Den Herrn Gott sein lassen

Predigt über 2. Mose 20,1‑6 zum 23. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Genau genommen brauchen wir nur ein einziges Gebot zu halten; mit ihm erfüllen wir den gesamten Willen Gottes. Es ist das erste Gebot: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ In diesem Gebot stellt sich der Herr als unser Gott vor – der Herr, der Himmel und Erde und auch uns geschaffen hat. Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Er ist der Gott, der Israel aus der ägyptischen Knecht­schaft in das verheißene Land Kanaan geführt hat. Er ist der Gott, der seinen Sohn Jesus Christus in die Welt gesandt hat, um uns Anteil zu geben an seinem ewigen Reich. Dieser Gott sagt also: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Wenn wir uns an dieses eine Gebot halten, dann ist alles in Ordnung zwischen uns und Gott – wenn wir den Herrn unsern Gott sein lassen und niemanden sonst, wenn wir ihn allein anbeten, wenn wir ihn über alles fürchten und ihn lieben und ihm vertrauen, wenn wir ihm dienen.

Wenn wir nun diesen Herrn zum Gott haben und keinen anderen sonst, dann sind wir die glück­lichsten Menschen auf der Welt. Dann brauchen wir uns um nichts Sorgen zu machen. Gott hat uns geschaffen; er will und kann uns auch erhalten. Gott weist uns den rechten Weg durchs Leben. Gott schenkt uns Kraft für das, was wir tun sollen, und tröstet uns im Leid. Gott schenkt uns viele kleine und große Freuden. Gottes Güte ist auch am Ende unserer Erdentage noch nicht zuende, sondern sie währt in Ewigkeit. Wer den Herrn seinen Gott sein lässt, der hat es gut, denn Gottes Liebe ist un­erschöpf­lich. Gott erweist Barm­herzigkeit bis ins tausendste Glied, bis in die tausendste Generation, und das heißt: bis in alle Ewigkeit. Oder, wie es in der neueren Übersetzung der Lutherbibel heißt: Er erweist Barm­herzigkeit „an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten“, die also den Herrn ihren Gott sein lassen. Es ist ganz egal, ob wir arm oder reich sind, gesund oder krank, ernst oder fröhlich, erfolgreich oder erfolglos, klug oder einfältig, angesehen oder verachtet – wenn wir nur den Herrn unsern Gott sein lassen, sind wir die glück­lichsten aller Menschen!

Umgekehrt ist derjenige, der den Herrn nicht seinen Gott sein lässt, arm dran. Er verwirft damit seinen Schöpfer und treibt als ver­meintliches Zufalls­produkt wie ein un­bedeutendes Stäublein durch Raum und Zeit. Ent­täuschungen und Leiden können ihn jeden Halt verlieren lassen, können ihn in die Ver­zweiflung treiben. Und ob er es wahrhaben will oder nicht: Gottes Zorn liegt über seinem Leben und wirkt sich auch auf seine un­mittelbare Umgebung aus, bis hin zu Enkeln und Urenkeln: Gott sucht die Missetat der Väter heim bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die ihn hassen – so hat er es mit dem ersten Gebot gesagt. Schließlich muss der, der den Herrn nicht seinen Gott sein lassen will, ins Ungewisse hinein sterben. Auch wenn sein Leben noch so erfolgreich und erfüllt gewesen ist, auch wenn er es zu Reichtum, Ansehen und irdischem Glück gebracht hat, zerrinnt doch auf dem Sterbebett letztlich alles wie Sand.

Wenn wir allein den Herrn unsern Gott sein lassen, dann erfüllen wir das erste Gebot und mit ihm den ganzen Willen Gottes; damit sind wir die glück­lichsten aller Menschen. Wenn wir ihn aber nicht unsern Herrn sein lassen, verfehlen wir den Willen Gottes und unser Lebens­glück.

Wie können wir nun aber lernen, Gott unsern Herrn sein zu lassen? Wie können wir uns darin einüben? Wie können wir uns davor schützen, dass wir Gott verlieren? „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, sagt Gott, und: „ich bin ein eifernder Gott“, wörtlich: ein „eifer­süchtiger“ Gott, der keine Konkurrenz, keine Nebenbuhler duldet. Suchen wir also immer wieder nur ihn und hüten uns vor anderen Göttern!

Was sind denn andere Götter?

Es sind sicher nicht mehr die Götzen, die das alte Volk Israel zum Abfall verlockten. Damals war ein goldenes Kalb oder eine Baalsstatue ernste Konkurrenz für den Herrn, denn die Israeliten ließen sich immer wieder dazu hinreißen, diese anzubeten. Deshalb hat das erste Gebot hier in seinem originalen Wortlaut folgenden Zusatz: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“ Nun, solcher Götzen­dienst ist für uns heute kaum eine Gefahr. Viel gefähr­licher sind heutzutage die Götzen, von denen wir gar nicht merken, dass es welche sind. Martin Luther schrieb sehr treffend im Großen Katechis­mus: „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässt, das ist eigentlich dein Gott.“ Das können Menschen sein – der Geliebte zum Beispiel, oder die Familie. Das kann der Besitz sein. Das kann im Krankheits­fall auch der Arzt und die Medizin sein, gleich ob schul­medizinisch oder alternativ.

Auch bestimmte Ideen und Weltbilder können zu Götzen werden – sogar ein atheisti­sches, ein gottloses Weltbild. Aber der Atheismus ist in unserer Gesell­schaft gar nicht mehr der größte Götze. Die meisten Menschen spüren, dass es mehr gibt, als was man sehen und anfassen und messen und nachweisen kann. So machen sie sich auf die Suche nach einem Gott. Das ist ja an sich sehr erfreulich. Das Tragische ist nur, dass sie oft nicht den Herrn ihren Gott sein lassen, der sich ihnen in Jesus Christus und in der Bibel offenbart. Sie machen sich viel lieber selbst ein Bild von Gott. Man hat in Umfragen heraus­gefunden, dass immer mehr Menschen die alten Welt­religionen wie Selbst­bedienungs­läden benutzen, um sich daraus ihre eigene Religion zusammen­zubasteln, ihr eigenes Gottesbild. Ein bisschen Hinduismus und ein bisschen Christen­tum, ein bisschen Seelen­wanderung und ein bisschen positives Denken, ein bisschen Astrologie und ein bisschen Pendeln, ein bisschen Teufelskult und ein bisschen Besprechen-Lassen – fertig ist das maß­geschneider­te Götzenbild! Ja, das sind heute die gefähr­lichen Bilder von Gott, die der Herr im ersten Gebot aus­drücklich verbietet. Es ist harmlos, wenn jemand Jesus malt oder Gott Vater als alten Mann auf einem Thron. Alle wissen, dass Gott nicht so aussieht wie ein Mann mit Bart. Aber die selbst­gemachten Gottes­bilder im Kopf, die sind gefährlich, denn sie führen dazu, dass man nicht mehr den Herrn allein seinen Gott sein lässt.

Keiner von uns sollte meinen, er stünde nicht in der Gefahr, auf solche Götzen­bilder herein­zufallen. Nein, auch wir Christen neigen dazu, uns unser eigenes Gottesbild zu machen und es anzubeten. Urteilen wir nicht oft nach unserem eigenen Gefühl und sagen: „So muss Gott sein!“, oder: „So kann er doch nicht sein!“, oder: „Da kann er doch nichts dagegen haben!“, oder: „Dies wird er schon nicht zulassen!“? Gehen wir nicht allzu schnell über Bibel­stellen hinweg, die nicht in unser Gottesbild passen? Wie ist das zum Beispiel mit dem eifer­süchtigen Gott, der Sünde heimsucht bis ins dritte und vierte Glied? Nehmen wir auch das ernst und fürchten Gott dafür? Oder betrachten wir die Bibel nicht viel lieber als einen Steinbruch, wo wir uns die angenehmen Stellen heraus­hauen, die un­angenehmen aber links liegen lassen? Pflegen wir ein Spruch­karten-Christen­tum, wo man sich nur liebliche Worte mit schönen Fotos an die Wand hängt, alles schwer Ver­ständliche aber ausblendet?

Und dann ist da ein noch schlimmerer anderer Gott, der zum wahren Herrn in Konkurrenz tritt, ein Gott mit drei Buchstaben: I‑C‑H. Wir neigen immer wieder dazu, uns selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Das aber ist die Ur-Sünde, das So-sein-Wollen wie Gott. Wir leben in einer Zeit, in der man ermuntert wird, sich selbst zu behaupten und allen Herren, Vor­gesetzten und Obrigkeiten zu misstrauen. Wir sind nicht mehr gewohnt, anderen mit Ehrfurcht zu begegnen – Eltern, Lehrern, Chefs oder staatlichen Autori­täten. Und so haben wir auch immer wieder Schwierig­keiten damit, Gott als über­geordnet an­zuerkennen, wirklich als Herrn, dem wir blindlings zu gehorchen und zu vertrauen haben. Weil wir uns unbewusst so schnell selbst zu Göttern machen, lassen wir nicht mehr den Herrn unsern Gott sein.

Das hat dann seine Aus­wirkungen auf die anderen Gebote. Nehmen wir zum Beispiel das 3. Gebot: Wenn ich selbst mein Gott bin, dann bestimme ich allein, wie ich den Feiertag heilige. Ist aber der Herr mein Gott, so wird mir der Gottes­dienst das Wichtigste sein – nicht nur, weil ich weiß, dass ich ihn brauche, sondern vor allem, weil mein Gott es so will und ich ihm einfach vertraue. Oder nehmen wir das 6. Gebot: Wenn ich selbst mein Gott bin, könnte ich nach lang­jähriger Ehe unter Umständen zu dem Schluss kommen: Diese Partner­schaft belastet mich nur noch, also lasse ich mich lieber scheiden. Ist aber der Herr mein Gott, so werde ich auch in schlechten Tage an dieser von ihm gestifteten Ehe festhalten – nicht nur, weil ich auf bessere Zeiten hoffe, sondern vor allem, weil mein Gott es so will und ich ihm einfach vertraue. Oder nehmen wir das 7. Gebot: Wenn ich selbst mein Gott bin, dann versuche ich, viel zu bekommen, auch wenn es manchmal an der Grenze des Recht­mäßigen ist, während ich mit dem Abgeben sehr zurück­haltend bin. Ist aber der Herr mein Gott, so werde ich im Großen wie im Kleinen recht­schaffen und ehrlich sein und auch das Finanzamt um keinen Pfennig betrügen. Ich werde dann auch bereit sein, denen von meinem Besitz abzugeben, die es nötig haben. Ich werde es nicht nur tun, weil ich weiß, dass Geben seliger als Nehmen ist und dass Gott das Geben segnet, sondern vor allem, weil der Herr es so will und ich ihm einfachd vertraue.

„Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ – wir merken: Wenn wir dieses eine Gebot halten, dann halten wir alle. Aber wie leicht schleichen sich andere Götter ein, allen voran der große Gott „Ich“! Wie schwer ist es, den Herrn wirklich aus­schließlich Gott sein zu lassen! Aus natürlicher Kraft schafft das keiner. Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Götzen­dienst in die Beichte zu bringen und den Herrn um Vergebung zu bitten. Die aber schenkt er uns liebend gern durch seinen Sohn Jesus Christus. Und er schenkt uns obendrein ein neues Herz, das ihn fürchtet, ihn liebt und ihm vertraut – ein Herz, das ihn allein Gott sein lässt. Ja, Gott tut uns viel lieber Gutes und beschenkt uns viel lieber, als dass er uns straft. Gott hat viel Geduld und freut sich, wenn wir von unseren Verirrungen bei anderen Göttern zu ihm zurück­finden; ja, er selbst leitet uns zurück durch sein Wort. Gott tut uns viel lieber Gutes, als dass er straft. Sein Zorn mag sich zwar auswirken bis in die dritte und vierte Generation bei denen, die ihn hassen. Aber seine Barmherzig­keit währt bis ins tausendste Glied, bis in alle Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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