Ein Leib mit ver­schiedenen Gliedern

Predigt über 1. Ko­rinther 12,13‑20 zum 21. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jeder Mensch ist ein Wunderwerk Gottes. Wenn man sich mal überlegt, wie die einzelnen Organe des Körpers zusammen­arbeiten, dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Wir wollen uns das an einer kleinen Beispielgeschichte klar machen. Da ist ein Junge, nennen wir ihn Thomas. Thomas kommt erhitzt vom Spielen in die Küche. Seine Mutter fragt: Willst du was trinken? Was nun geschieht, ist ein ganz erstaun­liches Zusammen­spiel der Glieder und Organe von Thomas. Seine Ohren hören den Satz: Willst du etwas trinken?, und seine Nerven leiten die Information an das Gehirn weiter. Gleich­zeitig melden die Augen: Mutter hat ein großes Glas Saft ein­gegossen. Daraufhin setzt das Gehirn über das Rückenmark Beine und Füße in Bewegung: Thomas geht zum Küchen­tisch. Dabei sorgt der Gleich­gewichts­sinn im Innenohr dafür, dass er nicht umkippt. Nun steuern die Augen über das Gehirn die Hand des Kindes: Thomas nimmt das Glas, führt es zum Mund und trinkt. Die Geschmacks­knospen auf der Zunge übermitteln einen herrlichen Geschmack. Eine kompli­zierte Muskel­steuerung im Rachen sorgt dafür, dass der Saft nicht in die Luftröhre gerät, sondern dahin, wo er hingehört: über die Speiseröhre in den Magen. Thomas setzt das Glas ab, seine Stimmbänder und der ganze Mund formen ein Wort: Danke! Unterdessen kommt der Saft aus dem Magen in den Darm, wird dort zur Verdauung auf­bereitet, geht in die Blutbahn über. Das Herz, das die ganze Zeit über arbeitet, pumpt das Blut auch in die ent­legensten Zellen des Körpers. Überall kommt die Flüssigkeit hin, zusammen mit den Nährstoffen und Vitaminen des Saftes. In der Lunge wird das Blut noch mit Sauerstoff an­gereichert. Das ist lebens­wichtig für alle Glieder und Organe des Körpers, dass sie ständig über den Blut­kreislauf mit Sauerstoff, Nährstoffen und Vitaminen versorgt werden. Thomas‘ Nieren schließlich filtern die schädlichen Giftstoffe aus dem Blut. Was für ein Wunderwerk hat Gott da geschaffen, als er den Thomas erschuf! Und in Wirklich­keit läuft da noch viel, viel mehr ab, als wir eben bedacht haben.

Wie jeder menschliche Körper ein Wunderwerk Gottes ist, so ist auch der Leib Christi ein Wunderwerk Gottes: die Christen­heit, die christliche Kirche und Gemeinde. Mit diesem Bild vergleicht ja Paulus die Gemeinde im 12. Ka­pitel des 1. Ko­rinther­briefes. Ja, es ist mehr als ein Bild, es ist eigentlich eine verborgene Wirklich­keit: Wie die ver­schiedenen Glieder und Organe einen mensch­lichen Leib ausmachen, so bilden ver­schiedene Christen mit ver­schiedenen Gaben den einen Leib der Kirche. Die Kirche ist ja kein Verein, wo man aus freiem Entschluss zusammen­kommt, um ein gemeinsames Hobby zu betreiben. Die Kirche ist überhaupt keine menschliche Erfindung, sie ist Gottes Schöpfung. Paulus schreibt: „Wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft.“ In der Taufe schafft und bildet Jesus Christus Glieder für seinen Leib. Als wir getauft wurden, da sind wir durch den Heiligen Geist einverleibt worden in dieses Wunderwerk des einen Leibes der Christen­heit.

Wie nun die Glieder des mensch­lichen Körpers alle davon leben, dass sie am Blut­kreislauf an­geschlossen sind, so leben auch wir Glieder der Kirche davon, dass wir an den Leib Christi an­geschlossen sind. Paulus schreibt: „Wir sind alle mit einem Geist getränkt.“ Wir leben davon, dass wir den Heiligen Geist „trinken“: nämlich immer dann, wenn wir das Evangelium hören; immer dann, wenn wir im Heiligen Abendmahl Christi Leib essen und sein Blut trinken zur Vergebung unserer Sünden. Ja, da leben wir auf durch die Kraft des Heiligen Geistes und bleiben lebendige Glieder am Leib Christi.

Hast du dir schon einmal bewusst gemacht, wie hoch Gott dich dadurch ehrt? Er achtet dich armen Sünder für würdig, ein Glied an seinem Leib zu sein zu! Er geht das große Risiko ein, dass du versagst, dass du zu schwach bist und zu unzu­verlässig, um deine Funktion am Leib richtig zu erfüllen. Aber er liebt dich und will dich an seinem Leibe haben, darum hat er dich als Glied geschaffen und lässt dich am Blut­kreislauf des Heiligen Geistes, am Blut­kreislauf der Gnaden­mittel, weiter­leben. Du darfst dich ungeheuer freuen, dass Gott dich so hoch ehrt, dass er dich in so eine hohe Position eingesetzt hat: Glied am Leib Christi zu sein!

Nun ist das aber noch nicht alles, was Paulus in diesem Abschnitt den Korinthern und uns mitteilen will. Er möchte uns auch die Augen dafür öffnen, dass Einheit nicht Gleichheit ist. Wohl gibt es nur einen Leib Christi, und alle Glieder sind dadurch eins, dass sie an dem einen Leib hängen – durch einen Geist in der Taufe dazu geschaffen, mit ein und demselben Geist genährt durch die Gnaden­mittel. Trotzdem sind die Glieder voneinander ver­schieden, so wie ein mensch­licher Körper die ver­schiedensten Teile hat: Die Augen sehen anders aus als die Ohren, die Hände anders als die Füße, das Herz anders als der Magen. Das muss so sein, das ergibt sich aus den ver­schiedenen Funktionen.

Dass wir Christen bei aller Einheit ver­schiedene Glieder sind, ist ja auch ganz offen­sichtlich. Paulus weist die ko­rinthi­sche Gemeinde hin auf ihre Unter­schiede in Herkunft, Sprache und Stand: „Juden und Griechen sind wir, Sklaven und Freie“, so schreibt er. Das ändert aber nichts daran, dass sie alle Glieder an einem Leib sind. So ist es ja auch bei uns in der Gemeinde: Die einen sind geborene Nieder­sachsen, die anderen kamen als Vertriebene aus dem Osten hierher. Die einen sind Handwerker, die anderen arbeiten mit dem Kopf. Da gibt es Schüler, An­gestellte, Selb­ständige, Hausfrauen und Rentner: alles ver­schiedene Glieder! Und wenn jemand zu uns käme mit dunkler Haut aus fernen Landen, dann würde der trotz seiner Anders­artigkeit genauso mit dazu­gehören. Der christliche Bundestags­abgeordnete kann ohne Ansehen der Person neben der christ­lichen Toiletten­frau in der Kirchenbank sitzen; sie wären bei aller Ver­schieden­heit ja Glieder an dem einen Leib.

Wenn Paulus von ver­schiedenen Gliedern redet, meint er aber nicht nur Stand und Herkunft. Er denkt besonders an die ver­schiedenen Gaben und Aufgaben, die wir am Leib Christi haben. Auch hier geht es nicht um unseren eigenen Willen und unsere eigenen Interessen. Gott hat vielmehr einem jeden bestimmte Gaben gegeben und weist auch bestimmte Funktionen zu, ebenso wie er es ist, der den ganzen Leib schafft. Paulus schreibt: „Gott hat die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat.“ Das bedeutet doch: Gott will keine Einheits-Christen, keine Normal-Christen! Jünger Jesu sind keine Soldaten, die sozusagen in Uniform mit dem gleichen starren Blick im Gleich­schritt mar­schieren. Glieder am Leib Christi sind ver­schieden, sollen verschieden sein, so will es Gott!

Theoretisch ist das klar, aber praktisch – haben wir nicht doch oft ganz bestimmte Er­wartungen, die wir allen Christen über­stülpen? Er­wartungen, die ihrer Ver­schieden­heit nicht gerecht werden? Da gibt es Gemeinde­glieder, die haben die Gabe, nach dem Gottes­dienst noch bei einem fröhlichen Schwatz die Gemein­schaft mit anderen zu stärken. Das ist gut so. Andere sind so erfüllt von dem Gottes­dienst, dass sie lieber ohne viele Worte nach Hause gehen und das Gehört in sich nachwirken lassen. Die einen sollten die anderen deswegen nicht verachten, denn – wer weiß? – vielleicht führt bei den Wortkargen das Nachsinnen über den Gottes­dienst dazu, dass sie zu Hause besonders intensiv für dieses oder jenes beten, oder dass sie später mal in einem Gespräch die gewonnene Erkenntnis weitergeben können? Ebenso gibt es Gemeinde­glieder, die sehen immer fröhlich aus, während andere ernst durchs Leben gehen. Auch hier soll nicht der eine den anderen verachten und sagen: Du bist albern und ober­flächlich! oder: Du siehst aber gar nicht erlöst aus! Vielmehr können die ver­schiedenen Glieder mit ihren ver­schiedenen Gaben einander dienen, wenn sie das nur anerkennen. Der eine hilft dem anderen zu fröhlicher, heiterer Gelassen­heit im Glauben, während er selbst von dem anderen Tiefgang der Gedanken lernen kann. Oder noch ein Beispiel: Einer ist immer sehr kritisch und hält mit seiner Meinung nie hinter dem Berg. Die Gemeinde sollte froh sein, dass sie ihn hat, denn nur so kommt man manchem Missstand auf die Spur. Wie scheußlich wäre es aber, wenn alle so wären! Wie gut, dass es da andere Glieder gibt, die mit ihrer stetigen stillen Zufrieden­heit den ganzen Leib stärken!

Liebe Gemeinde, sagen wir ja zur Verschieden­heit der Menschen und Gaben, und machen wir sie fruchtbar für den ganzen Leib! Kirche und Gemeinde wären gar kein Leib, wenn alle gleichartig wären. Paulus schreibt: „Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Leib Gehör wäre, wo bliebe der Geruch?“ Wir wollen jeden in seiner Art lieb haben und seinen Dienst annehmen. Umgekehrt soll sich niemand aus­geschlossen fühlen, weil er meint, er passe nicht zum Leib. Nein, Gott hat auch ihn als Glied am Leib geschaffen in der Taufe, Er hat ihn mit Gaben aus­gestattet und eingesetzt, so wie er wollte. „Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte es deshalb nicht Glied des Leibes sein? Wenn der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte er deshalb nicht Glied des Leibes sein?“ Nein, keiner soll sich aus­geschlossen oder ab­geschnitten fühlen.

Eines aber darf nicht geschehen: Dass jemand als Glied am Leib ganz passiv ist. Jedes Glied hat auch seinen Nutzen und seine Funktion zugunsten des ganzen Leibes. Jeder hat von Gott Gaben bekommen, für jeden gibt es Aufgaben in der Gemeinde, keiner soll sich entziehen, denn dann würde er wie ein Nichtglied sein. Sicher, die Gaben sind verschieden. Die einen bringen den Kindern die Bibel nahe – das kann nicht jeder machen – ; dafür putzen andere die Kirche, oder gehören zum Bau­ausschuss, oder blasen, oder singen im Chor, oder stellen Blumen auf den Altar, oder üben ein Stück für den Heiligabend­gottes­dienst, oder verteilen Einladungen zum Offenen Abend, oder beten besonders fleißig für die Kranken in der Gemeinde, oder machen Besuche bei Einsamen, oder, oder… Es gibt viel zu tun, und es gibt viele ver­schiedene Glieder mit vielen ver­schiedenen Gaben. Müßig sein soll keiner, denn es ist der Lebenszweck eines Gliedes, tätig zu sein zum Nutzen des ganzen Leibes. Wie jedes Glied davon lebt, dass es am Kreislauf an­geschlossen ist, so trägt auch jedes Glied etwas für den ganzen Leib bei.

Wie herrlich ist es, dass Gott uns zu Gliedern am Leib seines Sohnes Jesus Christus gemacht hat! Wie wunderbar ist es, dass er uns als solche weiter am Leben erhält und viel Geduld mit uns hat, wo wir doch immer wieder versagen und dem ganzen Leib dadurch schaden! Wie schön ist es dann auch, das zu tun, wozu Gott uns eingesetzt und begabt hat! Lasst uns dran bleiben und mit neuem Mut unseren Dienst tun – zum Nutzen des Leibes und zur Ehre des Hauptes Jesus Christus. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum