Wie Regen in der Wüste

Predigt über Jesaja 44,3‑4 zum Pfingstsonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn wir Wasser ausgießen, dann machen wir uns meistens nicht viel Gedanken über das kostbare Nass. Da gießt man zum Beispiel nach dem Groß­reine­machen das Wischwasser in den Ausguss. Oder da gießt man nur so zum Spaß Wasser aus. An der theolo­gischen Hochschule in Oberursel haben wir früher als Studenten im Sommer­semester regelrechte Wasser­schlachten ver­anstaltet. Da wartete jemand auf dem Balkon mit einem vollen Wasser­eimer, bis unten ein anderer Student aus der Tür kam, und dann wurde der Eimer über ihn entleert. Herrlich erfrischend war das – aber untauglich, um das Bild unseres Bibelwortes zu ver­anschau­lichen, wo Gott spricht: „Ich will Wasser gießen über das Dürre.“ Man stelle sich lieber ein sehr heißes und trockenes Land vor beziehungs­weise eine Wüste, wo jeder Tropfen Wasser kostbar ist. Wenn in bestimmten Gegenden von Afrika der Regen ausbleibt, sind schreck­liche Dürre­perioden die Folge: Erst sterben die Pflanzen, dann das Vieh, schließlich die Menschen. Viele Afrikaner nehmen weite Wege in Kauf, um an Trinkwasser heran­zukommen. Stellen wir uns nur mal vor, die nächste Wasser­stelle wäre fünf Kilometer von unserem Wohnort entfernt – wir würden ein ganz anders Verhältnis zum Wasser bekommen! Wie froh und dankbar wären wir dann, wenn Gott Wasser über das durstige Land aus­schüttet, wenn es also nach langer Zeit mal wieder regnet. Ja, an Regen in der Wüste sollten wir denken, wenn wir verstehen wollen, was Gott hier sagt: „Ich will ausschütten Wasser über Durstendes und Ströme über trockenes Land.“

Dieses Trostwort galt zuerst den Juden in der Babylo­nischen Gefangen­schaft. Diese siebzig Jahre waren eine geistliche Wüste. Der Glaube der meisten hatte einen schweren Knacks bekommen. Die feindlichen Babylonier hatten Jerusalem belagert und erobert. Der Tempel lag in Schutt und Asche. Die Tempel­geräte landeten in der Rumpel­kammer eines heidnischen Königs. Ein großer Teil der Bevölkerung wurde in die Fremde verschleppt und dort als billiges Arbeiter­heer aus­gebeutet. Hatte Gott sich von ihnen ganz und gar abgewandt? Oder war der Herr den heidnischen Götzen nicht mehr gewachsen? Wo waren Gottes mächtige Wunder­zeichen aus vergangenen Tagen? Was werden die Frommen geweint und geseufzt haben, wie werden sie Gottes Gnade erfleht haben! Aber Gott hatte schon ge­antwortet, noch ehe sie riefen. Jesaja hatte schon Gottes Zusage auf­geschrie­ben: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nach­kommen.“

Kinder und Nachkommen – damit war nicht nur die nächste Generation gemeint, die dann nach Jerusalem zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen durfte. Gottes Ver­heißungen sind ja viel weit­sichtiger. Der Herr hatte bereits hier den Pfingsttag im Blick, den Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes. Das Jesaja-Wort ist Programm für die Zeit des Neuen Bundes, die mit Jesus Christus angebrochen ist, dem Erlöser. Da ist der Geist nicht nur den leiblichen Nachkommen Israels verheißen, sondern auch den geist­lichen: denen, die wie Abraham durch den Glauben gerecht werden; denen, die in der Nachfolge Jesu Gottes Kinder sind.

Da waren zuerst die Apostel. Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten mag für sie eine kleine Wüste gewesen sein, diese zehn Tage. Jesus war nun endgültig nicht mehr leiblich unter ihnen. Sie saßen da mit einem Auftrag, der, menschlich gesprochen, ein paar Nummern zu groß für sie war: Aller Kreatur sollten sie das Evangelium predigen bis an der Welt Ende. Sicher, sie hatten Zeichen und Wunder erlebt, aber nach der Himmelfahrt rührte sich nichts. Alles schien so weiter­zulaufen wie vorher. Keine Spur vom verheißenen Geist, keine Erweckung. Aber sie hofften und beteten. Ob sie gebetet haben wie wir: Komm, Heiliger Geist? Ob sie gezweifelt haben? Auf alle Fälle sehnten sie sich den Tröster herbei‘ so wie man in der Wüste auf Regen wartet. Und auch für sie erfüllte sich Gottes Verheißung durch Jesaja – ja, hier erst richtig: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nach­kommen.“ – „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen nicht lange nach diesen Tagen“, so hatte Jesus ihnen noch zum Abschied gesagt (Apostel­gesch. 1,8). Und dann, zu Pfingsten, floss der Geist in Strömen. Gott goss ihn reichlich aus über das Dürre und tränkte tausende mit seinem Geist. Gott schenkte eine ungeahnte Blüte der Erweckung: Dreitausend Menschen ließen sich taufen. Pfingsten ist der Tauftag der Kirche; die Glieder der ersten christ­lichen Gemeinde wurden getauft mit dem Heiligen Geist.

Kommen wir zur Gegenwart. Auch wir, die wir an Christus glauben, dürfen uns zum geistlichen Gottesvolk rechnen. Auch uns gilt die Verheißung Jesajas; sie ist mit Pfingsten nicht erledigt. Ja, sie ist heute sogar besonders aktuell. Denn das Dürre und Durstige, das haben wir heute auch vor Augen. Lasst es uns nüchtern sehen: Wir leben in einer ziemlich aus­getrock­neten geistlichen Wüste. Die Tendenz ist zunehmend – so wie bei der Wüste Sahara, die sich immer mehr ausbreitet. Es gibt in unserem Land statistisch immer weniger Christen. Auch unsere eigene Kirche nimmt zahlenmäßig ab, auch unsere Gemeinde. Und ich fürchte, wenn man hinter die Statistiken schaut, wird das Bild noch düsterer. Wie viele der statistisch erfassten Christen glauben nicht, dass Jesus sie durch sein Blut von Sünden erlöst hat und sie ewig selig werden! Wie viele von denen, die glauben, machen nicht ernst damit, dass er ihr Herr ist, sondern leben so, wie sie es gerade selbst für richtig halten! Wenn wir in dieser Weise kritisch weiter­fragen, dann landet jeder letztlich in seinem eigenen Herzen: Ist da nicht oft auch eine geistliche Dürre und Wüste? Herrschen da nicht auch zuweilen Zweifel an Gottes Liebe und an seinem Wort?

Aber Gottes Verheißung gilt, und sie kann uns noch heute trösten: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nach­kommen.“ Die Wüste wird wieder blühen – Gott will es so, und Gott wird das Wunder voll­bringen. Wir singen und beten heute nicht vergeblich: Komm, Heiliger Geist! Er kommt, Gott hat es ver­sprochen. Die Kirche wird nicht untergehen; wir brauchen das Ende des Christen­tums nicht zu fürchten. Wie oft ist es schon voraus­gesagt worden und wie oft ist es auch von Christen schon kleinmütig erwartet worden: im Zeitalter des Rationalis­mus oder im Dritten Reich oder unter kommu­nistischer Herrschaft. Aber Gott hat immer wieder seinen Geist aus­gegossen, und immer wieder sind neue Gene­rationen von Christen auf­gestanden, blühend und stark. Dass wir nur nicht aufhören zu glauben und zu rufen: Komm, Heiliger Geist! Auch wenn die Kehle trocken ist, wird Gott uns nicht verdursten lassen. Lasst uns einfach bitten und hoffen, dass Gott unserm Land eine Erweckung schickt und dafür in unseren eigenen Herzen anfängt. Nicht, dass wir unsere Statistik aufbessern müssten. Nicht, dass das Kirch­gestühl gefüllt oder der Gemeinde­gesang verstärkt werden müsste. Nicht, dass die Kirchen­finanzen saniert werden müssten. Das alles wären sehr egoistische Gründe für eine Erweckung. Nein, nur um das Eine geht es: dass viele Seelen das kostbare Wasser von Gottes Geist trinken und gerettet werden; dass Glaube und Liebe blühen; dass Gottes Name nicht durch Gottlosig­keit verlästert werde.

Wir wollen uns nicht vormachen, dass die Christen­heit in unserem Land und in unserer Kirche geistlich gesund sei. Wir wollen aber auch nicht die Flinte ins Korn werfen und aufhören zu hoffen. Wie wunderbar und tröstlich ist Gottes Zusage: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre.“ Daran dürfen wir festhalten und uns schon mal die Lippen lecken. Geduld müssen wir freilich haben; Gott schickt seine Erweckung, wann und wie er will. Luther sagte: Das Evangelium ist wie ein Platzregen, der vorüber­fährt. Geduld müssen wir haben – so wie die Juden im Exil und wie die Jünger zwischen Himmelfahrt und Pfingsten. Aber der Geist wird nicht ausbleiben, das hat Gott ver­sprochen.

Nein, der Geist wird nicht ausbleiben. Und wir wissen: Er ist auch schon da. Nicht der große Platzregen einer Erweckung, der die geistliche Wüste in einen Naturpark verwandelt; nein, der nicht. Aber in jeder Wüste gibt es Oasen. An vielen Orten gibt es Quellen, wo Gottes Wort und Sakrament frisch und klar sprudelt und wo der Geist durch Wort und Sakrament kräftig wirkt, Menschen­herzen bekehrt, Buße wirkt, Glauben festigt und Hoffnung stärkt. Mögen es manchmal auch nur sehr matte und unschein­bare Rinnsale sein wie zum Beispiel in unserer kleinen Gemeinde mit ihren Gottes­diensten, mögen auch nur ein paar traurige Gestalten daraus trinken: Es ist trotzdem Wasser – köstliches, lebens­spendendes Wasser. Wenn Gott noch keine große Erweckung schickt, den ersehnten Platzregen, so lasst uns an den Wasser­löchern bleiben und überleben mit Gottes Geist in einer Gemeinde, wo Wort und Sakrament frisch und klar zu haben sind. Aber bitten wollen wir den Vater im Himmel um mehr, um Regen, um Erweckung – nach seiner großartigen Verheißung: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre: Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nach­kommen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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