Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Vor Weihnachten werden viele Wunschzettel geschrieben. Es gibt auch Wunschzettel, die nur in Gedanken geschrieben werden, zum Beispiel in den Herzen von Gemeindegliedern. Gemeindeglieder haben oftmals so ihre Wünsche, wie der Pastor sein soll: Nett soll er sein, menschlich und umgänglich. Gut predigen soll er können, aber auch gut zuhören. Für die älteren soll er gute Manieren drauf haben, bei den Jüngeren soll er aber auch mal alle Manieren vergessen. Er soll gut organisieren können und ein gutes Gedächtnis haben. Er soll Stimmung in Gemeindefeste bringen und ein fähiger Reiseleiter sein. Er soll viel trösten und nicht allzu streng mahnen. Er soll mit beiden Beinen in dieser Welt stehen und von den Dingen des täglichen Lebens eine Ahnung haben. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Gemeinde in Korinth im ersten Jahrhundert nach Christus hatte auch ihre Vorstellungen, wie ihr Seelenhirte sein soll, Und sie machte keinen Hehl aus ihren Wünschen. Die Korinther konnten sich das leisten, denn bei ihnen gab es mehrere führende Persönlichkeiten, die sich um die Gemeinde kümmerten; so konnten sie vergleichen. Paulus, der Gründer und geistliche Vater der Gemeinde, schnitt dabei nicht besonders gut ab. Er muss starke Kritiker in der Gemeinde gehabt haben. Er war ja auch keine besonders attraktive Persönlichkeit. Seinen schweren theologischen Gedanken konnte man nur mit Mühe folgen. Er hatte eine unbeholfene Ausdrucksweise – ganz anders als Apollos, der korinthische Star-Prediger. Außerdem war Paulus kränklich. Und dann nahm er es mit der Sünde so furchtbar genau: Wenn jemand nicht Buße tat, dann verlangte Paulus, dass er ausgeschlossen wird aus der Gemeinde. Kurz: Paulus war bei vielen Korinthern nicht gerade beliebt. Auch als Apostel nahmen sie ihn nicht ganz für voll, denn er war erst lange nach Pfingsten bekehrt und von Christus in den Apostelkreis berufen worden.
Mit den Versen der heutigen Epistel lässt Paulus sich auf diese Kritik ein. Das heißt, eigentlich lässt er sich gar nicht richtig drauf ein, er lässt diese Kritik gar nicht so sehr an sich herankommen. Er sagt der Gemeinde einfach, was in dieser Situation zu sagen notwendig ist. Da ist zunächst einmal Aufklärung nötig, was ein Prediger des Evangeliums ist und was er nicht ist. Er muss kein wortgewaltiger Chefsprecher der Gemeinde sein, er braucht auch kein gemeindeleitendes Multi-Talent zu sein, sondern „dafür halte uns jedermann“, schreibt er: „für Diener Christi und Haushalter über die Geheimnisse Gottes“. Das ist noch heute das Entscheidende am geistlichen Amt: Die dazu berufen sind, sind ganz einfach Diener Christi. Man kann auch sagen: Handlanger Christi. Wie Haushalter, wie Verwalter eines ländlichen Betriebs, haben sie einfach das zu tun, was der Dienstherr ihnen aufträgt, nicht mehr und nicht weniger. Und das ist im Wesentlichen dies, dass sie jedem aus dem Haushalt den nötigen Teil an täglicher Nahrung und anderen Gütern austeilen.
Ein Pastor ist ganz einfach ein Handlanger Jesu Christi, der aus dessen Schatz die köstlichen und wertvollen Güter an die Gemeinde austeilt. Diese köstlichen und wertvollen Güter sind Gottes „Geheimnisse“ – die allerdings für die, denen sie ausgeteilt werden, nicht mehr geheim sind. Es ist das Wort des Gesetzes und das Wort des Evangeliums. Es ist die heilige Taufe, das Heilige Abendmahl und die Heilige Absolution. Es sind die Gnadenmittel Wort und Sakrament, von denen der Glaube lebt – die Mittel, durch die der Heilige Geist zu uns kommt und uns selig macht. „Christus ist für deine Sünden am Kreuz gestorben, du bist heilig und gerecht um seinetwillen, du wirst mit diesem Glauben selig werden“, das und nichts anderes haben wir Pastoren zu sagen, zu lehren, zu predigen, nicht mehr und nicht weniger. „Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.“
Weil Gott selbst nicht mehr fordert und erwartet, steht Paulus der Gemeinde-Kritik gelassen gegenüber. Ich beneide den Paulus ein bisschen wegen dieser Gelassenheit. Wenn ich doch mit Kritik auch so umgehen könnte wie er! Er schreibt: „Mir ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.“ Ein Geringes ist ihm die Kritik der Gemeinde! Deren hohe Erwartungen und Forderungen regen ihn überhaupt nicht auf; er fühlt sich nicht bemüßigt, ihnen entgegenzukommen, er schmettert sie aber auch nicht wütend ab, er bleibt gelassen. Er weiß, worauf allein es ankommt: treu bleiben! Gottes Geheimnisse treu austeilen! Das Wort verkündigen, nicht mehr und nicht weniger! Dann mag Gott durch dieses sein Wort handeln, wie er will.
Das ist herrlich lutherisch, liebe Gemeinde, und lutherisch ist ja nichts anderes als biblisch: Nicht die menschlichen Qualitäten des Predigers bauen Gemeinde, nicht von seinen Eigenschaften hängt der Glaube ab, sondern alles hängt an Gott und seinem Wort. Bei Paulus und bei vielen anderen Predigern auch gefiel es dem Herrn, sein Wort in den Mund unvollkommener, ja menschlich gesehen sogar ungeeigneter Menschen zu legen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, hatte er Paulus einmal wissen lassen, damit ganz deutlich werde: Das Evangelium beruht nicht auf menschlichen Qualitäten, sondern es ist Gottes Kraft!
Nun hat aber die Gelassenheit des Paulus noch einen anderen, tieferen Grund: „Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.“ Paulus ist sich keiner Verfehlung der korinthischen Gemeinde gegenüber bewusst. Er hat in seinem Dienst an ihr nichts unterlassen, was Gott ihm aufgetragen hatte. Aber er weiß zugleich, dass so ein scheinbar reines Gewissen auch trügen kann, dass damit also noch nicht gesagt ist, Gott könne ihm nichts mehr vorwerfen. Gott kennt ja unsere Herzen besser als wir selbst; er kennt auch die geheimsten Regungen böser Gedanken. Nein, auf sein gutes Gewissen kann sich niemand verlassen im Angesicht Gottes, auch ein Paulus nicht.
Aber Paulus weiß ja auch: Auf mein gutes Gewissen muss ich mich gar nicht verlassen. Denn vom guten Gewissen hängt die Rechtfertigung vor Gott nicht ab, weil sie ja nicht von guten Taten abhängt. Sie kommt vielmehr aus dem Glauben an Jesus Christus, der für alle Verfehlungen bezahlt hat. Mein reines Gewissen entschuldig mich nicht vor Gott, aber Gott, der mich richtet, der entschuldigt mich auch zugleich, hat mich entschuldigt durch seinen eigenen Sohn. Was sollte mir da noch einer vorwerfen? Wie sollte mich da Kritik verletzen? Mein Wert bei Gott hängt ja nicht davon ab, was ich leiste, sondern mein Wert bei Gott ist durch das teure Blut Christi bereits unschätzbar hoch veranschlagt. Mein Wert bei Gott hängt daran, dass er mich so sehr lieb hat. Das gibt nicht nur Gelassenheit und Unempfindlichkeit gegenüber böswilliger Kritik, das schenkt auch höchste Freude, höchstes Glück. „Der Herr ists, der mich richtet“ – ja, aber derselbe rettet mich auch.
Aus dieser fröhlichen Gelassenheit und Glaubensfreude heraus kann Paulus nun den Korinthern so raten, wie es als Prediger des Evangeliums seine Pflicht ist: „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ Noch ist unsern menschlichen Blicken verborgen, aus welchen Motiven heraus einer so oder anders ist, so oder anders handelt. Und wer im Reich Gottes am besten gearbeitet hat, dass kann man heute noch nicht erkennen. Man kann es jedenfalls nicht daran ablesen, wie beliebt er ist, wie viele seine Predigten hören oder wie wenige ihm widersprechen. Wer im Reich Gottes am besten gearbeitet hat, das kann man erst am Jüngsten Tag erkennen, wenn offenbar wird, wieviele durch seinen Dienst den Weg zum Himmel gefunden haben. Die Arbeit eines Predigers ist in dieser Welt immer nur Saat auf Hoffnung; die Ernte steht noch aus. Wer wollte da sagen: „Du säst den Samen falsch, du musst das anders machen“ – wenn die Ernte doch noch im Nebel der Zukunft liegt? Nein, nur eines gilt jetzt: dass der Haushalter treu ist. Dass er den richtigen Samen nimmt – das Wort Gottes, das der Herr selbst zur Aussaat vorgesehen hat.
Liebe Gemeinde, was für einen Apostel und für einen Pastor gilt, das gilt entsprechend auch für Kirchenvorsteher und andere Gemeindeglieder: Wo es um das Reich Gottes geht, da richtet nicht nach menschlichen Gesichtspunkten, sondern überlasst das Urteil getrost Gott! Und lasst es euch nicht verdrießen, wenn euch andere richten, wenn euch andere kritisieren. Nehmt es hin mit paulinischer Gelassenheit, mit Glaubensgelassenheit. Das Urteil von Menschen kann euch nicht verdammen, und Gottes Urteil wird euch nicht verdammen, wenn ihr Christus habt. Nur eins ist wichtig: dass wir treu erfunden werden, dass wir treu und gehorsam am Wort unsers Herrn bleiben. Amen.
PREDIGTKASTEN |