Wie geht das Selig-Werden?

Predigt über Philipper 2,12‑13 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Beim ersten Teil des Predigt­textes kann man richtig einen Schreck bekommen, nicht wahr? „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern!“ Und dieses Wort ist aus­gerechnet als Predigttext für den Re­formations­tag vorgesehen! Klingt das nicht eigentlich ganz un­lutherisch? „Schaffet, dass ihr selig werdet…“? Schlägt das nicht der reforma­torischen Kern­botschaft mitten ins Gesicht: „… ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“? Nun, wir wollen uns davor hüten, Luther gegen Gottes Wort aus­zuspielen. Wenn dieses Pauluswort heute in unseren Blick gerät, wollen wir ihm nicht ausweichen, sondern die Stimme Christi im Brief seines Apostels ganz ernst nehmen. Auch wenn uns dieses Wort erschreckt und gar nicht zum Re­formations­tag zu passen scheint, wollen wir uns jetzt dieser Auf­forderung stellen: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern.“

Wie geht das, wie macht man das: schaffen, dass man selig wird? Es beginnt mit Furcht und Zittern! Mit Gottes­furcht nämlich, und mit Zittern vor Gottes Gericht. Gott fürchten heißt, ihn ganz ernst nehmen, auf sein Wort hören und wissen, dass er uns ganz mit Leib und Seele in seiner Hand hat, dass wir ihm auf Gedeih und Verderb aus­geliefert sind. Er ist ja unser Schöpfer, er ist der All­mächtige, er ist Herr und König über alle. Wenn wir solche Gottes­furcht haben, kann die Frage nach seinem Gericht und nach dem Seligwerden keine Randfrage unseres Lebens sein, sondern wir werden uns immer bemühen, mit dem Herrn Himmels und der Erden Frieden zu haben. Weil wir wissen, dass er Leib und Seele verderben kann in der Hölle – zu recht übrigens, denn wir haben solches Gericht mit unserer Sünde verdient – weil wir das wissen, zittern und zagen wir vor solchem Gericht und werden alles daran setzen, um der Verdammnis zu entfliehen. Übrigens: Kaum einer hat diese Furcht und dieses Zittern so intensiv erlebt wie Martin Luther in seiner Mönchszeit. Seine bange Frage lautete stets: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Und nur weil er mit solchem Ernst, mit Furcht und Zittern, ums Seligwerden rang, ist ihm das Wort von der Gnade so groß und herrlich geworden.

Wenn wir armen Sünder also mit Furcht und Zittern um unsere Seligkeit besorgt sind, dann werden wir alles daran setzen, um ihrer gewiss zu werden. Dann werden wir alles tun und schaffen wollen, was der Seligkeit dient. Luther und die anderen Reforma­toren haben die Antwort der Bibel wieder ans Tageslicht geholt: Das Wort vom Kreuz, die frohe Botschaft vom Heiland Jesus Christus – das zu hören dient der Seligkeit. Nicht nur, diese Botschaft mit den Ohren zu hören, sondern auch, sie zu erleben, zu sehen und zu schmecken in den Gnaden­mitteln, in Wort und Sakrament. Denn wer die Vergebung der Sünden empfängt durch Wort, Hand­auflegung und Altar­sakrament, dem stärkt Gott den Glauben an Jesus; der Glaube an Jesus aber macht den selig, der durch seine eigenen Werke niemals selig werden kann und darum an sich selbst ver­zweifelt. Wenn wir also schaffen sollen, dass wir selig werden, so heißt das in erster Linie: Nichts wie hin zu Gottes Wort und Sakrament! Nichts wie hin in den Gottes­dienst! Nichts wie hin an den Tisch des Herrn! Nichts wie hin zur Beichte, sei es die Einzel­beichte oder sei es der Beicht­gottes­dienst! Luther schreibt im Großen Katechismus vom Christen, der den Wert der Beichte erkannt hat, mit einem Vergleich: „Er würde wie ein armer, elender Bettler handeln, der hörte, dass an einem bestimmten Ort eine reiche Spende, Geld oder Kleidung, ausgeteilt würde. Es wäre kein Knüppel nötig, um ihn mit Schlägen dorthin zu treiben; er würde wohl von selber laufen, so schnell er nur laufen könnte, um nichts zu versäumen.“

„Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“ – dieses Wort fordert uns darüber hinaus dazu auf, so gut wie möglich die Sünde zu meiden und nach Gottes Geboten zu leben. Nicht, dass wir durch unsere guten Werke Pluspunkte bei Gott sammeln könnten, die unsere Seligkeit wahr­schein­licher machen. Nein, da hat Jesus Christus genug getan; er hat alles getan, was zu unserer Seligkeit nötig ist, wir brauchen nichts mehr hinzu­zufügen. Aber wenn wir mutwillig sündigen und in Sünde beharren, dann gefährden wir unseren Glauben. Sünde trennt von Gott. Sünde vergiftet unser Leben. Mit Sünde machen wir uns selbst kaputt. Immer, wenn wir sündigen, wider­sprechen wir dem Werk Gottes, das er durch Jesus Christus in uns angefangen hat. Das wird uns aus Schwachheit und aus unserer angeborenen Neigung zum Bösen auch immer wieder passieren; deshalb haben wir die Vergebung ja auch immer wieder nötig. Aber wenn wir mutwillig sündigen, wenn wir lau oder nachlässig werden und meinen, Sünde sei ja nicht so schlimm, dann verlieren wir die Gottes­furcht, dann verlieren wir das große Staunen und die große Freude über die Sühnetat unsers Herrn, dann rückt all das in den Hinter­grund, was unserer Seligkeit dient und was Gott so unsagbar viel gekostet hat. Wie leicht kann es dann passieren, dass wir fast unbemerkt den Glauben verlieren. Manch einer sagt: Ich habe ja Christus und die Vergebung, darum ist es egal, wie ich lebe, auf die guten Werke kommt es nicht an! Wer so redet, der zeigt damit, dass er den Glauben schon verloren hat. Die Bibel sagt ganz nüchtern, dass aus solchen Worten toter Glaube spricht – ein sogenannter „Glaube“, der nichts bewirkt, der nur noch in der Einbildung des Menschen existiert. Darum, liebe Gemeinde: Hüten wir uns mit allem Ernst vor der Sünde! Auch dies meint Paulus mit dem Wort: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern!“

Was Paulus dann allerdings weiter schreibt, das verblüfft uns. Und wenn es nicht derselbe Paulus geschrieben hätte und wenn es nicht in demselben Philipper­brief stünde im selben Kapitel, nur einen Vers weiter, dann könnten Spötter hier wieder einmal behaupten: Die Bibel wider­spricht sich selbst. Was schreibt denn Paulus nach der ernsten Auf­forderung, die Seligkeit mit Furcht und Zittern zu schaffen? Er schreibt: „Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Voll­bringen, nach seinem Wohl­gefallen.“ – „Denn“ schreibt Paulus, nicht einmal „aber“! Wie passt das zusammen?

Nun, Paulus ist ein rechter Seelsorger. Er weiß, dass seine voran­gegangenen Worte die Christen erschrecken – besonders diejenigen, die sowieso ein recht sensibles Gewissen haben und immer ängstlich fragen, ob sie denn Gott auch alles recht machen. Wohl­bemerkt, Paulus musste diese harten Worte zuvor sagen, um nicht dem Miss­verständnis der billigen Gnade Vorschub zu leisten, und er nimmt mit diesem folgenden Satz nichts vom ersten zurück. Aber für die verzagten und er­schrockenen Gewissen fügt er eine Erklärung hinzu, so, als wollte er sagen: Ihr schafft es auch, ihr werdet ja selig, ihr braucht nicht zu zweifeln oder gar zu ver­zweifeln. „Denn“, so sagt er, „denn Gott ist ja, der in euch wirkt, ja, der alles tut: Er schenkt euch das Wollen und er schenkt euch auch das Voll­bringen. Ja, er macht alles; er sorgt dafür, dass ihr nicht vergeblich ums Seligwerden ringt.“

Dies, liebe Gemeinde, passt nun hundert­prozentig zur Botschaft der Re­formation. Dies dürfen wir uns immer wieder vorhalten, daran festhalten, daran erfreuen. Dies soll uns niemand rauben; daran brauchen wir nicht zu zweifeln: Als Jesus am Kreuz für unsere Sünden starb, da hat er alles getan, da hat er genug getan. Als du in der heiligen Taufe Gottes Kind geworden bist, da hat allein Gott an dir gehandelt. Da hat er dich der Macht des Satans entrissen, noch bevor du denken, bekennen oder etwas schaffen konntest. Da hat Gott dir den Heiligen Geist geschenkt. Nur durch diesen Geist glaubst du, bekennst du, betest du und wirst du selig. Immer, wenn der Herr zu dir redet in seinem Wort, immer, wenn dir das Opfer Jesu Christi groß vor Augen steht in der Predigt oder in der Sünden­vergebung oder beim Heiligen Abendmahl, dann handelt der Allmächtige an dir, dann geht er in dich ein durch den Heiligen Geist und schafft in dir das Wollen und Voll­bringen, dass du im Glauben und damit in der Seligkeit bleibst bis an dein Ende. Daran wollen wir uns halten, wenn Zweifel und An­fechtungen kommen. Das soll unser Trost sein, wann immer wir merken: Mit meinem Tun ist es nicht weit her – mit meinem „Schaffen, dass ich selig werde“.

Freilich, liebe Gemeinde, wer die Logik liebt, für den bleibt das ein Problem, für den bleibt das ein Wider­spruch. Auch ein Mann wie Martin Luther hat sich mit diesem Widerspruch herum­geschlagen. In seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ geht es um das Gegenüber von Gottes Gnadenwahl und mensch­lichem Willen. Es ist Luthers schwerste Schrift, wohl aber auch mit die beste. Mit Recht lehnt er darin die Meinung ab, der Mensch müsse in seinem freien Willen zusammen­arbeiten mit Gottes Gnade, um selig zu werden. Nein, sagt Luther ganz im Sinne der Bibel, der Mensch kann auch nicht ein Prozent zur Seligkeit beitragen, es kommt alles hundert­prozentig von Gott – auch der Glaube, alles Wollen und Voll­bringen. Beim Seligwerden gibt es keine Teamarbeit zwischen Gott und Mensch. Und so muss denn beides mit vollem Gewicht neben­einander stehen bleiben, ohne Kompromiss, ohne Auf­weichung: „Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist's der in euch wirkt beides, das Wollen und das Voll­bringen, zu seinem Wohl­gefallen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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