Lass dich mitreißen!

Predigt über 1. Ko­rinther 15,19‑26 zum Ostersonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In der Welt gibt es viele geistige Bewegungen. Es hat sie immer gegeben in der Welt­geschichte, und die meisten waren nur von kurzer Dauer. Vor nicht allzu langer Zeit war New-Age-Bewegung in Mode, davor Baghwan, aber heute erinnert sich kaum noch einer daran. Das „tausend­jährige Reich“ des National­sozialismus hat keine zwanzig Jahre bestanden. Der Sozialismus hat weltweit immerhin fast ein Jahrhundert gehalten, ehe er seinen Bankrott anmeldete. In den Jahr­hunderten davor gab es unzählige weitere Bewegungen – politische, welt­anschau­liche, religiöse und andere. Wer weiß heute noch etwas von der Wandervogel-Bewegung oder von der Geißler-Bewegung im Mittel­alter? Die Bewegungen der Welt­geschichte sind immer vorüber­gehend, und viele sind aus­gesprochene Eintags­fliegen.

Es gibt eigentlich nur zwei Bewegungen, die sich durch alle Epochen der Menschheit wie ein roter Faden hindurchziehen: Die eine Bewegung hat ihren Ursprung in Adam, die andere in Jesus Christus. Es sind zwei einander entgegengesetzte Bewegungen. Der Apostel Paulus schreibt im 1. Ko­rinther­brief: „Da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auf­erstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.“

Die Adam-Bewegung nahm ihren tragischen Anfang mit dem Ungehorsam der ersten Menschen im Paradies, die auf die Stimme des Verführers hörten. Sie hofften, so wie Gott zu werden. Sie wollten eigene Herren sein und nicht Gott als Herrn anerkennen. Sie dachten, es sei nicht so schlimm, Gottes Gebot zu übertreten. Aber sie stürzten damit sich und die ganze Menschheit ins Elend. Auf ihren Ungehorsam folgte die Strafe: Schmerzen, Schweiß und Mühen waren ihnen künftig beschieden, und sie wurden sterblich, mussten wieder zum Staub zurück­kehren, von dem sie genommen waren.

Bis zum heutigen Tag werden Menschen mitgerissen in diese Adam-Bewegung, und auch wir stehen immer wieder in der Gefahr, mitgerissen zu werden. Wir hören auf die Stimme des Verführers; wir finden so manches gut und vernünftig, was vor Gottes Wort nicht bestehen kann. Wir empfinden die Verlockung des Verbotenen. Schon Kinder tun mit Vorliebe das, was sie nicht sollen. Wir wollen selber wie Gott sein, wollen unsere eigenen Herren sein; jeder möchte über sein Leben selbst bestimmen. Wir denken, ein bisschen Sünde im Leben ist doch nicht so schlimm, alle haben ja diese Macke, und Vollkommen­heit schaffen wir sowieso nicht. Machen nicht gerade erst seine Schwächen den Menschen liebenswert menschlich? Ja, so drohen wir mitgerissen zu werden in der Adam-Bewegung, und das Ende ist der Tod.

Genau entgegen­gesetzt ist die Christus-Bewegung. Wir können sie auch Oster-Bewegung nennen. Es ist eine Bewegung, die zum Leben führt. Angefangen hat sie auch schon damals, zu Adams und Evas Zeit, denn mit der Sünden­strafe hat Gott ihnen und ihren Nachkommen bereits die Verheißung mit auf den Weg gegeben: Es wird der Eine kommen und geboren werden, der der Schlange den Kopf zertreten wird, der den Teufel und den Tod töten wird. Freilich wird er zuvor selbst das Gift des Todes erfahren müssen – die Schlange wird ihn in die Ferse stechen. Ja, mit dieser Weissagung begann bereits die Christus­bewegung, die dann am ersten Ostermorgen ihren Höhepunkt gefunden hat.

Viele Propheten kündigten Christus an, bevor es so weit war. Die Christus-Bewegung ist eine große, über weite Zeiträume angelegte Bewegung. Daran sehen wir: Es ist Gottes Bewegung. Gott hat einen langen Atem; bei ihm gelten andere Zeit­maßstäbe als bei uns. Bei ihm können tausend Jahre wie ein Tag sein. Ja, über Jahr­tausende predigten Gottes Boten von dem Einen, der da kommen wird – von dem Menschen­sohn und Davidssohn, von dem Propheten und König, von dem Gesalbten, dem Messias. Sie predigten bis hin zu Johannes dem Täufer, dem Vorläufer der Herrn, der sagte: „Das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“ Er sagte damit: Jetzt ist es gleich so weit. Und Jesus selbst wiederholte diese Worte zu Beginn seiner Wirksam­keit: „Das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“ – Ja, nun war es gleich so weit.

Und dann war es wirklich so weit: Christus litt und starb für die Sünden der Menschheit. Christus wurde von der Schlange in die Ferse gestochen – er musste den Tod leiden, den Preis für Adams und aller Menschen Ungehorsam. Dann wurde er begraben. Aber hier ist eigentlich die Wurzel der Christus-Bewegung, ihre Ursache und ihre treibende Kraft. Hier beginnt das Weizenkorn zu keimen, Wurzeln zu schlagen, neu zu sprießen. Hier zeigt sich, dass die Christus-Bewegung der Adam-Bewegung entgegen­läuft, dass sie nicht vom Leben kommend im Tod endet, sondern vom Tod herkommend neues Leben bringt.

Als Christus gestorben und begraben war, erweckte sein himmlischer Vater zuerst seinen Geist, seine Seele. Damit übersprang Christus alle Grenzen von Raum und Zeit, zeigte sich lebend in der Hölle und verkündigte damit triumphierend seinen Sieg über den Teufel, über den Tod und über alles, was sich durch die Adam-Bewegung mitreißen ließ. „Nieder­gefahren zur Hölle“, so bekennen wir Sonntag für Sonntag diesen herrlichen ersten Triumphzug Christi nach seinem Tod.

Die Bewegung geht weiter: Am Sonntag­morgen, noch vor Sonnen­aufgang, wird auch Christi Leib wieder lebendig; Leib und Seele sind nun wieder vereint. Ein Erdbeben schmettert den Stein von der Grabestür. Die römischen Soldaten, die das Grab bewachen sollten, fallen in eine tiefe Bewusst­losigkeit, und Christus tritt als Sieger heraus. Engel verkündigen es – zuerst verstörten Frauen, dann verstörten Jüngern. Diese sind erst ungläubig, werden dann aber mitgerissen in dieser gewaltigen Oster­bewegung, sehen den Auf­erstande­nen, dürfen ihn später auch berühren, essen und trinken mit ihm. Die Bewegung geht weiter: Christus sendet seine Jünger als Zeugen und Apostel, dass die Welt mitgerissen werde in die Oster­bewegung, dass viele seine Jünger werden und hinter ihm her ins Leben gehen. Christus fährt auf in den Himmel, in die Herrlich­keit des Vaters, und zeigt damit, wo der Zielpunkt der Oster­bewegung ist und wo alle Oster-Bewegten einmal hinkommen sollen: in das himmlische Vaterhaus, in die ewige Seligkeit.

Die Bewegung geht weiter: Christus gießt seinen Geist aus über die Jünger zu Pfingsten. Dreitausend lassen sich an dem Tag mitreißen durch die Christus-Bewegung, dreitausend lassen sich taufen. Und die Christen sagen die gute Botschaft dann immer weiter durch die Kraft desselben Geistes, lassen sich auch nicht mundtot machen durch grausamste Verfolgung. Die Bewegung geht weiter auch in unserer Zeit, auch hier in dieser Kirche am heutigen Osterfest. Denn Christi Wort wird hier gepredigt zu Menschen, die mit seinem Geist getauft sind. Christi Sakrament wird hier gefeiert, das uns wieder aufs neue mitreißt in den Strom der Oster­bewegten – in die Bewegung, die zum Leben führt. Und noch weiter geht die Bewegung; Paulus hat es ja genau auf­geschrie­ben, wie das Leben von Christus her um sich greift: „Als Erstling Christus, danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; danach das Ende, wenn er das Reich Gott dem Vater übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat. Denn er muss herrschen, bis Gott ihm ‚alle Feinde unter seine Füße legt‘. Der letzte Feind, den er vernichten wird, ist der Tod.“ Ja, die Christus-Bewegung, die Oster­bewegung, die Bewegung zum Leben wird die andere Bewegung vernichten: die Adam-Bewegung, die Bewegung des Teufels, die Bewegung, die zum Tod führt. Christus und seine Bewegung wird den Sieg behalten. Halleluja! Was für einen großartigen Herrn haben wir doch!

Lieber Bruder, liebe Schwester, lass dich mitreißen in dieser Bewegung. Unser Christen­leben ist kein Zustand, sondern eine Bewegung, kein Sein, sondern ein Werden, Kein Ergriffen-Haben, sondern ein Nachjagen. Wenn wir denken, wir hätten schon alles und es sei hier in diesem Leben schon alles fertig ein­gerichtet mit unserem Christen­leben, so wäre das ein sehr erbärm­licher Glaube. „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“, schreibt Paulus. Aber dann wischt er diesen elenden Gedanken mit einer Hand­bewegung weg: „Nun aber ist Christus auf­erstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.“ Wie Christus durch die Oster­bewegung uns voran­gegangen ist in die Herrlich­keit des Vaters, so will er uns mitreißen – uns, seine Jünger.

Ja, Christsein heißt Jünger sein. Jünger sein aber heißt Christus nachfolgen; besser: sich mitreißen lassen in der Christus­bewegung, hin zum Leben. Ein Jünger ist ein Schüler, ein Lernender – also einer, der noch im Werden ist. Ein Jünger hat mit der Kon­firmation nicht ausgelernt, sondern ist begierig, täglich mehr zu lernen von seinem Meister. Ein Jünger möchte nicht klein bleiben im Glauben, sondern wachsen durch die Kraft des Heiligen Geistes. Ein Jünger ist noch nicht frei von Sünde, aber er strebt danach, die Sünde loszuwerden – immer mehr, durch tägliche Reue und Buße. Und eine Gemeinde von Jüngern ist kein fertiges Gebäude, sondern eine Baustelle. Da müssen Steine heran­geholt, bearbeitet und eingebaut werden. Alles wächst, alles ist in Bewegung, in Christus-Bewegung, in Oster-Bewegung.

Ja, lass dich mitreißen von Christus, von dem lebendigen Herrn! Lass dich mitreißen in diesem Leben, und dann durch den Tod hindurch in das herrliche Leben der Ewigkeit, wohin Christus auf­erstanden und uns voran­gegangen ist! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum