Der Augenblick, auf den es ankommt

Predigt über Johannes 5,28‑29 zum Vorletzten Sonntags des Kirchenjahrs

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Meine Umzüge habe ich bisher immer mit Klein­transportern selbst erledigt. Einmal ist mir dabei eine dumme Sache passiert. Es war am späten Nachmittag, und die Hauptarbeit war vorbei. Die Kartons und Möbelstücke waren alle ausgeladen, nur der Wagen musste noch zum Vermieter zurück. Unterwegs wollte ich schnell etwas in einem Geschäft besorgen. War es nun der Umzugs­stress, war es die Eile, waren es die ungewohnten Abmessungen des Wagens – jedenfalls streifte ich beim Einparken ein anderes Fahrzeug. Viel Ärger und Scherereien folgten, und das alles nur, weil ich einen Augenblick lang un­aufmerksam gewesen war. Hinterher dachte ich immer wieder: Hättest du doch bloß besser aufgepasst!

Sicher kennt ihr das auch, dass man im Nachhinein sagt: Hättest du doch bloß besser aufgepasst! Oder: Hättest du dich bloß besser vor­bereitet! – auf eine Prüfung zum Beispiel, oder auf ein Ein­stellungs­gespräch. Ja, es gibt Stunden und Augen­blicke, auf die es ankommt. Und wenn man sich darauf nicht richtig einstellt, ist hinterher die Reue groß: Hättest du doch… Aber alles Jammern hilft nichts, es ist dann zu spät.

Gottes große Stunde liegt noch vor uns – der Augenblick, wo es vor seinem Thron drauf ankommt. Es ist sein Gerichtstag, an dem sich jeder Mensch vor ihm ver­antworten muss. Alle Toten werden dann wieder zum Leben erwachen, und es wird offenbar werden, wo sie die Ewigkeit verbringen. Jesus prophe­zeite: „Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervor­gehen, die Gutes getan haben, zur Auf­erstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auf­erstehung des Gerichts.“

Gottes große Stunde liegt noch vor uns. Gott gibt uns noch Gelegen­heit, dass wir uns darauf vorbereiten – es ist noch nicht zu spät. Wir können jetzt noch verhindern, dass wir dann einmal in Ewigkeit jammern müssen: Hättest du doch… Heute, am vorletzten Sonntag des Kirchen­jahres, rückt der Gerichtstag besonders in unser Blickfeld – Grund genug, dass wir uns ausführlich damit befassen.

Wir wollen das einmal in den größeren Zusammen­hang der Frage stellen: Was geschieht nach dem Tod? Was vorher geschieht, das kennen wir zumindest teilweise aus unserer Erfahrung, aber was danach geschieht, davon können wir nur reden wir Blinde von der Farbe. Gottes Wort sagt uns jedoch, was dann geschieht, und darauf wollen wir achten.

Was also geschieht nach dem Tod? In der Volks­frömmigkeit gibt es oft die Vor­stellung, dass dann die Seele des Ver­storbenen sogleich in den Himmel flattert. So einfach ist das aber nicht; Gottes Wort sagt es etwas anders. Wir erfahren, dass sich im Tod Leib und Seele trennen. Der Leib wird wieder zu Erde und Asche; die Seele ruht, sie schläft, sie nimmt nichts wahr – bis zu dem Tag, auf den es ankommt. „Es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und werden hervor­gehen…“ Ja, dann werden die Toten erwachen! Da wird es lebendig werden auf den Friedhöfen, auf den Schlacht­feldern und wo sonst sterbliche Überreste von Menschen sind! Da werden die halb und ganz verwesten Leichen und alle Überreste wieder zu Menschen werden, belebt durch ihre alten Seelen, die dann aus­geschlafen haben. Auch wenn wir heute keine Spur mehr finden von vielen Toten, die verbrannt sind oder verwest oder von wilden Tieren auf­gefressen: Gott unser Schöpfer wird die Moleküle und Atome schon wieder zusammen­kriegen! Ja, das wird zu Gottes fest­gesetzter Stunde geschehen. Wenn wir sterben, wird es uns freilich so vorkommen, als ob sich dieser Tag sogleich an unseren Todestag anschließt, weil wir den Seelen­schlaf nicht merken.

Wenn nun alle Toten auf­erstanden sind, die Frommen und die Unfrommen, dann wird Gott offenbar machen, wer in den Himmel kommt und wer in die Hölle. Es handelt sich also eigentlich um eine zweifache Auf­erstehung, wie Jesus es voraus­gesagt hat: „Sie werden hervor­gehen, die Gutes getan haben, zur Auf­erstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auf­erstehung des Gerichts.“ Auf der einen Seite die Auf­erstehung zum ewigen Leben, wo die Heiligen mit neuem, voll­kommenem Leib in ewiger Freude leben dürfen mit ihrem Herrn und Heiland Jesus Christus. Auf der anderen Seite die Auf­erstehung des Gerichts, genauer: die Auf­erstehung zur Ver­urteilung und Urteils­voll­streckung. Die Verdammnis wird nirgends in der Bibel „Leben“ genannt, denn sie ist ein Dahin­existieren in ewiger Qual, ein ewig quälendes „Hättest du doch…“

Liebe Gemeinde, nun müssen wir wohl oder übel zur Kenntnis nehmen, dass in diesem Jüngsten Gericht nach unseren Werken gerichtet werden wird: Die Gutes getan haben, gelangen zur Auf­erstehung des Lebens, die aber Böses getan haben, zur Auf­erstehung des Gerichts. Das ist an vielen Stellen der Heiligen Schrift so bezeugt, da gibt es keinen Zweifel. Denken wir an unser heutiges Evangelium: Das Urteil richtet sich nach dem, was die Menschen an einem ihrer geringsten Brüder getan haben – beziehungs­weise was sie an ihnen nicht getan haben. In Römer 2 heißt es, dass Gott einem jeden geben wird nach seinen Werken: den einen Ungnade, Zorn, Trübsal und Angst, den anderen ewiges Leben, Herrlich­keit, Ehre und Frieden (Römer 2,6‑10). In 2. Ko­rinther 5 schreibt der Apostel Paulus: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richter­stuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse“ (2.‑Kor. 5,10). Und der Apostel Johannes bekam in der Offenbarung gezeigt, was im Weltgericht geschehen wird: „Die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken“ (Offb. 20,12).

Das Gericht nach den Werken ist also klar bezeugt. Wir können nicht umhin zu erkennen: Sünde ist etwas ganz Schlimmes, Sünde verdammt im Jüngsten Gericht. Mit der Sünde verscherzen wir uns das ewige Leben. Ich halte es für eines der größten Probleme in der Christen­heit unserer Tage, dass die Sünde verharmlost wird, so nach dem Motto: Wir sind ja nun mal eben Sünder und können nichts dafür. Nein, Sünde ist echte Schuld, für die jeder von uns persönlich ver­antwortlich ist. Und eben diese Schuld zieht am Ende die Strafe nach sich, die ewige Verdammnis.

Erst wenn und das klar ist, können wir den Apostel Paulus verstehen, der ausrief: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem tod­verfallenen Leibe?“ (Römer 7,24) Oder Luther mit seiner bangen Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Wenn uns das klar ist, dann werden wir unsere Sünde hassen und um jeden Preis abzulegen suchen. Wenn wir an diesem Punkt stehen (aber wirklich erst dann!), hat uns das Evangelium etwas zu sagen. Dann nämlich können wir ermessen, was Vergebung der Sünden bedeutet. Dann erst erfahren wir, was Glaube ist. Dann erst lernen wir unsern Heiland Jesus Christus richtig lieben und schätzen. Denn wieder einmal zeigt sich bei diesem Wort der Heiligen Schrift wie bei vielen anderen: Wir müssen auf den sehen, der es sagt.

Jesus sprach davon, dass die einen, die Gutes getan haben, zur Auf­erstehung des ewigen Lebens hervor­gehen, die anderen, die Böses getan haben, zur Auf­erstehung der Ver­urteilung. Von diesem Beschluss nimmt Gott nichts zurück; er sagt nicht: April, April, ich werde doch nicht die Bosheit strafen. Gott verändert auch nicht den Maßstab seines göttlichen Gesetzes; er sagt nicht: Wenn sich jemand Mühe gegeben hat, dann will ich das so ansehen, als ob er das Gute auch wirklich ganz getan hätte. Nein, Gott steht zu seinem Wort. Die Ver­urteilung muss sein; Gott ist gerecht. Aber die Ver­urteilung lässt er nun einen anderen tragen: seinen eigenen Sohn. Der, der hier von der Ver­urteilung spricht, hat sie selbst auf sich genommen am Kreuz. Er hat die ewige Gott­verlassen­heit für alle Menschen auf sich genommen, eben dieses schmerz­hafte „Hätte ich doch…“ – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ – das hat der für uns erduldet, der hier vom Gericht nach den Werken spricht. Strafe muss sein, das gilt nach wie vor, doch die Strafe trägt ein anderer für uns.

Stellt euch einmal vor, ihr hättet einen Menschen umgebracht, und das Urteil lautet: lebens­länglich! Aber da kommt einer und sagt: Ich gehe in den Knast für diesen da! – und der Richter lässt sich auf den Handel ein. Wärt ihr dann nicht die glück­lichsten Menschen der Welt? Nun, ihr seid die glück­lichsten Menschen der Welt, weil Jesus eure Ver­urteilung getragen hat!

Wie also können wir bestehen in der Stunde des Gerichts, in dem Augenblick, auf den alles ankommt? Nur mit Jesus, nur durch die Vergebung der Sünden, so lautet die Antwort des Evan­geliums. Denn wenn wir durch Jesus unsere Sünden vergeben bekommen, dann ist in Gottes Büchern alles Böse ausradiert, das wir getan haben. Und dann werden wir nicht verurteilt um des Bösen willen, das wir getan haben, weil das Urteil schon vollstreckt ist. Wir werden dann vielmehr belohnt um des Guten willen, das Jesus Christus für uns getan hat und das er durch uns tut. Dann wartet das ewige Leben auf uns.

Liebe Gemeinde, das müssen wir uns gut merken: Nur mit Jesus können wir bestehen an dem Tag, auf den es ankommt. Nur wenn wir an ihn glauben, besteht die Aussicht, dass wir gerettet werden. Nicht unsere Kirchen­zugehörig­keit rettet uns, nicht die Tatsache, dass wir konfirmiert und christlich getraut sind, nicht der gelegent­liche Gottesdienst­besuch und der Kirchen­beitrag, nicht die guten Werke, um die wir uns bemühen, auch nicht ein christ­liches Begräbnis, sondern nur das Vertrauen, dass Jesus uns in der Taufe angenommen hat und unsere Sünden vergibt.

Darum lasst uns ernst machen mit diesem Glauben. Er ist das Wichtigste im Leben – viel mehr noch: das Wichtigste in Ewigkeit! Erkennen wir doch, wieviel Jesus für uns getan hat! Darum lasst uns leben im Aufblick auf Gottes großen Tag. Er ist der Augenblick, auf den es wirklich ankommt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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