Als die Zeit erfüllt war

Predigt über Galater 4,1‑7 zum 1. Weihnachtsfeiertag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

So fasst der Apostel Paulus im Galater­brief die Weihnachts­botschaft zusammen: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“ Vielleicht reißt uns diese Botschaft nicht mehr vom Stuhl, weil wir sie alle Jahre wieder hören; vielleicht bewegen uns andere Nachrichten mehr. Und doch steht diese Weihnachts­botschaft an der Spitze aller Nach­richten, die je um den Erdball gingen. Was Gott zur fest­gesetzten Zeit vor zweitausend Jahren so unscheinbar im Stall von Bethlehem begann, das hatte unerhörte Folgen für die ganze Menschheit: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, meldeten die Engel den Hirten, und: „Friede auf Erden“ – Friede mit Gott dem All­mächtigen, trotz Schuld und Sünde! Diese Botschaft hat immer wieder größere Be­geisterungs­wellen ausgelöst als alle anderen Nach­richten. Dieses Ereignis zu Gottes fest­gesetztem Zeitpunkt stellt in der Welt­geschichte eine Wende dar von universaler Bedeutung.

Vielleicht können wir das besser fassen, wenn wir uns mit dem Vergleich be­schäftigen, den Paulus für diese große Wende anführt. Ich will die Geschichte, die er nur andeutet, ein wenig ausführen.

Der reiche Besitzer eines großen Gutshofes liegt im Sterben. Sein Sohn ist noch ein kleines Kind. Der Vater verfügt im Testament: Der Sohn soll den ganzen Hof erben. Allerdings soll er dieses Erbe erst mit 2l Jahren antreten, so setzt der Vater fest. Bis dahin soll ein Verwalter den Betrieb leiten. Zugleich bestimmt der Vater einen Vormund für seinen Sohn, auch stellt er Erzieher und Hauslehrer an, die ihn in seinem Sinne ausbilden sollen. Nach dem Tod des Vaters verläuft alles nach Wunsch. Der Sohn wird Hoferbe, steht aber unter der strengen Aufsicht und Erziehung des Vormundes und der Hauslehrer. Alles Ge­schäftliche wird vom Verwalter ab­gewickelt. Wenn der Sohn auf dem Hof arbeitet, unter­scheidet er sich nicht von den Knechten: Er trägt dieselbe einfach Arbeits­kleidung; er muss die Tiere füttern, er muss die Ställe ausmisten, er muss das Feld pflügen und beim Ernte­einsatz helfen. Er muss alles von der Pike auf lernen. Die Arbeit wird ihm zugeteilt wie den Knechten, sie wird kon­trolliert und nötigen­falls kritisiert. Ja, der Hoferbe muss sich als Jugend­licher auch manchen Anpfiff gefallen lassen, wenn er nicht gut genug gearbeitet hat. Es geschieht das, was Paulus so audrückt: „Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unter­schied, obwohl er Herr ist über alle Güter; sondern er untersteht Vormündern und Pflegern.“ Dann aber kommt der große Tag, der die Wende bringt, der Tag, den der Vater testamen­tarisch festgelegt hat: der Tag der Hof­übergabe, der 2l. Geburtstag des Sohnes. Wir können uns sicher vorstellen, mit welch freudiger Erwartung der Sohn diesem Tag entgegen­fiebert. Wir können uns vorstellen, wie froh und stolz er nun ist, wenn sich auch vielleicht ein wenig Aufregung darunter mischt. Da bevormundet ihn nun niemand mehr; da schreibt ihm niemand mehr vor, was er zu tun hat und wie er es machen sollen. Er wird nicht mehr herum­kommandiert wie ein Knecht, sondern alle sind höflich zu ihm und haben Respekt vor ihm. Er ist nun der Gutsherr, der Chef. Was für ein großer Tag, was für eine Wende!

Was hat diese Geschichte nun mit der Weihnachts­botschaft zu tun? Paulus will mit diesem Vergleich sagen: Was der Tag der Hofübergabe für den Sohn bedeutet, das bedeutet Weihnachten für die Menschheit. Er schreibt: „Als wir unmündig waren, waren wir in der Knecht­schaft der Mächte der Welt.“ Was meint er damit? Er meint: Ohne Jesus ist das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen so wie zwischen dem unmündigen Sohn und seinen Erziehern, die ihm im Auftrag seines Vaters genaue Vor­schriften machen. So machte Gott durch Mose ja seinem Volk Israel genaue Vor­schriften für die Dinge dieser Welt, also für ihre Lebensordnung. Es wurde ihnen vor­geschrie­ben, welche Feiertage sie einzuhalten hatten. Der Tempelbau und der Tempel­gottes­dienst hatten streng nach Gottes Anweisung zu verlaufen. Auch über Nahrung und Kleidung und viele andere Einzel­heiten des täglichen Lebens bestimmte Gott durch das alt­testament­liche Gesetz die „Mächte der Welt“ für die Israeliten; das Gesetz beherrschte ihr Leben. Ähnliches galt übrigens auch bei den Heiden, zum Beispiel bei den Galatern vor ihrer Bekehrung. Darum drückt Paulus es in seinem Brief an die Galater auch so allgemein aus: „Wir waren in der Knecht­schaft der Mächte der Welt.“ Obwohl die Galater Heiden waren, hatte Gott doch sein Gesetz in ihr Gewissen ge­schrieben. So mühten sie sich nun darum, dieses im Herzen gefühlte Gesetz zu halten – wenn sie dabei auch falsche Götzen­vorstellun­gen vor Augen hatten und meinten, diesen Götzen gefallen zu müssen. Aber letztlich war (ebenso wie bei den Juden) ihre Religion vom Gesetz beherrscht, also von dem Zwang, wie ein Knecht Gottes Forderungen erfüllen zu müssen, um nicht in Ungnade zu fallen. Und so sieht es heute noch in jeder Religion und bei jedem Glauben aus, wo Jesus Christus fehlt. Das geht bis in die Volks­frömmigkeit unserer Tage hinein: „Wenn du artig bist, kommt das Christkind zu dir und bringt dir viele Geschenke“, wird den Kindern gesagt. Und viele Erwachsene, die moralisch anständig leben, erhoffen sich im Stillen, dass sich das auszahlt, dass sie sichtbaren Segen dafür erlangen von Gott. Wahr­scheinlich sind aus demselben Grund so viele entsetzt und in ihrem Glauben er­schüttert, wenn der erwartete Segen ausbleibt und Gott Not und Elend in ihrem Leben zulässt. „Womit habe ich das verdient?“, wird dann gefragt. Das also ist die „Knecht­schaft der Mächte der „Welt“, das ist Religion ohne Jesus Christus: das Mühen um die Erfüllung bestimmter Pflichten in dieser Welt, um dem Willen des Vaters zu ent­sprechen. So, und nun kommt Weih­nachten, nun kommt die große Wende, nun kommt der Zeitpunkt, den der himmlische Vater festgesetzt hat. Nun geschieht das be­deutendste Ereignis der Welt­geschichte: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.“ Gottes Sohn wird Mensch, um uns von der Knecht­schaft der Sünde zu erlösen und um uns zu freien, mündigen Kindern Gottes zu machen, zu mündigen Erben des Himmel­reiches. Christus hat den Fluch des Gesetzes-Muss von unseren Schultern genommen, indem er ihn selbst trug, indem er selbst – freiwillig – unters Gesetz ging, um es an unserer Statt vollkommen zu erfüllen. Und er hat es erfüllt bis zum bitteren Ende, er war gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Ja, weil Jesus Christus geboren und für uns unter das Gesetz getan wurde und weil er bei unserer Taufe in unser Herz hinein­geboren wurde, darum sind wir nun freie Gottes­kinder und stehen nicht mehr unter der Knecht­schaft der Sünde. Paulus schreibt ein Kapitel später ganz deutlich: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Gott fordert von uns nicht mehr, dass wir durch Gesetzes­gehorsam sein Wohlwollen verdienen, er möchte nur, dass wir seinem Sohn Jesus Christus vertrauen, dass wir also ernst nehmen, was er Wunderbares für uns getan hat zur fest­gesetzten Zeit.

Es bleibt nun die Frage, liebe Gemeinde, wie wir mit dieser Freiheit umgehen. Was tut der volljährige Erbe mit seinem Gut? Es gibt da sicher ver­schiedene Möglich­keiten, bessere und schlech­tere.

Die erste Möglichkeit ist die, dass der Hoferbe diese neu­gewonnene Freiheit nicht annimmt. Er möchte lieber weiterleben wie bisher, möchte lieber Knecht sein als Ver­antwortung tragen. Er ist ängstlich und ent­scheidungs­schwach. Er klammert sich weiterhin an den Kommandos der ehemals Erziehenden fest wie an einem Geländer. In dieser Gefahr standen zu Paulus' Zeiten die Galater, denen einige jüdische Sektierer weismachen wollten: Um Gott zu gefallen, müsst ihr peinlich genau alle Kultgesetze des Alten Testaments einhalten, müsst euch beschneiden lassen wie die Juden, müsst euch an den Sabbat und die jüdischen Jahresfeste halten. Und die Galater waren drauf und dran, sich in diese neue Un­mündigkeit zu begeben – genauso wie noch heute einige über­ängstliche fromme Leute. Ja, es steckt in vielen von uns drin: Wir möchten gern genaue Kommandos von Gott haben für unser Leben, um uns daran wie an einem Geländer fest­zuklammern und ohne eigenes Nachdenken gott­gefällig zu leben. Da hätten wir gern ohne eigenes Nachdenken fertige Antworten auf Fragen wie: Soll man den Wehrdienst verweigern, darf man am Sonntag Hand­arbeiten machen oder darf ein Christ in die Discothek gehen? Wer aus Angst so fragt, drückt sich um seine Mündigkeit herum. Er hat noch nicht begriffen, warum Jesus Christus in die Welt gekommen ist: nämlich um uns von der Knecht­schaft der Mächte der Welt zu befreien, also von einer Gesetzes­frömmig­keit, die nur stur bestimmte Anweisungen erfüllt. Wer so denkt, verleugnet damit letztlich Jesus Christus, die Mitte unseres Glaubens. Paulus sagte den Galatern ganz scharf: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, ihr seid aus der Gnade gefallen.“ Weh uns, wenn wir solchen Gesetzes­glauben hätten, denn damit würden wir das Werk Christi verleugnen und den himmlischen Vater beleidigen!

Die zweite Möglich­keit, wie der Erbe mit seiner Freiheit umgeht, ist die absolute Zügel­losigkeit. Der Erbe kann sich jetzt auf Kosten des Hofes ein schönes Leben machen, kann in Saus und Braus leben, rauschende Feste feiern, faul sein und sein Vermögen verprassen. Dann handelt er aber ohne Liebe und Respekt zu seinem Vater. Und dann ist auch das böse Erwachen vor­program­miert, der Tag, an dem er mit leeren Händen dastehen wird. So handelt jeder Getaufte, der seine christliche Freiheit zum Schand­deckel der Bosheit macht und, ohne nach Gottes Wort zu fragen, sein Leben aus­schließlich nach dem Lustprinzip lebt. Auch hier ist das böse Erwachen vor­program­miert, denn dies ist ein Leben ohne Glaube, ohne Bindung an Christus und den himmlischen Vater; das kann nur in der Verdammnis enden.

Die dritte Möglichkeit ist die rechte, die beste und an­gemessene: Der Erbe nutzt seine neu gewonnene Freiheit ver­antwort­lich. Er wird fleißig sein, er wird sicher nicht weniger arbeiten als vorher. Er wird auch versuchen, den Betrieb ganz im Sinne seines Vaters zu führen, den er als Vorbild schätzt und verehrt. Aber er wird es freiwillig tun, aus der Einsicht heraus: So geht's am besten. Und er wird auf diese Weise auch selbst die größte Freude und Be­friedigung an seinem Erbe haben. Ja, so nutzen wir auch die Freiheit am besten, zu der uns Jesus befreit hat: Wenn wir unser Leben im Sinne unseres himmlischen Vaters führen, nach seinem Wort und Willen, aber in eigener Ver­antwortung, nicht sklavisch nach äußeren Gesetzen, etwa nach den Kult­gesetzen des Alten Testaments, sondern nach dem einen Gesetz der Liebe und nach dessen Weg­weisungen, die uns in den Zehn Geboten und in der Bergpredigt gegeben sind. Wenn wir so leben, dann werden wir ein sinn­erfülltes Leben haben. Dann werden wir in herzlicher, guter Ge­meinschaft mit unserem himmlischen Vater leben und durch seinen Heiligen Geist zu ihm sagen können: „Abba, lieber Vater!“ Und in dieser Glaubens­gemein­schaft werden wir nach dem Tod das ewige Himmelserbe erlangen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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