Die Macht der Fürbitte

Predigt über 2. Mose 32,7‑14 zum Sonntag Rogate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer hat eigentlich Macht in unserem Land? Zuerst fallen uns da die Politiker ein, die die Gesetze machen. Aber die Politiker sind vom Volk gewählt. Zur Wahl zu gehen ist eine wichtige und ver­antwortliche Aufgabe in einer Demokratie, denn von den gewählten Ab­geordneten hängt viel ab. Ob aber ihr Beschließen und Regieren dem Land Segen bringt oder nicht, das liegt letztlich in Gottes Hand. Es gehört zu Gottes Gabe des täglichen Brotes, wenn wir „fromme und treue Oberherren“ haben, „gut Regiment, Friede, Zucht und Ehre“. Der Segen über unserem Land hängt also letztlich nicht davon ab, ob Rote, Schwarze, Grüne oder Gelbe regieren oder irgendeine Koalition von diesen. Der Segen kann letztlich nur von Gott kommen. Gott regiert in jedem Land mit den jeweiligen Regierungen – oder auch, wenn er will, gegen sie.

Um so erstaun­licher ist es fest­zustellen, dass Gott diese seine höchste Macht freiwillig wieder aus der Hand gibt. Ein Stück weit zumindest. Gott gibt sie den Betern. Gott lässt die Beter mit­bestimmen und mit­regieren. Gott lässt sich be­einflussen und sogar umstimmen durch Beter. Das ist un­geheuer­lich, nicht wahr? Der ewige, all­mächtige, un­wandelbare Gott! Das kann man überhaupt nicht verstehen, und das könnte man auch kaum glauben, wenn nicht Gottes Wort selbst davon Zeugnis gäbe. Zum Beispiel mit dieser Geschichte, wo Gott sich durch Moses Fürbitte umstimmen ließ.

Das Volk Israel war damals tief gefallen. Die Israeliten hatten sich ein Götzenbild gemacht, ein goldenes Stierbild. Sie beteten dieses Machwerk an, opferten ihm und priesen es dafür, dass es sie aus der ägyptischen Gefangen­schaft heraus­geführt habe. Die Israeliten hatten in Moses Abwesenheit das erste und oberste Gebot übertreten: Sie hatten Gott den Herrn verworfen und sich einem anderen Gott zugewandt. Den fürchteten sie, den liebten sie, dem vertrauten sie. Halsstarrig waren sie, obwohl Gott ihnen mit vielen Wundern seine Macht bewiesen hatte. Aber immer wieder zweifelten sie an seiner Macht und suchten nach anderen Göttern.

Mose hatte diesen Abfall gar nicht miterlebt. Er war viele Tage auf dem Gipfel des Berges Sinai, um dort von Gott die heiligen Gesetze in Empfang zu nehmen. Unterdessen feierte das Volk am Fuß des Berges eine Orgie zu Ehren des goldenen Kalbes. Gott selbst musste Mose erst darauf hinweisen. Und auch seinen Zorn verhehlte Gott vor seinem Vertrauten Mose nicht: „Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.“

An dieser Stelle müssen wir Hochachtung vor Mose bekommen. Er hat es zu keiner Zeit leicht gehabt als Anführer des Volkes Israel. Er hat sich nicht in dieses Regierungs­amt gedrängt, hat sich nicht im Wahlkampf an­gepriesen, sondern er ist von Gott praktisch dazu gezwungen worden. Ebenso, wie er sich mit Israels Feinden herum­schlagen musste (mit dem Pharao und den Ägyptern), so musste er auch mit dem Murren der Israeliten fertig­werden, das manchmal bis hin zur Meuterei ging. Menschlich gesehen wäre es für Mose also viel angenehmer gewesen, wenn er dem Rat Gottes zugestimmt hätte. Er wäre dann die Regierungs­verant­wortung für dieses Volk los gewesen und hätte zudem einen großen Namen erlangt als Stammvater eines neuen aus­erwählten Gottes­volkes. Gott wäre damit auch nicht seinem Versprechen an Abraham, Isaak und Jakob untreu geworden, denn Mose gehörte ja auch zu ihren Nachkommen.

Wir müssen Hochachtung vor Mose haben, weil er nun völlig un­eigennützig sich bei Gott einsetzt für das abtrünnige Volk. „Mose flehte vor dem Herrn“, heißt es; wörtlich: „Er machte Gottes Angesicht schwach.“ Mose versuchte mit Fürbitte, Gott um­zustimmen. Er versuchte, Gottes hartes Angesicht und sein hartes Urteil gegen Israel zu mildern, weich zu machen, schwach zu machen: „Ach Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk?“ Und dann begann Mose, mit Gott zu argu­mentieren, warum er denn sein Volk nicht im Zorn vernichten dürfe. „Du hast es mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt.“ Herr, soll das denn wirklich vergebliche Mühe gewesen sein, was du an diesem Volk bisher erwiesen hast an Zeichen und Wundern? – „Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück heraus­geführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden?“ Herr, das darfst du doch nicht zulassen, dass deine Feinde dich so verspotten und sagen: Der Gott Israels ist ja ein komischer Gott; erst befreit er sie aus der Knecht­schaft, und dann vernichtet er sie in der Wüste! – „Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.“ Herr, jetzt sehen alle, wie wunderbar du deine Ver­heißungen erfüllst; Israel ist jetzt ein großes Volk und im Begriff, das verheißene Land in Besitz zu nehmen. „Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst“, flehte Mose.

Und das Erstaun­liche geschah: Gott ließ sich umstimmen durch Moses Fürbitte! Gott erbarmte sich aufs Neue über sein Volk. Gott machte sein hartes Angesicht wieder schwach und weich. Gott überwand seinen Zorn. Wir lesen: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.“ Gott gereut etwas – genau wie ein Mensch, der Buße tut! Gott ändert seinen Entschluss – das ist un­vorstell­bar, unfasslich! Der ewige, all­mächtige, un­wandelbare Gott! Das kann man nicht erklären und nicht logisch zusammen­bringen, das muss man einfach hören und glauben: Gott lässt sich durch einen einzigen Beter umstimmen. Wir können daran sehen, wie lieb Gott uns Menschen hat: den Beter Mose, dass er sich von ihm be­einflussen lässt, und sein Volk Israel, dass er doch herzlich gern sich von seinem Zorn abwendet und die Gnade das letzte Wort behält.

Liebe Gemeinde, wie Mose dürfen auch wir Fürbitte tun. Wie Mose dürfen auch wir mitregieren im höchsten Regiment, in Gottes Plan und Rat. Oder etwa nicht? War Mose nicht vielleicht ein Sonderfall – einer, der von Gott besonders erwählt wurde, um mit ihm Gemein­schaft zu haben? Ein enger Freund Gottes, und ein Mittler für ganz Israel?

Richtig, Mose war von Gott zu besonderer Gemein­schaft erwählt. Aber auch wir sind von Gott zu besonderer Gemein­schaft erwählt durch seinen Sohn Jesus Christus. Der hat mit seinem Opfertod am Kreuz unsere Sünden getilgt und damit den Zugang freigemacht zum himmlischen Vater. Wir dürfen einfach wie Kinder zu ihm kommen und sagen: „Abba, lieber Vater!“ Wir dürfen ihn bitten wie die lieben Kinder ihren lieben Vater. Wir brauchen keine Mittels­person dazu, so wie die Israeliten Mose brauchten. Durch die Taufe sind wir zu Gottes Kindern geworden. Durch die Taufe sind wir mit Christus und dadurch mit dem dreieinigen Gott aufs Engste verbunden; wir sind in Christus, Christus ist in uns durch den Heiligen Geist. Wir leben diese enge Gemein­schaft mit Gott durch den Glauben. Und wir sind berufen, durch unsere Fürbitte mit­zuregieren in Gottes hohem Regiment. Uns ist verheißen, dass Gott uns erhört, dass er unsere Bitten anhört und dann gibt, worum wir ihn bitten. Es gibt ganz viel, worum wir Gott bitten können und auch bitten müssten. Alles, was uns in irgendeiner Weise bewegt und auf der Seele liegt, sollte zu einem Gebet werden. Es gibt viele Menschen, die unsere Fürbitte brauchen. Es gibt vieles, was wir durch unsere Fürbitte ändern sollten. Wir sollten diese Vollmacht und diesen Auftrag Gottes nicht ver­nachlässi­gen, den wir mit unserer Berufung als Christen empfangen haben: fleißig zu beten, fleißig mit­zuregieren mit Christus. Wir sollten dieses Mandat nicht ruhen lassen – nicht zuletzt auch im Bereich der Politik, wo es etwa um das Wohl und Wehe unseres Landes geht. Uns sollte der Weg unseres Volkes ebensowenig gleich­gültig sein wie Mose das Schicksal seiner Volks­genossen. Mit den Kreuzchen auf dem Stimmzettel nehmen wir alle paar Jahre politische Ver­antwortung wahr, aber mit den gefalteten Händen können wir täglich eine Politik machen, die einen viel größeren Einfluss hat als unsere Wahl­entschei­dung.

Ja, liebe Gemeinde, lasst uns gerade auch für unser Volk und Land Fürbitte tun. Wir denken ja jeden Sonntag im Kirchengebet daran; das ist gut und wichtig. Wir sollten auch zu Hause immer wieder daran denken. Denn wie nötig hat unser Volk die Fürbitte! Wenn Gott damals von seinem Volk Israel sagte: „Sie sind abgewichen von dem Weg, den ich ihnen geboten habe“, wieviel mehr gilt das heute von der Mehrheit unseres Volkes! Wie sehr sind Lüge und Betrug zu geduldeten Kavaliers­delikten geworden! Wieviel tausendfach werden ungestraft Kinder im Mutterleib getötet! Wieviele unzählige Male wird die Ehe gebrochen! Wieviele unzählige goldene Kälber gibt es in unserem Land – wenn es denn stimmt, was Martin Luther sagte: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“! Wieviel Zeit und Geld wird den modernen Götzen geopfert! Wie sehr werden die ver­götterten Stars aus Sport und Show­geschäft angebetet! Wie sehr rühmt man den großen Götzen „Ich“! Wie un­ersättlich ist man auf die Ver­größerung des Wohlstands bedacht, wo wir uns doch nach Gottes Willen mit dem Notwendigen begnügen sollten!

Wenn Gott damals über Israel zornig war, dann hätte er heute tausendmal mehr Grund, über uns zornig zu sein – über das „christ­liche Abendland“, das Land der Re­formation, in dem das Evangelium hell und klar bezeugt wurde und wird. Wenn Gott damals Israel vernichten wollte, er hätte bei unserem Volk tausendmal mehr Grund dazu. Wir aber wollen nicht müde werden, zu ihm zu flehen für unser Volk. Wir wollen ihn um Gnade bitten. Wir wollen versuchen, ihn mit unseren Gebeten um­zustimmen, dass er sich über die vielen verstockten Herzen erbarme und sie mit dem Licht des Glaubens erleuchte. Wir wollen flehen: Gott, sollen denn deine Feinde recht behalten, wenn sie sagen, der christliche Glaube wird sich bald überlebt haben; nach Gottes Willen fragen ernsthaft ja nur noch wenige? Gott, sollen denn die Menschen aus anderen Kulturen, die jetzt so zahlreich unter uns sind, denken: Die Christen haben aber einen schwachen Gott; man merkt nicht viel von ihm in einem christ­lichen Land? Gott, dein Sohn Jesus Christus ist doch für alle gestorben! Du willst doch, dass allen Menschen geholfen werde! Führe doch nun auch viele in unserem Volk zur Erkenntnis der Wahrheit. Führe sie zur Buße, wie du damals das Volk Israel zur Buße geführt hast, als sie das goldene Kalb wieder zerstörten. Herr, erbarm dich über unser Land. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum