Jesus stärkt den Glauben

Predigt über Lukas 17,5‑6 zum 15. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was die Jünger von Jesus erbeten haben, das ist etwas Gutes. Sie baten: „Stärke uns den Glauben!“ Auch wir tun gut daran, als heutige Jünger Jesu so zu beten: „Stärke uns den Glauben!“ Die Antwort Jesu fällt jedoch anders aus, als wir erwarten. Ich selbst muss gestehen, dass mich seine Antwort sehr überrascht hat, als ich dieses Wort für die Predigt über­dachte. Ich selbst würde für die Glaubens­stärkung immer raten: Halte dich an Gottes Wort, halte dich an die Sakramente und halte dich zur christ­lichen Gemeinde, dann wird dein Glaube gestärkt werden. Jesus aber ant­wortete: „Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeer­baum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde ge­horchen.“

Jesus weicht der Bitte seiner Jünger keineswegs aus mit dieser merk­würdigen Antwort. Er möchte ihnen und uns ja wirklich den Glauben stärken und tut es auch durch dieses Wort. Aber es geschieht eben ganz anders, als wir denken.

Sehen wir uns die Antwort Jesu ganz genau an! Das Senfkorn gilt als kleinstes Samenkorn aller Stauden­gewächse in Palästina. „Glaube so groß wie ein Senfkorn“ bedeutet also „winzig­kleiner Glauben“, „aller­geringster Glaube“. Die Sache mit dem Maulbeer­baum ist der Inbegriff des Un­möglichen. Maulbeer­bäume waren besonders fest und tief im Erdreich ver­wurzelt. Es ist absolut un­vorstell­bar, dass so ein Baum sich selbst ent­wurzelt, wie von Geister­hand zum Meer fliegt, dort im Salzwasser Wurzeln schlägt und weiter­wächst. Jesus drückt also sehr an­schaulich Folgendes aus: Wenn ihr auch nur den aller­geringsten Glauben hättet, dann könntet ihr Un­mögliches voll­bringen. Oder, wie er ein andermal gesagt hat: „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt“ (Markus 9,23). Diese Antwort Jesu kann uns schockie­ren, denn sie stellt den Glauben der Jünger in Frage, und sie stellt auch unsern Glauben in Frage. Oder trauen wir uns zu, mit unserm Glauben Un­mögliches zu voll­bringen? Ich denke nicht. Wenn aber schon der aller­kleinste Glaube Un­mögliches voll­bringen kann, dann müssen wir uns fragen, ob wir denn überhaupt Glauben haben. Und hatten die Jünger damals überhaupt Glauben? Man kann also aus Jesu Antwort heraus­hören: Euren Glauben soll ich stärken? Habt ihr denn überhaupt Glauben? Wenn ihr auch nur ein kleines bisschen Glauben hättet, dann könntet ihr Un­mögliches tun! Ja, es ist äußerst über­raschend und irri­tierend, aber Jesus macht den Jüngern mit diesem Wort ihr ganzes Glaubens-Selbst­bewusst­sein kaputt. Er lässt sie (und uns) an unserem Glauben ver­zweifeln.

Halten wir an dieser Stelle einmal inne und denken wir darüber nach, was denn eigentlich solch ein Glaubens-Selbst­bewusst­sein ist, das Jesus hier zerstört. Könnte es nicht sein, dass die Jünger ein wenig stolz auf ihre Jesus-Nachfolge waren? Immerhin hatten sie doch etwas Besonderes getan: Sie hatten für Jesus ihre Arbeit und ihre Familien verlassen. Sie nannten Jesus ihren Meister, erlebten Großes mit ihm und hofften, in der Gemein­schaft mit ihm Anteil am Gottes­reich zu haben. Nun strebten sie auch noch an, dass ihr Glaube stärker wird. Sie wollten nun richtige Glaubens­protze werden – Menschen, die so fest in der Nachfolge stehen, dass ihnen niemand etwas anhaben kann. Auch hofften sie, durch ihren Glauben große Taten voll­bringen zu können – Wunder, wie Jesus sie tat. Auch hofften sie, bedeutende Positionen in Gottes Reich zu erlangen. Ich denke, unter uns heutigen Jesus-Jüngern ist das Glaubens-Selbst­bewusst­sein sicher nicht so aus­geprägt. Aber eigentlich halten doch auch wir recht viel von unserem Glauben. Wir haben ja immerhin einiges gelernt, wir kennen unser Glaubens­bekenntnis und vielleicht auch den Kleinen Katechis­mus. Wir haben unsere Frömmig­keit und lassen mitunter nicht ohne Stolz durch­blicken, wie wichtig uns der Glaube und die Kirche ist. Zwar halten wir uns nicht für sündlos, aber wir denken doch, dass wir relativ anständige Menschen sind, die sich redlich um Nächsten­liebe und gute Werke bemühen. Wir würden uns jedenfalls vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn jemand zu uns sagte: Du hast ja eigentlich gar keinen Glauben. Kurz: Auch wir haben ein gewisses Glaubens-Selbst­bewusst­sein. Und es kann uns dabei sogar passieren, dass wir nach unseren Glaubens­maßstäben auf andere herabsehen – dass wir nämlich am Glauben derer zweifeln, die nicht so sichtbar fromm sind wie wir. Oder dass wir mit der Tatsache des Säuglings­glaubens Probleme haben, weil Babys nach unseren Maßstäben offen­sichtlich noch nicht glauben können. Wie oft hört man Christen sagen: Ich habe meinen Glauben!, Und es klingt so, als ob sie damit sagen wollten: Zweifelst du etwa daran? Halte mich nur ja nicht für ungläubig! Ich sitze fest im Sattel, mir passiert schon nichts!

Solches Glaubens-Selbst­bewusst­sein stellt Jesus, wie gesagt, in Frage. Er tat es nicht nur einmal, sondern immer wieder. Er entlarvte immer wieder schonungs­los die Glaubens­armut seiner Jünger, ihr fehlendes Vertrauen. Als sie beim Sturm auf dem See Genezaret Angst bekamen, da stillte er den Sturm und fragte dann: „Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4,40). Als sie einen epi­leptischen Jungen in Jesu Abwesen­heit heilen wollten und es ihnen nicht gelang, da sagte er ihnen hinterher: „Das liegt an eurem Glaubens­mangel!“ Auch in diesem Zusammen­hang verglich er den Glauben mit einem Senfkorn und meinte: „Wenn ihr so einen senfkorn­kleinen Glauben hättet, dann würde sich auf euer Wort hin ein Berg ins Meer stürzen können“ (Matth. 17,20). Und als die Jünger nach Jesu Auf­erstehung völlig verstört auf das leere Grab reagiert hatten, da schimpfte er mit ihnen wegen ihres Un­glaubens, als er ihnen erschien (Markus 16,14). Hätte Christus nicht auch bei uns allen Grund, unsern Unglauben zu schelten? Wovor haben denn wir Angst? Vor wirtschaft­licher Not, vor Be­gegnungen mit bestimmten Menschen, vor Krank­heiten, vor Unfällen, vor Kata­strophen, vor dem Tod? Wo ist denn da unser Glaube? Und wenn wir Gott um etwas bitten für uns und andere, denken wir dann nicht oft im Stillen: Es wird sich ja wohl doch nichts ändern? Wo ist da unser Glaube? Oder wenn wir traurig, nieder­geschlagen und ver­zweifelt sind, tun wir dann nicht so, als wäre Jesus in seinem Grab vermodert und lebte nicht heute als sieg­reicher Herr und Heiland? Wo ist da unser Glaube?

Ja, Jesus zerstört unser Glaubens-Selbst­bewusst­sein. Er lässt seine Jünger und uns an unserm Glauben zweifeln, vielleicht sogar ver­zweifeln. Warum tut er das? Er will doch eigentlich den Glauben stärken! Manchmal muss ein altes, un­brauch­bares Gebäude abgerissen werden, damit ein neues entstehen kann. So ist es auch mit dem Glauben. Jedes Glaubens-Selbst­bewusst­sein ist ge­fährlich, weil es letztlich bei sich selbst Kraft, Hilfe und Trost sucht, eben beim eigenen Glauben. Aus diesem Grund muss es abgerissen werden. Nur so kann der rechte selig machende Glaube entstehen. Der Glaube, der Kraft, Hilfe und Trost allein bei Gott sucht. Der Glaube, der die eigene Ohnmacht und Hilflosig­keit erkennt, daran ver­zweifelt und zu Gott um Hilfe schreit. Der Glaube, der mit leeren Händen vor Gott steht. Solcher Glaube ist das „ge­ängstete, zer­schlagene Herz“, das Gott nicht verachtet, wie es im Psalm heißt (Psalm 51,19). Solchen Glauben finden wir bei dem Vater, dessen Sohn die Jünger vergeblich zu heilen ver­suchten. Der Vater schrie zu Jesus: „Ich glaube, hilf meinem Un­glauben!“ Genau hier entsteht der rechte selig machende Glaube, der sich keine Illusionen über die eigene Stärke macht. Glaube ist ja nicht unser Wissen, Können, und Vermögen, sondern glauben heißt, als Bettler vor Gott treten. Deshalb haben wir es ebenso wie die Jünger damals immer wieder nötig, dass unser Glaubens-Selbst­bewusst­sein gründlich kaputt gemacht wird – als Voraus­setzung für den rechten Glauben.

In Jesu Antwort ist enthalten, was den rechten Glauben ausmacht. Wer Glauben hat wie ein Senfkorn, der kann zu dem Maulbeer­baum sagen: „Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!“, und er wird gehorchen. Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich. Nur der, der den Maulbeer­baum und das Meer geschaffen hat, der kann dies bewirken. Jesus will damit sagen: Nicht die Stärke unsers Glaubens bewirkt und bewegt etwas, sondern Gott allein; der Glaube aber traut Gott alles zu. Und so gilt auch: Nicht der Glaube versetzt Berge, sondern Gott, der die Berge geschaffen hat; aber der Glaube traut ihm das zu. Nicht der Glaube macht einen Kranken gesund, sondern Gott, der den Menschen geschaffen hat; aber der Glaube bittet Gott um Heilung und traut sie ihm zu. Nicht der Glaube an sich macht selig, sondern Gott, der allein Sünden vergeben und ewiges Leben schenken kann; aber der Glaube vertraut darauf, dass durch Christi Opfer wirklich alle Sünden getilgt sind und dass ein Mensch in der Taufe dieses Heil zugeeignet bekommt. Der Glaube ist keine Kraft, keine Leistung, keine besondere Begabung, sondern einfach nur die Bitte um Gottes Gnade und das Vertrauen, dass er auch wirklich so gnädig ist, wie er verheißen hat.

Liebe Gemeinde, das ist ein großer und wunder­barer Trost für alle, die keine Glaubens­protze sind. Für alle, die mit dem Glauben Schwierig­keiten haben. Für alle, die immer wieder von Zweifeln geplagt werden. Für alle, die wissen, dass sie nur schwan­kende Halme und glimmende Dochte sind. Ja, es ist ein großer Trost für alle, die mit unruhigem Herzen rufen: „Ich glaube, hilf meinem Un­glauben!“ Denn da beginnt der rechte selig machende Glaube; da beginnt Glaube nach dem Herzen Jesu. So lasst uns Jesus dankbar dafür sein, dass er uns durch Worte wie diese unser Glaubens-Selbst­bewusst­sein kaputt macht. Denn nur so lernen wir, jeden Tag neu mit unserem Glauben an­zufangen, und mit einem Leben aus Gott. So erfahren wir täglich neu unsere Hilflosig­keit und merken dabei, dass wir ganz auf Gottes Hilfe angewiesen sind. So lernen wir auch, alle unsere Sorgen einfach auf ihn zu werfen, wie es der Wochen­spruch sagt (1. Petrus 5,7). Wenn wir nach der eigenen Glaubens-Bankrott­erklärung hilfe­suchend zu unserm Herrn treten und ihm alle Hilfe zutrauen, dann werden wir staunend erleben, wie Gott Wunder tut. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 1989.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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