Gottes Knecht bringt Gottes Recht

Predigt über Jesaja 42,l‑4 zum Epiphaniasfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir sehnen uns nach Recht und Gerechtig­keit. Alle Welt sehnt sich danach. Und diese Sehnsucht wird je größer, desto stärker wir die Un­gerechtig­keit in der Welt empfinden. Schon das Kleinkind sehnt sich lautstark nach Gerechtig­keit, wenn seine Geschwister vorgezogen werden, oder das Schulkind, wenn es sich ungerecht benotet fühlt. Viele junge Leute sehnen sich in ihrem Idealismus nach einer gerechteren Verteilung der Güter dieser Welt; und wir sollten das nicht als wirklich­keits­fremd abtun, sondern uns lieber von ihrem Eifer anstecken lassen. Unzählige Christen sehnen sich nach mehr Gerechtig­keit für ungeborene Kinder, denn diesen Menschen, die sich nicht wehren können, wird doch schreiendes Unrecht angetan, wenn sie getötet werden – und das nur, weil sie nicht erwünscht sind.

Natürlich wäre es falsch, wenn wir nur nach dem Lebensrecht des ungeborenen Lebens schreien und nicht auch nach dem Lebensrecht der bereits geborenen Menschen: nach dem Lebensrecht der zigtausend Opfer im Straßen­verkehr zum Beispiel, die durch Leichtsinn, Trunkenheit oder Fahrlässig­keit jährlich in unserm Land sterben; oder nach dem Lebensrecht der Hungernden in der Welt. Aber bleiben wir ruhig einmal bei den Ab­treibungen, weil das gerade viele von uns bewegt, und nehmen wir dies als Beispiel für unsere Sehnsucht nach Gerechtig­keit auf vielen anderen Gebieten. Was heißt denn Sehnsucht nach Gerechtig­keit in diesem Fall? Nun, wir wünschen uns werdende Mütter, die trotz mancher Widerstände und Schwierig­keiten ja sagen zu ihren Kindern und sie austragen. Mütter, die Gott den Herrn fürchten mit seinem Gebot: „Du sollst nicht töten!“ Mütter, die Gott dem Herrn vertrauen, dass er sie und ihr Kind mit allem Nötigen versorgen wird.

Wenn man Ab­treibun­gen kritisiert, dann geht es gar nicht darum, bestimmte Frauen anzuklagen. Wir erkennen durchaus, dass Unrecht und Un­gerechtig­keit viel weitere Kreise ziehen. Vielleicht ist eine werdende Mutter ja zum Schwanger­schafts­abbruch überredet worden. Von einem Artz zum Beispiel, der ihn als einen harmlosen medi­zinischen Eingriff hingestellt hat, oder von einer Beratungs­stelle, die die Frage der Schuld und der daraus ent­stehenden Schuld­gefühle ver­schwiegen hat. Von einer Freundin, die sie ermutigte, zuerst an sich und ihr berufliches Fortkommen zu denken. Von ihren Eltern, denen ein uneheliches Enkelkind peinlich ist vor der Öffentlich­keit. Vielleicht ist die Frau von niemandem ermutigt worden, das Kind aus­zutragen. Vielleicht wurde ihr keine Hilfe dabei angeboten, und sie ist auch nicht auf öffentliche Hilfe hingewiesen worden. Vielleicht haben du oder ich versagt in dieser Hinsicht, aus Feigheit oder aus Gedanken­losigkeit, und wir trauern hier über unsere eigene Ungerechtig­keit. Vielleicht handelt es sich um eine Mutter, die bereits mehrere Kinder hat, und sie weiß: Ihre Mitmenschen würden sie komisch anschauen, wenn sie nun schon wieder schwanger ist, zusätzlich zu allen anderen Problemen. Ja, es kommt sogar in unseren christ­lichen Kreisen vor, dass Kinder­reichtum nicht als Gottesgabe freudig begrüßt wird, sondern dass man es als etwas Anrüchiges betrachtet. Oder vielleicht ist die werdende Mutter ein ganz junges Mädchen, das eigentlich noch gar nicht bereit war zur Geschlechts­gemein­schaft, das aber von einem Mann dazu verführt wurde. Dieser Mann trägt dann die Haupt­schuld, weil er Gottes Ordnung missachtete und außer der Ehe mit einer Frau zusammen­kam. Vielleicht sind aber auch dessen Eltern und Lehrer schuld, weil sie ihm das nie gesagt haben. Vielleicht ist die Frau auch Opfer eines Gewalt­verbrechens geworden. Vielleicht aber ist der Verbrecher seinerseits wieder Opfer, weil er in seiner Kindheit keine Liebe erfahren hat. Vielleicht lag das wiederum daran, dass dessen Eltern in Streit oder Trennung lebten, entgegen Gottes Ordnung. Und tut man dem Verbrecher denn wirklich Recht, tut man das Richtige mit ihm, wenn man ihn einsperrt? Im Gefängnis werden die wenigsten Leute besser, sondern meistens werden sie da erst recht zu Kriminellen durch den schlechten Umgang…

Wir sehen, liebe Gemeinde: Die ganze Welt ist ein un­entwirr­bares Knäuel von Unrecht und Ungerechtig­keit. Wenn man an einer Ecke einen Faden heraus­ziehen will, dann schließt sich irgendwo anders ein Knoten. Wir sehnen uns nach Gerechtig­keit, aber wir stecken hoffnungs­los drin in der Ungerechtig­keit. Jawohl, es ist keiner unter uns, der sagen könnte: Ich bin an dem allen gänzlich unschuldig. Und wir sehen bei diesen Über­legungen auch den Grund dieses ganzen Ungerechtig­keits­knäuels: Es liegt daran, dass wir Menschen grund­sätzlich nicht gerecht sind vor Gott. Weil wir seinen Willen nicht erfüllen. Weil wir es ihm nicht recht machen. Weil wir ihm nicht genug gehorchen und weil wir ihm nicht genug vertrauen. Beides gehört untrennbar zusammen: Wenn wir ihm vertrauen würden, dann würden wir ihm freiwillig auch gehorchen, denn wir hätten ja das Vertrauen: Nach seinem Willen leben, das ist recht, das ist gut, das ist angemessen, das entspricht der Gerechtig­keit.

Der Prophet Jesaja wusste mit dem Klarblick des Heiligen Geistes, dass die ganze Welt sich letztlich nach Gottes Gerechtigkeit sehnt, wenn sie sich nach Gerechtig­keit sehnt. Und er wusste auch mit demselben pro­phetischen Klarblick, dass nur einer diese Sehnsucht wirklich stillen kann, dass nur einer wirkliche Gerechtig­keit bringt: Der Knecht Gottes, der Aus­erwählte, der Gesalbte, an dem Gott Wohl­gefallen hat. Es ist sein lieber Sohn Jesus Christus, der für alle Welt auf Erden erschienen ist. Ganze drei Male sagt Gott es in diesem Abschnitt: „Er wird das Recht unter die Heiden bringen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er das Recht aufrichte.“ Der Gottes­knecht Jesus Christus allein stillt alle Sehnsucht nach Gerechtig­keit. Die Weisen aus dem Morgenland, die durch die Evangeliums­lesung zum Epiphanias­fest dazu­gehören, sind der Inbegriff dieser Sehnsucht der Heiden, das heißt aller Menschen, auch der Nicht-Israeliten. Diese klugen und gelehrten Männer nehmen eine lange und be­schwer­liche Reise auf sich und beugen dann ihre Knie vor einem Kind in einer armseligen Krippe, weil sie glaubend wissen: Nirgends sonst kann wirklich Gerechtig­keit in diese Welt kommen, nur durch dieses Kind.

Liebe Gemeinde, auch ich kann immer nur die eine Antwort auf alle Fragen und Probleme anbieten, die eine Antwort, die Gott selbst angeboten hat: den Gottes­knecht Jesus Christus. Er hat Gerechtig­keit gebracht. Er hat all das Unrecht, das Menschen Gott antaten und antun, am Kreuz gesühnt. Er hat uns versöhnt mit dem Vater. Wer zu ihm gehört, der ist gerecht, der ist recht in den Augen des Vaters, der ist ein Gerechter.

Jesus ist dazu vom Vater in die Welt gesandt worden. Der Heilige Geist war mit ihm. Er kam nicht als Rächer oder starker Mann, der sich mit eiserner Faust durchsetzt, nein, im Gegenteil: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“, so prophezeite Jesaja. Jesus kam in stiller Demut, mit Sanftmut und Liebe, und hat den Willen seiner Feinde ohne Gegenwehr an sich geschehen lassen. Gerade so hat er der ganzen Welt Recht geschafft. Sanftmut und Barmherzig­keit sind seine Kenn­zeichen. Er erbarmt sich über die, die selbst von der Ungerechtig­keit dieser Welt befleckt sind, über Huren und Hals­abschnei­der, über Sünder wie dich und mich, denn auch unsere gut­bürgerliche Gerechtig­keit ist nicht mehr als ein geknicktes Rohr in Gottes Augen und ein glimmender Docht. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht aus­löschen.“ Ja, er selbst wurde um unsert­willen schwach und geplagt wie ein geknicktes Rohr und ein glimmender Docht – doch nicht, um zu unter­liegen, sondern um Gottes Recht auf­zurichten. „Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte.“

Ja, wenn Gerechtig­keit in diese Welt kommen soll, dann geht das nur von Jesus her. Nur wenn Menschen versöhnt sind mit Gott, kann sich etwas grundlegend zum Guten wenden. Denn wenn Menschen die Liebe und Barmherzig­keit des Heilands erfahren und die gute Nachricht hören: „Er hat uns gerecht gemacht vor Gott!“, dann gewinnen sie neues Vertrauen und neuen Gehorsam. Dann zündet ihnen Jesus neue Liebe zu Gott an in einem dunklen Herzen, das sich bisher nur gegen einen grausamen, strengen und letztlich un­verständ­lichen Gott aufgelehnt hat. Und wenn diese Gerechtig­keit des Glaubens im Menschen lebendig wird, dann verändert sich dieser Mensch, und mit ihm ein Stück Welt.

Betrachten wir das einmal für unser Beispiel: Wenn ein Mann durch Jesus Gott vertraut und gehorcht, dann wird er mit der geschlecht­lichen Vereinigung bis zur Ehe warten, und ebenso die junge Frau. Und wenn sie doch vor der Ehe schwanger werden sollte, dann werden die Mitchristen sie deswegen nicht verachten, sondern ihr in jeder Beziehung helfen, das Kind mit Freuden willkommen zu heißen und für es zu sorgen. Christliche Berater und Ärzte werden versuchen, abtreibungs­willigen Frauen zum Kind Mut zu machen und sie darauf hin­zuweisen, dass ein Schwanger­schafts­abbruch Unrecht ist in Gottes Augen. Alle Christen im Lande werden jedes Kind als Gottes Geschenk begrüßen, sei es gewollt oder ungewollt, sei es das erste oder das fünfte, sei es ehelich oder unehelich, sei es gesund oder behindert. Wenn aber Frauen doch abgetrieben haben und wenn andere Männer und Frauen in irgendeiner Weise daran mitschuldig geworden sind, dann dürfen sie mit dieser Schuld zu unserem Heiland kommen, der ihnen in seiner großen Barmherzig­keit vergibt.

Ja, wenn wir uns nach Gerechtig­keit sehnen, vor allem nach der Gerechtig­keit vor Gott, dann dürfen wir durch Jesus immer wieder neu erfahren: Er ist gerecht, und er ist noch viel mehr barmherzig, sodass er uns von aller Un­gerechtig­keit reinigt – für Zeit und Ewigkeit. Denn in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde, die er schaffen wird, da wird nur noch Gerechtig­keit wohnen; so hat er es uns ver­sprochen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1990.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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