Kein Platz für Jesus?

Predigt über Lukas 2,7 zum Heiligen Abend

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Ich bin klein, / mein Herz mach rein, / soll niemand drin wohnen / als Jesus allein“ – dieses Gebet kennen viele aus ihren Kinder­tagen. Für manche ist es das erste Gebet, das sie sprechen lernten. Es ist schön, wenn jemand so betet – voraus­gesetzt, er meint, was er sagt. Ja, es ist etwas ganz Großes, wenn jemand sein Herz als Wohnstätte für den Herrn Jesus Christus reserviert: „… soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Wie gut, wenn Jesus im Herzen eines Menschen seinen Platz findet!

In seinen Erdentagen hat Jesus es anders erlebt, und zwar schon seit den ersten Stunden: Es war kein Platz für ihn; jedenfalls kein an­gemessener. „Sie hatten keinen Raum in der Herberge“, hören wir in der Weihnachts­geschichte. Wie kam das?

Josef wohnte mit seiner jungen Frau Maria eigentlich in Nazareth. Auf Befehl des römischen Kaisers Augustus musste er sich aber wie alle seine Landsleute in die Stadt seiner Vorfahren begeben; das war die Davidsstadt Bethlehem. Der Kaiser hatte dies angeordnet, um bei der Volks­zählung und Aufstellung von Steuer­listen eine gewisse Übersicht zu behalten. Als Josef mit seiner hoch­schwangeren Frau in Bethlehem ankam, war seine Unterkunft besetzt – mag sein, dass es eine Herberge gewesen ist, also ein öffent­licher Gastraum für Durch­reisende, oder das Haus von Verwandten, die noch in Bethlehem lebten. Jedenfalls war das Gebäude voll, und es gab keinen Platz mehr für Josef und Maria und das Jesuskind, das jeden Moment geboren werden konnte. So mussten sie auf ein Notquartier ausweichen: ein Stall, wahr­scheinlich in einer Felsenhöhle ein­gerichtet. Da gab es einen Futtertrog, aus Stein gehauen; den polsterten sie notdürftig aus und legten das Neugeborene hinein, in Windeln gewickelt. Weil sonst kein Platz für Jesus da war, mussten seine Eltern improvi­sieren, und so kam er in äußerst not­dürftigen und erbärm­lichen Verhält­nissen zur Welt.

Aber, liebe Gemeinde, das war keineswegs ein dummer Zufall! Gott hat es so gewollt. Gott wollte uns damit etwas zeigen; „Das habt zum Zeichen“, verkündigte der Engel später den Hirten. Die Botschaft von Krippe und Windeln heißt: Gottes Sohn wird niedrig und gering. Gott selbst neigt sich tief, ganz tief herab zu uns Menschen, aus Liebe und Barmherzigkeit. Er tut es, weil er weiß, wie sehr wir uns nach Frieden sehnen. Und so bringt er uns seinen Frieden auf Erden – indem er niedrig und gering wird. Krippe und Windeln sind der Anfang der Er­niedrigung, die mit der Hinrichtung am Kreuz ihren grausamen Tiefpunkt fand. Gerade dort aber hat Jesus Gott und die Menschen versöhnt, hat die Trennungs­mauer der Schuld nieder­gerissen und Frieden mit Gott gestiftet. Nur so kann unsere Sehnsucht nach Frieden gestillt werden, und nur so kann es auch unter den Menschen wieder friedlicher werden. Gott hat es uns leicht gemacht, indem er seinen Sohn schickte: Wir brauchen uns nicht mit religiösen Leistungen und guten Taten den Zugang zu ihm zu erarbeiten. Gott neigte sich selbst zu uns herab, wurde niedrig und gering, erlöste uns und schenkt ewigen Frieden allen, die an Jesus Christus glauben.

Ja, Gott macht es uns leicht durch Jesus Christus. Da sollte man meinen, dass nun alle Menschen mit Freuden an ihn glauben, dass nun alle mit Freuden ihn aufnehmen. Man sollte meinen, dass Jesus fortan immer seinen Platz findet bei den Menschen. Ist das heute so? Hat Jesus heute Platz in der Welt? Oder gibt es wieder keinen Raum in der Herberge?

Äußerlich hat er seinen Platz gefunden. Unzählige Krippen in aller Welt erinnern heute an ihn. Unzählige Menschen führen seinen Namen im Munde. „Christ, der Retter ist da“, tönt es schon seit Wochen aus vielen Laut­sprechern. Aber wenn auch sein Name überall genannt wird, hat er selbst Platz? Er, der den Frieden bringt – Frieden mit Gott und Frieden mit den Menschen? Wenn er seinen festen Platz in unserer Welt gefunden hätte, müsste doch überall Friede sein! Kein Krieg, kein Bürger­krieg, auch kein Kleinkrieg mehr zwischen Nachbarn, Arbeits­kollegen oder Verwandten.

Nein, eigentlich hat Jesus heute noch immer wenig Platz in der Welt. Es wird viel über ihn geredet und nach­gedacht, aber kindlich glaubend und staunend aufgenommen wird er selten. Zu oft wohnt der falsche Jesus in den Köpfen der Menschen anstelle des richtigen Jesus im Herzen. Zu oft hält man ihn nur für einen besonderen Menschen, ein Vorbild der Mit­menschlich­keit. In Wahrheit ist es Gott selbst, der da im Futtertrog liegt und Windeln nötig hat. Und er hat dann die Strafe für alle Sünden der Welt auf sich genommen am Kreuz. Er war tot und ist nach drei Tagen wieder lebendig geworden. Er ist in den Himmel aufgefahren und regiert nun im Himmel über alles; ihm sind Himmel und Erde, Menschen und Tiere, Engel und sogar die Teufel unter­worfen. Er wird einmal mit großer Herrlich­keit erscheinen, wenn Himmel und Erde zu Ende gehen werden. Dann wird er die Seinen, die Platz für ihn hatten, mit sich nehmen in den Himmel, in die ewige Seligkeit. Das alles bezeugt uns die Bibel vom rechten Jesus. Aber dafür hat man heute wenig Platz. Sogar dort, wo man sich nach seinem Namen nennt, ja, wo man vorgibt, sein Wort zu ver­kündigen, wird diese Wahrheit zuweilen verkürzt oder verleugnet.

Und wie sieht es in deinem Herzen aus? Ist da Platz für Jesus? Ist er die Nummer Eins in deinem Leben? Ist er dir wichtiger als alles andere, als Freunde, Familie, Geld, Erfolg und Gesundheit? Ist dir sein Wort wichtiger als die vielen anderen Worte um dich herum, die Ratschläge von guten Freunden oder von Fachleuten, die In­formationen aus Presse und Fernsehen? Wohnt Jesus wirklich in deinem Herzen? Oder ist da auch kein Platz für ihn, wie einst in Bethlehem?

Nun, es kann heute abend anders werden. Er möchte jetzt zu dir kommen, er klopft jetzt bei dir an. Er möchte dir Frieden schenken, nach dem du dich sehnst, gerade in dieser Zeit: Frieden, den diese Welt nicht geben kann, den sie dir aber auch nicht wieder wegnehmen kann. Frieden mit Gott zuerst, und daraus fließend auch Frieden mit den anderen Menschen.

Wenn du möchtest, dass Jesus in deinem Herzen Raum findet, dann lerne wieder neu beten, was du vielleicht als Kind gebetet hast: „Ich bin klein, / mein Herz mach rein, / soll niemand drin wohnen / als Jesus allein.“ – „Ich bin klein“, musst du beten. Vor Gott ist Demut die einzig angemessene Haltung. Allen Stolz musst du fahren lassen, alles, worauf du dir was einbildest. Ein kleines Kind musst du vor ihm werden, denn nur der empfängt das Himmel­reich, der wie ein Kind ist. – „Mein Herz mach rein“, musst du beten. Ja, er selbst muss es aufräumen, bevor er da einziehen kann, und er will es auch tun; er will dir alle Schuld vergeben. Bekenne ihm nur, was da alles Dunkles und Böses drinsteckt: deinen Egoismus, deinen Jähzorn, deine Trägheit, deine Zerissen­heit, deine Verzagt­heit, deinen Klein­glauben. Jesus will und kann das alles rein machen, du kannst ihm das alles an­vertrauen. – „Soll niemand drin wohnen als Jesus allein“, musst du schließlich beten. Er soll dort zum Hausherrn werden, die Nummer Eins in deinem Leben. Er will über dein Leben bestimmen; sein Wort soll dich leiten und führen. Dann wirst du merken, wie schön es ist, als sein Jünger zu leben – wenn du Platz für ihn hast in deinem Herzen.

Liebe Gemeinde, ich mache mir keine Illusionen. Aller mensch­lichen Erfahrung nach gibt es in unserer Zeit, auch hier und jetzt in dieser Kirche, immer noch Menschen, die keinen Platz für Jesus in ihrem Herzen haben. Aber auch wenn nur wenige unter uns wären, die heute abend neu ihre Herzenstür für den Heiland aufmachen, dann ist das etwas ganz Großes, ganz Schönes, ganz Besonderes. Ja, das wäre ein richtiges Weihnachts­wunder. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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