Vergiss nicht!

Predigt über Lukas 17,11‑19 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am heutigen Sonntag könnten wir uns alle einen dicken Knoten ins Taschentuch machen, denn der 14. Sonn­tag nach Trinitatis steht unter dem Motto: Vergiss nicht! Vergiss nicht, was Gott dir Gutes getan hat! Es heißt im Wochen­spruch aus Psalm 103: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Und wenn wir im heutigen Evangelium hörten, wie Jesus zehn Aussätzige heilte, dann können wir auch da heraus­hören: Vergiss nicht! Solche Wunder berichtet uns Gottes Wort ja nicht nur, damit wir uns wundern und staunen; nein, Gottes Wort berichtet sie uns auch als Zeichen, die uns etwas zeigen. Sie zeigen uns, wozu Jesus in die Welt gekommen ist; sie zeigen uns, was er für uns getan hat und tut. „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ – wir wollen uns gern daran erinnern lassen durch das heutige Evangelium. Gleich dreifach wollen wir uns erinnern lassen: Vergiss nicht deine Krankheit! Vergiss nicht, wie Jesus dich gesund gemacht hat! Vergiss nicht zu danken!

Erstens: Vergiss nicht deine Krankheit. Was sagt dieses Gotteswort von der Krankheit? Wir lernen zehn Männer kennen, die unter Aussatz litten, unter Lepra. Es ist eine schlimme Krankheit, die es heute noch gibt. Das Schlimme daran ist, dass der Kranke bei lebendigem Leibe verfault. Es bilden sich hässliche Geschwüre auf der Haut, und im fortgeschrittenen Stadium verliert der Kranke einzelne Gliedmaße. Heute kann man durch den Fortschritt der Medizin diese Krankheit zum Stillstand bringen; damals bedeutete sie einen langsamen, qualvollen Weg zum Tod. Hinzu kam, dass die Kranken aus dem normalen gesellschaft­lichen Leben aus­geschlossen waren wegen ihrer Unreinheit. Die zehn Männer machten sich keine Illusionen über ihren Zustand und hielten sich im gebotenen Abstand fern von anderen Menschen. Sie wagten auch nicht, in Jesu Nähe zu kommen, sondern riefen ihn von Weitem an. Sicher hatten sie schon von diesem Wunder­heiler aus Nazareth gehört; auch seinen Namen kannten sie. Sie erblickten in ihm einen letzten Hoffnungs­schimmer, und so schrien sie ver­zweifelt: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“

Heute gibt es andere schlimme Krank­heiten, die einen qualvollen Weg des Sterbens bedeuten. Wer dächte da nicht gleich an Krebs? Wenn jemand mit dieser Krankheit leben muss, dann tut er gut daran, sie nicht zu verdrängen, sondern den Gottessohn und Hilfe zu bitten wie die zehn Männer. Aber nicht nur für medizinisch Kranke gilt: Vergiss deine Krankheit nicht! Es gilt für alle Menschen, auch für die, die in medi­zinischer Hinsicht kerngesund sind, ja selbst für die, die sorglos und erfolgreich durchs Leben gehen. Denn in gewisser Weise sind wir alle krank, herzkrank nämlich. „Das Dichten und Trachten des mensch­lichen Herzens ist böse von Jugend auf“, lautet die Diagnose der Bibel (1. Mose 8,21). Wir alle haben ein Herz, das Gott nicht über alle Dinge liebt, das ihm nicht bedingungs­los gehorcht und vertraut, das ihm nicht kompromiss­los den ersten Platz in allen Lebenslagen einräumt. So sollte es aber nach Gottes Willen sein. Ebenso haben wir ein Herz, das nicht allen Mitmenschen in echter Liebe zugetan ist, ohne Ansehen der Person. So sollte es aber nach Gottes Willen sein.

Es ist gut, wenn wir auch diese Sünden-Krankheit nicht vergessen oder verdrängen. Es ist wichtig, sogar lebens­wichtig. Denn wenn uns nicht geholfen wird, führt diese Krankheit zum Tod. Hätten wir diese Sünden-Krankheit nicht, so würden wir ewig leben, aber um dieser Krankheit willen rückt jeder von uns seinem Todestag täglich 24 Stunden näher, un­erbittlich – auch wenn uns das vielleicht nicht so deutlich bewusst ist wie etwa dem Krebs­kranken. Wenn uns nicht geholfen wird, dann enden wir um dieser Krankheit willen schließlich im ewigen Tod, in der end­gültigen, schreck­lichen Gottes­ferne. Wohl dem, der diese Krankheit nicht vergisst oder verdrängt, auch wenn das Erinnern schmerzlich ist und schwer fällt. Und wohl dem, der dann in seiner Not schreit wie die Aus­sätzigen: „Kyrie eleison! Christe eleison! Herr, erbarme dich! Christus, erbarme dich!“

Zweitens: Vergiss nicht, wie Jesus dich gesund macht. Dass er es tun kann und will, hat er an den zehn Aussätzigen gezeigt. Lasst uns betrachten, wie er es getan hat. Er hat sie auf einen Weg geschickt. Er hat ihnen gesagt: „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“ Mit diesem Wort, mit dieser Auf­forderung hat er sie los­geschickt und dadurch ihren Glauben heraus­gefordert. Denn zunächst einmal haben die zehn noch keine Heilung erfahren. Wenn sie sich aber den Priestern zeigen sollten, hatte das nur dann einen Sinn, wenn sie wieder völlig gesund waren. Nur dann konnten die Priester sie nach der damaligen Ordnung für rein erklären, und dann erst durften sie wieder ein normales Leben führen. Die Zehn glaubten das, und so zogen sie los. Unterwegs erlebten sie das Wunder: Sie wurden rein, ganz und gar gesund!

Vergiss nicht, dass Jesus auch dich heilt von deiner Sünden-Krankheit, deinem Sünden-Aussatz, deinem Sünden-Krebs. Er macht es so ähnlich wie bei den Zehn. Er hat dich durch sein Wort auf einen Glaubens-Weg geschickt, auf dem du gesund wirst. Ja, eigentlich hat er das Übel schon ganz beseitigt, hat dich rein­gewaschen von der Sünde, hat dir vergeben, hat dir den Himmel auf­geschlossen. Das ist in deiner Taufe geschehen. Bereits da hat er dir zugesagt, dass du nicht sterben musst um deiner Sünde willen, sondern dass du ewig leben wirst. Freilich fordert er auch jetzt noch unser Vertrauen heraus, denn an unserem Leib merken wir trotz unserer Taufe die Spuren des Todes wie alle anderen: Wir werden älter, schwächer, vergess­licher, und unser Herz wird eines Tages aufhören zu schlagen. Aber um unserer Taufe willen dürfen wir glauben: Der Weg als Jünger Jesu führt uns nicht in die schreck­liche endgültige Gottes­ferne, sondern er führt uns in ein ganz und gar gesundes Leben, ohne Sünde, ohne Leid, ohne Tod. Wir sehen diese Heilung noch nicht, sondern wir müssen unseren Weg im Vertrauen gehen wie die zehn Aus­sätzigen, als sie noch unrein waren.

Wenn dieser Glaube nun aber schwach und angefochten ist, dann dürfen wir wissen: Jesus fordert nicht nur den Glauben durch sein Wort, sondern er schenkt ihn zugleich, ebenfalls durch sein Wort. Das ist ja das Besondere an Gottes Wort: Es kann wirken, was es fordert. Es machte diejenigen gesund, die es auf­forderte, sich als Gesunde den Priestern zu zeigen. Und es schenkt denjenigen Glauben und Seligkeit, die es zu Buße und Glaube aufruft. Vergiss es nur nicht, dass Jesus dich durch sein Wort gesund macht, und beschäftige dich darum fleißig mit seinem Wort, in den Gottes­diensten sowie auch jeden Tag zu Hause. Dann gilt auch für dich, was Jesus dem einen sagte, der umgekehrt war: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Oder wir können ebensogut übersetzen: „Dein Glaube hat dich gerettet“, „Dein Glaube hat dich selig gemacht.“

Nicht, dass unser Glaube so eine tolle Sache ist, dass wir uns damit selbst helfen könnten. Glauben heißt ja nur, die Medizin nehmen, die uns verordnet ist. Wenn zum Beispiel jemand zuckerkrank ist, und er nähme als Medizin bloß Hustensaft, dann nützte ihm das nichts; nur das Insulin kann ihm helfen – aber nehmen muss er es schon, sonst hilft auch das nicht. Die einzige Medizin gegen unsere Sünden-Krankheit ist das Blut unseres Herrn Jesus Christus, das am Kreuz geflossen ist. Unser heutiges Evangelium deutet das an: Die Heilung geschah, als Jesus nach Jerusalem unterwegs war, unterwegs zu seinem Leiden und Sterben. Ja, die Medizin ist das Blut Christi, das hilft uns und rettet uns. Aber wir müssen diese Medizin nehmen, müssen sie ihm Glauben erfassen, und insofern ist es der Glaube, der uns hilft. Vergessen wir nur nicht, diese Medizin zu nehmen, die wir in Gottes Wort und Sakrament greifbar haben!

Drittens: Vergiss nicht zu danken. Da wird uns der Samariter ein Vorbild, der nach seiner Heilung umkehrte, Gott lobte, vor Jesus auf die Knie ging und ihm dankte. Aus­gerechnet der Samariter! Von dem hätten es die frommen Juden damals am wenigsten erwartet. Aber was hier geschah, das hat Jesus öfters erlebt: Der eine Nichtjude, den man bestenfalls als Randsiedler von Gottes Heils­gemeinde ansah, der wusste besser, was sich Gott gegenüber gehört, als die neun geheilten Juden, die sich nicht mehr blicken ließen. Das kann uns zu denken geben. Hüten wir uns davor, die Menschen vorschnell in Schubladen ein­zuordnen. Und meinen wir nicht, wir hätten das Heil für uns gepachtet, hätten ein Anrecht darauf vor anderen. Niemand hat ein Anrecht; bei allen ist die Heilung pure Gnade.

Darum wollen wir immer wieder neu froh und dankbar werden über die wunderbare Gnade, die an uns geschieht, auch wenn sie uns schon von Kindheit an vertraut ist. Wir wollen nicht vergessen zu danken. Wir wollen auch dann danken, wenn neunzig Prozent um uns herum es versäumen. Es ist ja heute wie damals dasselbe: Neunzig Prozent vergessen, was Gott ihnen Gutes getan hat seit der heiligen Taufe, und nur zehn Prozent erinnern sich daran, loben Gott und danken Jesus. Dass es schon damals so war, darf uns natürlich nicht beruhigen über den Undank der neunzig Prozent. Vielmehr ist es unsere Aufgabe als Gemeinde Jesu Christi, sie zu erinnern. Aber diese Erkenntnis gibt uns anderer­seits die nötige Nüchtern­heit, sodass wir nicht verzagen müssen, wenn wir merken: Es ist nur ein kleines Häuflein, das Jesus Sonntag für Sonntag und tagtäglich dankt; die meisten vergessen es, verlieren dabei ihren Glauben und haben am Ende nichts davon, dass sie getauft sind.

Wir aber wollen das Danken nicht vergessen, wollen es so machen wie der Samariter: Gott preisen mit lauter Stimme – mit lauter Stimme, hörst du? Hört man deine Stimme im Gemeinde­gesang? Hört deine Familie deinen täglichen Dank? Und was das Nieder­fallen betrifft – gehst du noch auf die Knie vor deinem Herrn, zum Beispiel dann, wenn er im Heiligen Altar­sakrament gegenwärtig ist? Oder ist das in deiner Gemeinde nicht üblich? Tust du es wenigstens innerlich, wirst du klein und demütig vor deinem Heiland, wo du doch seine Liebe nicht verdient hast? Und folgst du dann auch dem Ruf des Herrn: „Steh auf, geh hin“? Bleibst du dankbar im Herzen, wenn du vom Gottes­dienst in deinen Alltag gehst? Und findet dein Dank Ausdruck in allem, was du da sagst und tust? „Nun danket alle Gott“ nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit Herz und Händen! Vergiss nicht zu danken, denn das ist köstlich und schön! Da wird das Herz fröhlich, da werden Sorgen und dunkle Gedanken vertrieben! „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

Vergiss nicht! Dazu hilft uns auch das Heilige Abendmahl: Christi Leib, Christi Blut, für uns gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden. Vergiss es nicht! „Solches tut zu meinem Ge­dächtnis“, sagte Jesus. Da denken wir an unsere Sünde, die ihn seinen Leib und sein Blut gekostet hat. Da denken wir daran, wie er uns heilt. Da danken wir ihm auch – und denken daran, wie wir das heilige Mahl einst mit ihm in seines Vaters Reich feiern werden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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