicht sogar, sie hier und da zu lindern. Insofern haben wir Christen doch ein leichteres Leben: Weil wir es leichter nehmen können, auf­gefangen in Gottes Sprung­tuch, errettet vom Feuer der Sünde. Garan­tiert, „gewisslich wahr“. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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