Leben aus der Gnade

Predigt über Römer 5,1‑5 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Da wir nun gerecht geworden sind“, so beginnt das fünfte Kapitel des Römerbriefs und damit zugleich ein neuer Abschnitt. „Da wir nun gerecht geworden sind“ – das ist gewisser­maßen eine Brücke oder Kupplung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil. „Wir sind gerecht geworden“ (im Grie­chischen ein Wort) fasst zusammen, was Paulus im ersten Teil des Römerbriefs breit entfaltet hat: Alle Menschen sind Sünder; keiner macht es Gott recht; keiner ist durch seine Werke vor Gott gerecht­fertigt. Christus hat nun stell­vertretend für uns die Gerechtig­keit beim himmlischen Vater erfüllt; dazu ist er Mensch geworden. Er hat die Strafe für unsere Sünde durch seinen Tod abgebüßt. Wer darauf sein Vertrauen setzt und Christi Erlösung im Glauben erfasst, der ist trotz seiner Sünde bei Gott gerecht – „ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“, wie eine Kernaussage im ersten Teil des Römerbriefs lautet (Römer 3,28). „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben“ heißt das Verbindungs­stück beziehungs­weise die Brücke zwischen dem ersten und dem zweiten Teil. Es ist eine ganz fröhliche Brücke, es ist ein Jubel und Lobpreis: Halleluja, wir sind gerecht geworden! Unsere Sünden trennen uns nicht mehr von Gott! Unsere Sünden bringen uns nicht mehr in die ewige Verdammnis! Wir können uns diese Gerechtig­keit nicht verdienen, aber der himmlische Vater schenkt sie uns frei und umsonst durch seinen Sohn. Er schenkt sie gratis, aus Gnade.

Im zweiten Teil des Römerbriefs geht es um die Frage: Was bedeutet das für unser Leben? Was haben wir davon, dass wir gerecht geworden sind? Wie wirkt sich das aus? Unser Predigttext enthält ein paar erste Antworten. Da heißt es: „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus.“ Aha, das haben wir davon: Frieden mit Gott – den Frieden, den Christus gestiftet hat. Zugegeben: Das klingt für manche recht blass, weil wir diese Vokabel so sehr gewohnt sind. Tatsächlich aber ist Frieden mit Gott die beste Sache, die es gibt. Friede bedeutet ja ein har­monisches Mit­einander. Stell dir vor, du bist ein An­gestellter und hast Frieden mit deinem Chef; ihr lebt in einem har­monischen Mit­einander. Oder sagen wir einfach, ihr seid befreundet. Du verehrst deinen Chef, und dein Chef schätzt dich sehr, trotz deiner Macken. Dann könntest du gewiss sein, dass du einen sicheren Arbeits­platz hast. So ein Chef wird dich nicht feuern. So ein Chef wird dich auch nicht schika­nieren oder dir das Leben sauer machen. Du weißt: In dieser Firma bin ich bestens aufgehoben. Seht: Gott ist der Chef über alles, über Himmel und Erde. Mit diesem Chef haben wir nun Frieden durch Jesus. Mit diesem Chef leben wir in har­monischem Mit­einander. Dieser Chef ist unser Freund. Wir verehren ihn, und er hält zu uns. Auch sieht er die Sünden nicht an, die wir getan haben. Deshalb können wir fröhlich und zuversicht­lich durchs Leben gehen. Bei diesem Chef sind wir gut aufgehoben in der Welt – und auch später noch, wenn wir die Welt verlassen müssen. Dieser Chef wird uns immer richtig führen. Das gibt Zuversicht und Freude.

Frieden mit Gott haben wir also durch Christus und durch den Glauben an ihn. Und was noch? „Durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen.“ Gottes Gnade ist eigentlich seine Liebe, die frei und ver­schwende­risch Heil und Leben schenkt. Der Chef hat in seiner Firma einen riesigen Kühlschrank auf­gestellt, voll mit leckeren Speisen und Getränken. Die An­gestellten dürfen da jederzeit ran und sich reichlich bedienen –frei und umsonst, gratis, aus Gnade. Das ist ein Gleichnis für die Gnaden­mittel‘ also für Gottes Wort, die Sünden­vergebung in der Beichte und das Heilige Abendmahl. Da haben wir im Glauben Zugang zu der Gnade. Da dürfen wir hin, sooft wir wollen, und uns satt essen und satt trinken mit dem Heiligen Geist, auch satt hören an der frohen Botschaft von Jesus. Gottes Gnade ist nicht irgendeine blasse Idee oder eine Welt­anschauung, sondern Gottes Gnade ist zugänglich und greifbar – überall dort, wo sein Wort gepredigt wird und wo seine Sakramente gehandelt werden. Wir haben Zugang im Glauben, und der Glaube ist nichts anderes, als dass wir diese Groß­zügig­keit des Chefs auch annehmen und reichlich davon Gebrauch machen. Dabei versteht es sich von selbst, dass dieser Glaube auch Früchte bringt: Wir werden uns nach Kräften bemühen, aus Liebe und Dank nun auch ordentlich für diesen Chef zu arbeiten, also nach Gottes Willen zu leben.

Frieden mit Gott haben wir durch Christus und durch den Glauben sowie Zugang zur Gnade. Und was noch? „Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlich­keit, die Gott geben wird.“ Richtig, das ist ja das Ziel, die reife Vollendung aller Früchte der Recht­fertigung. Wir sind voller Vorfreude auf den Himmel. Da wird es ganz herrlich werden. Da dürfen wir ausruhen von allen Mühen und Leiden des Lebens. Da dürfen wir unsern Herrn leibhaftig sehen. Da dürfen wir zusammen mit den Engeln ein ewiges Fest feiern. Da wird alles gut.

Nun hat Paulus wohl erahnt, dass seine Leser hier doch eine Frage haben mögen: Wenn Gott es so gut mit uns meint, wenn wir Frieden mit ihm haben und wenn der Himmel auf uns wartet, warum müssen wir uns denn jetzt noch so arg quälen? Warum gibt es immer noch Leiden und Schmerzen, die zuweilen bis an die Grenze des Erträg­lichen gehen? Warum müssen Ängste und Be­drängnisse kommen? Haben wir nicht allen Grund zum Klagen? Nein, sagt Paulus, ganz entschieden nein! Die Be­drängnisse sind wohl da, aber für den Glaubenden sind sie kein Grund zum Klagen, sondern vielmehr ein Grund zum Loben und Danken. Wenn wir gerecht­fertigt sind und Frieden mit Gott haben, dann rühmen wir uns nicht nur der zukünftigen Herrlich­keit, „sondern“, so fährt Paulus fort, „wir rühmen uns auch der Be­drängnis­se“. Jawohl, der Be­drängnis­se, der Ängste und Nöte. Paulus verwendet hier dasselbe Wort, das in einem bekannten Ausspruch des Herrn mit „Angst“ wieder­gegeben ist: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16,33). Und bei Paulus heißt es: „Wir rühmen uns auch der Be­drängnis­se“, wir sagen ja zu ihnen, wir nehmen sie aus Gottes Hand, wir loben ihn sogar dafür.

Ist Paulus hier über­geschnappt? Kann man das wirklich so sagen? Paulus begründet seine Aussage folgender­maßen: „Bedrängnis bringt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“ Wer die Be­drängnisse im Glauben aus Gottes Hand nimmt, erfährt hier also: Sie dienen zur Befestigung der Hoffnung, sie machen den Glauben letztlich stärker und richten den Blick auf das wunderbare Ziel, das keine Vertröstung darstellt, sondern wirklich auf uns wartet: „Hoffnung lässt nicht zuschanden werden.“

Lasst mich das an einem Beispiel deutlich machen. Stellen wir uns jemanden vor, dessen Bedrängnis finan­zieller Art ist. Er hat einfach nicht genug Geld, sondern nur Schulden. Er weiß nicht aus noch ein. Nehmen wir weiter an, er lebt im Glauben, gerecht­fertigt durch Christus und im Frieden mit Gott. Was tut er? Er schimpft nicht. Er jammert nicht. Er beschuldigt niemanden. Er verbittert nicht. Er verzweifelt nicht. Sondern er rühmt sich dieser Trübsal. Er lobt und dankt Gott auch in dieser un­angenehmen Situation. So kann er in dieser Bedrängnis erträglich leben, auch wenn nicht sofort ein Ausweg kommt, ja selbst wenn es noch schlimmer wird. So bringt die Bedrängnis Geduld. Geduld ist mehr als Abwarten, es ist das Harren im Glauben, das Warten auf Gottes Hilfe. Christliche Geduld ist Gebets-Geduld: Tag für Tag bringt der gute Mann geduldig seine Not vor Gott. Er ist „beharrlich im Gebet“, wie es Paulus in einem späteren Kapitel des Römerbriefs formuliert (Römer 12,12). Merkt ihr, was für einen wunderbaren Effekt die Bedrängnis hat? Der Bedrängte lernt richtig beten; er lernt in einer scheinbar ausweglosen Situation Gott immer wieder in den Ohren liegen und auf seine Hilfe harren. Geduld bringt Bewährung, sagt Paulus. Wenn der Glaube durch solche Gedulds­proben geschickt wird, ist er hinterher viel reifer und krisen­fester. Und am Ende steht die wunderbare Erfahrung, wie Gott aus den Be­drängnis­sen heraus­hilft. Das finanzielle Problem dieses Menschen wird sich irgendwann erledigen, da bin ich mir ganz sicher. Gott erhört die Gebete seiner Gläubigen. Gott wird helfen, und der Beter wird das merken. Das stärkt die Hoffnung. Bewährung bringt Hoffnung. Wenn ich dann ein paarmal im Leben erfahren habe, wie Gott meine Gebete hört und aus Bedrängnis hilft, dann erkenne ich desto gewisser: Gott steht zu seinem Wort; er hält, was er verspricht. Bedrängnis bringt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden. Der Glaube wird fester, der Himmel rückt näher. Und das alles, weil der Heilige Geist in unseren Herzen am Werk ist und uns Gottes Liebe gerade in der Bedrängnis gewiss macht. „Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns das in dieser Kirchen­jahreszeit besonders an der Passion unsers Herrn lernen: uns unserer Ängste und Be­drängnisse zu rühmen und darauf zu vertrauen, dass Gottes Wege gerade durchs Kreuz zur Krone führen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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