Fürwahr, er trug unsere Krankheit…

Predigt über Jesaja 53,4a zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Jeder von uns macht die Erfahrung: Das Leben in dieser Welt hat eine helle und eine dunkle Seite. Die helle Seite ist diese: Als wunderbare Geschöpfe Gottes dürfen wir uns an Himmel und Erde freuen, die er für uns geschaffen hat. Die dunkle Seite ist das, was der eben gehörte Bibelvers mit den Worten „Krankheit“ und „Schmerzen“ zusammen­fasst. Wenn nun Krankheit und Schmerzen wie dunkle Gewitter­wolken bei uns aufziehen, verfinstern sie die helle Seite des Lebens, und alles scheint nur Schmerz zu sein.

Unsere Krankheit, unsere Schmerzen – schon ein Kind lernt, was das ist. Ich erinnere mich: Als ich klein war, musste ich einmal zum Zahnarzt. Ich wusste, es wird weh tun. Ich hatte große Angst vor den Schmerzen. Und ich dachte daran: Wie viele Male wirst du in deinem Leben noch zum Zahnarzt müssen, wieviele Male wird es noch weh tun! Und plötzlich war das ganze Leben ein Schmerz. Wenn wir größer werden, lernen wir: Es gibt Schlimmeres als den Zahnarzt. Es gibt kaum erträgliche Schmerzen, die lange andauern. Es gibt die Angst vor einer Operation, die Angst vor einem langwierigen Krankenhaus­aufenthalt. Es gibt die Angst vor bleibender Krankheit, vor Behinde­rung. Es gibt die Angst vor dem tödlichen Befund – vor der Krankheit, gegen die die Ärzte machtlos sind. Es gibt die Todesangst.

Unsere Krankheit, unsere Schmerzen – nicht nur mit unserem Körper haben sie zu tun. Es gibt den Schmerz der Einsamkeit. Er ist besonders schlimm, wenn man einen lieben Menschen verloren hat: den Ehepartner, ein Elternteil oder gar sein Kind. Es gibt das Leiden an den Mit­menschen, die zuweilen roh und lieblos sind, die sich vielleicht sogar auf unsere Kosten lustig machen. Es gibt die Schmerzen der Schuld – wie sehr bohren und brennen sie in unserem Gewissen, wenn wir etwas falsch gemacht haben und das schlimme Folgen nach sich zieht. Es gibt auch das Leiden an unserer kranken und wunden Welt, wie sie uns immer wieder vor Augen gestellt wird.

Unsere Krankheit, unsere Schmerzen – das sind nicht nur die Symptome, die äußeren Anzeichen. Auch die Ursachen sind mitgemeint, und auch die Folgen. Woher kommt die dunkle Seite der Welt? Unsere Sünden sind dafür verantwortlich – die Schuld, die seit Adam und Eva die Welt vergiftet und von einer Generation auf die andere vererbt wird. Es fing bei Eva an: Die Schmerzen bei der Geburt ihrer Kinder waren Strafe für ihren Ungehorsam. Und wohin führt die dunkle Seite der Welt? Sie führt zum Tod. Krankheit und Schmerzen töten schließlich jeden Menschen. Es fing bei Adam an: Im Schweiße seines Angesichts sollte er sein Brot essen und dann eines Tages wieder zu Erde werden – so strafte Gott Adams Sünde.

Unsere Krankheit, unsere Schmerzen – nun sagt uns Gott, dass einer sie trug, dass einer sie auf sich nahm. Das tröstet mich. Ich bin nicht allein mit Krankheit und Schmerzen. Andere müssen ebenso darunter leiden. Andere machen dieselbe Erfahrung. Auch der Eine hat sie gemacht.

Einer trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Einer, der es gar nicht nötig gehabt hätte. Einer, der keine Sünde hatte. Ihm hätte die dunkle Seite des Lebens erspart bleiben können. Freiwillig trug er unsere Leiden. Ich bin ihm nicht egal; er interes­siert sich dafür, wie ich fühle und empfinde – auch, wie ich leide. Er interes­siert sich nicht nur ober­flächlich dafür, sondern er fühlt meine Schmerzen an seinem eigenen Leibe. So sehr hat er mich lieb!

Einer trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Sein Körper musste wirklich schlimme Schmerzen ertragen: die Schläge ins Gesicht, die Dornen­krone, die Stockhiebe, das Gewicht des Holzbalkens auf seiner Schulter, die Nägel durch Hände und Füße, das Atem ab­schnürende Hängen am Kreuz. Aber nicht nur die Schmerzen des Körpers nahm er auf sich, auch die viel schlimmeren Schmerzen der Seele. Die Schmerzen der Einsamkeit – fast alle seine Freunde hatten ihn allein gelassen. Das Leiden an den Mit­menschen, an ihrer Rohheit und ihrem Spott. Sie lachten ihn aus, wie er da schmerz­verzerrt am Kreuz hing. Sie schacherten um sein spärliches Erbe, würfelten um sein Gewand, noch ehe er tot war. Er trug die Schmerzen eines schlechten Gewissens, die Schmerzen quälender Schuld – wiewohl er selbst unschuldig war. Er schmeckte die schreck­liche Gott­verlassen­heit, den Fluch der Sünde: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er trug die Schmerzen bis zum bitteren Ende, bis hin zum Tode.

Ja, einer trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er trug sie mit uns und trug sie für uns. Er nahm sie auf sich und nahm sie uns ab. Er nahm die Ursache unserer Schmerzen und Krankheit fort, die Sünden­schuld, die uns vom Vater im Himmel trennte. Er nahm die Folgen unserer Schmerzen und Krankheit fort, den Tod, die ewige Verdammnis – denn wer an ihn glaubt, der wird ewig leben. Er nahm auch die Symptome fort, den Leidens­druck – das freilich erleben wir noch nicht jetzt, sondern das glauben wir auf Hoffnung. Weil er unsere Schmerzen und Krankheiten trug, hoffen wir, dorthin zu kommen, wo nicht Leid noch Schmerz noch Geschrei sein wird und wo Gott selbst alle Tränen trocknen wird, für immer.

Einer trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen, und dieser eine ist er: Er, „mein Knecht“, wie Gott ihn durch den Propheten Jesaja nennt. „Mein Knecht“, und das Wort bedeutet zugleich „mein Sohn“. Gottes Sohn ist Gottes Knecht geworden. Gottes Sohn Jesus Christus gehorchte dem himmlischen Vater wie ein Knecht. Es wurde ihm schwer und bitter, unsere Krankheiten und Schmerzen zu tragen, und einen kleinen Moment scheute er davor zurück. „Ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“, betete er. Aber dann: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“, sprach Gottes Knecht.

Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er, Gottes Knecht, Gottes Sohn Jesus Christus. Er schoss auf wie ein Reis und eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er war der Spross aus dem Königsstamm David, aus der Wurzel Isai. Aber wie armselig sind er und seine Familie, verglichen mit den Königen dieser Welt! Wirklich, eine Wurzel aus dürrem Erdreich. „Er war der Aller­verachtetste und Un­werteste“, heißt es auch von ihm. Mit Schlacht­vieh wird er verglichen, mit einem Lamm, das zur Schlacht­bank geführt wird. Ja, er ist das Gotteslamm, das die Sünde der Welt trägt, das als Sündopfer für uns ge­schlachtet wird. Für uns ist sein Blut geflossen, das Blut des Un­schuldigen, das Blut des „Ge­rechten“, wie er hier auch genannt wird.

Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Ja, er unsere Strafe, er für uns. Was für ein wundersamer Wechsel! Der Gerechte trägt die Strafe der Gottlosen; der Herr dient seinen Knechten; der König erniedrigt sich für seine Untertanen; der Gläubiger bezahlt für seine Schuldner! Er für uns.

Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Fürwahr. Ja, mit „fürwahr“ fängt dieser pro­phetische Satz an. Fürwahr, das ist gewiss und verläss­lich. Das hat Gott sieben­hundert Jahre vor der Zeit seines Sohnes durch Jesaja voraus­gesagt. Das haben alle Propheten bezeugt. Fürwahr, Gott hat seine Zusage nicht vergessen, er hat seine Meinung nicht geändert, er hat seinen Knecht und Sohn Jesus Christus in die Welt geschickt, um all das zu vollenden, was er zuvor versprochen hatte. Und fürwahr, so wahr er sein Versprechen damals gehalten hat, so wahr steht er auch heute noch zu seinem Wort. Fürwahr, auch deine und meine Schuld, die uns heute belasten, auch deine und meine Leiden, die uns heute quälen, sind getragen und uns abgenommen durch den Gottes­knecht; sie hängen da am Kreuz. Und fürwahr, so wahr der Gottessohn damals für dich am Kreuz gestorben ist, so wahr wirst du leben, ewig leben! Deine Krankheiten und Schmerzen werden dich nicht zu Tode bringen, jedenfalls nicht wirklich, nicht endgültig. Fürwahr, das gilt, das hat Gott fest ver­sprochen.

Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wann immer du auf der dunklen Seite des Lebens bist, halte dich an dieses Fürwahr! Nur an Gottes Zusage kannst du dann seine Liebe erkennen, nicht an deiner Lebens­erfahrung. Wenn du Gottes Liebe allein an deinem Wohlergehen ablesen wolltest, müsstest du auf der dunklen Seite des Lebens am Glauben ver­zweifeln. Aber halte dich an das Fürwahr! Halte dich an Gottes Wort! Nimm dir die Bibel vor und lies es selbst: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Nimm dir dein Gesangbuch vor und und lies auch dort Gottes ver­lässliche Botschaft: „0 Lamm Gottes unschuldig, / am Stamm des Kreuzes ge­schlachtet, / allzeit funden geduldig, / wiewohl du warest verachtet: / All Sünd hast du getragen, / sonst müssten wir verzagen. / Erbarm dich unser, o Jesu.“ Denke an deine Taufe, wo du in Christi Tod getauft wurdest, damit du ewig leben kannst! Lass dir die Hände auflegen und im Namen des dreieinigen Gottes die Sünden vergeben! Komm zum Tisch des Herrn, empfange seinen Leib und sein Blut zur Vergebung deiner Sünden als Siegel für Gottes Liebe und Treue! Suche die Gemein­schaft anderer Christen und nimm es an, wenn sie dich um Christi willen trösten wollen! Ja, auf vielerlei Weise sagt Gott auch heute noch „fürwahr“ zu dir – wirklich, du kannst dich darauf verlassen: „Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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