Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Auch ein guter Lehrling ist noch kein Meister. Auch ein guter Lehrling braucht noch Ansporn und Motivation. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass er schon in der Lehrzeit durch hervorragende Leistungen und gutes Fachwissen glänzt, es kommt vielmehr darauf an, dass er sich in der Abschlussprüfung bewährt. Der Prüfungstag ist der Tag, auf den es ankommt. Es ist schön, wenn der Lehrling momentan gut ist, entscheidend ist aber, dass er gut bleibt. Und dazu braucht er, wie gesagt, Ansporn. Ich selbst erinnere mich, wie es in meiner Schulzeit war: Wenn ich mal ein gutes Zeugnis erhielt, dann ruhte ich mich auf diesen Lorbeeren aus, und die Leistungen ließen bedenklich nach. Da musste ich mir dann sagen (oder von meinen Lehrern sagen lassen): Streng dich an, sonst sieht es im nächsten Zeugnis schlimm aus! Oder: Streng dich an; schließlich kommt es nicht auf die Zwischenzeugnisse an, sondern auf das Abitur!
Die Thessalonicher waren gewissermaßen gute Lehrlinge oder Schüler; vielmehr: Sie waren gute Jünger. Paulus bescheinigte das dieser christlichen Gemeinde ausdrücklich im 1. Thessalonicherbrief: „Ihr seid ein Vorbild geworden“, schrieb er, und: „Euer Glaube an Gott ist an allen Orten bekannt geworden“ (1. Thess. 1,7‑8). „Ihr seid unsere Hoffnung oder unsere Freude oder unser Ruhmeskranz“, schrieb er an anderer Stelle (1. Thess. 2,19), und weiter: „Timotheus hat uns Gutes berichtet von eurem Glauben und eurer Liebe“ (1. Thess. 3,6). Worauf es aber letztlich ankommt, das drückt er in diesem wunderschönen Segenswunsch am Schluss des Briefes aus. Es ist darin das Wesentliche ausgesagt, das Wichtigste, das Hauptanliegen: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.“ Nicht darum geht es, dass sie im Moment überall als gute Christen gelten, sondern darum geht es, dass sie ganz und gar heilig werden und in dieser Heiligkeit bleiben bis zu dem Tag, auf den es ankommt – bis zum Tag, an dem Jesus kommt, bis zur „Ankunft unseres Herrn Jesus Christus“ (wie es formuliert ist), bis zum großen Gerichtstag Gottes am Ende der Welt.
Ja, nichts anderes sagt Paulus mit diesem Segenswort. Er will, dass die Christen aus Thessalonich einmal vollkommen heilig am Jüngsten Tag vor Gottes Thron stehen und in die ewige Freude des Himmelreichs eingehen dürfen. Und dieses „vollkommen“ können wir uns ruhig dick unterstrichen vorstellen. Paulus benutzte einen großen Wortschwall, um es hervorzuheben: „Durch und durch“, „unversehrt“, „untadelig“, „Geist samt Seele und Leib“. Ja, auch diese Dreiheit „Geist, Seele, Leib“ verwendete Paulus hier, um den ganzen Menschen umfassend zu beschreiben, sozusagen mit Haut und Haaren. Es geht ihm hier nicht um eine Zergliederung des Menschen, wie sie in der griechischen Philosophie üblich war und wie man es ja auch heute noch manchmal tut. Solche Zergliederung in Leib, Seele und Geist ist ja nur eine armselige Krücke für den schwachen Verstand, um das große Schöpfungswunder Mensch ein bisschen besser zu begreifen. Paulus meint hier lediglich: Der ganze Mensch soll in jeder Beziehung von Gott geheiligt und zum entscheidenden Tag bewahrt werden, und das, wie gesagt, „durch und durch, unversehrt, untadelig“.
Paulus hatte einen guten Grund, diesen Segenswunsch nicht nur zu seinem Gebet im stillen Kämmerlein zu machen, sondern die Thessalonicher wissen zu lassen, was er sich für sie erhofft. Wir erinnern uns: Auch wenn ein Lehrling gut ist, ist er noch kein Meister und braucht einen Ansporn, um nicht abzuschlaffen. Ebenso gilt: Auch wenn eine christliche Gemeinde vorbildlich ist, braucht sie eine Erinnerung daran, dass sie noch nicht am Ziel ist, sondern dass sie den Kampf des Glaubens weiterkämpfen muss mit Blick auf den entscheidenden Tag. Das gilt ebenso für uns heute.
Liebe Gemeinde, zu loben gibt es auch bei uns viel. Unsere Gemeinden gelten bei anderen Christen als aktiv und opferfreudig. Viele dienen treu und unentgeltlich in mancherlei Ämtern der Gemeinde. Das Gotteslob in der Kirchenmusik und in der Liturgie hat ein recht hohes Niveau. Und die meisten von euch, die hier sitzen, sind treue Kirchgänger, denen Gottes Wort und Sakrament lieb und wichtig sind und die nicht ohne Not darauf verzichten wollen. Lasst euch dieses Lob ruhig einmal gefallen; vielleicht hätte auch Paulus euch ja ähnlich gelobt wie die Thessalonicher damals. Aber das Wichtigste steht in dem Segenswort am Schluss. Es ist zwar gut, wenn wir vorbildliche Christen sind, aber das Entscheidende ist, dass wir vollkommen heilig sind und so auf den Tag der Ankunft Jesu Christi bewahrt werden. Ja, vollkommen heilig, durch und durch, mit Geist samt Seele und Leib, unversehrt, untadelig.
Wie kann das geschehen?
Der Gott des Friedens muss es tun: der Gott, der durch seinen Sohn Jesus Christus Frieden stiften ließ. Der Gott, der von Sünden reinigt. Der Gott, der um des Opfers seines Sohnes willen Sünder als Gerechte ansieht – als Heilige an Geist, Leib und Seele, durch und durch, unversehrt, untadelig. Was Gott tun möge nach dem Segenswunsch des Paulus, ist nichts anderes, als uns immer wieder die Sünden zu vergeben und seine Gnade zuzusprechen, damit wir in solcher Gnade und solchem Glauben bis an den entscheidenden Tag beharren und selig werden.
Wir sehen: Auch gute Christen haben die Sündenvergebung immer wieder nötig, auch vorbildliche Gemeinden. Ja, sie vielleicht sogar in besonderem Maß, denn sie stehen in der Gefahr, stolz zu werden, Pharisäer zu werden, auf andere herabzusehen. Wer hoch steht, kann tief fallen. Bilden wir uns nur nichts ein! Unsere Anständigkeit und unser guter Wille reichen nicht aus für die vollkommene Heiligkeit, die wir am Jüngsten Tag brauchen. Darum ist die tägliche Buße so nötig wie das tägliche Brot – die Erkenntnis: Ich bin ein Sünder vor Gott, mag ich vor den Menschen auch noch so ein gutes Bild abgeben; ich habe die Vergebung durch Jesus bitter nötig.
Liebe Gemeinde, nehmen wir das ganz ernst. Es gibt heutzutage in der Kirche Stimmen, die sagen: Lasst uns doch nicht so viel von Sünde und Buße reden. Lasst uns doch nicht immer wieder beichten. Wir sind doch getauft und Gottes Kinder, da wollen wir vor allem fröhlich sein und nicht immer mit so traurigen Dingen wie der Buße umgehen. Das sind gefährliche Stimmen. Denn wenn wir nicht mehr Buße tun, dann meinen wir, uns auf bereits erworbenen Lorbeeren ausruhen zu können. Nein, wir sind noch nicht am Ziel, und wir haben es noch immer nötig, dass Gott uns heilig macht. Wir haben es nötig bis hin zum Jüngsten Tag.
Bange braucht uns deswegen nicht zu werden. Vielleicht fragst du ängstlich: Tue ich denn überhaupt richtig Buße, meine ich es ernst genug, ist mein Glaube stark genug? Die Antwort lautet: Darum geht es nicht. Du musst dich ja nicht selbst selig machen durch deine Buße, deinen Ernst oder deinen Glauben. Gott ist es, der dich „durch und durch heiligt“ in der Sündenvergebung mit seinem Wort und Sakrament. Gottes Geist bewahrt dich in diesem Glauben bis an dein Ende. Beachte, wie Paulus hier das Segenswort sagt: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch…“ Gott ist hier das Subjekt, wir dagegen sind Objekt. Gott tut's, an uns geschieht's. Gott ist der Töpfer, wir der Ton. Natürlich sind wir Menschen es, die Buße tun, glauben und im Glauben beharren sollen, aber eigentlich ist es Gottes Werk in uns und durch uns. Gott schafft das Wollen und Vollbringen. Mit unserem Verstand können wir das nicht begreifen, aber glauben dürfen und sollen wir es: Ja, Gott tut alles! Gott macht uns völlig heilig durch Jesus Christus. Und Gott bewahrt uns in dieser Heiligkeit bis zu seinem großen Tag. Das hat er versprochen – allen, die es annehmen. Gott steht zu seinem Wort, Gottes Zusage ist verlässlich. „Treu ist er, der euch ruft“, heißt es gleich im nächsten Vers, „er wird's auch tun.“ Ja, amen.
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