Christus für alle

Predigt über Apostelgeschichte 10 zum 3. Sonntag nach Epiphanias

Verlesener Text: Apostelgesch. 10,34‑35

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Viele Menschen fragen sich: Was ist eigentlich heute noch das Besondere am Volk Israel? Die Antwort: Nichts als seine Geschichte. Vor Christus war Israel Gottes aus­erwähltes Volk, einzigartig von Gott gesegnet. Nach Christus sind Menschen aus allen Ländern Gottes Volk geworden durch die Taufe und den Glauben an den Gottessohn. Es gibt seitdem keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden, zwischen den Nachkommen Israels und den übrigen Völkern.

Für uns ist das fast eine Binsen­weisheit. Für die ersten Christen in Palästina, die alle vom Judentum herkamen, war es ein schwerer Lernprozess – selbst für den großen Apostel Petrus. Wie Petrus es gelernt hat, das ist uns in der Apostel­geschichte über­liefert, in der Geschichte vom Hauptmann Kornelius. Diese Geschichte ist freilich zu lang, um sie als Predigttext aus der Bibel vorzulesen. Darum möchte ich sie euch heute einfach einmal erzählen und dabei zeigen, dass auch wir noch eine Menge daraus lernen können.

Den römischen Hauptmann Kornelius hatte es von Italien nach Palästina ver­schlagen, in die Garnisons­stadt Cäsarea am Mittelmeer. Hier hatte er den Gott der Juden näher kennen­gelernt und fühlte sich zu ihm hingezogen – zu dem einen Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er betete zu ihm. Er versuchte, ihm zu gefallen, indem er den Armen Geld gab. Er begeisterte auch viele seiner Bekannten für Gott den Herrn. Aber er war sich nicht sicher, ob Gott ihm gnädig ist – ihm, dem Heiden, dem Un­beschnitte­nen. Er war sich nicht sicher, ob er einst in den Himmel kommen würde.

Nun, in der Tat fehlte dem Kornelius etwas Wichtiges zum Heil: Jesus Christus. Er war mit seiner Frömmigkeit nahe dran an der Rettung, aber er war noch nicht gerettet. Wir kennen ja auch viele, bei denen es so ähnlich ist: Sie glauben an Gott, sie tun Gutes, sie beten, aber Jesus haben sie noch nicht gefunden als Herrn ihres Lebens. Gott möge ihnen Sehnsucht geben nach dem Heil. Gott möge sich über sie erbarmen, wie er sich über Kornelius erbarmte. Er hat nämlich auf ganz wunderbare Weise dafür gesorgt, dass Kornelius Jesus kennen­lernt.

Als Kornelius an einem Nachmittag betete, sah er plötzlich, wie ein Mann im weißen Gewand bei ihm eintrat: ein Engel. Kornelius erschrak. Der Engel sprach ihn an: „Kornelius, Gott hat an dich gedacht. Schicke Männer nach Joppe in das Haus des Gerbers Simon am Meer. Dort ist ein gewisser Petrus zu Gast. Den hole her und höre, was er dir sagen wird.“ Genauso tat es Kornelius: Noch am selben Nachmittag informierte er zwei Diener und einen seiner Leibwächter über seine Vision und schickte sie los in die gut 50 Kilometer entfernte Hafenstadt Joppe; das ist das heutige Jaffa.

Liebe Gemeinde, wir erkennen hier, wie Gott im Zeitalter der Kirche arbeitet: Der Engel hatte nicht den Auftrag, Kornelius das Evangelium zu predigen. Der Engel sollte lediglich die Verbindung zu einem menschliche Zeugen herstellen, zu Petrus, und der sollte dann predigen. So arbeitet Gott noch heute an den Herzen der Menschen: in der Regel nicht durch Engel und Visionen, sondern durch menschliche und manchmal allzu menschliche Boten: durch Pastoren, Missionare und Gemeinde­glieder. Ja, das ist Gottes wunderbare Art: Er überlässt sein kostbarstes Gut, sein heiliges Evangelium, auch die heiligen Sakramente Taufe und Abendmahl, uns stümper­haften Menschen und kommt dann doch zu seinem Ziel, führt dann gerade auf diese Weise Menschen zum Glauben an Jesus Christus.

Die drei Leute schafften die 50 Kilometer natürlich nicht mehr am selben Tag, aber am nächsten Tag gegen Mittag näherten sie sich Joppe. Petrus war hier zu Gast während einer Missions­reise. Um zwölf Uhr verrichtete er gerade sein Mittags­gebet.

Ja, das Mittags­gebet ist eine alte christliche Sitte. Noch heute lädt das Zwölf-Uhr-Läuten mancher Kirchen dazu ein. Es ist gut, nicht nur den Tag mit Gebet zu beginnen und zu be­schließen, sondern auch mitten in der Betriebsam­keit inne zu halten und zu beten. Vielleicht kann diese Geschichte ja ein Anlass sein, sich das Mittags­gebet wieder an­zugewöhnen.

Petrus betete also, und das zog sich eine ganze Weile hin. Alle großen Christen haben viel zu beten; wir wissen es zum Beispiel von Martin Luther oder von Louis Harms. Petrus betete so lange, dass er dabei Hunger bekam. Wahr­scheinlich hatte er noch kein Mittagessen gehabt. Er betete auf dem Dach des Hauses – nichts Un­gewöhn­liches, denn bei dem warmen Klima war tagsüber und mitunter auch nachts das Flachdach ein idealer Aufenthalt. Petrus unterbrach sein Gebet, bestellte sich unten im Haus etwas zu essen und betete dann weiter. Da hatte er plötzlich eine seltsame Er­scheinung: Ein riesiges Tuch wurde an vier Zipfeln vom Himmel herab­gelassen, direkt vor ihm, und darin wimmelte und krabbelte es ungeheuer: lauter Kriechtiere und Vögel! Dann erscholl Gottes Stimme: „Schlachte, iss!“ Petrus war entsetzt. Als frommer Jude, der er trotz seines Christus­glaubens immer noch war, war ihm diese Auf­forderung un­erträglich. All diese Tiere waren ja nach dem Gesetz des Mose unrein und durften auf keinen Fall gegessen werden. „Niemals, Herr“, rief Petrus aus, „ich habe noch nie etwas Verbotenes und Unreines gegessen!“ Die Stimme erwiderte: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ Und schwupp!, war das Tuch wieder ver­schwunden. Aber da war es wieder, und noch einmal kam die Stimme, und noch einmal brachte Petrus seinen Einwand vor, und wieder verschwand das Tuch. Und dann passierte dasselbe noch ein drittes Mal. Petrus war ratlos. Was hatte das nur zu bedeuten? „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten“? Petrus grübelte und fand doch keine Erklärung. Unterdessen waren die drei Abgesandten des Kornelius am Haus angekommen und erkundigten sich lautstark nach Petrus. Petrus meldete sich und hörte ihre Geschichte und Bitte an. Als er von dem frommen Heiden Kornelius erfuhr, dämmerte ihm wohl schon, was die Sache mit dem Tuch zu bedeuten hatte. Jedenfalls nahm er die Männer ins Haus und ließ sie dort auch über­nachten, um am nächsten Tag frisch ausgeruht mit ihnen nach Cäsarea auf­zubrechen. Spontan fanden sich auch sechs Christen aus Joppe bereit, die kleine Gesell­schaft zu begleiten.

Liebe Gemeinde, ich staune immer wieder darüber, wieviel Zeit die Christen früher hatten. Der berühmte und vielbeschäftigte Apostel Petrus hat aus dem Stand Zeit für eine mehrtägige Reise! Dazu noch sechs Brüder aus Joppe! Was sollen wir da sagen mit unsern voll­gestopften Termin­kalendern, allen voran wir Pastoren? Vielleicht können wir von Petrus und seinen Reise­genossen dies lernen: Wo es um die Predigt des Evangeliums geht und wo eine Menschen­seele danach Verlangen hat, da muss alles andere zurück­zustehen. Christus und sein Reich haben Vorrang vor allem anderen, womit wir uns be­schäftigen.

Wir über­springen nun zwei Tage und begeben uns in Gedanken nach Cäsarea. Kornelius erwartete Petrus schon, und das nicht allein: Er hatte seine Verwandten und Bekannten zusammen­getrommelt. Als Petrus in sein Haus eintrat, fand er das Wohnzimmer gefüllt mit erwartungs­vollen Menschen. Da tat Kornelius etwas, was Petrus ganz und gar nicht recht war: Er fiel vor Petrus nieder und betete ihn an. Petrus zog ihn sogleich vom Erdhoden hoch und sagte: „Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch!“

Wir haben heute eher das umgekehrte Problem wie Kornelius, wir halten es ja kaum noch für nötig, vor Gott auf die Knie zu gehen. Dass Menschen vergöttert werden, das gibt es allerdings auch heute noch, Lebende und Tote. Hüten wir uns davor und geben wir nur Gott die Ehre, die ihm gebührt!

Petrus ergriff nun das Wort. Endlich war ihm seine Vision klar geworden: Er brauchte sich nicht zu scheuen, in das Haus eines Heiden ein­zukehren. Das war ja frommen Juden eigentlich verboten, und auch Petrus hatte sich bisher daran gehalten. Aber nun verstand er die Worte, die die Stimme zu ihm gesagt hatte: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ Petrus sagte: „Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll.“ Dann fragte er Kornelius nach seinem Anliegen. Kornelius erzählte von der Engel­erscheinung. Jetzt war Petrus restlos davon überzeugt, was Gott ihn lehren wollte, und sagte: „Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Und dann predigte Petrus das Evangelium. Ganz schlicht sagte er, was er zu sagen hatte. Er wusste: Das muss Kornelius hören, das müssen auch seine Leute hören, um selig zu werden. Er fing an von Johannes dem Täufer, erinnerte an Jesu Taufe, an seine Predigten und Wunder. Er berichtete von der Kreuzigung und von der Auf­erstehung. Er bekräftigte mehrmals, dass er dies alles selbst miterlebt hatte. Er sprach davon, dass Jesus zum Gericht über Lebende und Tote wieder­kommen wird. Und er zeigte den Weg, wie man in diesem Gericht frei­gesprochen wird und den Himmel erbt: Wenn man an Jesus glaubt und durch ihn Vergebung der Sünden empfängt. An dieser Stelle ging plötzlich eine Unruhe durch die Hörer. Merkwürdige Laute ertönten und formten sich zu Silben einer unbekannten Sprache. Laut beteten die Anwesenden und priesen Gott. Die sechs Christen aus Joppe trauten ihren Ohren nicht: Tat­sächlich, diese Heiden redeten in Zungen! Sie hatten den Heiligen Geist empfangen, und zwar in derselben Weise, wie ihn die Apostel zu Pfingsten empfangen hatten. Kein Zweifel: Gott schenkte auch den Heiden seinen Geist und ließ sie durch Jesus Gottes Kinder werden. Petrus fragte: „Sollte jetzt noch jemand etwas dagegen haben, wenn sie getauft werden?“ Gesagt, getan: Ein großes Tauffest begann. Kornelius, seine Angehörigen und viele seiner Freunde wurden Gottes­kinder. Was für ein Tag! Das musste mit einem Festessen gefeiert werden. Petrus und seine Freunde hatten nun auch keine Bedenken mehr, sich mit Heiden an einen Tisch zu setzen. Noch vor zwei Tagen hätten sie die übelsten Gewissens­bisse dabei gehabt. Nun aber wussten sie: Diese Heiden sind Gottes­kinder wie wir Juden­christen; es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Heiden.

Liebe Gemeinde, auch uns macht das fest und gewiss in der Erkenntnis: In Christus sind wir alle eins – alle, die glauben und getauft sind. Und wer es noch nicht ist, der ist dazu eingeladen. Es ist nicht wichtig, ob jemand Jude oder Heide ist. Es ist nicht wichtig, ob jemand schwarz oder weiß ist. Es ist nicht wichtig, ob jemand aus Deutschland oder aus Sri Lanka kommt. Es ist nicht wichtig, ob jemand das Gymnasium oder die Sonder­schule besucht. Es ist nicht wichtig, ob jemand in der SELK auf­gewachsen ist oder nicht. Es ist nicht wichtig, ob uns jemand sympathisch ist oder nicht. Wichtig ist, dass wir durch Jesus gerettet sind, dass wir in ihm Heilsfreude und Heils­gewissheit finden – wie Kornelius und Petrus und all die andern. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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