Das Zentrum des Glaubens

Predigt über Römer 1,14-17 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die folgende Geschichte ist frei erfunden, aber sie kann uns helfen, die zentrale Botschaft des Evangeliums zu verstehen.

Ein Handwerker macht sich selbst­ständig. Mutig hat er sich viel Geld geliehen und es in seinen jungen Betrieb investiert. Stolz betrachtet er nun seine modern ein­gerichteten Geschäfts­räume. Da surren die neusten Werkzeug­maschinen. Da liegen Einbauteile in blitzenden Stahl­schränken bereit, akkurat geordnet. Seine Mitarbeiter tragen saubere Monturen. Alle Sicherheits­bestimmun­gen werden vorbildlich ein­gehalten. Der frisch gebackene Chef geht in sein Büro und setzt sich an den Computer. Auch hier hat er nicht gespart. Nun geschieht es aber, dass nach dem hoffnungs­vollen Start dunkle Wolken aufziehen. Die Aufträge stellen sich nicht in dem Maß ein, wie der junge Unternehmer sich das gedacht hat. Die Tilgungs­zinsen für die Kredite steigen. Die Kunden zahlen nicht pünktlich, manche überhaupt nicht. Der Betrieb gerät bedrohlich in die roten Zahlen. Der Handwerker strengt sich an, aber irgendwie hat er keinen wirtschaft­lichen Erfolg. Die finanzielle Situation wird immer bedroh­licher. Schließlich gerät er seinerseits mit fälligen Zahlungen in Verzug. Er kann das Geld für die Material­lieferungen nicht mehr aufbringen. Zuletzt herrscht auf allen Konten totale Ebbe, und der Über­ziehungs­kredigt ist längst ausgereizt. Am Ende ist es so weit: Der Bankrott scheint un­ausweich­lich. Das schöne Geschäft kann nicht weiter­bestehen. Der Mann ist ver­zweifelt. Nachts wälzte er sich unruhig auf seinem Bett herum und kann keinen Schlaf finden. Wie soll er jemals diesen Schulden­berg loswerden? Er ist völlig ratlos. Da kommt ein Brief und verändert alles, ein Brief von seiner Bank. Als er ihn in der Post findet, wagt er kaum, ihn zu öffnen, denn er rechnet mit einer katastro­phalen Nachricht. Er denkt: Das ist der Brief, der das Genick brechen wird. Mit zittrigen Fingern reißt er den Umschlag auf. Und dann traut er seinen Augen nicht. Zwar sehen seine Augen die Zahlen auf dem Konto­auszug, aber er begreift sie nicht. Das kann doch nicht wahr sein! Der Mann muss sich setzen und alles noch einmal in Ruhe besehen. Kein Zweifel: Da ist eine unglaublich hohe Summe seinem Konto gut­geschrieben worden – eine Summe, die all seine Nöte mit einem Schlag vom Tisch fegt. Es handelt sich nicht um einen Irrtum: Als Auftrag­geber steht da der Name eines guten Freundes. Sein wohl­habender Freund hat offenbar von der Misere gehört und geholfen. Die Überweisung ist als Geschenk aus­gewiesen. Der Handwerker macht vor Freude einen Luftsprung. Nun ist er seine Sorgen los. Nun kann er den Betrieb weiter­führen. Nun ist alles gut. Dieser Brief hat sein Leben verändert. Von einer Minute zur anderen ist er ein reicher und glücklicher Mensch geworden.

So weit die Geschichte. Wie ich schon zu Anfang sagte: Sie macht uns die zentrale Botschaft des Evangeliums klar. Der Handwerker sind wir. Die wirtschaft­liche Krise ist unser Leben in Gottes Augen. Egal ob wir uns Mühe gegeben haben oder nicht, gemessen an den Zehn Geboten können wir nur den Bankrott anmelden. Die Schulden (also das, was wir dem All­mächtigen schuldig sind) können wir niemals aus eigener Kraft tilgen. Der Brief aber ist das Evangelium, die frohe Botschaft: Dir sind deine Sünden vergeben; ein anderer hat für dich bezahlt; ein Freund ist für dich ein­gesprungen und hat deine Schulden getilgt. Der Freund heißt Jesus Christus. Ja, er hat teuer für uns bezahlt, er hat sich die Vergebung unserer Sünden etwas kosten lassen: Sein Blut, sein Leib, sein Leben. Der freudige Luftsprung des Handwerkers aber ist… Nun, das kannst du dir selbst überlegen.

Der Apostel Paulus schrieb an die Christen in Rom: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht.“ Nein, Paulus schämt sich dieses be­glückenden und lebens­verändern­den Briefes nicht, den er in der Tasche hat – für sich selbst und auch für andere. Denn Paulus ist als Prediger des Evangeliums sozusagen einer von Gottes Brief­trägern. „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“, schreibt er. Das hat nichts damit zu tun, ob er beim Predigen einen roten Kopf bekommt oder nicht. Er bezeugt und bekennt hier vielmehr: Ich werde nicht zuschanden am Evangelium. Oder anders aus­gedrückt: Gott enttäuscht mich nicht. Gott rettet mich vielmehr heraus; er macht mein Leben reich und froh durch diese gute Nachricht. Dieser herrliche Brief Gottes ist ja nicht einfach ein Stück Papier, sondern dieser Brief besitzt die Kraft, das Leben zu verändern. Denkt an den Handwerker, wie der eine Brief sein Leben auf einen Schlag verändert hat. Paulus schrieb: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“ Ja, das Evangelium hat wirklich enorme Kraft.

Liebe Gemeinde, ich bin dein Brief­träger, der das Evangelium zu dir bringt. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Be­nachrichti­gung darüber, was Jesus irgendwann einmal für dich getan hat, sondern in dieser Botschaft steckt Gottes Kraft drin. Die Kraft, der du dich nicht zu schämen brauchst, mit der du nicht zuschanden wirst. Die Kraft, die dir Schwung gibt für dein Leben, auch wenn du noch so viele Sorgen und Probleme hast. Die Kraft, die stärker ist als der Tod. Die Kraft, die dich ewig leben lässt. In jeder Predigt steckt diese Kraft drin, und auch im Heiligen Abendmahl.

Warum ist diese Botschaft so kräftig? Was steckt dahinter? Paulus schrieb weiter: „Darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Aha, es wird etwas offenbar mit diesem Brief. Der Umschlag ist auf­gerissen, und eine herrliche Tatsache kommt zum Vorschein, die Tatsache nämlich: Du bist gerecht bei Gott. Du bist in Gottes Augen recht und richtig. Es ist alles in Ordnung. Du stehst bei ihm nicht mehr in der Kreide, du hast keine Schulden mehr. Die Evangeliums­predigt ist sozusagen dein Kontoauszug von Gottes Bank. Und da steht, dass dein Freund alle Schulden bezahlt hat – dein Freund Jesus Christus, der Gottessohn.

Diese Gerechtig­keit kommt „aus Glauben in Glauben“, wie Paulus schreibt. Sie kommt aus dem, was unser Glaubens­bekenntnis aussagt: Jesus Christus ist mein Herr, der für mich Mensch wurde und starb. Und sie kommt in Glauben: Indem ich darauf vertraue und diesen göttlichen Kontoauszug des Evangeliums nicht für einen Irrtum halte, wird die Botschaft zur Kraft, die mein Leben verändert, die mir große Freude schenkt und die mich ewig leben lässt. Diese wunderbare Botschaft, dieser göttliche Brief und Kontoauszug trägt nun auch noch Gottes Siegel und seine Unter­schrift, damit wir nur ja glauben: Ein Irrtum ist aus­geschlos­sen. Dieses Siegel und diese Unter­schrift ist ein Wort aus dem Alten Testaments, mit dem das große Geschenk Jesu Christi voraus­gesagt wurde. Es ist immer wieder ver­blüffend, wie im Alten Testament Jahr­hunderte vorher das Evangelium schon prophezeit ist. Der Prophet Habakuk weissagte: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Jawohl, aus Glauben und nur aus Glauben. Denn durch sein Tun kann niemand gerecht sein vor Gott, niemand kann sich das Heil erwerben oder erarbeiten – ebenso­wenig, wie der Handwerker durch eigene Leistung den Bankrott hätte abwenden können.

Dieses Evangelium vom Glauben und von Gottes Gerechtig­keit ist die zentrale Botschaft des Christen­tums. Die Sätze des Paulus, die wir eben betrachtet haben, stehen am Anfang des langen Römer­briefes und stellen eine Art Überschrift dar. In den folgenden Kapiteln entfaltet Paulus das Evangelium dann aus­führlich.

Auch in unserem Leben soll dieses Evangelium die Überschrift sein, ebenso wie im Leben der Gemeinde und der ganzen Kirche. Alles, worum es in der Kirche geht, wäre un­verständ­lich und sinnlos, wenn es nicht vom Evangelium her Kraft und Sinn bekäme. Dass wir hier singen, beten, Kollekten sammeln, taufen, kon­firmieren, Jugend‑ und Frauen­kreise versammeln und uns um die Kinder mühen, das hat alles seinen Dreh‑ und Angelpunkt im Evangelium. Es ist gewisser­maßen die Nabe des Rades, die anderen Dinge sind nur Speichen. Weil das so ist, tun wir gut daran, die Botschaft des Evangeliums immer und immer wieder zu hören. Diese Botschaft ist so großartig und wunderbar, dass wir sie ständig aufs Neue hören wollen und sollen. Ja, immer wieder schickt uns Gottes Bank den Konto­auszug: Deine Schuld ist getilgt. Ich freue mich, dass ich dabei euer Briefträger sein darf. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1992.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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