Gott denkt an dich

Predigt über 1. Mose 8,1‑12 zum 4. Sonntag nach Epiphanias

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Früher verstand man unter „Single“ eine Schall­platte mit nur einem Titel pro Seite. Sie ist erst von der Langspiel­platte und dann von der CD verdrängt worden. Dafür gibt es heute den Single. Gemeint ist ein Allein­stehender, sei er nun ledig, vom Ehepartner getrennt oder verwitwet. Ich habe allerdings den Eindruck, dass mit diesem englischen Wort ein Problem übertüncht wird: das Problem der Einsamkeit. Es gibt ganz viele Singles heute, viel mehr als früher, und die meisten leiden mehr oder weniger unter Einsamkeit. Wer mit anderen in einem Haushalt zusammen­lebt, kann sich kaum vorstellen, wie das Single-Dasein ist. Wenn da zum Beispiel jemandem die Wohnung so leer vorkommt, weil der Ehepartner fehlt. Wenn die Stille drückend wird. Wenn mit der Abenddämmerung die Angst herauf­zieht. Wenn man gern jemandem etwas sagen möchte, aber da ist niemand. Jüngere Singles finden dann immer noch Auswege, Fluchtwege: Sie stürzen sich in die Arbeit und suchen sich vieles, womit sie sich be­schäftigen können. Sie verreisen oder unternehmen einfach etwas, wenn ihnen die Decke auf den Kopf fällt. Alte Menschen haben es schwerer; sie können nicht mehr so viel unter­nehmen. Körperliche Beschwerden machen das Reisen zum Problem. Neue Kontakte zu knüpfen fällt ihnen schwer. Nicht-Singles können sich kaum vorstellen, wie schön es für einsame Menschen ist zu merken: Es denkt jemand an mich. Sie freuen sich über jeden Besuch, über jede persönliche Nachricht, über jeden Anruf. Ja selbst Grüße durch Dritte erfreuen sie, weil sie merken: Ich bin nicht vergessen. Unter Christen haben wir zudem die Brücke der Fürbitte, die einsame Menschen verbinden kann. Das sollten wir die anderen auch ruhig wissen lassen und ihnen vielleicht einfach sagen: Ich denk an dich.

Allerdings ist bei Einsamen der Hunger nach Kontakten oft so groß, dass ihre Bekannten und Verwandten den kaum stillen können. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, wenn ich älteren oder einsamen Menschen in meinen Bekanntenkreis schrieb oder sie besuchte: Sie hatten schon lange darauf gewartet und waren fast ein wenig enttäuscht, dass ich so lange nichts von mir hören ließ; dabei sind die Wochen seit dem letzten Kontakt für mich selbst wie im Flug vergangen. Aber ein Trost bleibt den Einsamen fest und un­enttäusch­bar – der eine Trost, den wir alle haben, auch die Nicht-Singles: Gott denkt immer an uns. Gleich ob wir an ihn denken und wie wir an ihn denken, gleich ob wir uns verlassen fühlen oder nicht: Gott ist da und denkt immer an uns, an jeden Einzelnen.

Für mich ist dies das Ent­scheidende in dem Abschnitt der Sintflut-Geschichte, den wir eben gehört haben: „Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war.“ Gott hatte Noah und alle Lebewesen in der Arche nicht vergessen, sondern war mit seinen Gedanken ständig bei ihnen. Und wenn Gott an jemanden denkt, dann bedeutet das nur Gutes. Wenn Gott an jemanden denkt, dann ist derjenige sicher und geborgen wie in der Arche bei Sturmflut, und er darf fest mit Gottes Segen rechnen. Ja, das ist für mich das Ent­scheidende in diesem Abschnitt: dass Gott an Noah gedenkt, dass er voller Liebe an ihn denkt und an alle Passagiere der Arche.

Vielleicht richtet sich euer Interesse in dieser biblischen Geschichte mehr auf andere Dinge. Vielleicht fragt ihr euch, wie die Sache mit der Arche überhaupt möglich war. Sie hatte immerhin die Maße eines aus­gewachsenen Öltankers, und Noah hatte sie unter primitiven Bedingungen selbst gebaut. Wie bewältigte er die Probleme der Statik, wie die Klimati­sierung? Wie hat er es geschafft, dass all die vielen ver­schiedenen Tierarten in die Arche gekommen sind? Wie hat er sie alle unter­gebracht? Wie hat er sie gefüttert, wie das Futter gelagert? Oder sind sie alle in eine Art Winter­schlaf gefallen? Wie haben Mensch und Tier es ein Jahr lang in so einem Holzkasten aushalten können? Viele Menschen bezweifeln, dass die Geschichte mit der Arche wirklich wie beschrieben statt­gefunden hat. Andere kluge Leute haben Beweise gesammelt und Bücher darüber ge­schrieben, dass sich das alles so abgespielt haben muss, und diese Beweise sind wirklich be­eindruckend. Trotzdem bleibt zuletzt die Erkenntnis: Die Sache mit der Arche ist ein gewaltiges Wunder Gottes gewesen. Lasst uns also weder zweifeln noch wissenschaft­liche Beweise suchen im Hinblick auf diese Geschichte, sondern sie ganz schlicht so glauben, wie Gott sie uns in seinem Wort vor Augen stellt. Wir bekennen ja Gott als Schöpfer der Welt und als All­mächtigen; da trauen wir ihm noch viel größere Wunder zu als das mit der Arche.

Nun aber zurück zu dem Ent­scheiden­den: Gott gedachte an Noah und alles Leben in der Arche, Gott ließ seine Kreaturen nicht im Stich. Damit erbarmte er sich über die ganze Menschheit und die gesamte Tierwelt bis auf den heutigen Tag, denn alle Lebewesen auf dem Land sind ja letztlich aus der Arche gekommen. Nur weil Gott damals an Noah dachte, leben wir überhaupt. Aber nun taucht die Frage auf: Denkt er denn heute immer noch an uns? Oder hat er seine Gedanken längst von uns abgewendet?

Die Bibel gibt uns eine klare Antwort: Seit den Tagen Noahs hat Gott nicht aufgehört, an diejenigen zu denken, die ihm vertrauen. In Liebe und Barmherzig­keit gedachte er an Abraham, Isaak und Jakob; er gab ihnen große Ver­heißungen für das Volk, das aus ihnen werden würde. In Treue gedachte er dieser Ver­heißungen und segnete sein Volk mit großen Gaben. Er gedachte an David und verhieß den Davidssohn, der einst kommen würde, die ganze Welt zu regieren. Und kurz bevor der Erlöser Jesus Christus geboren wurde, weissagte Zacharias, der Vater Johannes des Täufers: „Gott hat besucht und erlöst sein Volk, dass er gedächte an seinen heiligen Bund“ (Lukas 1,68.72). In Christus denkt Gott voll Liebe an alle Menschen und hat für sie den neuen Bund gestiftet. Und dass dieser Bund gerade auch für dich gilt, dass Gott in Jesus gerade auch an dich denkt und dich nicht im Stich lässt, das hat er dir in der Heiligen Taufe besiegelt. Die Arche Noah ist ein Sinnbild für die Taufe, schrieb der Apostel Petrus. Wie Gott in der Arche acht Menschen rettete, so rettete er uns durch die Taufe vor der ewigen Verdammnis. Wie Gott an Noah und die Seinen dachte, so dachte er an dich und mich in der Taufe.

Wenn du nun aber einen Kummer hast oder wenn du einsam bist, dann meinst du vielleicht: Was habe ich davon, dass Gott an mich denkt? Was nützt mir jetzt meine Taufe? Wie merke ich seine Liebe und Barmherzig­keit, wie merke ich seine Hilfe? Die Einsamkeit ist ein großer Feind des Glaubens. Der Teufel wählt für seine Angriffe oft die einsamen Stunden; da kommen dann An­fechtungen, Zweifel, Sorgen und Ängste. Der Einsame merkt oft nichts davon, dass Gott an ihn denkt, er hätte lieber jemanden, der ihm zuhört, der ihn tröstet, der auch mal zupackt und hilft. Wo aber bleibt Gottes Hilfe? Ach, wie blind sind wir oft! Du möchtest mit jemandem reden? Dann rede zu Gott im Gebet, dazu lädt er dich doch aus­drücklich ein, und er hört besser zu als jeder Mensch! Du möchtest, dass jemand mal was Liebes zu dir sagt? Dann lies in der Bibel; Gottes gute Nachricht ist eine einzige Liebes­erklärung an dich! Du möchtest, dass dir in einer notvollen Lage geholfen wird? Dann mach dir klar, wie Gott an Noah in der Arche gedacht hat, wie er ihm geholfen hat. Wir lesen da: „Gott ließ einen Ruach auf Erden kommen, und die Wasser fielen.“ Einen Ruach? Was ist denn das? In der deutschen Bibel steht: „einen Wind“. Aus dieser Übersetzung geht aber nicht hervor, dass das Wort Ruach zugleich „Geist“ bedeutet. Was da wie ein Wind über die Erde wehte und das Wasser vertrieb, war keine blindwütige Natur­gewalt, sondern es war Gottes Geist und Gottes Kraft. Gott gedachte an Noah, darum setzte er die Kräfte der Natur in Bewegung zugunsten Noahs. Das gilt ja noch heute: Kein Wind weht, kein Blitz zuckt, kein Regen­tropfen fällt und auch keine Schnee­flocke, wenn Gott es nicht will. Wie er den Wind damals in Bewegung setzte zugunsten Noahs, so setzt er noch heute vieles in Bewegung: Er denkt an uns und will uns helfen.

Unser Problem ist nur: Wir erkennen oftmals nicht Gottes Geist hinter den Ereignissen unseres Lebens, sondern wir nehmen seine Hilfe als selbst­verständlich hin. Wenn du allein lebst, weil du deinen Ehepartner verloren hast: Wie viele Jahre hat Gott dich und ihn beschützt, hat euch miteinander Freude geschenkt! Wenn du dich einsam fühlst: Wie oft bewegt Gott anderen Menschen das Herz, dass sie dich besuchen, dich anrufen oder dir auf andere Weise zeigen: Ich denk an dich! Auch hier ist es Gott, der dir durch diese Menschen sagt: Ich denk an dich! Ebenso vergessen wir leicht, dass die Kirche der Leib Christi ist und dass Jesus durch die Glaubens­geschwister so hilft, wie er Noah durch den Wind geholfen hat. Viel Hilfe geschieht in unserer Gemeinde im Ver­borgenen, zum Beispiel viel treuer Besuchs- und Fürbitt­dienst, gerade auch für alte und einsame Menschen. Ich meine, wir klagen oft zu Unrecht, weil wir diese vielen stillen und verborgenen Dienste gar nicht wahrnehmen. Umgekehrt möchte ich alle Gemeinde­glieder, die Hilfe brauchen, ermuntern: Meldet euch! Nehmt Gottes Hilfe in Anspruch, die er durch seine Gemeinde anbietet! Meldet euch bei euren Mit­christen, bei euren Kirchen­vorstehern sowie bei eurem Pastor und prüft, ob Gott euch nicht auf diesem Weg helfen will, wie er zugesagt hat. Gott denkt an uns und hilft uns durch Mitchristen sowie durch andere Mittel und Wege – ganz, wie er will.

Dennoch kann es immer noch die Erfahrung geben, als sei man völlig im Stich gelassen, und Gott hätte einen vergessen. Möglicher­weise will uns Gott dann zur Geduld erziehen. Meistens hilft er nicht sofort durch ein plötzliches Wunder, sondern allmählich, fast unmerklich, sodass du erst im Nachhinein erkennst: Gott hat ja doch die ganze Zeit an mich gedacht! So war es bei Noah: Erst nach sechs Monaten schickte Gott den Wind. Im siebenten Monat landete die Arche auf dem Ararat; im zehnten Monat konnte man die Gipfel der umliegenden Berge sehen. Ich kann mir denken, dass Noah und seine Familie ungeduldig waren, dass sie sich nach der Sonne sehnten, nach Pflanzen, nach frischer Nahrung und einem festen Haus. Nach vierzig Tagen hielt Noah es nicht mehr aus; er schickt einen Raben zum Erkundungsflug aus, dann eine Taube und noch zwei weitere. Die erste kam allein zurück, die zweite brachte einen frischen Zweig mit, die dritte blieg weg und hatte nun wohl ein neues Zuhause gefunden. Aber erst nach einem Jahr gab Gott das Zeichen, und dann durften sie endlich das Schiff verlassen. Ja, Gott erzieht uns zur Geduld; er prüft unser Vertrauen, ob wir nicht etwa daran zweifeln, dass er an uns denkt. Vielleicht meint mancher alte und einsame Mensch auch: Ich möchte sterben, ich sehne mich nach dem Himmel, ich bin lebenssatt. Und dann lebt er noch ganz lange und hat den Eindruck: Gott hat mich wohl vergessen. Aber nein, Gott lehrt ihn nur Geduld. Es wird ganz sicher der Tag kommen, wo wir aus der dunklen Arche unsers Erdenlebens ins helle Licht der Himmelssone treten dürfen. Nein, Gott vergisst uns nicht, er denkt an uns in Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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