Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Wer ist ein Christ, wer ist es nicht? Diese Frage können viele Menschen heutzutage nicht eindeutig beantworten, und wer es dennoch versucht, gerät in den Verdacht, Schwarz-weiß-Malerei zu betreiben. Da kennen wir zum Beispiel einen netten Menschen, der immer hilfsbereit ist und niemandem was zuleide tut. Er geht zwar nicht in die Kirche, und vom Glauben haben wir ihn auch noch nie reden hören, aber er macht trotzdem irgendwie einen christlichen Eindruck. Da gibt es andererseits jemanden, der sein Christsein immer wieder betont und hervorhebt. Allerdings ist er sehr streng mit anderen, schaut oft unfreundlich drein, schimpft, kritisiert viel, und wenn man mal Hilfe braucht, ist er nicht zu sehen. Sollte das ein Christ sein? Oder nehmen wir mal zum Beispiel uns selbst. Kannst du im Brustton der Überzeugung sagen: Ich bin ein Christ! Kämst du dir dabei nicht irgendwie angeberisch vor? Vielleicht würdest du lieber sagen: Ich versuche, als Christ zu leben. Andererseits: Wenn jemand daherkäme und behauptete, du seist kein Christ, dann würde dich das sicher kränken. Wir wissen zwar, dass unser Glaube angefochten ist und dass wir uns oft nicht wie Christen benehmen; aber doch wollen wir welche sein. Es gibt ja nichts Besseres, und wir hoffen, auf diesem Wege ein sinnvolles Leben und schließlich die ewige Seligkeit zu erlangen.
Ähnlich hin- und hergerissen werden sich wohl die Empfänger des 1. Johannesbriefes gefühlt haben; jedenfalls können wir das aus dem Inhalt dieser biblischen Schrift erschließen. Der Apostel Johannes bringt ihnen aber Klarheit. Es ist die erfrischend eindeutige Klarheit, die uns in Gottes Wort immer wieder erfreuen kann. Da heißt es am Ende des Briefes: „Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt.“ Immer wieder macht der Apostel seinen Lesern in diesem Schreiben klar: Ein Christ ist jemand, in dem Christus lebt; und wenn Christus in euch lebt, dann könnt ihr das erkennen. In dem Wort, das wir jetzt besonders betrachten, heißt es: „Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat.“
Aha, am Heiligen Geist können wir also erkennen, dass Jesus in uns lebt und dass wir Christen sind. Der Heilige Geist gibt dieses Zeugnis unserm Geist, wie er es seit dem ersten Pfingstfest immer schon getan hat. Die Frage ist nur: Wie merken wir, dass wir den Geist haben? Seien wir ehrlich: Mit dem Heiligen Geist tun wir uns schwer. Gott der liebe Vater, der Schöpfer, der uns versorgt und uns erzieht – gut! Gott der Sohn, der Heiland Jesus Christus, der uns erlöst hat – wunderbar! Aber Gott der Heilige Geist? Grund genug, dass wir uns heute am Pfingstfest neu festigen und gründen lassen in der Erkenntnis des Heiligen Geistes. Lasst uns dabei sehen, ob wir ihn haben. Wenn wir ihn bei uns nicht erkennen, dann sollte uns das zur Buße leiten und zu der Bitte: „Komm, Heiliger Geist!“ Wenn wir ihn aber bei uns erkennen, so wollen wir uns mit ihm trösten und uns an ihm festhalten in Zeiten der Anfechtung und des Zweifels. Ja, lasst uns heute ganz auf den Geist schauen: erstens, wie er zu uns kommt, zweitens, was er bei uns wirkt, und drittens, wie wir mit ihm umgehen.
Erstens: Wie kommt der Heilige Geist zu uns? Aus der Bibel lernen wir zunächst die Grunderkenntnis: Er weht, wo er will; er kommt, wann und wo er will. Wo will er denn? Das bleibt nicht im Dunkeln, sondern auch das offenbart uns die Heilige Schrift – zum Beispiel in der Pfingstgeschichte. Da wird der Geist zunächst erkennbar im Windesrauschen und durch Feuerzungen über den Köpfen der Jünger. Wohlbemerkt: Das waren besondere Zeichen des Geistes für den Pfingsttag! Damit hat Gott markiert, dass der Geist so kommt und wirkt, wie es dann weiter geschehen ist: nämlich durch das Wort, durch die Predigt des Evangeliums. Petrus und die anderen Jünger verkündigten Jesus den Auferstandenen als Retter und König der Welt. Tausende hörten es und glaubten. Warum konnten sie es hören? Weil der Heilige Geist es ihnen in ihre jeweilige Sprache übersetzte! Und warum konnten sie es glauben? Weil der Heilige Geist durch das Evangelium das Glaubenslicht in ihnen anzündete. So taten sie Buße und ließen sich taufen, immerhin dreitausend Leute an einem einzigen Tag. Da war er wieder zur Stelle, der Geist, in der Taufe nämlich: Da wirkte er bei diesen dreitausend Leuten Vergebung der Sünden. Wir sehen: Der Heilige Geist kam an diesem Tag durch Predigt und Taufe, durch Wort und Sakrament.
So ist es bis zum heutigen Tag: Der Heilige Geist will durch die Predigt des Evangeliums, durch Taufe und Abendmahl zu den Menschen kommen, und so tut er es auch. Das bezeugt auch das Hauptbekenntnis der lutherischen Kirche, das Augsburger Bekenntnis, im fünften Artikel: „Durch diese Mittel – nämlich durch Evangeliumspredigt und Sakramente – gibt Gott den Heiligen Geist, der bei denen, die das Evangelium hören, Glauben schafft, wo und wann er will.“ Damit werden zugleich die sogenannten Schwärmer zurückgewiesen, die meinen, der Geist käme durch irgendwelche direkten Eingebungen in ihren Gehirnen. Die Schwärmer übersehen dabei, dass auch der Teufel uns Eingebungen schicken kann und es auch tut. Woher sollen wir wissen, was vom Heiligen Geist kommt und was vom bösen Geist? Nun, letztlich ist es wieder Gottes Wort, das Wort der Apostel, das uns die Geister scheiden lehrt. Daran sind wir gewiesen, wenn wir den Heiligen Geist pur suchen. Und darum ist es auch so wichtig, in einer Kirchengemeinschaft zu stehen, wo die Apostellehre unverfälscht gepredigt wird und wo die Sakramente recht verwaltet werden. Ja, auch dies sei heute am Pfingsttag besonders betont – am Pfingsttag, der ja auch „Geburtstag der Kirche“ genannt wird.
Zweitens: Was wirkt der Heilige Geist bei uns? Er wirkt dasselbe wie bei den dreitausend Leuten, die am ersten Pfingstfest zu Christen wurden, nämlich Buße und Glaube. Sie erkannten ihre Schuld, bereuten sie und glaubten an die Vergebung, die Gott ihnen durch Jesus Christus anbot. Das ist auch die Botschaft des Apostels Johannes im 3.‑Kapitel dieses Briefes: Der Geist wirkt Glauben, und zwar den Glauben an Jesu Liebe, die sich darin zeigt, dass er sein Leben für uns gelassen hat. Dieser Glaube bedeutet, dass Christus selbst in uns wohnt. Weil aber Christus selbst in uns wohnt, lernen wir unsererseits lieben, lernen wir, unser Leben in den Dienst der Mitmenschen und vor allem in den Dienst Gottes zu stellen. Glaube und Liebe, das ist die Frucht des Geistes in uns, das ist die Bestätigung dafür, dass Jesus in uns wohnt. Glaube und Liebe, das meinte Johannes, als er schrieb: „Daran erkennen wir, dass er in uns bleibt: an dem Geist, den er uns gegeben hat.“ Glaube und Liebe, damit ist alles gesagt. Wir brauchen nicht nach irgendwelchen spektakulären Erscheinungen des Heiligen Geistes zu schielen, zum Beispiel nach Zungenrede, Wunderheilung oder Prophetie. Das alles mag der Heilige Geist wirken oder in der heutigen Zeit auch nicht wirken, das ist nicht ausschlaggebend. Hüten wir uns vor jenen Pfingstlern und Charismatikern, die solche Dinge in den Vordergrund stellen und sich daran ihr Christsein beweisen wollen! Nein, Glaube und Liebe sind die entscheidenden Werke des Heiligen Geistes in uns, an denen wir sehen können, dass Christus in uns lebt und dass wir Christen sind. Das stellt der Apostel Johannes ausschließlich in den Vordergrund, und die anderen Apostel haben es nicht anders gesehen.
Drittens: Wie gehen wir mit dem Heiligen Geist um? Vielleicht findet ihr die Frage merkwürdig. Ist es nicht vielmehr der Geist, der mit uns umgeht? Haben wir es denn in der Hand, was er wirkt? Nun, die Bibel zeigt uns, dass man durchaus unterschiedlich mit dem Geist umgehen kann. Da werden wir zum Beispiel aufgefordert: „Den Geist dämpfet nicht“ (1. Thess. 5,19). Es ist schon ein Unterschied, ob jemand den Heiligen Geist bei sich voll zum Zuge kommen lässt oder ob er ihn unterdrückt. Unterdrücken wollen wir ihn natürlich nicht, sondern wir wollen ihn zum Zuge kommen lassen; wir wollen recht mit ihm umgehen. Dann nämlich gibt er uns und anderen Zeugnis, dass Christus in uns wohnt, dass wir zu Christus gehören, dass wir durch ihn und mit ihm selig werden.
Wie also gehen wir mit ihm um? Erinnern wir uns, wie er kommt: Durch Wort und Sakrament. Wenn wir reichlich und regelmäßig mit Gottes Wort und Sakrament umgehen, dann kommt er bei uns richtig zum Zuge. Und erinnern wir uns, was er wirkt: Glaube und Liebe. Leben wir also in dem Vetrauen, das wir durch Gottes Wort haben dürfen! Gehen wir einfach davon aus, dass wahr ist, was es verheißt, verlassen wir uns darauf! Verlassen wir uns darauf, dass Christus uns beisteht durch gute und böse Zeiten hindurch, dass er uns schützt und führt, dass er uns vergibt und endlich selig macht. Und leben wir bedingungslos in der Liebe, die Jesus Christus uns vorgelebt und an uns erwiesen hat. Fragen wir nicht: Was habe ich davon?, sondern schenken wir verschwenderisch weiter, was wir haben: Gottes reiche Liebe! Ja, dann kommt der Geist bei uns zum Zuge.
Lasst mich das zum Schluss mit einem Vergleich deutlich machen: Ein Christ ist wie ein Wasserrohr, und der heilige Geist ist das Wasser. Wenn der Geist bei uns richtig zum Zuge kommen soll, muss er als Wasser durch uns Rohre hindurchfließen. Das geht aber nur, wenn das Rohr vorne und hinten offen ist. Wenn ein Ende oder beide Enden verstopft sind, kann nichts fließen. Also: Sehen wir zu, dass wir vorn offen sind, wo das Wasser des Heiligen Geistes hineinkommt – offen für Gottes Wort und für das Heilige Abendmahl! Und sehen wir auch zu, dass wir hinten offen sind, wo der Geist sich bei uns auswirken will, wo er hinausfließen will in die Welt! Das geschieht, wenn wir das Vertrauen zu Jesus ausleben und bedingungslos Liebe üben an Gott und den Menschen – die Liebe, die selbst wir durch die Gnadenmittel empfangen.
„Daran erkennen wir, dass Jesus in uns bleibt: An dem Geist, den er uns gegeben hat“, schrieb der Apostel Johannes. Lasst uns prüfen, ob wir ihn haben. Wenn seine Wirkung bei uns mager ist, wenn Glaube und Liebe schwach sind, dann lasst uns Buße tun, lasst uns auf Gott besinnen und flehen: „Komm, Heiliger Geist!“ Und wenn wir angefochten und traurig sind, ja, wenn wir zu verzweifeln drohen und nicht weiter wissen, dann lasst uns Kraft holen vom Tröster, lasst uns das Wasser des Lebens trinken, das uns nie mehr dürsten lässt, lasst uns an der Quelle des Evangeliums bleiben und dort unseren Durst stillen. Da hast du den Geist, der dir Zeugnis gibt, dass Jesus in dir bleibt und du in ihm – für immer und ewig. Amen.
PREDIGTKASTEN |