Der geschenkte Apostel

Predigt über Apostel­geschichte 1,15‑26 zum Tag des Apostels Matthias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Wichtigste und Beste am Christen­leben ist, dass Gott uns arme Sünder wunderbar beschenkt. Er schenkt Vergebung der Sünden und ewiges Leben. Er schenkt sein heiliges Wort und die Sakramente. Er schenkt die Gemein­schaft von Brüdern und Schwestern im Herrn Jesus Christus. Und er hat seiner Kirche auch die Apostel geschenkt, die Männer, auf deren Zeugnis die ganze Christen­heit ruht wie auf einem erdbeben­sicheren Fundament. Zu dieser Gabe Gottes gehört auch der nach­gewählte Apostel, der Ersatz­apostel für Judas, der Apostel Matthias, dem der heutige 24. Fe­bruar gewidmet ist. „Matthias“ heißt zu deutsch „Gabe Gottes“. Der Name dieses Apostels sagt, was er ist: Gottes Gabe, Gottes Geschenk an seine Kirche. Das wollen wir nun näher betrachten: erstens, wie Gott ihn als zwölften Grundstein im Fundament der Kirche verankerte; zweitens, wie er ihn als offiziellen Auf­erstehungs­zeugen berief; und drittens, auf welch wunderbare Weise er diesen Apostel der Kirche geschenkt hat.

Erstens: Gott schenkt den Matthias als zwölften Grundstein im Fundament der Kirche. Als Jesus in Galiläa öffentlich zu predigen und Wunder zu tun begann, folgten ihm viele Menschen nach. Doch zwölf Nachfolger, zwölf Jünger wählte er sich zu besonderer Gemein­schaft. Der Evangelist Markus formulierte sogar: „Er schuf zwölf.“ Die Zahl zwölf ist dabei kein Zufall, sondern sie erinnert an die zwölf Stämme des Volkes Israel, Gottes aus­erwähltes Volk im alten Bund. So wie das Volk Israel auf zwölf Stammväter zurückgeht, gründet die Christen­heit auf den zwölf besonderen Jüngern, die Jesus sich erwählte. Die Christen­heit ist ja Gottes aus­erwähltes Volk im neuen Bund, das neue Israel. Nun wissen wir freilich, dass einer dieser Zwölf zum Verräter wurde: Judas Iskariot. Nicht, dass Gott ihn dazu vorher­bestimmt hätte. Nein, Judas hatte die höchste Berufung, die ein Mensch wohl je haben konnte: Er durfte zu dem engen Zwölfer­kreis um Jesus gehören. Aber auch die höchste Berufung schützt nicht vor Abfall, wenn jemand dem Teufel nachgibt und sich für dessen finstere Werke einspannen lässt. So verlor Judas sein hohes Amt als Grundstein im Fundament der Kirche und kam in großer Ver­zweiflung auf tragische Weise ums Leben.

Deshalb geschah zwischen der Himmelfahrt Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes das, was wir eben gehört haben: Petrus ergriff die Initiative, um die vakante zwölfte Apostel­stelle neu zu besetzen. Er tat es nicht eigen­mächtig, sondern er tat es im Gehorsam gegen Gottes Wort. Er wusste das Psalmwort recht zu deuten: „Sein Amt empfange ein anderer.“ Er wusste: Gott will, dass es wieder zwölf Apostel sind, zwölf Säulen, zwölf Grundsteine im Fundament der Kirche. Die ganze Christen­heit soll wissen: Wir sind das neue Israel; und wie das alte Israel sich auf zwölf Stammväter gründete, so gründen wir uns auf zwölf Apostel.

Liebe Gemeinde, das ist auch für uns heute ganz herrlich und tröstlich – besonders in einer Zeit, in der alles ins Rutschen kommt, in der Über­kommenes an­gezweifelt wird, in der die Menschen Halt suchen und doch so selten finden. Wir, liebe Gemeinde, wir haben ein festes, tragfähiges Fundament für unseren Glauben, ein voll­ständiges Fundament mit zwölf Grund­steinen, weil Gott uns noch den Matthias dazu­geschenkt hat. Wir gründen uns auf diese zwölf Männer, die unsern Herrn Jesus Christus persönlich gekannt haben. Ja, auf das Zeugnis von zwölf geist­erfüllten Männern gründen wir uns, nicht auf irgend­welche Fabeln, Märchen, Mythen, Mutmaßungen oder Hypothesen. Sogar wenn wir an uns selbst unsicher werden und an unserem schwankend-schwachen Glauben, gilt immer noch: Das Fundament ist fest und solide, auf das wir mit unserer Taufe gestellt worden sind, das Fundament der zwölf Apostel mit dem Eckstein Christus. Auch unsere Hoffnung für die Zukunft gewinnt Festigkeit durch dieses Fundament: Das himmlische Jerusalem, das der Apostel Johannes geschaut und in der Offenbarung auf­geschrieben hat, hat an den zwölf Toren zwölf Grundsteine mit den Namen der Apostel. Auch der Namen „Matthias“ steht darauf, „Gottes Gabe“.

Zweitens: Gott schenkt den Matthias als Auf­erstehungs­zeugen. Als Petrus sich nach einem Ersatz­apostel für Judas umsah, nannte er bestimmte Be­dingungen, die dieser erfüllen musste: „So muss nun einer von diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, als der Herr Jesus unter uns ein- und ausgegangen ist – von der Taufe des Johannes an bis zu dem Tag, an dem er von uns genommen wurde – , mit uns Zeuge der Auf­erstehung werden.“ Von hundert­zwanzig anwesenden Personen erfüllten nur zwei Männer diese Bedingung: ein gewisser Josef Barsabas Justus und eben Matthias. Die waren schon dabei gewesen, als Jesus von Johannes im Jordan getauft wurde. Die waren mit Jesus mitgezogen in dem größeren Jünger­kreis, der meistens um ihn war, hatten seine Predigten gehört und seine Wunder gesehen. Die konnten seinen Tod bezeugen und, das Wichtigste, seine Auf­erstehung: Sie gehörten zu den mehr als fünfhundert Brüdern, von denen Paulus bezeugte, dass sie den Auf­erstandenen leibhaftig gesehen hatten. Sie waren schließlich auch bei der Himmelfahrt Christi dabei. Und den einen von Ihnen schenkte Gott nun als Apostel der Christen­heit, als offiziellen Auf­erstehungs­zeugen gewisser­maßen. Denn das ist das ent­scheidende am Apostelamt: dass sie Augen- und Ohrenzeugen Jesu Christi des Auf­erstandenen sind.

Liebe Gemeinde, wie schön, dass uns dies hier so deutlich vor Augen geführt wird: Unser Glaube ist Oster­glaube! Unser Glaube lässt sich zusammen­fassen in die kurze, klare Botschaft: Jesus ist für uns gestorben, und siehe, er lebt wieder. Und Matthias gehört zu denen, die uns das mit ihrem direkten Zeugnis, mit ihrer eigenen Person garan­tieren: Ja, das ist wirklich wahr, das ist wirklich alles so geschehen, das ist fest und ver­lässlich. Liebe Gemeinde, was den Kern unseres Glaubens ausmacht, ist wirklich ganz einfach: Christus hat unsere Strafe getragen durch seinen Tod am Kreuz. Damit hat er den Tod besiegt, und wir können ewig leben. Er ist der Erstling der Auf­erstehung geworden, er ist uns voraus­gegangen in seines Vaters Haus, um uns dort herrliche Wohnungen zu bereiten. Wer an ihn glaubt, der wird es erlangen. Mehr braucht eigentlich nicht gesagt zu werden. Gott hat diese frohe Botschaft ausgehen lassen in alle Welt, durch Jahr­hunderte und Jahr­tausende hindurch. Auch durch seinen Boten und Auf­erstehungs­zeugen Matthias hat er es getan. Gott sei Lob und Dank für diese Gabe!

Drittens: Gott schenkt den Matthias auf wunderbare Weise. Nicht nur, dass er es so gefügt hat, dass Matthias bei der Apostel-Nachwahl anwesend war und dass es überhaupt Leute gab, die die strengen Voraus­setzungen für einen offiziellen Auf­erstehungs­zeugen erfüllten. Nein, auch die Art und Weise, wie Matthias von diesen beiden Kandidaten in das Amt kam, ist wunderbar. Auf den ersten Blick freilich kommt uns das ein wenig merkwürdig vor: Er wurde ausgelost! Hat sich Petrus das nicht ein bisschen zu einfach gemacht? Darf man überhaupt in so ernsten Fragen das Los entscheiden lassen, eine Art Orakelspiel betreiben? Aber nein, das ist es nur auf den ersten Blick. Leicht übersehen wir das Wichtigste, nämlich das Gebet der Gemeinde. Die Gemeinde betete vor der Auslosung: „Herr, der du aller Herzen kennst, zeige an, welchen du erwählt hast von diesen beiden, damit er diesen Dienst und das Apostelamt emp­fange…“ Also: Nicht das Los sollte ent­scheiden, auch nicht Petrus als Autorität oder die Gemeinde in einer demo­kratischen Wahl, sondern Gott selbst, der Herr Jesus Christus selbst! Er sollte sich den neuen zwölften Apostel auswählen, so wie er auch die übrigen elf selbst ausgewählt und berufen hat. Wir können überzeugt sein: Der Herr Jesus Christus hat sich nicht umsonst bitten lassen; er hat es so gefügt, dass das Los auf den Matthias fällt. Den wollte er für dieses Amt haben; den hat er selbst der Christen­heit als neuen zwölften Apostel geschenkt.

Liebe Gemeinde, daraus können wir auch heute etwas lernen. Wenn der Herr Jesus seiner Kirche Diener für bestimmte Ämter schenkt, dann kann das formal unter­schiedlich aussehen. Heute ruft er ja auch nicht mehr direkt in seinen Dienst, etwa durch eine Stimme vom Himmel oder durch einen Engel, sondern er ruft indirekt durch seine Kirche und Gemeinde, wie es auch bei dem Matthias der Fall war. Das Wichtigste dabei ist, dass wir ihn bitten – Gott will um seine Gaben gebeten sein. Weniger wichtig ist es dann, durch welches Verfahren derjenige bestimmt wird, ob durch Los oder durch Wahl oder durch ein kleines Gremium oder wie auch immer. Wenn wir in unserer Gemeinde Vorsteher zu wählen haben oder wenn Synoden bestimmte Personen in gesamt­kirchliche Ämter wählen, so wollen wir das bedenken. Wir wollen den Herrn Jesus Christus bitten, dass er selbst sie uns schenkt; das ist das Wichtigste. Und dann kann mit Wahlzetteln abgestimmt werden, wie es die Ordnung unserer Kirche vorsieht. Aber bilden wir uns nicht ein, wir selbst hätten uns die Amtsinhaber erwählt, sondern nehmen wir auch sie als Geschenke unseres Herrn Jesus Christus an, als Matthiasse gewisser­maßen. Übrigens sind auch die anderen Mitarbeiter in Kirche und Gemeinde, die nicht­gewählten also, Geschenke unseres Herrn Jesus Christus – bis hin zu denen, deren Mitarbeit darin besteht, dass sie im Verborgenen treu die Hände falten für die Ausbreitung von Gottes Reich.

Lasst mich an dieser Stelle noch einen Schritt weiter­denken, auch wenn es nicht direkt mit unserem Bibelwort zu tun hat. Ich habe manchmal den Eindruck, dass einige Gemeinde­glieder davor zurück­schrecken, sich vom Herrn Jesus Christus in den Dienst nehmen zu lassen. Wenn man sie fragt, ob sie nicht hier oder da mithelfen können oder ob sie nicht dieses oder jenes Amt übernehmen wollen, dann lehnen sie ab. Menschlich gesehen kann ich das sehr gut verstehen. Viele sind durch Beruf oder Familie oder besondere Lebens­umstände so aus­gelastet, dass sie sich nicht vorstellen können, noch eine zusätzliche Belastung auf sich zu nehmen. Mancher fürchtet sich vielleicht auch davor, dass die anderen Gemeinde­glieder sehr kritisch auf seinen Dienst sehen werden, dass sie hinter seinem Rücken über ihn reden oder gar offen ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Diese Aussicht macht es einem nicht gerade leicht, ein Amt zu übernehmen. Aber das ist nur die menschliche Seite, die von der Sünde verdunkelt ist. Darum möchte ich euch allen Mut machen, wenn eine Aufgabe oder ein Amt an euch heran­getragen wird: Sprecht fröhlich das Dennoch des Glaubens gegen alle mensch­lichen Vorbehalte! Gott beschenkt uns reichlich, schenkt uns auch Begabungen und Ämter. Überlegt euch ernsthaft, ob Gott vielleicht auch durch euch schenken möchte, ja, ob er nicht euch der ganzen Gemeinde schenken möchte, so wie er den Matthias der ganzen Christen­heit geschenkt hat. Es wäre schade, wenn wir Gottes Schenken im Weg stehen würden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1991.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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