Wenn die Gemeinde den Pastor kritisiert

Predigt über 1. Korinther 4,1‑5 zum 3. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Vor Weihnachten werden viele Wunsch­zettel ge­schrieben. Es gibt auch Wunsch­zettel, die nur in Gedanken geschrieben werden, zum Beispiel in den Herzen von Gemeinde­gliedern. Gemeinde­glieder haben oftmals so ihre Wünsche, wie der Pastor sein soll: Nett soll er sein, menschlich und umgänglich. Gut predigen soll er können, aber auch gut zuhören. Für die älteren soll er gute Manieren drauf haben, bei den Jüngeren soll er aber auch mal alle Manieren vergessen. Er soll gut organi­sieren können und ein gutes Gedächtnis haben. Er soll Stimmung in Gemeinde­feste bringen und ein fähiger Reiseleiter sein. Er soll viel trösten und nicht allzu streng mahnen. Er soll mit beiden Beinen in dieser Welt stehen und von den Dingen des täglichen Lebens eine Ahnung haben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Die Gemeinde in Korinth im ersten Jahrhundert nach Christus hatte auch ihre Vor­stellungen, wie ihr Seelenhirte sein soll, Und sie machte keinen Hehl aus ihren Wünschen. Die Korinther konnten sich das leisten, denn bei ihnen gab es mehrere führende Persönlich­keiten, die sich um die Gemeinde kümmerten; so konnten sie ver­gleichen. Paulus, der Gründer und geistliche Vater der Gemeinde, schnitt dabei nicht besonders gut ab. Er muss starke Kritiker in der Gemeinde gehabt haben. Er war ja auch keine besonders attraktive Persönlich­keit. Seinen schweren theo­logischen Gedanken konnte man nur mit Mühe folgen. Er hatte eine unbeholfene Ausdrucks­weise – ganz anders als Apollos, der korinthi­sche Star-Prediger. Außerdem war Paulus kränklich. Und dann nahm er es mit der Sünde so furchtbar genau: Wenn jemand nicht Buße tat, dann verlangte Paulus, dass er aus­geschlossen wird aus der Gemeinde. Kurz: Paulus war bei vielen Korinthern nicht gerade beliebt. Auch als Apostel nahmen sie ihn nicht ganz für voll, denn er war erst lange nach Pfingsten bekehrt und von Christus in den Apostel­kreis berufen worden.

Mit den Versen der heutigen Epistel lässt Paulus sich auf diese Kritik ein. Das heißt, eigentlich lässt er sich gar nicht richtig drauf ein, er lässt diese Kritik gar nicht so sehr an sich heran­kommen. Er sagt der Gemeinde einfach, was in dieser Situation zu sagen notwendig ist. Da ist zunächst einmal Aufklärung nötig, was ein Prediger des Evangeliums ist und was er nicht ist. Er muss kein wort­gewaltiger Chef­sprecher der Gemeinde sein, er braucht auch kein gemeinde­leitendes Multi-Talent zu sein, sondern „dafür halte uns jedermann“, schreibt er: „für Diener Christi und Haushalter über die Geheimnisse Gottes“. Das ist noch heute das Ent­scheidende am geistlichen Amt: Die dazu berufen sind, sind ganz einfach Diener Christi. Man kann auch sagen: Handlanger Christi. Wie Haushalter, wie Verwalter eines ländlichen Betriebs, haben sie einfach das zu tun, was der Dienstherr ihnen aufträgt, nicht mehr und nicht weniger. Und das ist im Wesent­lichen dies, dass sie jedem aus dem Haushalt den nötigen Teil an täglicher Nahrung und anderen Gütern austeilen.

Ein Pastor ist ganz einfach ein Handlanger Jesu Christi, der aus dessen Schatz die köstlichen und wertvollen Güter an die Gemeinde austeilt. Diese köstlichen und wertvollen Güter sind Gottes „Geheim­nisse“ – die allerdings für die, denen sie ausgeteilt werden, nicht mehr geheim sind. Es ist das Wort des Gesetzes und das Wort des Evan­geliums. Es ist die heilige Taufe, das Heilige Abendmahl und die Heilige Absolution. Es sind die Gnaden­mittel Wort und Sakrament, von denen der Glaube lebt – die Mittel, durch die der Heilige Geist zu uns kommt und uns selig macht. „Christus ist für deine Sünden am Kreuz gestorben, du bist heilig und gerecht um seinet­willen, du wirst mit diesem Glauben selig werden“, das und nichts anderes haben wir Pastoren zu sagen, zu lehren, zu predigen, nicht mehr und nicht weniger. „Nun fordert man nicht mehr von den Haus­haltern, als dass sie für treu befunden werden.“

Weil Gott selbst nicht mehr fordert und erwartet, steht Paulus der Gemeinde-Kritik gelassen gegenüber. Ich beneide den Paulus ein bisschen wegen dieser Gelassen­heit. Wenn ich doch mit Kritik auch so umgehen könnte wie er! Er schreibt: „Mir ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem mensch­lichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.“ Ein Geringes ist ihm die Kritik der Gemeinde! Deren hohe Erwartungen und Forderungen regen ihn überhaupt nicht auf; er fühlt sich nicht bemüßigt, ihnen entgegen­zukommen, er schmettert sie aber auch nicht wütend ab, er bleibt gelassen. Er weiß, worauf allein es ankommt: treu bleiben! Gottes Geheimnisse treu austeilen! Das Wort ver­kündigen, nicht mehr und nicht weniger! Dann mag Gott durch dieses sein Wort handeln, wie er will.

Das ist herrlich lutherisch, liebe Gemeinde, und lutherisch ist ja nichts anderes als biblisch: Nicht die mensch­lichen Qualitäten des Predigers bauen Gemeinde, nicht von seinen Eigen­schaften hängt der Glaube ab, sondern alles hängt an Gott und seinem Wort. Bei Paulus und bei vielen anderen Predigern auch gefiel es dem Herrn, sein Wort in den Mund un­vollkomme­ner, ja menschlich gesehen sogar un­geeigneter Menschen zu legen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, hatte er Paulus einmal wissen lassen, damit ganz deutlich werde: Das Evangelium beruht nicht auf mensch­lichen Qualitäten, sondern es ist Gottes Kraft!

Nun hat aber die Gelassen­heit des Paulus noch einen anderen, tieferen Grund: „Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerecht­fertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.“ Paulus ist sich keiner Verfehlung der korinthi­schen Gemeinde gegenüber bewusst. Er hat in seinem Dienst an ihr nichts unter­lassen, was Gott ihm aufgetragen hatte. Aber er weiß zugleich, dass so ein scheinbar reines Gewissen auch trügen kann, dass damit also noch nicht gesagt ist, Gott könne ihm nichts mehr vorwerfen. Gott kennt ja unsere Herzen besser als wir selbst; er kennt auch die geheimsten Regungen böser Gedanken. Nein, auf sein gutes Gewissen kann sich niemand verlassen im Angesicht Gottes, auch ein Paulus nicht.

Aber Paulus weiß ja auch: Auf mein gutes Gewissen muss ich mich gar nicht verlassen. Denn vom guten Gewissen hängt die Recht­fertigung vor Gott nicht ab, weil sie ja nicht von guten Taten abhängt. Sie kommt vielmehr aus dem Glauben an Jesus Christus, der für alle Ver­fehlungen bezahlt hat. Mein reines Gewissen entschuldig mich nicht vor Gott, aber Gott, der mich richtet, der ent­schuldigt mich auch zugleich, hat mich ent­schuldigt durch seinen eigenen Sohn. Was sollte mir da noch einer vorwerfen? Wie sollte mich da Kritik verletzen? Mein Wert bei Gott hängt ja nicht davon ab, was ich leiste, sondern mein Wert bei Gott ist durch das teure Blut Christi bereits unschätzbar hoch ver­anschlagt. Mein Wert bei Gott hängt daran, dass er mich so sehr lieb hat. Das gibt nicht nur Gelassen­heit und Un­empfindlich­keit gegenüber böswilliger Kritik, das schenkt auch höchste Freude, höchstes Glück. „Der Herr ists, der mich richtet“ – ja, aber derselbe rettet mich auch.

Aus dieser fröhlichen Gelassen­heit und Glaubens­freude heraus kann Paulus nun den Korinthern so raten, wie es als Prediger des Evangeliums seine Pflicht ist: „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ Noch ist unsern mensch­lichen Blicken verborgen, aus welchen Motiven heraus einer so oder anders ist, so oder anders handelt. Und wer im Reich Gottes am besten gearbeitet hat, dass kann man heute noch nicht erkennen. Man kann es jedenfalls nicht daran ablesen, wie beliebt er ist, wie viele seine Predigten hören oder wie wenige ihm wider­sprechen. Wer im Reich Gottes am besten gearbeitet hat, das kann man erst am Jüngsten Tag erkennen, wenn offenbar wird, wieviele durch seinen Dienst den Weg zum Himmel gefunden haben. Die Arbeit eines Predigers ist in dieser Welt immer nur Saat auf Hoffnung; die Ernte steht noch aus. Wer wollte da sagen: „Du säst den Samen falsch, du musst das anders machen“ – wenn die Ernte doch noch im Nebel der Zukunft liegt? Nein, nur eines gilt jetzt: dass der Haushalter treu ist. Dass er den richtigen Samen nimmt – das Wort Gottes, das der Herr selbst zur Aussaat vorgesehen hat.

Liebe Gemeinde, was für einen Apostel und für einen Pastor gilt, das gilt ent­sprechend auch für Kirchen­vorsteher und andere Gemeinde­glieder: Wo es um das Reich Gottes geht, da richtet nicht nach mensch­lichen Gesichts­punkten, sondern überlasst das Urteil getrost Gott! Und lasst es euch nicht verdrießen, wenn euch andere richten, wenn euch andere kriti­sieren. Nehmt es hin mit pau­linischer Gelassen­heit, mit Glaubens­gelassen­heit. Das Urteil von Menschen kann euch nicht verdammen, und Gottes Urteil wird euch nicht verdammen, wenn ihr Christus habt. Nur eins ist wichtig: dass wir treu erfunden werden, dass wir treu und gehorsam am Wort unsers Herrn bleiben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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