Die Weisheit lädt ein – Christus lädt ein

Predigt über Sprüche 9,l‑6 zum 2. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Herrlich, wie Salomo hier mit Worten malt! Aus der Weisheit wird eine Frau Wirtin, die in ihr gastliches Haus einlädt. Mit viel Liebe und Sorgfalt bereitet sie alles für ihre Gäste vor. Sie hat das Haus mit sieben schönen Säulen geschmückt. Sie hat ein festliches Essen mit Braten und Wein vor­bereitet. Und dann schickt sie ihre Dienerinnen aus, um alle in der Stadt einzuladen: „Wer noch un­verständig ist, der kehre hier ein!“ Wer wollte sich da nicht an­gesprochen fühlen? Wer wollte von sich behaupten, er sei weise genug, er brauche nichts mehr zu lernen? Wer meint, er habe schon genug gelernt, der ist so dumm, dass ihm nicht mehr zu helfen ist. Es ist so, als wollte Frau Weisheit in ihrer Einladung sagen: Sei klug genug, um zu erkennen, dass du noch noch nicht klug genug bist! Mit ihrer Einladung verbindet Frau Weisheit eine wunderbare Verheißung: „Verlasset die Torheit, so werdet ihr leben.“ Wer bei Frau Weihsheit einkehrt und sich von ihr belehren lässt, der wird leben, richtig leben, gut leben, denn er schaut voraus und bedenkt die Aus­wirkungen seines Tuns. Er denkt an alle möglichen Situatio­nen, die in seinem Leben eintreten können, und bereitet sich auf sie vor.

Was uns Salomo mit diesen Worten vor Augen malt, ist eine Tatsache, die bis zum heutigen Tag gültig und wichtig ist. Wir können sie auf viele Bereiche unseres Lebens beziehen.

Nehmen wir zum Beispiel die Schule. „Die Schule hat ihr Haus gebaut und ihre sieben Säulen behauen …“ Ich finde es immer sehr erfreulich, wenn die Schule sich mit Liebe und Sorgfalt um die Kinder kümmert. Die Lehrer werden in unserem Land gründlich aus­gebildet. Es werden interes­sante Medien in den Unterricht ein­gebracht, und die Schulbücher sind bunt und an­schaulich. Die Lehrer halten nicht mehr lange Vorträge, sondern bringen die Kinder oftmals dazu, selbst zu entdecken, was sie lernen sollen. Viele von ihnen legen Wert darauf, dass der Unterricht Spaß macht. Und so lädt Frau Schule in der Tat freundlich ein. Ich meine damit nicht die Schul­pflicht, ich meine das Angebot, dass die Schüler auf kurzweilige Art Wichtiges für ihr Leben mit­bekommen. Wir Erwachsenen wissen ja, wie nützlich eine gute Schul­ausbildung fürs Leben ist, aber die Kinder muss man immer wieder freundlich einladen und locken: „Wer noch un­verständig ist, der kehre hier ein!“ – Sei klug genug, um zu erkennen, dass du noch nicht klug genug bist! Du tust dir doch nur selbst einen Gefallen damit, wenn du hier gut mitmachst, wenn du dich anstrengst, wenn du fleißig lernst und das Gelernte beherzigst! Sei doch nicht so dumm zu meinen, du weißt schon genug, und die Schule sei nur eine lästige Pflicht­übung, von den Erwachsenen erfunden, um dich zu ärgern. Du bekommst mit deiner Schul­bildung einen großen Schatz geschenkt. Oder weißt du nicht, dass der Staat für dich im Laufe deiner Schulzeit zigtausende Euro investiert? Und denk an morgen! Du willst doch mal in den voraus­sichtlich vierzig vor dir liegenden Berufs­jahren etwas tun, was dir Freude macht. Solltest du dir das jetzt verbauen, nur weil du keine Lust hast, ein paar Jahre lang zu lernen? „Verlasset die Torheit, so werdet ihr leben“, sagt Frau Weisheit – und von der Schule heißt es: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.

Nun hat die Einladung von Frau Weisheit hier in den Sprüchen Salomos aber noch eine tiefere Bedeutung, sonst würde sie nicht in der Bibel stehen. Es geht nicht nur um die Einsicht, dass man gut daran tut, zu lernen und sich weiterzubilden. Wenn man sich mal alle Bibel­stellen anschaut, wo die Weisheit wie eine Person dargestellt wird, dann merkt man schnell: Da verbirgt sich mehr dahinter. Genauer: Da verbirgt sich jemand dahinter – jemand, den wir sehr gut kennen: unser Herr Jesus Christus. Er trägt in den Weisheits­büchern des Alten Testaments die Maske der Frau Weisheit. Denn das können wir immer wieder in der Bibel lesen: Ohne Gott gibt es keine wirkliche Weisheit, und die Weisheit fängt mit der Gottes­furcht an. Gott aber finden wir nur durch unseren Herrn Jesus Christus, wie er uns im Neuen Testament offenbart ist, wie er uns dort also ohne Maske begegnet.

Ja, der Herr Jesus Christus hat mit Liebe und Sorgfalt sein Haus und sein Festmahl zubereitet. Es ist das Reich Gottes, das durch ihn offen steht wie ein gastliches Haus. Wir denken an sein Gleichnis, das wir im heutigen Evangelium gehört haben, ein Gleichnis vom Reich Gottes: Der reiche Gastgeber hat sein festliches Abendessen bestens vorbereitet und schickt nun seine Boten aus, um zu sagen: „Kommt, denn es ist alles bereit“ (Lukas 14,17). Ja, mit Liebe und Sorgfalt hat Jesus uns das Reich Gottes bereitet – vor allem mit viel, viel Liebe, mit un­aussprech­lich großer Liebe. Aus Liebe hat er seine himmlische Herrlich­keit verlassen und ist ein Mensch geworden; aus Liebe hat er geblutet und gelitten am Kreuz, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern Gäste in Gottes Reich werden dürfen – ja mehr noch als Gäste: Mitbürger und Haus­genossen! Das ist die Weisheit, die allen Menschen­verstand übersteigt. Das ist der Friede, der höher ist als alle Vernunft. Das ist die göttliche Weisheit, die den Ungläubigen wie Torheit erscheint: das Wort vom Kreuz. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol. 2,3), schrieb Paulus den Kolossern, und den Korinthern schrieb er: „Wir predigen den ge­kreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1. Kor. 1,23‑24). Mit Liebe und Sorgfalt hat Christus den Menschen das Reich Gottes bereitet und aufgetan; nun lockt er und lädt ein: „Wer noch un­verständig ist, der kehre hier ein!“ – „Kommt, esst von meinem Brot und trinkt von dem Wein, den ich gemischt habe!“ – Oder wie es in unserem Wochen­spruch heißt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ (Matth. 11,28). Und durch seine Boten lässt der Herr ausrichten: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Durch seine Boten: durch die Apostel und die Propheten und all die andern, die das göttliche Wort weiter­sagen.

Jesus lädt dazu ein, von den eigenen, eigen­süchtigen Wegen umzukehren und zu ihm zu kommen. Er wendet sich auch an diejenigen, die meinen, dass sie schon klug genug sind, dass sie selbst für alle Fälle des Lebens vorgesorgt haben – an diejenigen, die sich klug und zielstrebig ihr Leben aufgebaut und ein­gerichtet haben, die vorgesorgt haben bis ins Alter hinein. Er sagt ihnen: Seid klug genug, um zu erkennen, dass ihr noch nicht klug genug seid! Denkt weiter! Einmal müsst ihr sterben, dann könnt ihr nichts von alledem mitnehmen, dann steht ihr vor eurem Schöpfer, und dann entscheidet sich, wo ihr die Ewigkeit verbringen werdet. Seid klug genug, euch darauf vor­zubereiten; die Weisheit dazu findet ihr bei mir, an meinem Kreuz. Seid keine Narren wie der reiche Kornbauer, der für sein Leben vorsorgte, aber der nicht weit genug dachte, der nicht reich war für Gott. Und ihr Mühseligen, Beladenen, Ein­fältigen, Schwachen, Verzagten, Unsicheren, Zweifeln­den, Hin- und-Her­gerissenen: Kommt auch ihr her zu mir, findet Weisheit und Geborgen­heit! Denn – und das ist nicht nur die große Verheißung der Weisheit, sondern viel mehr noch die große Verheißung Christi – denn hier findet ihr Leben! Leben mit Gott, Leben die Fülle! Ewiges Leben, seliges Leben! „Verlasset die Torheit, so werdet ihr leben“, sagt Frau Weisheit, und Christus sagt: Wendet euch ab vom Unglauben, kommt zu mir und glaubt an mich, so werdet ihr leben!

Liebe Brüder und Schwestern, dieser Einladung Christi kommen wir gern und freudig nach; darum sind wir hier. Wir wissen, was wir an ihm haben und was er uns schenkt. Trotzdem ist die Sache damit für uns noch nicht erledigt. Wir sollten in der Einladung von Frau Weisheit auch die Einladung des Heiligen Geistes erblicken, der uns weiterhin lehren und erleuchten will, der uns anleiten will zu einem immer erfüllteren Leben mit Christus. Auch der Heilige Geist bereitet uns sein Haus und sein Gastmahl mit Liebe und Sorgfalt. Er lehrt uns, mit Glaube, Liebe und Hoffnung zu leben. Er lehrt uns Gottes Gebote. Er öffnet uns die Augen dafür, dass die Gebote, die uns zunächst zu verdammen scheinen, in Wahrheit zu erfülltem Leben anleiten. Gott hat sie uns aus Liebe und Fürsorge gegeben. Ja, sie sind eigentlich leicht und süß für den, der in Christus lebt. So lädt uns der Heilige Geist ein und ruft: „Wer noch un­verständig ist, der kehre hier ein!“ – Sei klug genug zu erkennen, dass du noch nicht klug genug bist! Auch der reife Christ, auch der Kirchen­vorsteher, auch der Pastor, auch der Theologie­professor ist noch nicht fertig, hat immer noch mehr zu lernen, was es heißt, ein Christ zu sein. Da ist niemand, der der täglichen Buße nicht bedürfte. Wir alle haben es täglich nötig, von unseren törichten Wegen umzukehren und der Einladung ins Reich Gottes zu folgen. Auch hier sollten wir so klug sein und voraus­denken, an morgen denken. Heute mag es uns schwer­fallen, mit Gottes Geboten ernst zu machen, wir werden es vielleicht auch nicht immer einsehen, warum wir uns so streng daran halten sollen: „Du sollst den Feiertag heiligen“, „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“, und wie die Gebote alle heißen. Aber später werden wir merken, wieviel Segen darauf liegt – wenn wir uns das Gute angewöhnt und das Schlechte abgewöhnt haben. Und so bewahr­heitet sich auch im Bereich der Heiligung dieses Wort: „Verlasset die Torheit, so werdet ihr leben.“

Ja, leben wollen wir, richtig leben, gut leben, ewig leben, selig leben. Und das werden wir auch, wenn wir uns einladen lassen: von der Weisheit, die mit der Furcht des Herrn beginnt, von unserm Herrn Jesus Christus in das Reich Gottes und vom Heiligen Geist zu einem geheiligten Lebens­wandel. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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